Die Beschwörung des Abgrunds, um weiter aufzurüsten

dsf

Von der sog. Münchner Sicherheitskonferenz gingen vor allem drei Botschaften aus:
Erstens wurde festgestellt, dass sich die weltpolitischen Konflikte bedrohlich zugespitzt hätten, man bewege sich „hin zum Abgrund“ und der Weg zurück sei mit einem Fragezeichen versehen.
Zweitens wurde dies mit einem Plädoyer für eine massive Aufrüstung der Europäischen Union verknüpft, um in den zu erwartenden Großkonflikten militärisch dabei sein zu können.
Und schließlich ging es drittens darum, dass hierfür ganz generell, aber ganz besonders von Deutschland erheblich mehr Mittel in den Militärbereich investiert werden müssten.
Ganz klar wurden die Feinde genannt, die man für eine weitere Aufrüstung braucht: Russland, China, Iran.
Siko-Chef Wolfgang Ischinger im Interview: Hin zum Abgrund
Und weiter:
Seit einigen Jahren wird unmittelbar vor Beginn der Sicherheitskonferenz der „Munich Security Report“ veröffentlicht.
Im deutschsprachigen Text der diesjährigen Ausgabe mit dem Titel „Am Abgrund – und zurück?“ heißt es: „Im letzten Jahr ist die Welt näher – viel zu nah – an die Schwelle von extremen Konflikten gerückt und die internationale Gemeinschaft muss alles tun, um sich von dieser Schwelle wegzubewegen.“
Vieles deutet darauf hin, dass wir in einer Vorkriegszeit leben.
Das Groteske an der Situation: Die Verantwortlichen dafür, dass sich die Welt auf einen atomaren Abgrund zubewegt, saßen alle in eben diesem Bayrischen Hof, in dem dieser Umstand beklagt wurde. Sie sind es, die mit ihrer Politik die Welt an den Rand eines globalen Krieges bringen: Syrien wird zum Schlachtfeld geopolitischer Interessen Russlands, der USA, der Türkei und Israels mit der Gefahr einer direkten Konfrontation zwischen Russland und USA. Von den Medien weitgehend beschwiegen führt die Türkei einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Syrien. Die unverhohlenen Drohungen Israels gegen den Iran und die Torpedierung des Atomabkommens mit dem Iran durch die USA bergen die Gefahr eines Großkonflikts.
Der Konflikt zwischen USA und Nordkorea droht zu einem Atomkrieg zu eskalieren. Mit dem größten Militäraufmarsch seit dem zweiten Weltkrieg rückt die NATO an die Westgrenze Russlands vor und schürt mit Waffenlieferungen den Konflikt in der Ostukraine. Deutsche Waffenexporte befeuern Kriege in aller Welt und schaffen ein Millionenheer von Flüchtlingen.
Das Regime der Kopfabschneider in Saudi-Arabien wird mit deutschen Leopard-Panzern ausgerüstet und führt jetzt an der Spitze einer Kriegskoalition einen Vernichtungskrieg gegen die Menschen im Jemen. Dort droht durch die Blockade eine humanitäre Katastrophe, Hungersnot, Zusammenbruch der ärztlichen Versorgung und Massenelend. Die USA modernisieren ihre Atomwaffen, die auch in Deutschland stationiert sind, um Kriege mit Atomwaffen führbar zu machen. Die USA wollen nach Angaben des Haushaltsbüros des US-Kongresses innerhalb von zehn Jahren über 400 Milliarden US-Dollar für ihr Atomwaffenarsenal ausgeben.
Im Januar haben die USA ihre neue Nukleardoktrin veröffentlicht. Darin wurden die Optionen für einen Nuklearschlag ausgeweitet. Kleine, besser einsetzbare Atombomben sollen Russland zeigen, dass die USA jederzeit zum Einsatz bereit sind. Auch Russland investiert massiv in seine Nuklearstreitkräfte und testet neue Interkontinentalraketen. China, Pakistan und Indien rüsten ebenfalls atomar auf. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, die Ausgaben für Unterhalt und Erneuerung der französischen Nuklearwaffen fast zu verdoppeln – auf sechs Milliarden Euro pro Jahr. Insofern hat das apokalyptische Bild vom Abgrund, auf dem man sich zubewege, eine gewisse Berechtigung.
