Seit Beginn der industriellen Revolution Ende des 18. Jahrhunderts wächst die kapitalistische Wirtschaft in Wellen: in kurzfristigen Konjunktur-Zyklen von sieben bis elf Jahren, aber auch in langfristigen Wachstumswellen von 40 bis 60 Jahren. Letztere werden als Kondratjeff-Wellen bezeichnet, nach dem russischen Ökonomen Nikolai Kondratjeff, der diese langen Wellen erstmals analysierte und auf technologische Umbrüche zurückführte, die letztlich alle Lebensbereiche erfassten. Stalin ließ den Ökonomen als „Kulaken-Professor“ 1938 hinrichten; nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil er mit seiner Theorie dem Kapitalismus bescheinigte, dass dieser sich von säkularen Krisen auch wieder erholen könne.

Aufschwünge zu einer neuen Kondratjeff-Welle wurden in der Vergangenheit jeweils von neuen Basis-Innovationen ausgelöst, die den neuen Zyklus prägten. Hans-Jörg Naumer, Leiter der Kapitalmarktanalyse bei Allianz Global Investors hat sich in seiner Studie #GreenGrowth veröffentlicht Mitte März 2021, mit den Kondratjeff-Zyklen befasst. Bis dato lassen sich 5 Kondratjeff-Wellen unterscheiden:

Kondratjeff-Zyklen 1. Kondratjeff 2. Kondratjeff 3. Kondratjeff 4. Kondratjeff 5. Kondratjeff
Periode 1780 - 1830 1830 - 1880 1880 - 1930 1930 – 1970 1970 – 2000 +
Erfindung, Innovation Dampfmaschine Eisenbahn, Stahl Elektrizität, Chemie Automobil, Petrochemie Informations- und Kommunikationstechnologie
Bedarfsfeld Bekleidung Massentransport Massenproduktion individuelle Mobilität Information + Kommunikation

Quelle: L.A. Nefodow, Der Sechste Kondratieff Die Endphase eines Zyklus ist gekennzeichnet:

  • durch Erschöpfung des Nutzungspotenzials der Basis-Innovationen, die diesen Zyklus trugen. Die Produktivität der Basisinnovationen stagniert und geht zurück. Neue Erfindungen setzten sich teilweise schon durch.
  • „In der Endphase des Zyklus entsteht ein hoher Überschuss an „Finanzkapital“ gegenüber dem langfristig ausgerichteten Realkapital. Es kommt zu Über- und Fehlinvestitionen, da das Finanzkapital keine rentierlichen Anlagemöglichkeiten mehr findet. Stichwort „Anlagennotstand“. „Übertriebene Spekulation“. Die (Real-)Renditen gehen zurück. Blasen bilden sich.Heute: aufgeblähte Vermögenspreisblasen, Überliquidität von Konzernen, hohe Verschuldung von Staat, Unternehmen und Privathaushalten. Und zugleich: „Savings Gluts“ (Ersparnisschwemmen). Am Ende tendieren die Realzinsen gegen Null oder gehen wie heute sogar die Nominalzinsen teilweise ins Minus. Platzen von großen und kleinen Finanzblasen: Subprime Blase, Greensill-Bank, Credit-Suisse/Archegos-Hedgefonds.

Das Problem ungenügender gesamtwirtschaftlicher Nachfrage, resultierend aus verschärfter Ausbeutung (Neoliberalismus) und zunehmender Ungleichverteilung thematisiert Naumer nicht. Wie auch? Er ist Topmanager des Finanz-Riesen Allianz Global Investors! 

  • Die auslaufende Welle endet in einer starken Rezessionsphase, bevor es zu einer neuen langen Welle des Wachstums kommt.
  • Begleitend zur Ablösung alter und der Einführung neuer Basisinnovationen kommt es zu starken sozialen/institutionellen Veränderungen bis hin zu Unruhen und Umstürzen.

