report 65
Die Enteignung des Südens. Die Ausbeutung der armen Länder in der neoliberalen Globalisierung
40 Seiten, April 2006
Die Propaganda der Globalisierung ruht immer noch auf dem morschen Gerüst der 200 Jahre alten Theorie der komparativen Kostenvorteile von David Ricardo. Danach handelt es sich schlicht um eine internationale Ausdehnung der Arbeitsteilung, die zu einem höheren Wohlstand aller Länder und Völker führe. In isw-report 65 wird nachgewiesen, dass diese These von Anfang an nur die Rechtfertigung für die Übervorteilung der weniger “entwickelten” durch die schon weiter industrialisierten Länder war. In der Globalisierung von heute, die nicht mehr von Ländern, sondern von Transnationalen Konzernen getrieben wird, wirkt die Behauptung eines wachsenden Wohlstandes aller Völker wie blanker Hohn. Mit einer Fälle von Material wird belegt, dass mit dem Fortschreiten dieser neoliberalen Globalisierung Armut und Arbeitslosigkeit global zunehmen, und zwar sowohl in den Ländern des Südens wie in den Industrieländern des Nordens. Am Beispiel des völlig fehlgeschlagenen Millenium-Projekts der UN, die bis 2015 die Zahl der von Armut und Hunger geplagten Menschen halbieren wollte, erweist sich, dass eine “bessere Welt” mit diesem globalen Kapitalismus nicht möglich ist. Nicht nur kann man mit dieser Art von Weltwirtschaft nicht auf einen allgemeinen und nachhaltigen Weg zur Überwindung der Unterentwicklung gelangen – das System bewegt sich in der entgegen gesetzten Richtung, so das Fazit dieser Untersuchung.
Untersuchungsgegenstand
Das vorliegende Heft beschäftigt sich mit dem ökonomischen Verhältnis zwischen dem reichen Welt-Teil (im Norden des Planeten) und dem armen Welt-Teil (im Süden). Die reiche und die arme Welt sind nicht in jedem Fall eindeutig voneinander trennbar – es existieren Zwischenbereiche. Internationale Organisationen (von der UNO bis zur Weltbank) unterscheiden in der Regel zwischen den reichen Ländern bzw. Industrieländern bzw. Ländern der OECD; den Transformationsländern bzw. Mittel-Ost-Europa incl. der zentralasiatischen Länder der Ex-UdSSR; den Entwicklungsländern – und hier als Untergruppe den am geringsten entwickelten Ländern (Least Developed Countries, eine Gruppe von derzeit etwa 50 Ländern). In Grenzbereichen sind unterschiedliche Zuordnungen denkbar: Mexiko ist OECD-Mitglied und Entwicklungsland, die zentralasiatischen Länder sind Transformationsund auch Entwicklungsländer usw. Die Übersicht unten verschafft einen ersten Eindruck über die wirtschaftliche Spannweite zwischen der reichen und der armen Welt.
Fragestellung
Von zunehmender Globalisierung ist zu vermuten, dass sie zunehmende wechselseitige Abhängigkeit der beteiligten Länder bedeutet. Unsere Kernfrage lautet, wie sich der ökonomische Einfluss der reichen auf die armen Länder auswirkt, der sich hauptsächlich über den internationalen Handel und über die Auslandsinvestitionen seitens der transnationalen Konzerne manifestiert: Macht es der ökonomische Einfluss aus den reichen Ländern den Menschen inden armen Ländern eher einfacher oder eher schwerer, der Armut zu entkommen und ein menschenwürdiges Leben zu erreichen?
Inhalt
Das Heft untersucht im ersten Abschnitt die vom neoliberalen Mainstream verbreitete These: Freihandel schaffe Wohlstand auf beiden Seiten des Handels, sei also beiden Seiten gleichzeitig nützlich. Die Liberalisierung und Deregulierung des Welthandels, also seine Befreiung von allen außerökonomischen Einflüssen, könne daher nur im allgemeinen Interesse liegen. Diese These erweist sich als falsch. Es ergibt sich umgekehrt, dass der Freihandel Ungleichheiten und Ungleichgewichte sogar noch vertieft. In den Teilen A und B beschäftigen wir uns mit dem realen Außenhandel, den tatsächlich vorfindbaren Außenwirtschaftsbeziehungen.
Teil A erörtert die tatsächlichen Voraussetzungen und die staatlich gesetzten Bedingungen für den Außenhandel, wobei es zunächst um den Warenaustausch zwischen Ländern geht; Teil B wendet sich dem Sachverhalt zu, dass Außenhandel nicht (nur) Handel zwischen Ländern darstellt, sondern es ganz wesentlich um Handel zwischen Unternehmen geht, den deshalb zu Recht so genannten Transnationalen Konzernen. Sie handeln nicht nur international, sie investieren und produzieren auch international. Sie sind die Träger und die hauptsächlichen Gestalter von Außenwirtschaftsbeziehungen. Teil A beginnt in Kapitel 1 mit einer Darstellung der höchst unterschiedlichen Bedingungen, zu denen arme und reiche Länder in Handelsbeziehungen treten. Die Entwicklungsländer leiden unter strukturellen Nachteilen, die sich in einem tendenziell steigenden Preisdruck auf ihre Exporte niederschlagen (Stichwort Terms of Trade). Kapitel 2 beleuchtet die Handelspolitik der reichen Länder.
