Wir leben in turbulenten Zeiten. Ob dies die aktuellen Kriege mit drohender atomarer Apokalypse, die sich zuspitzenden Umwelt- und Klimakatastrophen, die globale Ökonomie mit ihren Ungerechtigkeiten oder die Verhältnisse in unserem Land sind, überall sind heftige Krisen mit sich andeutenden Verwerfungen festzustellen. Die Menschheit befindet sich in einem Minenfeld. Jeder falsche Schritt könnte der letzte sein. Andrerseits bewegt Millionen Menschen die Sehnsucht nach einem besseren und sicheren Leben für sich und ihre Kinder.

Das weltbeherrschende Gesellschaftssystem, auch in den früheren sozialistischen Ländern ist der Kapitalismus, dem sich ebenso die übriggebliebene Systemalternative wie Kuba nicht entziehen kann. Nach Beendigung der Systemkonkurrenz hat der Kapitalismus seine sozialen Rücksichten fallengelassen und sich in Gestalt des Neoliberalismus mit dem kaum eingeschränkten Profitstreben und einer beispiellosen privaten Kapitalanhäufung durchgesetzt. Trotz der letzten Finanzkrise, die die Kapitalisten nur mit Hilfe des Staates als ideellen Gesamtkapitalisten überstanden haben, wird der neoliberale Weg weiter beschritten. Dies ändert auch nichts an der Tatsache, dass viele Menschen sich gegen die Nutzung der fossilen Energiequellen mit den fatalen Auswirkungen auf das Klima engagieren. Auch die gemäßigt linken Regierungen in Südamerika können zwar im sozialen Bereich die schlimmsten Auswirkungen der kapitalistischen Ausbeutung begrenzen, jedoch keine grundsätzlich alternative Politik zum vorherrschenden Kapitalismus einleiten. Und scheinbar über allem thront die einzig übrig gebliebene Weltmacht und kapitalistisches Musterland USA mit ihrem immensen militärischen, finanziellen und ökonomischen Potential, die die Aufrechterhaltung ihrer Hegemonie weltweit verteidigt und sich der Konkurrenz vor allem aus China mit all ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu erwehren versucht. Nur so können die Herrschenden der USA das System ihres „American way of life“ aufrechterhalten. Deutschland als früheres geteiltes Besatzungsland, und heute gegenüber der US-amerikanischen Hegemonialmacht in dienender Führungsfunktion, hat sich unter der jetzigen Regierung, mehr oder weniger auch unter den früheren Regierungen dieser Prämisse bedingungslos und zwar zum eigenen Nachteil untergeordnet.

Die in groben Zügen dargestellte Gesamtsituation lässt bei mir und vermutlich bei jedem bewussten Linken folgende Frage aufkommen:

Kann das kapitalistische System die aktuellen und zukünftigen Menschheitsprobleme lösen oder nicht?

Um diese Frage zu beantworten, muss ich mich wie jeder und jede andere Linke eingehend mit den in der Einleitung angerissenen Themenkomplexen ernsthaft beschäftigen. Hierzu gibt es genügend Literatur und oft helfen auch die eigenen Erfahrungen sowie der Meinungsaustausch mit den Mitmenschen, ob Gleichgesinnten oder nicht, weiter. Wenn jemand aufgrund eigener Einsicht zu der Auffassung kommt, ein reformierter Kapitalismus hat das Potential mit neuen technischen Möglichkeiten und viel politischer Vernunft die künftigen Aufgaben zu bewältigen, so wäre das Ja zum Kapitalismus, zwar in geänderter Form, aber auf gleicher Grundlage zu akzeptieren. Schließlich hat der Kapitalismus schon einige Krisen zwar mit staatlicher Unterstützung überwunden, andrerseits ist er innovativ und anpassungsfähig. Erst die Zukunft wird diesen Ansatz verifizieren.                                                                                