Solche gesellschaftlichen Umbrüche seien auch heute am Ende des fünften Kondratjeff nicht zu verkennen, meint Naumer. Sie entladen sich im Populismus, „wohinter vor allem die Veränderungen am Arbeitsmarkt stecken dürften“ (S. 8). Die Debatte um die Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen gewinne an Schärfe.

Vom parasitären zum symbiotischen Wachstum

„Wie in den vergangenen Kondratjeff-Wellen so wird auch die 6. Welle von den Knappheitsfaktoren vorangetrieben, welche die Basisinnovationen zur Entfaltung bringen“, schreibt Naumer (S. 9). „Bestimmend sind die folgenden sich fortentwickelnden Megatrends, welche die Knappheit bedingen“: Das sei die demografische Entwicklung: Zunahme der Weltbevölkerung bis 2100 auf 11 Milliarden Menschen. Zweitens, die Knappheit der Ressource Umwelt, Stichwort Klimawandel. „Es muss global zu einer Aussöhnung von Ökologie und Ökonomie kommen“. „Es geht um einen Übergang vom parasitären zum symbiotischen Wachstum, sollen die Ansprüche der nachkommenden Erdbewohner an ein menschenwürdiges Leben erfüllt werden“. Die Schlüsselrolle bei der Lösung der Probleme Demografie und Ökologie/Klima sieht Naumer im dritten Megatrend, Digitalisierung verbunden mit Künstlicher Intelligenz (KI). Das Wirtschaftsleben werde zunehmend von Robotern und Künstlicher Intelligenz durchdrungen, die über „smarte“ Technik eine grüne Welle des Wachstums tragen könne. Naumer führt einige Beispiele kurz an: „Smarte“ Logistik, „Smarte“ Städte, „Smart Grids“. „Smarte“ Landwirtschaft. (smart = clever/intelligent; grid: Strom-/Versorgungsnetze). Bei allem sei künftig die KI der Treiber, sie gehöre wie die Digitalisierung zum Geflecht der Basisinnovationen, die die neue lange Welle treiben werden. Beispiel „Smarte“ Städte: Der Anteil der Weltbevölkerung, der heute in Städten lebt, beträgt etwa 50%. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass es 2050 über 70% sind. Eine gigantische Herausforderung bei steigender Gesamtbevölkerung: Infrastruktur, Bauten, Netzen etc. „Verkehr klüger zu steuern heißt eine der Herausforderungen. Aber es geht um mehr. Um die Versorgung mit Energie und Gütern jeglicher Art. „Smart Cities“ bedeutet nicht nur hochvernetzte Städte. Das heißt auch in Städten selbst Energie zu produzieren, zu verteilen und zu verbrauchen, Gebäude also zu Mini-Kraftwerken für regenerative Energien zu machen. Nicht zuletzt sollen die Städte zu Grünzonen werden, da auf Gebäudedächern Nahrung wächst ….“ (S. 12).