Übersicht für 2003 | Bevölkerung in Mio. | Bruttoinlandsprodukt in Mrd. US-$ | BIP pro Kopf in US-$ | |||
Welt | 6.314 | 100 % | 36.058 | 100 % | 5.801 | 100 % |
OECD | 1.157 | 18,3 % | 29.650 | 82,2 % | 25.750 | 443,9 % |
Osteuropa + Ex-UdSSR | 406 | 6,4 % | 1.190 | 3,3 % | 2.949 | 50,8 % |
Entwicklungsländer | 5.022 | 79,5 % | 6.982 | 19,4 % | 1.414 | 24,4 % |
Geringst entwickelte Länder | 723 | 11,5 % | 221 | 0,6 % | 329 | 5,7 % |
Anmerkung: Die Abgrenzungen überlappen sich teilweise. Quelle: UNDP, BmE 2005. |
Sie ist insgesamt als krass unfair zu charakterisieren im Sinne: eigennützig und die armen Länder benachteiligend. Kapitel 3 schließlich stellt die regional und nach Gütern differenzierte Entwicklung und Verteilung des Handels dar. Entwicklungsländer sind danach keineswegs ein monolithischer Block, sondern sie weisen eine sehr unterschiedliche Einbindung in die Weltwirtschaft auf. Ungleichheiten dominieren das Bild.
Teil B thematisiert in Kapitel 1 zunächst die Ausbreitung von transnationalen Produktionsnetzwerken. Technischer Fortschritt in Verkehr und Kommunikation sowie die Beseitigung von Beschränkungen im internationalen Kapitalverkehr (Deregulierung) erlauben es den Transnationalen Konzernen (TNK) zunehmend, ihre Produktion in Form von weltumspannenden Produktionsnetzen um- und auszubauen, mit spezialisierten Betrieben für jedes Produktionsdetail an den jeweils kostengünstigsten Orten. Das hat zur Folge, dass die weltweite Dominanz der TNK steigt, wie in den restlichen Kapiteln von Teil B diskutiert wird: Die TNK drücken der Ökonomie und letztlich damit auch der Gesellschaft der von ihnen ausgewählten Länder ihren Stempel auf, prägen sie und machen sie, vor allem auch in ihrer Wirtschaftspolitik, abhängig.
Mit der weiteren Intensivierung dieser Art von internationalen Wirtschaftsbeziehungen werden Ungleichheiten und Ungleichentwicklungen weiter zunehmen, sowohl regional innerhalb der Länder als auch zwischen den Ländern. Zudem erwachsen aus den Abhängigkeiten zusätzliche Risiken durch die zerbrechliche Weltwirtschafts-Konjunktur und durch die Unbeständigkeit der Kapitalflüsse. Mit dieser Art von Weltwirtschaftssystem kann man nicht nur nicht auf einen allgemeinen und nachhaltigen Weg zur Überwindung der Unterentwicklung gelangen – das System bewegt sich in der entgegen gesetzten Richtung.
- Vorbemerkung: Wohlstand durch Freihandel – Propaganda im Gewande der Theorie
- Handel zwischen Ländern – Die Rahmenbedingungen für die Aneignungsökonomie
1. Fehlende Marktmacht der armen Länder im Außenhandel
1.1 Ungleiche Abhängigkeiten
1.2 Sinkende Terms of Trade
2. Restriktionen seitens der staatlichen Handelspolitik
2.1 Zollpolitik
2.2 Exportsubventionen
2.3 Nicht-tarifäre Handelshemmnisse
2.4 Industrielle Standards
3. Entwicklung der Handelsströme
3.1 Wo wird gehandelt?
3.2 Was wird gehandelt? - Transnationale Konzerne als Handelnde – Die Durchsetzung der Aneignungsökonomie
1. Der Aufbau von weltumspannenden Produktionsnetzen
1.1 Vom integrierten Betrieb zum Produktionsnetz
1.2 Voraussetzungen und Anforderungen
1.2.1 Befreiung des Kapitalverkehrs von Beschränkungen
1.2.2 Kostengünstiger Warenverkehr
1.2.3 Reichlich verfügbare Produktionsfaktoren
1.2.4 Transnationale Konzerne, Auslandsfilialen, Auslandsinvestitionen
2. Dominanz der Transnationalen Konzerne in Handel und Produktion
2.1 Handel mit traditionellen Waren
2.2 Verlagerung der industriellen Produktion in die Entwicklungsländer
2.2.1 Ostasien wird zur Werkbank der Welt
2.2.2 Intra-Firmenhandel
2.3 Spezialisierung und Desintegration in der Ökonomie des Entwicklungslandes - Umkehrung der Geldströme: Die Entwicklungsländer finanzieren die Industrieländer
- Perspektiven der konzerngetriebenen Globalisierung
4.1 Explosion von Arbeitslosigkeit und Armut
4.2 Systemlogik und Systemfrage
4.3 Entwicklungsziele der UNO verfehlt – System ohne Perspektive - Literaturverzeichnis
- Glossar
Kasten: Zur ursprünglichen Akkumulation
Kasten: Die Millieniums-Entwicklungsziele der UNO