Ist es nur ein Warnhinweis oder bereits ein Menetekel, eine „Wachstumsdelle“ oder ein beginnender Konjunktureinbruch? Die Wachstumsrate der deutschen Wirtschaft hat sich mit mageren 0,3 Prozent im ersten Quartal 2018 gegenüber dem Vorquartal halbiert. Der Schwung aus dem Ende des Vorjahres konnte nicht in das neue Jahr hinübergenommen werden. Dabei hatten Bundesregierung und die Auguren in den Wirtschaftsforschungsinstituten zu Beginn des Jahres verstärkt in Optimismus gemacht und die Erwartungen hochgeschraubt – auf 2,5 Prozent BIP-Zuwachs im Jahr. Bleibt es beim Schleichkurs des ersten Quartals, dann werden es gerade mal gut ein Prozent. Deutschland, die bisherige Konjunkturlokomotive im Euroraum, bildet plötzlich das Schlusslicht. Der neunjährige „Aufschwung“ – ohnehin eher ein „Auf“ ohne Schwung – scheint dem Ende zuzugehen. Die Geschäftserwartungen der Unternehmen, die das Ifo-Institut monatlich abfragt, haben sich im Mai zum fünften Mal in Folge eingetrübt.
Auch im gesamten Euroraum kühlte sich das Konjunkturklima ab; + 0,4 Prozent Wachstum im ersten Vierteljahr zum Vorquartal; auf das Jahreswachstum bezogen etwa 1,6 Prozent.
Erste Schwächeanzeichen zeigen sich auch in der größten Volkswirtschaft des Westens, den USA, wo vor allem die zunehmende Staats- und Unternehmensverschuldung Sorgen bereitet. Lediglich Chinas Wirtschaft ist noch auf dem geplanten Wachstumskurs: plus 6,6 Prozent in den ersten drei Monaten gegenüber dem entsprechenden Vorjahres-Quartal; die Eontwicklung ist allerdings auch mit dem Risiko horrender Verschuldung der Unternehmen behaftet.
Insgesamt mehren sich die Anzeichen, dass sich der globale Boom abschwächt und möglicherweise in eine rezessive Phase übergeht. Der Internationale Währungsfonds warnt in seiner Jahresprognose vor zunehmenden Risiken. Und die Chefin des IWF, Lagarde, gibt den Rat: „Deckt das Haus, solange die Sonne noch scheint“. Als „Dachziegel“ empfiehlt sie verstärkte staatliche Investitionen in die Infrastruktur und Bildung. Das gilt insbesondere für Deutschland, wo die Export-“Sonne“ in den vergangenen Monaten an Strahlkraft verloren hat und zudem die staatlichen Investitionen zurückgefahren wurden.
Trump im Porzellanladen
Zu einem erheblichen konjunkturellen Bremsfaktor dürfte sich in den nächsten Monaten der gestiegene Ölpreis auswirken; auch andere Rohstoffe sind teurer geworden. Binnen eines Jahres hat sich der Rohölpreis (Sorte Brent) um 50 Prozent erhöht. Ölpreissteigerungen drücken erst mit einigen Monaten Verzögerung mit vollem Gewicht auf die Konjunktur.
In der Ölpreis-Entwicklung drückt sich aus, dass die Haupt-Risiken gegenwärtig politischer Natur sind: das erratische und aggressive Politikgebaren des US-Präsidenten, insbesondere in der Frage Handelskonflikt und -krieg und jüngst die Kündigung des Iran-Atomabkommens seitens der USA, verbunden mit drastischen neuen Sanktions-Ankündigungen, die auf Regime-Change und Kapitulation der Iran-Führung abzielen. Die Sanktionen sollen zudem exterritorial gelten, also auch nichtamerikanische Firmen treffen, die weiterhin mit dem Iran Geschäfte tätigen.
