Michael Rühle, Leiter des Referats Energiesicherheit in der Abteilung für neue Sicherheitsherausforderungen der NATO in Brüssel, sorgt sich in einem Artikel in der FAZ vom 27. September 2021 um die Sicherheit der NATO-Truppen der Länder mit „interventionistischer Tradition“. Die „sicherheitspolitischen Konsequenzen“ der Erderwärmung stelle die NATO vor gravierend neue Herausforderungen. Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Dürren, extreme Wetterereignisse oder der Anstieg der Meeresspiegel könnten Migrationsströme verursachen, auf die die NATO-Staaten vorbereitet sein müssten. Denn, so der Autor weiter, diese Probleme könnten sich „militärisch entladen“. Außerdem beeinträchtige der Klimawandel die Kriegstauglichkeit von Mensch und Kriegsmaterial. So erschwere z.B. die klimabedingte Zunahme von Sandstürmen die Durchführung militärischer Flüge. Der klimabedingte Anstieg des Salzgehaltes des Meerwassers im Golf von Aden etwa verringere die Turbinenleistung der NATO-Kriegsschiffe. Oder steigende Meeresspiegel gefährden küstennahe US-Stützpunkte. Dutzende US-Militärstützpunkte seien weltweit davon betroffen. Rühle zitiert eine Studie des Davoser Weltwirtschaftsforums, in der „extremes Wetter“ und „Klimaversagen“ die vorderen Plätze der Risikoskala belegen, noch weit vor Cyberangriffen und Massenvernichtungswaffen. Rühle: „Die NATO hat sich zum Ziel gestellt, bei den sicherheitspolitischen Auswirkungen des Klimawandels und den erforderlichen Anpassungsmaßnahmen die führende internationale Organisation zu werden. Daher brauche die NATO ein Narrativ, das den Klimawandel als sicherheitspolitische Herausforderung deutlich macht und ihre eigene Rolle glaubwürdig definiert“ Die militärische „Bearbeitung“ der Folgen des Klimawandels und die geforderte führende Rolle der NATO dabei heißt nichts anderes als militärische Abwehr von „Flüchtlingsströmen“ und in Perspektive internationale Militäreinsätze der NATO unter dem Vorwand der Rettung der Umwelt.
Warnt die NATO vor der Friedensbewegung?
Der NATO-Politiker warnt aber gleichzeitig: Die Diskussion um den Beitrag des Militärs zum Klimawandel dürfe nicht in eine Stigmatisierung des Militärs als Mitverursacher des Klimawandels münden. „Diese Entwicklung ist allerdings in vollem Gange. So werden die amerikanischen Streitkräfte immer wieder als größter einzelner Verursacher von Treibhausgasen dargestellt. Aussagen, wonach das Pentagon für mehr Treibhausgase verantwortlich sei, als Dänemark, Schweden und Portugal zusammen münden zumeist in eine Fundamentalkritik der imperialen amerikanischen Außen und Sicherheitspolitik, die es zu überwinden gelte“ so Rühle. Was Rühle ausblendet: Es sind US-ForscherInnen und WissenschaftlerInnen, die genau dies, wenn auch in anderen Vergleichen, dokumentieren. Die Konfliktforscherin Neta Crawford von der Boston University hat im Jahr 2020 erstmals eine wissenschaftliche Studie über die CO2-Emissionen des US-Militärs veröffentlicht. Sie kam zu dem Ergebnis, dass im Haushaltsjahr 2018 das US-Verteidigungsministerium 56 Millionen Tonnen an CO2-Emissionen zu verantworten hatte. "Damit gehört das Pentagon zu den 50 größten Kohlendioxid-Verursachern der Welt. Die Emissionen des US-Militärs sind größer als die von Dänemark, Schweden oder Portugal", so die Wissenschaftlerin. Rechnet man noch den jährlichen CO2-Fußabdruck der US-Rüstungsindustrie hinzu, beträgt der jährliche CO2-Ausstoß laut Crawford sogar über 200 Millionen Tonnen (Fred Schmid: isw-factsheet 6/21). Während die NATO versucht, die Folgen des Klimawandels als sicherheitspolitische Herausforderung darzustellen, gehört die NATO selbst zu den großen Verursachern der Klimakatastrophe. Nach eigenen Angaben hat das US-Militär 625 Stützpunkte rund um den Globus errichtet. Auf den US-Stützpunkten out of area sind über 200.000 US-SoldatInnen dauerhaft stationiert. Die US-Marine (Navy) umfasst 300 Kriegsschiffe. Flottenverbände kreuzen im Mittelmeer, Atlantik, Pazifik, dem Persischen Golf, dem Roten Meer und dem Indischen Ozean. Die Air Force hat mit 4000 Kampf- und Transportflugzeugen mehr Flugzeuge als alle US-Fluggesellschaften zusammen. Die USA haben mit 778 Milliarden Dollar das mit Abstand größte Militärbudget der Welt. Fast die Hälfte der Ausgaben verschlingt der Unterhalt dieser militärischen Infrastruktur. Das US-Militär ist global präsent. Es gibt kaum einen wichtigen Konflikt, an dem es nicht in irgendeiner Weise beteiligt ist. Das ist nicht nur mit einem gewaltigen logistischen Aufwand, sondern auch mit einem enormen CO²-Ausstoß verbunden. Die USA verhinderten die Einbeziehung der militärisch bedingten Treibhausgasemissionen in die Klimaverhandlungen. Das Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen verpflichtet die unterzeichneten Staaten, ihre jährlichen Treibhausgasemissionen zu veröffentlichen, aber die Berichterstattung über militärische Emissionen ist freiwillig und wird oft nicht berücksichtigt. Während der Verhandlungen über das Kyoto-Abkommen von 1997 wurden auf Betreiben der US-Regierung in letzter Minute die militärischen Treibhausgasemissionen von den Klimaverhandlungen ausgenommen. In einer Petition An: Teilnehmer der COP26 UN-Klimakonferenz, Glasgow, Schottland, 1. bis 12. November 2021, heißt es:
Wir fordern die COP26 auf, strenge Grenzwerte für Treibhausgasemissionen festzulegen, die keine Ausnahmen für den Militarismus vorsehen, transparente Berichterstattungspflichten und eine unabhängige Überprüfung vorsehen und sich nicht auf Systeme zum „Ausgleich“ von Emissionen stützen. Die Treibhausgasemissionen der Militärstützpunkte eines Landes in Übersee müssen vollständig gemeldet und dem betreffenden Land in Rechnung gestellt werden, nicht dem Land, in dem sich der Stützpunkt befindet.
Das Ansinnen der NATO, auf die Folgen des Klimawandels militärisch zu reagieren, erhöht die Gefahr künftiger Kriege und den verstärkten Einsatz des Militärs gegen Flüchtlinge.