China und Russland – alte neue Feindbilder
Mit China und Russland wurden auf der Siko die alten Feindbilder renoviert. Der deutsche Außenminister Gabriel und die Verteidigungsministerin von der Leyen machten hier die Vorreiter:
Explizit griff Gabriel die Neue Seidenstraßen-Initiative Chinas an:
Das korrespondiert mit der Position der USA in dieser Frage. In der „Nationalen Sicherheitsstrategie“ der US-Regierung vom Dezember 2017 heißt es:
Mehr Geld für die Rüstung angemahnt
Im Jahr 2017 beliefen sich die Militärausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten nach eigenen Angaben auf 945 Mrd. Dollar (2016: 920; 2015: 895). Die Rüstungsausgaben Chinas (150 Mrd.) und Russlands (61 Mrd. Dollar Dollar) im Jahr 2017 bleiben weit dahinter zurück. Russlands Militärausgaben liegen hier bei 7,8% der Ausgaben der NATO-Staaten. Selbst zusammen mit China kommt Russland auf weniger als ein Drittel der NATO-Rüstungsausgaben. Wie man bei diesen Zahlen von einer „Herausforderung“ sprechen kann, bleibt ein Rätsel. Donald Trump beantragte für das Haushaltsjahr 2019 686 Mrd. Dollar für die „Verteidigung“ – der vom Vorgänger Barack Obama verantwortete Haushalt 2017 umfasste „nur“ 606 Mrd. Dollar. Das heißt: allein die Steigerungen des US-Haushalts übertrifft also deutlich das gesamte russische Militärbudget des Jahres 2017.
Die USA, stehen für mehr als ein Drittel der weltweiten Rüstungsausgaben. Die EU28 geben rund 252 Mrd. US$ pro Jahr für Rüstung aus und damit weniger als die USA. Genau das soll sich jetzt ändern. Künftig sollen alle Nato-Mitgliedsländer mindestens 2% ihres BIP für Rüstung ausgeben. Deutschland liegt bei 1,2% und müsste demnach seine Rüstungsausgaben fast verdoppeln, um den Wünschen der USA zu entsprechen. Im Koalitionsvertrag steht, man wolle dem „Zielkorridor der Vereinbarungen in der NATO folgen.“ Dieser „Zielkorridor“ sieht vor, dass die NATO-Staaten ihre Rüstungshaushalte auf 2% des BIP steigern sollen. Das bedeutet für Deutschland eine Verdoppelung auf 74 Mrd. Euro. Passend dazu gibt es jetzt eine gut orchestrierte Kampagne bezüglich der fehlenden Ausrüstungen der Bundeswehr, und dass daher die angeblichen Kürzungen im Bundeshaushalt für die Rüstung gestoppt werden müssten. Dass Deutschland Kürzungen im Bundeshaushalt vorgenommen habe, ist aber mit Zahlen nicht belegbar. Im Jahr 1999 belief sich der Militärhaushalt auf umgerechnet 24,3 Mrd. Euro und stieg bis 2017 auf 37 Mrd. Euro an. Das ist eine Steigerung um über 50 Prozent. Auch für die kommenden Jahre liegen die geplanten Budgetsteigerungen deutlich über der Inflationsrate – aktuell sind für das Jahr 2021 satte 42,3 Mrd. Euro vorgesehen.
Im Koalitionsvertrag heißt es weiter: „Wir werden die Europäische Verteidigungsunion mit Leben füllen. Dabei werden wir die in die PESCO eingebrachten Projekte vorantreiben und das neue Instrument des Europäischen Verteidigungsfonds nutzen.“ Hinter dem Kürzel PESCO verbirgt sich die Vereinbarung, regelmäßig den Verteidigungshaushalt real zu erhöhen und die Investitionen für neue Waffensysteme auf mindestens 20% des Militärbudgets zu erhöhen.
EU als eigenständiger militärischer Akteur
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen forderte in ihrer Rede vehement die Fortsetzung des eingeschlagenen Kurses:
Dass sich die USA über die militärische „Emanzipation Europas“ keine Sorgen zu machen brauchen, dafür ging EU-Juncker auf der Siko in die Bütt: „Ich lese – nicht ohne Staunen –, dass einige auf der anderen Seite des Atlantiks sich jetzt vorstellen, die Europäische Union würde zu unabhängig werden in Sachen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik. Ja, wir möchten uns emanzipieren. Aber wir emanzipieren uns nicht gegen die NATO, nicht gegen die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Etwas pikiert fuhr er fort: „Uns erreichte über viele Jahre die Klage aus amerikanischem Munde, wir täten nicht genug für unsere eigene Verteidigung. Jetzt bemühen wir uns, mehr zu tun. Und jetzt ist es auch nicht recht. Entweder war das Eine richtig und das Andere falsch; oder das Andere war falsch und das Eine nicht richtig.“
Damit wird klar: Europa bringt sich nicht gegen einen Konkurrenten USA in Stellung, sondern ist dabei, militärisch ein eigenständiger militärischer Faktor zu werden, der kooperativ und arbeitsteilig mit den USA eigenständiger Akteur der militärischen Globalstrategie der NATO werden soll.
Ein Zurück vom eingangs zitierten Abgrund wird es mit den „Sicherheitskonferenz-Politikern“ nicht geben. Nur gegen sie. Das sollte die Friedensbewegung bei den diesjährigen Ostermärschen und weiteren Antikriegsaktionen deutlich machen.