Geld – wir alle brauchen es, aber kaum jemand redet drüber. Auf Arbeit, im Freundeskreis oder in den Medien. Wie viel wir verdienen und was wir besitzen, sind Tabuthemen. Zu Unrecht, meint Marius Busemeyer. Der Politikwissenschaftler findet, wir sollten reden – übers Geld, Reichtum und soziale Ungleichheit; in den Schulen, an den Universitäten, auch in der Politik.

Busemeyer ist Professor an der Universität Konstanz. Er und sein Team veröffentlichten vor kurzem das sogenannte Konstanzer Ungleichheitsbarometer. Das zeigt, wie wir Deutschen Ungleichheit empfinden. Also, wo stehen wir gefühlt wirtschaftlich im Vergleich zu anderen? 

Die Studie belegt, wir nehmen Einkommens- und Vermögensungleichheit verzerrt wahr: Sehr reiche Menschen machen sich oft ärmer, als sie sind. Das heißt, auf der ökonomischen Leiter stehen sie gefühlt niedriger, als sie es wirklich tun. Sie zählen sich zur Mittelschicht, sind aber Teil der oberen Zehntausend.

Ähnliches gilt für Menschen mit niedrigem Einkommen. Sie überschätzen oft ihre relative Position. „Insgesamt ordnen sich also wesentlich mehr Befragte der Mittelschicht zu als objektiv gerechtfertigt“, schlussfolgert die Studie. Ob arm oder reich, in Deutschland fühlen wir Mitte. Gründe gibt es viele: Sozialblasen, Informationslücken und unsichtbares Vermögen. Sie alle führen zu subjektiven Fehleinschätzungen zum Ausmaß von Ungleichheit. Das hat Folgen für die Politik. 

Es sei bezeichnend, meint Busemeyer in einem Interview mit der Zeit, dass „zwei der aktuell drei Regierungsparteien in ihren Wahlprogrammen die Einführung einer Vermögenssteuer und die Reform der Erbschaftssteuer fordern, aber das im Regierungsalltag keine Rolle spielt“. Dabei gehe es doch um Fragen sozialer Gerechtigkeit, meint er, und die geht uns alle an.

Wir brauchen mehr öffentliche Debatte übers Geld 

Erst der Verteilungsbericht 2022 des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung zeigte, dass die ökonomische Ungleichheit in Deutschland weiter zunimmt. Trotzdem wissen wir von Einkommensungleichheit wenig, von ungleicher Vermögensverteilung fast nichts. 41,6 Prozent des gesamten Vermögens hierzulande gehören den „oberen 5 Prozent“ – die haben mit der Mittelschicht also nichts zu tun. Gleichzeitig, so Busemeyer, wählen Geringverdiener:innen gegen ihre Interessen, wenn sie ihre wirtschaftliche Position überschätzen. Beispielsweise, wenn sie befürchten, bei der Reichensteuer selbst zahlen zu müssen. Dann sitzt die Angst finanzieller Verluste tief, die Tabuthemen Geld und Vermögen aber sitzen tiefer.

Deshalb brauchen wir mehr öffentliche Debatte – übers liebe Geld und ungleiches Vermögen. Denn vom ungleichen Leben unserer Mitmenschen bekommen wir kaum etwas mit, auch nicht in den Medien. Dort bleibt Reichtum sexy, und Armut scheint ein Problem obdachloser Menschen – die Grautöne dazwischen gehen im konsumgeilen Medien- und Wirtschaftswahn oft unter. Wie aber sieht der Alltag eines Firmenchefs aus, wie der einer alleinerziehenden Mutter in Berlin? Wie bezahlen beide ihren Wohnraum? Was nehmen beide als selbstverständlich hin? Fragen wie diese sind wichtig. Sie zeigen: Weder Armut noch Reichtum sind abstrakte Tabuthemen. Sie sind greifbare Lebenswelten in Grau. Durch ihre Alltäglichkeiten können Medien zeigen, wie bunt unsere Gesellschaft wirklich ist.

Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung, 23.5.2023

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