Derzeit wird in Berlin gerade ein Gesetz geschrieben, das den beiden Atomkonzernen RWE und Vattenfall im Rahmen des Atomausstiegs nach Schätzung des Umweltministeriums annähernd eine Milliarde Euro Schadensersatz zubilligen wird.

Um das zu verstehen, muss man etwas ausholen.

Im Jahr 2000 verhandelte die Schröder-Regierung mit den Atomkonzernen einen so genannten Atomausstieg; so genannt, weil der wesentliche Vertragsinhalt war, dass die AKWs eine Strommenge erzeugen dürfen, die 32 Jahren mal 365 Tagen mal 24 Stunden Höchstlast entspricht. Da ein AKW 10 % bis 20 % im Jahr steht (Wartung, Brennstoffwechsel, Reparaturen), bedeutet das eine reale Laufzeit von mehr als 40 Jahren. Bei den Baugenehmigungen ging man damals von etwa 25 Jahren Standzeit aus. Und der Clou obendrauf: Geht ein AKW vorzeitig kaputt oder kann es aus sonstigen Gründen seine zugesicherte Strommenge nicht erzeugen, dann kann der Betreiber diese (Rest-)Strommenge auf ein anderes AKW seiner Wahl übertragen bzw. verkaufen. Dieses AW läuft dann noch länger. So steht eine dem RWE-AKW Mühlheim-Kärlich, das im Erdbebengebiet in der Eifel gebaut wurde und daher nicht in Betrieb gehen durfte, zugerechnete Strommenge den anderen AKWs von RWE zur Verfügung. Genauso die nicht ausgenutzten Strommengen des abgeschalteten Schrottreaktors Krümmel. Das war der absolute Super-Deal der Atomkonzerne: Die permanenten Diskussionen über Gefahren und Schäden der “friedlichen Kernkraft” hörten auf, die Demos vor den AKWs hörten auf, und die Konzerne konnten sich auf jahrzehntelange ungestörte Atomstromerzeugung freuen – das Schachern und Verschieben von Strommengengarantien eingeschlossen.

Im Dezember 2010 setzte die CDU-FDP-Regierung noch eins drauf: Sie verlängerte die AKW-Laufzeiten um durchschnittlich 12 Jahre. Vier Monate später hatten sie Pech: Fukushima explodierte, die Laufzeitverlängerung konnte politisch nicht aufrecht erhalten werden und musste rückgängig gemacht werden, 8 der 17 AKWs wurden abgeschaltet (die ganz alten und die Schrottreaktoren), die verbleibenden 9 AKWs werden nach und nach bis Ende 2022 abgeschaltet (heute laufen noch 7). Allerdings blieben die Strommengengarantie und auch der Verschiebebahnhof. Damit aber tauchte ein neues Problem auf: War beim ursprünglichen Schröderschen Atomausstieg eine Perspektive von etwa 2030 bis 2040 bis zum letzten Abschalten angepeilt, so müssen jetzt schon 2022 alle AKWs vom Netz gehen. Das Problem: Es ist nicht möglich, bis dahin alle garantierten Mengen zu erzeugen.

Die Grafik zeigt die jahresdurchschnittliche Auslastung der deutschen AKWs, also die jährliche Stromerzeugung in Prozent einer ununterbrochenen Höchstleistungs-Fahrweise. Dabei bezeichnet Brutto die erzeugte und Netto die abgegebene Strommenge; die Differenz ist der Eigenverbrauch, der pro AKW (!) etwa 600 Millionen kWh im Jahr ausmacht (so viel wie 200.000 Haushalte verbrauchen). Die Auslastung ist seit den 1980er Jahren stark gestiegen, die Stillstandzeiten für Wartung etc. haben sich auf weniger als die Hälfte reduziert. Je älter die AKWs werden, desto problemloser laufen sie, so scheint es. Nur ab 2007 hatten die Atomkonzerne mit Krümmel und einigen anderen AKWs erhebliche Störungsprobleme, die Auslastung sank. Desgleichen 2017, als beim AKW Brokdorf plötzlich übermäßig verrostete Brennstäbe festgestellt wurden, was aufwendige Reparaturen nach sich zog und die Vorgabe, dass Brokdorf künftig aus Vorsichtsgründen nur noch in Teillast gefahren werden darf (Abschaltung: Ende 2021). Ab 2018 bis 2022 ist in der Grafik diejenige Auslastung angegeben, die nötig wäre, um alle garantierten Strommengen noch abzufahren: das sind 104 %. Das werden selbst die Atomkonzerne auch bei all ihrer bekannten Kreativität wohl nicht mehr schaffen.