Enormer Investitionsbedarf

Der Kapitalbedarf für eine Transformation zu einer nachhaltigen Energieversorgung ist enorm. Die Renewable Energy Agency (RENA) schätzt, dass für ihr „Transforming Energy Scenario“ (TES) ein Investitionsbedarf von insgesamt 60 Billionen US-Dollar bis zum Jahr 2030 besteht. Der Entwicklungspfad der globalen Energieerzeugung nach TES würde es ermöglichen, den globalen Temperaturanstieg während dieses Jahrhunderts unter 2° C nahe bei 1,5°C zu halten (S. 13). Eine Menge Geld. Aber dieses Investitionsvolumen ist nach Naumer erreichbar. Er verweist darauf, dass allein die 3.038 Unterzeichner der Initiative „Principles for Responsible Investment“ zusammen 103 Billionen US-Dollar verwalten (S. 14). „Sie alle haben sich verpflichtet, ihren Investitionsentscheidungen die ESG-Kriterien (Environmental (Umwelt), Social (Gesellschaft), Governance (Unternehmensführung) zu Grunde zu legen“. Geld wäre also zur Genüge vorhanden. Allein Naumers Allianz Global Investors verwaltet ein Vermögen von mehr als einer halben Billion Euro (535 Mrd. Euro); der Vermögensverwalter und Allianz-Tochterunternehmen Pimco sogar 2,21 Billionen (USD). Dennoch ist kaum anzunehmen, dass die kapitalistischen Finanzkonzerne die sechste Kondratjeff-Welle von sich aus in Gang setzen. Diese Welle hat eine andere Dimension, eine ganz andere stoffliche Ausprägung – sie erfordert eine gesamtgesellschaftliche Planung und Vernetzung. Das Anrollen dieser Welle wird vermutlich nur dann gelingen, wenn der Staat den Anschub leistet und über eine gewisse Strecke die ökonomischen und finanziellen Rahmenbedingungen garantiert, aber auch gesetzliche und administrative Vorgaben macht.

Green New Deal auf US-amerikanisch und chinesisch

Zwei Ereignisse in der jüngsten Vergangenheit geben eine gewisse Hoffnung:

  • Erstens, das zweite Programm der US-Demokraten nach dem „American Rescue Act“, das schwerpunktmäßig auf die Infrastruktur zielt: „Build Green Infrastructure and Jobs Act“. „Der erste Teil konzentriert sich auf Infrastruktur, gekoppelt mit einer grünen Energiewende“, schreibt das Handelsblatt. „Rund eine Billion Dollar soll in Straßen, Brücken, Schienen, Ladestationen für Elektrofahrzeuge, energieeffizientes Wohnen, Stromnetze und Breitband fließen. Es wäre das erste Mal, dass die USA den Klimawandel als Kern einer Wirtschaftsreform priorisieren“. Der „Build Green Infrastructure and Jobs Act“ ist nur einer von mehreren Gesetzesvorhaben der Demokraten, um „die ehrgeizigen Ziele für 100% saubere Energie in Amerika zu erreichen“, so die Senatorin Elizabeth Warren. Insgesamt wäre es eine Art New Green Deal, ein New Deal für Klima und Ökologie.
  • Der zweite Hoffnungsfunke: Die chinesische Regierung hat Mitte 2020 als Ziel ausgegeben, das Land bis spätestens 2060 CO2-neutral zu machen. 2030 soll der Höchststand der Kohlendoxidemissionen erreicht sein. Ebenfalls ein gigantischer finanzieller Aufwand, der dafür nötig ist. Um das Ziel 2060 zu erreichen, seien 100 bis 138 Billionen Yuan (12,8 bis 17,7 Billionen Euro) erforderlich: 2 – 2,5% des jährlich BIP über den gesamten Zeitraum – sagte He Jiakun, stellvertretender Vorsitzender des Nationalen Expertenkomitees für Klimawandel. Die chinesische Regierung ist gegenwärtig dabei, einen komplexen Klimaplan zur Erreichung dieses Ziels aufzustellen, der von Energieeinsparung, Energieeffizienz über noch umfangreicheren Einsatz von regenerativen Energien bis zu umfangreichen Aufforstungsprogrammen reicht.

Hans-Jörg Naumers Fazit lautet: „Der Klimawandel ist der finale, unüberhörbare Wake-up-Call für die ökologische Wahrheit“, dass die Umwelt nicht mehr kostenlos verbraucht werden kann. „Der Handlungsdruck, der von ihm ausgeht, wird die Wirtschaft in nahezu allen Bereichen verändern und in eine neue Wachstumsphase führen.“ Dieses Wachstum wird anders sein als das bisherige. Gerade der Umstieg auf erneuerbare Energien zeigt: Wachstum wird weniger verbrauchend als vielmehr regenerierend. Stichwort: Nachhaltigkeit“.