Aufgrund meiner Beschäftigung mit den verschiedenen Themenkomplexen bin ich jedoch zur Auffassung gekommen, dass der Kapitalismus, in welcher Form auch immer, nicht die jetzigen und auch nicht die künftigen Menschheitsprobleme löst bzw. lösen wird.
Dies hängt nicht vom guten oder schlechten Willen oder Charaktereigenschaften der Kapitalisten oder der Regierenden ab, sondern dies liegt im System begründet.  Die sich bedingenden Abhängigkeiten und unüberbrückbaren Gegensätze der Ausbeutung von Mensch und Natur einerseits und maximalem Profitstreben andererseits, den planetarischen Grenzen und wirtschaftlichem Wachstum, Sehnsucht nach Frieden und Gerechtigkeit   und die Konkurrenz in großen und kleinen Verhältnissen bilden die Grundlage jedes kapitalistischen Systems. Diese Systembasis kann auch nicht durch noch so gut gemeinte Reformen geändert, sondern nur in ihren Auswirkungen gemildert werden. Dabei ist festzuhalten, dass die Herrschenden in der Ökonomie, Politik und Medien mit ihrer Ideologie und durch ihr Handeln bisher den größten Nutzen aus dem Kapitalismus gezogen haben, aber durch das ideologisch begründete starre Beharren auf seinem ewigen Weiterbestehen auch den maßgeblichen Anteil an dessen Scheitern haben werden. 

Die Beantwortung der Frage „Wie hältst Du es mit unserem Gesellschaftssystem?“ ist für jeden und jede einzelne Linke(n) die entscheidende Frage, aus der sich weitere Fragen, Antworten und die entsprechende politische Herangehensweise ergeben. Es ist daher die „Gretchenfrage“.

Aus der ersten Fragestellung ergibt sich logisch-zwingend die nächste Frage:

Wenn nicht das kapitalistische System, welches Gesellschaftssystem wäre in der Lage, die Gefahren für die Menschheit abzuwenden und eine menschenwürdige Zukunft, die sich im Einklang mit der Natur befindet, umzusetzen?

Es müsste ein Gesellschaftssystem von seinen Bürgern erarbeitet und erkämpft werden, das einen human-ökologischen Ansatz hat. Darunter ist zu verstehen, dass die Menschen über die Produktionsmittel verfügen, diese planvoll und menschenwürdig einsetzen, damit alle die zum Leben notwendigen Güter in gleicher Qualität und Quantität erhalten. Im gesellschaftlichen Bereich müsste jeder und jede Erwachsene über die demokratischen Institutionen so eingebunden werden, dass alle am Willensbildungs-, Entscheidungs- und Umsetzungsprozess beteiligt sind. Über das Verhältnis zur Natur befindet ein eingesetzter und nur der Umwelt verpflichteter Wissenschaftsrat mit Vetorecht gegenüber allen gesellschaftlichen Institutionen.
Die wesentlichen Prinzipien der künftigen Gesellschafts-ordnung lauten: „Alle Macht gehört dem Volk, alle Macht bleibt im Volk“ sowie „Alles gleich für alle, jeder Mensch anders als der andere“.                                                                                    

Eine ideelle Zukunftsvorstellung ohne Beschreibung des Weges dorthin ist wie ein nicht eingelöstes Versprechen. Daher muss man sich zudem auch mit folgender Frage beschäftigen:

Wie gelangen wir zu einer wie zuvor beschriebenen Gesellschaftsordnung?

Wie bereits ausgeführt, nehmen zu Beginn dieses Jahrhunderts die ökologischen, ökonomischen, sozialen und politischen Krisen stark zu.  Durch die aktuelle Entwicklung haben sich die außenpolitischen Spannungen verschärft, die finanziellen Belastungen für die in der unteren gesellschaftlichen Hälfte befindlichen Privathaushalte sind immens gestiegen; das gleiche gilt für die Staatsfinanzen, die wirtschaftliche Entwicklung zeigt Minuswerte auf und die ökologischen Vorgaben können nicht eingehalten werden. Wenn die von Klaus Dörre bezeichnete Zangenkrise, d.h.  mehrere Krisenursachen treten gleichzeitig auf, sich zu einer Großkrise verdichtet, ist sie von den Regierenden nicht mehr beherrschbar.