Gegen die Unmöglichkeit, alle in 2000 garantierten Strommengen noch zu erzeugen, klagten die Atomkonzerne auf Schadensersatz durch alle Instanzen bis zum Verfassungsgericht. (Nebenbei ging es auch um die Entschädigung für die verlorenen Erweiterungsinvestitionen, die die Konzerne in den vier Monaten der Laufzeitverlängerung durchführten, aber das scheint ein kleinerer Posten zu sein.) Das Verfassungsgericht urteilte im Dezember 2016, die Regierung könne entweder die Laufzeitbegrenzung bis 2022 aufheben oder sie müsse den Konzernen Schadensersatz für den nicht mehr erzeugbaren Atomstrom leisten. Die Regierung entschied sich für die letztere Variante und bereitet derzeit dieses entsprechende Gesetz vor.

Konkret geht es um Vattenfall und um RWE. Vattenfall ist quasi ein Ex-Atomkonzern, es besitzt nur noch abgeschaltete Schrottreaktoren. Für Krümmel und in kleinem Ausmaß auch für Brunsbüttel hätte es noch Erzeugungsrechte für gut 45 TWh (Milliarden kWh). Das wird Vattenfall schwerlich verkaufen können. RWE hat noch den Großteil der Strommenge, die für das im Neuzustand schon abgeschaltete AKW Mülheim-Kärlich vergeben wurde, und wird davon nach Schätzung des Umweltministeriums gut 40 TWh wohl nicht mehr nutzen können. Zusammen geht es also um knapp 90 TWh, etwa acht Jahreserzeugungen eines AKWs.

Der Schadensersatz soll 2023, nach Abschluss aller AKW-Aktivitäten, anhand der durchschnittlichen Strombörsenpreise zwischen 2011 und 2022 berechnet werden. Die Regierung rechnet mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag, also annähernd einer Milliarde Euro Steuergelder. Nach dem, was man an Entgegenkommen der Regierung in solchen Verhandlungen so erfahren hat, wird der Steuerbürger wohl noch etwas drauflegen müssen: Die bisherigen durchschnittlichen Börsenpreise belaufen sich auf drei bis vier Cent/kWh, also etwa 3 Milliarden Euro für 90 TWh; nennenswerte Kosten fallen bei den allesamt abgeschriebenen AKWs nicht an. Eine immer wieder benutzte Daumenschätzung (nicht nur von AKW-Gegnern) geht von einem Gewinn bei der Atomstromerzeugung von etwa einer Million Euro pro AKW pro Tag aus. Bei acht Jahreserzeugungen käme man ebenfalls auf etwa 3 Milliarden. Wir werden sehen.

Was ist zu fordern? Derzeit laufen noch sieben mittlerweile uralte Reaktoren mit denkbar minimalen Pausen für Wartung, mit Höchstdruck, um noch so viel rauszuholen wie irgendwie geht. Motto: Die alten Mühlen kann man zuschanden fahren, da rentiert sich keine Pflege mehr. Nach 2001 war zugesagt, die AKWs gegen Flugzeugabstürze (Terroranschläge) zu sichern. War zu teuer, ist klammheimlich gecancelt worden. Das oben zitierte Urteil erlaubt der Regierung sogar einen sofortigen AKW-Ausstieg, allerdings muss sie dann entsprechenden Schadensersatz für entgangenen Gewinn zahlen. Das führt in die Richtige Richtung: Sofortiger Ausstieg aus der Atomstromerzeugung und ernsthafte Verhandlungen um Schadensersatz: Dort muss dann zur Sprache kommen, dass die AKWs den Ausbau regenerativer Energien massiv behindern, dass die der Gesellschaft aufgebürdeten Risiko- und Müllkosten immens sind, dass die AKWs 2016 in Verhandlungen der Atomausstiegs-Kommission faktisch gigantische Milliardenbeträge Subventionen erhielten.