Die globale Handels- und Wirtschaftsverunsicherung lässt sich auch anhand der Entwicklung der der weltweiten Direktinvestitionen verorten. Den Industrieländern (35 OECD-Mitgliedsländer) ist 2017 deutlich weniger Kapital in Form von DI zugeflossen, als 2016: 760 Milliarden gegenüber 1,2 Milliarden in 2016 – ein Rückgang um 37 Prozent. Auffallend stark gingen ausländische DI (FDI) in die USA und Großbritannien zurück. In die USA flossen 2017 287 Mrd. Dollar an DI – gegenüber jeweils 450 Mrd. in den beiden Vorjahren: Ein Minus von 47%. Direktinvestitionen nach Großbritannien brachen regelrecht ein: Nur noch 16 Mrd. (2017) gegen 196 Mrd. 2016; 92% weniger. Die Abschreckung von Investoren resultiert in GB aus der politischen Verunsicherung im Zusammenhang mit dem Brexit; in den USA aus dem Schlingerkurs Donald Trumps. Allerdings dürfte die Trumpsche Unternehmenssteuerreform in Zukunft wieder mehr ausländische Investoren anlocken.
Rauschendste Profit-Party aller Zeiten
Falls der Boom jetzt zu Ende geht, verabschiedete er sich mit dem größten Kurs-, Profit- und Dividendenfeuerwerk in der Geschichte des Kapitalismus. Mit Knallern und Krachern ohne Beispiel.„Deutsches Gewinnwunder“ titelte das Handelsblatt bereits Ende 2017. Der Dax hatte im Vorjahr um 13,1% zugelegt auf die Höchstmarke 13.100, die Netto-Profite der Dax-Konzerne stiegen um 68 Prozent und die Dax-Aktionäre sackten jetzt im Frühjahr mit 36,7 Milliarden die höchsten Dividenden (+ 16%) aller Zeiten ein (isw-wirtschaftsinfo 54 „Bilanz 2017 – Ausblick 2018“, S. 25 – 27).
Doch alles wird getoppt durch den Profit- und Dividendenrausch der US-Konzerne. „Nach Rekordgewinnen im Vorjahr und neun Jahren Aufschwung legen die 500 größten börsennotierten amerikanischen Unternehmen (S&P 500 – F.S.) noch eins drauf“, schreibt das Handelsblatt (15.5.18). „Im ersten Quartal des laufenden Geschäftsjahres steigerten sie ihre Nettogewinne im Schnitt um 25 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Das ist der stärkste Zuwachs seit 2011“. Ein entscheidender Gewinntreiber war die Steuerreform von Trump, von der fast alle Unternehmen, Banken und Versicherungen profitierten. Und ausländische Transnationale Konzerne, die in den USA investieren, noch dazu. Wegen des hohen Steuereffekts sprechen Experten aber von einer „geringen Qualität des Wachstums“, weshalb auch die Aktienkurse an der Wallstreet kaum positiv auf die starken Quartalsergebnisse reagierten. Analysten gehen davon aus, dass der „Peak Earnings“, also der Gipfel der Gewinne aus dem operativen Geschäft bereits überschritten sei.
Die Super-Profite müssten eigentlich für die US-Konzerne Anlass sein, ihre hohe Verschuldung zu reduzieren, ihre Löcher im Dach zu reparieren, um im Bild von Lagarde zu bleiben. Mehr als ein Viertel der S&P 500 Konzerne – die 500 größten börsennotierten Konzerne – ist so hoch verschuldet, dass ihre Verbindlichkeiten mindestens fünfmal höher sind als ihre Jahresgewinne. Doch anstatt die Rekordgewinne in die Schuldentilgung zu stecken, schütten die Unternehmen immer mehr Geld an ihre Institutionellen und Privaten Anleger aus. In zweifacher Hinsicht: Die S&P 500 erhöhten ihre Dividenden für die Gewinne des Geschäftsjahres 2017 um weitere vier Prozent auf das Rekordniveau von 444 Milliarden Dollar (HB, 15.5.18). Darüber hinaus kauften die Konzerne eigene Aktien im Wert von 520 Milliarden Dollar zurück, um damit den Aktienkurs in die Höhe zu treiben und die verbleibenden Aktionäre zu bereichern. Dem Kapitalabfluss von 964 Milliarden Dollar – Ausschüttungen plus Aktienrückkäufe – stand ein Nettogewinn von einer Billion Dollar gegenüber (ebenda). In den Aktienrückkäufen zeigt sich der parasitäre Charakter eines völlig auf Shareholder-Value getrimmten Kapitalismus am krassesten: Mangelns realer Investitionsmöglichkeiten, auch mangels lukrativer Direktinvestitionen, Übernahmen und sogar Finanzinvestitionen kaufen die Konzerne gewissermaßen sich selbst, um ihren Börsenwert in die Höhe zu treiben.
