Für viele deutsche Wirtschaftspolitiker und Ökonomen gibt es derzeit zwei epochale Bedrohungen: Erstens das Coronavirus und zweitens den Corona-Bond. Das Virus bedroht Leib und Leben, der Corona- Bond die heiligen Prinzipien des neoliberalen Marktes. Man weiß nicht, was schlimmer ist. Die Bond-Bedrohung kommt von den Regierungschefs aus Frankreich, Italien, Spanien, Belgien, Irland, Portugal, Griechenland, Slowenien und Luxemburg. Sie fordern solche Anleihen.
Gegen dieses Teufelszeug wehrt sich vor allem Angela Merkel. Die Welt berichtet über die Videokonferenz der europäischen Regierungschefs am 26.03. Folgendes:
Bei diesen Bonds geht es im Prinzip um nichts Neues. Sie sind ein Finanzmarktinstrument, das seit langem immer mal wieder unter der Bezeichnung „Eurobonds“ diskutiert wird und noch nie zum Einsatz kam, weil Deutschland, aber auch einige andere Euroländer wie etwa Holland und Österreich, strikt dagegen sind.
Was sind Corona-Bonds (Eurobonds)?
Vereinfacht gesagt, würden bei dieser Art von Anleihen die Euro-Staaten gemeinsam Schulden am Kapitalmarkt aufnehmen, die aufgenommenen Mittel unter sich aufteilen und gesamtschuldnerisch für die Rückzahlung und Zinsen dieser Schulden haften. Deutschland würde also für alle anderen Staaten mithaften. Eurobonds würden den Zugang schwächerer Euro-Länder zu den Kapitalmärkten erleichtern und ihre Zinskosten reduzieren. Denn sie wären, da das Ausfallrisiko minimal ist, niedriger verzinst als beispielsweise italienische oder spanische Staatanleihen.
Genau das will die deutsche Politik verhindern: Da sie, im Einklang mit der deutschen Wirtschaft, die Eurozone immer als Wettbewerbszone und nie als Wirtschaftsgemeinschaft betrachtet hat, kommen Eurobonds für sie nicht in Frage. Sie will die Staatsfinanzierung strikt getrennt halten, unter anderem, weil sie dadurch einen massiven Finanzierungsvorteil, eben in Form niedriger Zinsen hat. Derzeit liegen deutsche Staatspapiere sogar bei Minuszinsen von circa – 0,4 %, Italien dagegen zahlt in etwa 1,7 % Zinsen auf Staatsanleihen.
Kommen Corona-Bonds?
Nun tobt in Europa gerade eine Pandemie, die zur wirtschaftlichen Abfederung Tausende von Milliarden Euro erfordern wird. Falls man nicht neoklassisch „gebildeter“ Ökonom ist, sieht man sofort, dass diese Mittel völlig unabhängig von Schuldenständen, Finanzmärkten, Ratingagenturen und den Ansichten Christian Lindners bereitgestellt werden müssen. Geschieht das nicht, wird die Wirtschaft in vielen Euroländern zusammenbrechen.
Bereits zu Beginn der Corona-Epidemie gingen die Zinsen für italienische Staatsanleihen durch entsprechende Spekulationen nach oben. Das zeigt, dass getrennte Kapitalmarktfinanzierungen eines jeden Euro-Landes für sich alleine nicht zumutbar und wohl auch gar nicht möglich sind. Gerade Länder wie Italien und Spanien, die am Dringendsten Hilfe brauchen, würden zu Opfern von Finanzspekulationen.
Es gibt inzwischen in der EU einen massiven und völlig gerechtfertigten Druck auf Deutschland (und andere), durch Corona-Bonds eine faire Finanzierung der Notmaßnahmen sicherzustellen. Möglicherweise entscheidet sich hier die weitere Existenz der Eurozone. Bleiben Deutschland, Österreich und Holland bei ihrer Verweigerung, werden sich die schwächeren Euroländer überlegen, was ihnen der Euro noch bringt. Der portugiesische Ministerpräsident hat sich in der Öffentlichkeit bereits massiv und mehrfach in diese Richtung geäußert, in Italien ist die Anti-Euro-Stimmung ohnehin weit verbreitet.
Wenn Deutschland den Euro, an dem die deutsche Wirtschaft glänzend verdient hat, nicht aufs Spiel setzen will, wird sie wohl Corona-Bonds zustimmen müssen. Die Wahrscheinlichkeit dafür nimmt derzeit (02.04.20) deutlich zu.
Wer kauft Bonds, woher kommt das Geld?
Das wäre aber nur der erste Schritt weg von untauglichen neoliberalen Konzepten. Denn auch Eurobonds bleiben noch abhängig von der unsicheren Nachfrage und Bepreisung der privaten Kapitalmärkte. Aber auch der zweite, noch bedeutendere Bruch mit den bisherigen Dogmen könnte in der Coronakrise ein wenig näher rücken: Die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank.
In der EU ist Staatsfinanzierung durch die Zentralbanken verboten, das sollen die Finanzmärkte und Banken übernehmen. Man verbietet also dem Bäcker das Brotbacken. Denn selbstverständlich sind Zentralbanken dazu da, um Geld zu schaffen (Geldschöpfung), auch für Regierungen. Die EZB tut das auch seit Jahren mit ihrem Anleihe-Aufkaufprogramm, allerdings in einer Art Halblegalität, um mehrere Ecken herum. Außerdem waren die bisherigen Aufkaufprogramme durch Länderquoten und andere Vorgaben so beschränkt, dass gerade die Länder, die diese Unterstützung notwendig gebraucht hätten, davon am wenigsten profitiert haben.
Die immensen Summen, die zur Bewältigung der Corona-Lasten gegenwärtig notwendig sind, erfordern dagegen eine uneingeschränkte Akzeptanz und Anwendung der direkten Staatsfinanzierung. Die Corona-Bonds (wenn es sie denn geben wird) müssten von der EZB zu Null Zinsen aufgekauft werden, die bereits angekündigten EZB-Mittel über 750 Milliarden (Pandemic Emergency Purchase Program (PEPP)) müssten dafür eingesetzt und bei Bedarf erweitert werden.
Woher kommen diese Mittel? Von der Zentralbank selbst. Denn, wie gesagt, sie produziert (schöpft) Geld. Wenn im Krisenfall dringend Finanzen benötigt werden, kann die Zentralbank unbegrenzt Staatspapiere aufkaufen und damit Geld an den Staat überweisen. Entsteht dadurch Verschuldung? Nein! Die Zentralbank ist letztlich immer eine staatliche Organisation. Schulden des Staates an die Zentralbank sind Schulden des Staates an sich selber – also keine.
Entsteht dadurch Inflation? Nein! Weil diese Gelder auf absehbare Zeit keinen Nachfrageüberhang erzeugen werden, sondern lediglich die einbrechende Nachfrage ein Stück weit ersetzen können.
Die aktuelle Situation stellt die bisherige Wirtschaftspolitik auf den Kopf: Mit ihren Regeln und Ideologien lässt sich die Krise nicht mildern. Reiten die Neoliberalen in der EU weiterhin auf ihren Prinzipien und dem Primat der Marktsteuerung herum, werden die Auflösungskräfte in der Eurozone dramatisch zunehmen.