Es entsteht dann eine starke Unruhe in der Bevölkerung, die von großen Demonstrationen bis zum Generalstreik reichen kann. Auch verbreitet sich die allgemeine Einstellung, so kann es nicht weitergehen, aber wie es weitergehen soll, ist völlig unklar. Um gegen die Verlockungen der gesellschaftlichen Rechten mit der Aussicht auf autoritäre bis faschistische Herrschaftsformen zu bestehen, ist es für die Linke wesentlich, über ein überzeugendes Narrativ zu verfügen, das den Einstieg in den Ausstieg aus kapitalistischen Verhältnissen, sowie ganz wichtig, das Ziel beschreiben kann. Zwar sind die aktuellen Kundgebungen gegen rechts im Allgemeinen und gegen AFD im Besonderen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Breite ermutigend, jedoch in der Auseinandersetzung um die gesellschaftliche Umwälzung kommt es für die fortschrittlichen Kräfte darauf an, ihr Narrativ durchzusetzen. Die bestehenden und auch in der nahen Zukunft voraussichtlich herrschenden gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse lassen es nicht zu, dass die Linke aufgrund ihrer Schwäche eine Systemänderung auslösen kann, aber sie sollte darauf vorbereitet sein. Eine Bewegung zur Änderung der Verhältnisse muss sich aus der Bevölkerung entwickeln. 

Wenn wir die beschriebenen Prämissen akzeptieren, wollen wir die gegenwärtigen Handlungsmöglichkeiten eruieren.                                                                                 

Was müssen wir in der Gegenwart bereits tun, um auf einen Systemwechsel vorbereitet zu sein?

Im Gegensatz zu grundsätzlich das kapitalistische System bejahende reformistische Kräfte, die als Aktionsfeld insbesondere den Parlamentarismus nutzen, setzen wir als systemkritische Bewegung auf die Mobilisierung breiter Bevölkerungsschichten. Reformen sind ebenfalls zu bejahen, sie müssen jedoch nicht nur parlamentarisch, sondern vor allem durch Außendruck durchgesetzt werden. Ob es sich um die bekannten Problemfelder im ökologischen, sozialen oder friedenspolitischen Bereich handelt, kommt es darauf an, so viele Menschen wie möglich in die Aktivitäten zu integrieren.
Natürlich kann eingewendet werden, leichter gesagt als getan. Den Zugang zu vielen Menschen in Abhängigkeits-Verhältnissen, ob in der Arbeit oder Wohnung, findet man über eine konsequente Stadtteilarbeit (für den Arbeitsbereich sind zuallererst die Gewerkschaften zuständig). Hier können Defizite aufgegriffen und zusammen mit den Bewohnern bearbeitet und erkämpft werden. Mir ist bewusst, hierzu braucht man viel Geduld und eine große Ausdauer.
Die KPÖ hat beharrlich und durch motivierendes Vorbildverhalten ihrer Aktivisten ein ihr freundliches Klima in den jeweiligen Stadtteilen von Graz und Salzburg geschaffen, das durch entsprechende Wahlergebnisse honoriert wird. Jedoch weniger die Wahlergebnisse sind von Bedeutung, sondern das Erkennen und Begreifen kapitalistischer Verhältnisse, solidarisches Verhalten im Alltag und Konsequenz in der politischen Auseinandersetzung. Die kapitalistischen Bedingungen anschaulich zu erklären und den Zusammenhang zu Alltagserfahrungen herzustellen, obliegt den nach Gramsci bezeichneten organischen Intellektuellen. Aufklärung (Theorie) sowie die Aktivitäten für die Interessen der eigenen Klasse (Praxis) – beides sollte Hand in Hand gehen.         

Es ist nach den Konsequenzen für wichtige Akteure zu fragen:

Welchen Beitrag können linke Intellektuelle leisten?

Einige Bemerkungen zu unseren linken Intellektuellen: Sie haben nach meiner
Auffassung viel zur Aufklärung über die Auswirkungen kapitalistischer Verhältnisse auf Mensch, Gesellschaft, die Weltgemeinschaft und die Natur beigetragen. Sie haben in aller Deutlichkeit die Defizite und die Zukunftslosigkeit des Kapitalismus aufgezeigt.

Leider sind ihre Ansätze zur Systemüberwindung zu dürftig. Entweder verharren sie auf kapitalistischer Grundlage z.B. mit ihrem Ansatz eines Green New Deals oder der von ihnen beschriebene Transformationsprozess ist zu vage bzw. sie bleiben argumentativ auf halbem Weg stehen. Es gilt umzudenken, d.h. vom Ende ausgehend denken. Es ist ein Widerspruch, die heutigen Verhältnisse sachgerecht und ausdrucksstark in dunklen Farben zu malen, den Ausweg aus dem Dilemma dünn und mit blassen Farben zu bepinseln. Etwas mehr Konsequenz und Mut kann man wegen der Dringlichkeit zur Systemveränderung von ihnen erwarten.

Diesen Widerspruch anzuerkennen wäre der erste Schritt zu dessen Aufhebung.