Rezession oder „Minsky-Moment“
Die gegenwärtige ökonomische Großwetterlage und auch die politische Konstellation in den USA ist geradezu idealtypisch für die Auslösung des so genannten Minsky-Moments. Das Credo des Linkskeyesianers Hyman P. Minsky (1919 – 1996) lautete: „Stabilität führt zu Instabilität. Je größer und je länger die Stabilität ist, umso instabiler wird alles, wenn die Krise eintritt“. Laut Minsky akkumulieren sich im Windschatten eines Booms versteckte Risiken. Eine Mixtur aus hohen Schulden, faulen Krediten, geringem Eigenkapital und Sorglosigkeit der Marktakteure kann dann in inmitten eines Aufschwungs und aus heiterem Himmel einen plötzlichen Crash und eine Finanzkrise hervorrufen. Die wiederum, wie nach dem Finanz-Crash 2007/08, in eine Rezession münden kann.
Insbesondere dauerhaft niedrige Zinsen verleiten dazu, Investitionen mit geringer Rentabilität zu tätigen und auch riskante Firmen-Übernahmen durchzuführen. Die Firmenlenker werden in der Hoffnung auf die lange Dauer des Aufschwungs zunehmend sorglos und setzen darauf, dass sie Zins und Tilgung alter Kredite durch billige neue Kredite (revolving) bezahlen können. Für Nullzinsen und billigste Kredite sorgten in den vergangenen Jahren die Geldschwemmen in Billionen-Dimensionen der führenden Notenbanken; die Boom-Phase wurde dadurch auf inzwischen neun Jahre ausgedehnt, der Konjunkturzyklus schien außer Kraft gesetzt. Je länger die Dauer des Booms und je größer die damit entstandene Schuldenblase, umso größer die Labilität des gesamten Systems und Gefahr eines plötzlichen Minsky-Crashs, der dann infolge des Herdenverhaltens der Anleger einen echten Absturz der Konjunktur und eine Finanzkrise provozieren kann. Sorgen bereitet in diesem Zusammenhang die seit der Finanzkrise 2007/08 ungebrochene Schuldendynamik. Die Gesamtschulden sind seitdem weltweit nicht gesunken, sondern gewachsen – vor allem die Verschuldung der Unternehmen in den USA und China. Letzteres veranlasste den Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, am Rande des Parteitags der KP Chinas im Oktober 2017 vor einem „Minsky-Moment“ zu warnen.
Die globale Verschuldung von Staaten und Privatsektor hat sich inzwischen auf 164 Billionen Dollar aufgebläht, mehr als das Zweifache des Welt-Sozialprodukts; in den USA 260 Prozent des BIP, in China 240 Prozent. Den größten Schuldenberg haben in China die Unternehmen angehäuft: mit 20 Billionen Dollar inzwischen gut 160 Prozent des BIP (HB, 14.5.18). Weltweit betragen die Unternehmens-Anleihen und -Kredite nach Berechnungen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) 66 Billionen Dollar (ebenda). „Das Explosionszentrum für die nächste Rezession wird der überschuldete Unternehmenssektor sein“, warnen Anlageberater, wie Scott Minerd, Chef-Investor beim US-Vermögensverwalter Guggenheim Partners. In den USA ist der Staat der größte Schuldner, der zudem im Ausland verschuldet stark in der Kreide steht. Mit der rüstungs-keynesianischen Politik der Trump-Administration und den Steuerausfällen infolge der Steuerreform wird die US-Staatsverschuldung noch einmal explosionsartig zunehmen. Kommt es zur Rezession, dann haben Staat und Zentralbanken ihr Pulver zum Entlastungsangriff weitgehend verschossen.
Was letztlich den viel zitierten Minsky-Moment auslöst, ist unbekannt – auch Minsky wusste es nicht; war sich aber sicher, dass er immer wieder eintritt. Auslöser kann ein politischer Schock sein, eine Staats- und Regierungskrise (Italien!), eine akute Kriegsgefahr, eine plötzliche Wende in der Geldpolitik, z.B. eine schlecht kommunizierte Anhebung der Leitzinsen oder die Verhängung von Sanktionen und Handels-Kriegserklärungen.