Verkehrswende oder Autoindustrie?

Spitzengespräch im Kanzleramt: Weder die Bahn noch die Schienenfahrzeughersteller, weder das Bündnis für eine sozialverträgliche Verkehrswende noch Verkehrswendeinitiativen sind beteiligt, der brüchige Rückhalt in Bevölkerung und Belegschaften für den Wandel gerät in Gefahr. Sozial- und Umweltverbände sowie Klima- und Verkehrsinitiativen müssen in die Transformationsnetzwerke einbezogen werden!

Das Bündnis für eine sozial gerechte Mobilitätswende kritisiert die Zusammensetzung des Autogipfels und fordert eine Neuausrichtung der Autoindustrie: Wie wir das Klima schützen und eine sozial gerechte Mobilitätswende umsetzen können! Als zivilgesellschaftlicher Akteur mit sozialer und ökologischer Ausrichtung fordert das Bündnis eine aktivere Begleitung des Wandels, mehr Demokratie und eine deutliche Regulation durch die Bundesregierung.

Auf Einladung von Bundeskanzler Scholz findet am 27.11.2023 das zweite Spitzengespräch der „Strategieplattform Transformation der Automobil- und Mobilitätswirtschaft“ im Bundeskanzleramt statt. An dem Gespräch nehmen neben dem Bundeskanzler und den zuständigen Ministerien die Vorstandsvorsitzenden der in Deutschland produzierenden Automobilunternehmen sowie Unternehmenschefs der Zulieferbrache, Vertreterinnen und Vertreter der Gewerkschaften und Betriebsräte der Unternehmen teil. Außerdem sind Personen aus der Energiewirtschaft, von Halbleiter- und Batterieproduzenten und technischen Wissenschaften erwartet. Im Zentrum steht die Frage, wie das Ziel von 15 Millionen elektrischen Autos bis 2030 in Deutschland erreicht und der Absatz von E-Autos gestärkt und beschleunigt werden kann.

Die Bundesregierung lässt sich von einem Expertenrat beraten, der überwiegend besetzt ist mit Unternehmensvertretern, autoaffinen technischen Wissenschaftler*innen und neoliberalen Wirtschaftswissenschaftler*innen.

Geeinte Kritik und alternative Vorschläge

Das Bündnis für eine sozial gerechte Mobilitätswende kritisiert diese Beratung in ihrer Zusammensetzung und in der Konzentration bzw. Beschränkung auf die Autoindustrie:
„Die Transformation im Bereich industrieller Arbeit und Wertschöpfung kann nur erfolgreich sein, wenn Politik und Unternehmen den Wandel aktiver gestalten und einen klaren Rahmen setzen“, so das Bündnis in einem aktuell veröffentlichten Papier zum Strukturwandel in der Autoindustrie.
Die notwendige Transformation des Mobilitätssystems kann in ihrer Gesamtheit nur dann gelingen, wenn neben Schlüsselbereichen wie Finanzierung und Ausbau von Schiene und ÖPNV, Verlagerung von Gütern und der Umgestaltung städtischer Verkehrsräume auch die deutsche Automobilindustrie ihr Potential im Bereich nachhaltigere Mobilität ausschöpft und sich sozial, innovativ und zukunftsgerichtet aufstellt. Als geeinte Stimme aus Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden sowie der Evangelischen Kirche in Deutschland spricht sich das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende daher ausdrücklich für eine aktiv gestaltete Transformation der Automobilwirtschaft als Schlüsselindustrie aus und bedauert es, nicht zum Autogipfel im Kanzleramt geladen zu sein.

Die etwa 750.000 Beschäftigten in der Automobil- und Zulieferindustrie sind von den laufenden und anstehenden Entwicklungen besonders betroffen, so das Bündnis. Arbeitsplätze gehen bereits jetzt in hohem Tempo verloren, etwa 60.000 in den zurückliegenden vier Jahren. Gleichzeitig fehlen qualifizierte Fachkräfte in expandierenden Zukunftsbereichen. „Für eine vorausschauende Beschäftigungs- und Rentenpolitik, Vorbeugung zunehmender Altersarmut sowie breitem gesellschaftlichen Rückhalt für die notwendige Mobilitätswende und des Antriebswechsels ist eine sozialverträgliche und proaktive Gestaltung dieses Wandels unumgänglich“, so das Bündnis in seinem vorgelegten Papier. Der Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor muss politisch eng begleitet und Beschäftigung durch die Ansiedlung neuer Schlüsselbereiche gesichert werden. Das Bündnis fordert Unternehmen und Politik auf, ihrer Verantwortung schnell und umfassend nachzukommen.

