In der EU ist man stolz auf die Meinungsfreiheit. Aber kritischer Journalismus ist auch hier kein Zuckerschlecken – siehe der Fall Assange und die Ermordung der Journalistin Galizia.

Laut der Organisation Reporter ohne Grenzen (RoG) sitzen derzeit weltweit mehr als 550 Journalisten und Journalistinnen in Haft. Ganz vorn dabei: China, Iran, Belarus und die Türkei. Das scheint wenig überraschend. Aber auch in Europa ist kritischer Journalismus kein Zuckerschlecken. Zwar brüstet sich die Europäische Union (EU), mutig für die Pressefreiheit und für bedrohte Journalisten einzutreten. Doch kommt es darauf an, tut sie wenig bis nichts.

Das bekannteste Beispiel ist wohl Julian Assange. Seit vier Jahren sitzt der Wikileaks-Gründer im Hochsicherheitsgefängnis in London. Kürzlich verlieh ihm die Akademie der Künste den Konrad-Wolf-Preis. Dank Assange seien Unrecht, Mord und Kriegsverbrechen ans Licht gekommen, so die Jury. Nicht in China oder Russland, sondern in den USA. Dafür bezahlt Assange nun mit seiner Freiheit. Denn die USA wollen seine Auslieferung; ihm drohen 175 Jahre Haft. Von Assanges Isolationshaft, von US-Hetzkampagnen und Menschenrechtsverletzungen erfahren wir wenig. Diese mediale Lücke ist der Elefant im Raum. Denn Pressefreiheit will gelebt sein, im Fall Assange stirbt sie einen langsamen Tod.

Aber Journalisten müssen nicht gleich im Gefängnis sitzen, um eingeschüchtert zu werden. Auch Rechtsklagen sind ein effektives Mittel. Beispielsweise, wenn Konzerne oder Personen langwierige und teure Verfahren nutzen, um Journalisten zu verunsichern. Die reagieren dann oft mit Angst und Selbstzensur.

Anders die maltesische Investigativjournalistin Daphne Caruana Galizia. Trotz Drohungen, Einschüchterungen und Verleumdungsklagen veröffentlichte sie jahrzehntelang investigative Berichte. Zweimal wurde sie von der maltesischen Polizei verhaftet. Im Rahmen des Panama-Papers-Skandals enthüllte sie in den Jahren 2016 und 2017 heikle Informationen zu maltesischen Politikern. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie fast fünfzig (!) Verleumdungsklagen am Hals. Die EU half ihr nicht. Dann wurde Galizia im Oktober 2017 durch eine Autobombe ermordet, vor den Augen ihrer Familie. 

Der Aufschrei war groß. Heute wird die Journalistin als Heldin gefeiert. Das ist typisch – die Ungeliebten der Vergangenheit werden die Helden der Gegenwart. Straßen, Denkmäler und Schulen tragen ihre Namen.

Im Fall Galizia ist es ein Gesetz. „Daphnes Gesetz“ sind EU-Richtlinien, die Journalisten gegen missbräuchliche Klagen schützen sollen. Die Gewerkschaft Verdi kritisiert den Entwurfstext schon jetzt. Er sei verwässert: weder haben Journalisten Anspruch auf Entschädigung noch können sie „offensichtlich unbegründete“ Klagen leicht abweisen. 90 Prozent der tatsächlichen Fälle fallen so durch rechtliche Raster. Effektiver Presseschutz sieht anders aus.

Auch in Deutschland ist es um die Pressefreiheit nicht gut bestellt. Laut RoG ist das Prädikat gerade noch „zufriedenstellend“. Grund dafür sind vermehrte Angriffe auf Journalisten, zum Beispiel von Rechten oder Corona-Leugnern. Über diese Angriffe berichten die Medien, andere Probleme aber bleiben unterbelichtet – abnehmende Medienvielfalt, zum Beispiel, oder der Einsatz von Spähsoftware durch den Bundesnachrichtendienst (BND). Diese Probleme bedrohen nicht nur die Pressefreiheit, sondern unsere demokratische Grundordnung! Aber zum Glück leben wir ja in der EU – da kann es so schlimm schon nicht sein, oder?

Erstveröffentlichung in Berliner Zeitung,