Je nach Blickwinkel wird Europa/die EU als neoliberale politische oder wirtschaftspolitische Formation gesehen. Entweder als kosmopolitisches Sehnsuchtsprojekt oder als gnadenloser Vollstrecker einer Verarmungspolitik für ganze Länder wie Griechenland oder die Globalisierungsverlierer in den reichen Hauptländern.

Was dabei oft aus dem Blick gerät, ist eine Entwicklung Europas zu einer eigenständigen Militärunion mit einem aggressiven neo-imperialen Anspruch. Europa ist auch ein militärisches Projekt, das zunehmend eigenständig militärisch agiert. Der damalige Außenminister Gabriel und Verteidigungsministerin v.d. Leyen haben das auf der Siko 2018 eindeutig formuliert:

Gabriel: „Europa braucht eine gemeinsame Machtprojektion in die Welt, bei der man auf das Militärische nicht verzichten darf“. Und v.d. Leyen wies darauf hin, dass zu den militärischen Fähigkeiten, die man aufgebaut habe, nun der Wille hinzukommen müsse, dieses militärische Gewicht auch tatsächlich einzusetzen.

Der „Aufbau der militärischen Fähigkeiten“ vollzog sich in mehreren Schritten.

  • 1999: Aufstellung einer EU-Interventionstruppe als schnelle Eingreiftruppe.
  • 2000: Einrichtung eines EU-Militärausschusses.
  • 2004: Beschluss über sog. Battlegroups und Errichtung einer europäischen Verteidigungsagentur.
  • 2009: Lissabonvertrag: Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern und sich an europäischen Rüstungsprogrammen zu beteiligen.
  • 2016: Beschluss des EU-Rates über zu einer neuen EU-Globalstrategie, in der es heißt:„Die EU wird zur weltweiten maritimen Sicherheit beitragen und dabei auf ihre Erfahrungen im indischen Ozean und im Mittelmeer zurückgreifen und die Möglichkeiten für den Golf von Guinea, dem südchinesischen Meer und die Straße von Malakka prüfen“
  • 2017: Beschluss über PESCO (Kürzel für permanente, strukturierte militärische Kooperation)
    Darin vorgesehen: Weitere Erhöhung der Rüstungsausgaben, Bereitstellung von Soldaten und Beteiligung an weitergehenden Rüstungsprojekten.

Gleichzeitig zu dieser Militarisierung Europas erfolgte die Einkreisung Russlands durch die Osterweiterung der NATO. Sowie das Ansteigen der Zahl der EU-Staaten von 15 auf 28. Beim Krieg gegen Libyen überließ man in der NATO offensichtlich der EU die Führung. Zur völkerrechtswidrigen Bombardierung Syriens durch die USA, Frankreich, Großbritannien und Israel gab es in der EU ebenso dröhnendes Schweigen, wie zum völkerrechtswidrigen Krieg der Türkei gegen Kurdengebiete in Nordsyrien.

Nachdem bei der Verlegung von NATO-Truppen durch Osteuropa an die neue Ostfront, die Westgrenze Russlands, erhebliche Probleme auftraten, weil die Infrastruktur dieser Länder – also Brücken, Straßen Unterführungen – dem Transport schweren Militärgeräts nicht gewachsen war, forderte die EU – Verkehrskommissarin Violetta Bulc, der militärischen Nutzung der Verkehrswege nach Osten Vorrang einzuräumen und entsprechende Mittel dafür bereit zu stellen. So sollen für 6,5 Milliarden Euro Straßen und Brücken panzerfähig gemacht werden, um eine schnellere militärische Verlegefähigkeit in Richtung Russland zu ermöglichen. Dieses Projekt findet sich zynischerweise unter dem Stichwort ‚Connecting Europe‘ im Haushaltsplan der EU bis 2027 wieder.

Nachdem im EU-Vertrag die Verwendung von EU-Geldern für Militärausgaben untersagt sind, wurden bisher alle Militärausgaben der EU in unverdächtigen EU-Haushalten versteckt. Z.B. die Finanzierung von Drohnen im Agrarhaushalt, die Satellitensysteme Galileo oder Kopernikus, die auch militärisch genutzt werden können, aus dem Forschungshaushalt. Oder die Finanzierung afrikanischer Interventionstruppen aus dem europäischen Entwicklungsfond. Das soll sich jetzt ändern. Jetzt wird von Juncker ein eigener militärischer EU-Verteidigungsfonds vorgeschlagen.

Im Rahmen dieses Europäischen Verteidigungsfonds‘ sollen für die Jahre 2021 bis 2027 bis zu 48,6 Milliarden Euro aktiviert werden, teils aus dem EU-Haushalt selbst, teils über die Einzelhaushalte der EU-Mitgliedsstaaten. Darüber hinaus sind 10,5 Milliarden Euro geplant für EU-Einsätze und für Operationen ‚befreundeter‘ Drittstaaten sowie den Aufbau und die Aufrüstung ihres Militärs. Andrej Hunko, europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE erklärt: „Der EU-Haushalt erfährt Paradigmenwechsel Richtung Hochrüstung. Der Entwurf der EU-Kommission markiert eine gravierende Verschiebung der öffentlichen Mittel von der Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb der EU hin zu einer Militarisierung und Abschottung nach außen.“

Was ist das Ziel der Militarisierung Europas?

Mehrere Ziele:

  1. Ein eigenständiger militärischer Akteur mit strategischer Autonomie und in Kooperation mit USA/NATO zu werden.
  2. Die Verfolgung neokolonialer Ambitionen z.B. im rohstoffreichen Afrika durch Frankreich.
  3. Bei der Aufteilung der Ausbeute der Kriege im nahen und mittleren Osten nicht zu kurz zu kommen.
  4. Einen aktiven militärischen Beitrag zur Einkreisung Russlands zu leisten.

Nicht zuletzt geht es um ein gewaltiges Konjunkturprogramm für die Konzerne der Rüstungsindustrie Europas. Die dabei auftretenden Konkurrenzen zwischen EU und USA oder innerhalb Europas sind vielleicht vergleichbar mit einer Räuberbande, die nach gemeinsamen Raubzügen sich um die Beute balgt. Ihnen das Handwerk zu legen bedeutet: Europa muss nicht nur demokratisiert, es muss auch entmilitarisiert werden.