Es wird konstatiert, dass der Absatz elektrisch betriebener Fahrzeuge massiv eingebrochen ist. Durch die oftmals zu hohen Preise sind die Fahrzeuge für einen Großteil der Menschen nicht finanzierbar und vor allem Haushalte mit geringem Einkommen werden vom Antriebswechsel ausgeschlossen.

Transformationsfonds statt umweltschädlicher Subventionen

Für eine Verkehrswende und eine sozialverträgliche und aktive Gestaltung der Transformation der Automobilwirtschaft fordert das Bündnis unter anderem eine veränderte Modellpolitik hin zu kleinen, ressourcenschonenden und preiswerten Fahrzeugen. Auch kleinere und neue Fahrzeugmodelle mit verschiedenen Verwendungszwecken (On-Demand, Handwerk, barrierefreie Taxen, Pflege, etc.) sollen gebaut und angeboten werden. Die Ladeinfrastruktur soll schnell und barrierefrei ausgebaut werden. Sinnvoll wären, so das Bündnis, etwa die CO2-orientierte Anpassungen von Dienstwagenbesteuerung und Kfz-Steuer (perspektivisch Bonus/Malus), die Ausrichtung der Förderinstrumente am produktions- und transportbedingten CO2-Fußabdruck sowie dessen preisliche Berücksichtigung im internationalen Handel. Gefordert werden für kleinere und mittlere Unternehmen Transformationsfonds, die bei Investitionen in die Zukunft helfen. Solche Liquiditätshilfen müssen an klare umwelt- und sozialpolitische Bedingungen geknüpft sein. So müssen geförderte Unternehmen tarifgebunden sein und die Neuentwicklungen zukunftsweisender klima- wie umweltfreundlicher Produkte aus einer ebensolchen sozialen Produktionsweise sein. Gefordert wird eine präventive Strukturpolitik auf Bundes- und regionaler Ebene: In stark von der Automobilwirtschaft abhängigen Regionen können Transformationsnetzwerke aus Industrie- und Handelskammern, Unternehmen, Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden, Weiterbildungsträgern und weiteren Beteiligten regionale Transformationsstrategien entwickeln. Bisher sind Sozial- und Umweltverbände sowie Klima- und Verkehrsinitiativen weitgehend aus diesen Transformationsnetzwerken ausgeschlossen.

In einigen Fällen werden Standorte hierzulande geschlossen und im Ausland neu aufgebaut, wo geringere Umwelt- und Sozialstandards gelten sowie niedrigere Steuern und Löhne gezahlt werden. Das Bündnis spricht sich ausdrücklich gegen ein solches Vorgehen aus. Es gefährdet massiv den Rückhalt in Bevölkerung und Belegschaften für die dringend notwendige Transformation. Gewerkschaften und Betriebsräte können hier ein Schlüssel für eine nachhaltige Standortsicherung sein.

Die Erklärung des Bündnisses und die Kritik am heutigen Autogipfel im Kanzleramt beschäftigt sich mit einem wichtigen Teilaspekt der sozialverträglichen Mobilitätswende. Viele Forderungen aus Verkehrswende- und Klimabewegung, Forderungen die auch im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Zukunft Auto Umwelt Mobilität“ beraten und entwickelt wurden, finden sich in dieser Erklärung wieder: Eine gute Voraussetzung, um öffentlichen Druck für eine zu sozial-ökologische Verkehrswende zu entwickeln.

https://www.ekd.de/buendnis-sozialvertragliche-mobilitaetswende-81779.htm

https://www.stiftung-mercator.de/content/uploads/2021/04/Buendnis-sozialvertraegliche-Mobilitaetswende_Broschuere_digital_Einzelseiten.pdf

https://expertenkreis-automobilwirtschaft.de/