Das zentrale Ergebnis einer aktuellen Analyse aus dem Kölner Institut der Deutschen Wirtschaft (IW):
Deutschland und die EU verlieren in den Handelsbeziehungen der Länder des Globalen Südens deutlich an Gewicht und sollten deshalb über ihren politischen Einflussverlust „nicht überrascht sein“.
Der IW- Studie zufolge stagniert der Anteil der Bundesrepublik am Handel relativ wirtschaftsstarker Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas; der Anteil der EU geht sogar deutlich zurück, während der Anteil Chinas rasant gestiegen ist und denjenigen sowohl der EU als auch der USA inzwischen in den Schatten stellt. Das sei eine wichtige Ursache dafür, dass auch Deutschlands „geopolitisches Gewicht im Globalen Süden abnimmt“, erklärt das IW. Als Beispiel nennt das Institut Brasilien, das unter dem Präsidenten Luis Inacio Lula da Silva „beim Ukraine-Krieg und im Nahostkonflikt eine dem Westen konträre Haltung einnimmt“; das sei nicht zuletzt „der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas und Russlands für Brasilien geschuldet“. Das IW dringt auf entschlossene außenwirtschaftliche Maßnahmen der Bundesregierung zur Förderung des Handels mit dem Globalen Süden.
Europa fällt zurück
China hat in den vergangenen Jahren seinen Handel mit den bedeutendsten Ländern des Globalen Südens massiv ausgeweitet und ist zu deren wichtigstem Handelspartner noch vor den Vereinigten Staaten und der EU aufgestiegen. Dies geht aus einer aktuellen Untersuchung des Kölner Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) hervor.[1] Demnach hat die Volksrepublik ihren Handel mit 25 Ländern des Südens, die zum Teil erhebliches ökonomisches Gewicht besitzen, in den Jahren von 2019 bis 2023 um 47 Prozent steigern können. Damit hält sie jetzt 20 Prozent an deren Außenhandel; 2010 waren es noch knapp 12 Prozent. Die Vereinigten Staaten konnten ihren Anteil von 18 Prozent seit 2010 in etwa stabil halten, während die EU stark verlor und von 18 Prozent im Jahr 2010 auf 14 Prozent im Jahr 2023 zurückfiel. Die Bundesrepublik konnte ihren Anteil bei rund 4 Prozent annähernd halten. Russland wiederum ist es gelungen, seinen Anteil am Außenhandel der wichtigsten Länder des Südens von nur einem Prozent im Jahr 2021 auf 3 Prozent im Jahr 2023 zu steigern. Es ist dabei, Deutschland zu überholen, und kann als größter Gewinner der vergangenen beiden Jahre gelten.
Die Neue Seidenstraße
Dem IW zufolge lässt sich der Anstieg des chinesischen Anteils am Außenhandel des Globalen Südens nicht alleine durch das Wachstum von Chinas Wirtschaft im Allgemeinen und seines Außenhandels im Besonderen erklären. Beijing habe gezielt den Handel entlang der Neuen Seidenstraße gefördert, konstatiert das Institut [2]; an dieser jedoch beteiligen sich die meisten Länder des Westens nicht, und diejenigen, die es, wie etwa Italien, doch taten, wurden genötigt, sich wieder von ihr loszusagen [3]. Die Neue Seidenstraße hat deshalb dazu beigetragen, Chinas Geschäft auf den Globalen Süden zu fokussieren.
Zudem hat die Volksrepublik zahlreiche Länder des Südens während der Covid-19-Pandemie mit allerlei medizinischem Bedarf und ganz besonders mit Impfstoffen unterstützt, was den Handel noch weiter belebt hat.
Letzteres traf in gewissem Maß auch auf Russland zu, das seit 2022 zudem durch die vom Westen verhängten Sanktionen faktisch gezwungen wurde, das Geschäft mit dem Globalen Süden auszuweiten; das ist ihm gelungen. Zugleich hat die EU es versäumt, eine Reihe großspurig angekündigter Vorhaben, etwa Freihandelsabkommen mit Indien oder mit dem südamerikanischen Mercosur, in die Tat umzusetzen; das hat ihren Rückfall beschleunigt. [4]
Größter Handelspartner
Die Feststellung, die das IW für die 25 wichtigsten Länder des Globalen Südens trifft, lässt sich auch regional bestätigen. So ist China, dessen Anteil am Außenhandel Lateinamerikas im Jahr 2000 noch unbedeutend war, zu dessen größtem Handelspartner aufgestiegen – mit Ausnahme Mexikos, dessen mit riesigem Abstand größter Handelspartner die USA sind, da die Belieferung US-amerikanischer Billiglohnfabriken nahe der Grenze (Maquiladoras) sowie der Rücktransport der weiterverarbeiteten Produkte in die Vereinigten Staaten gewaltige Handelsvolumina kreiert. Für das südostasiatische Bündnis ASEAN ist China ebenfalls der größte Handelspartner vor den USA sowie der EU. [5] Für Afrika wiederum ist das Land größter Handelspartner auf bilateraler Ebene; nur wenn man die EU zusammenrechnet, liegen deren Mitgliedstaaten gemeinsam in Afrikas Außenhandel vor der Volksrepublik – noch. [6] Auch bei den Direktinvestitionen im Globalen Süden holt China schnell auf und ist häufig der dynamischste aktuelle Investor; der Investitionsbestand US-amerikanischer oder europäischer Firmen ist allerdings wegen des jahrzehntelangen Vorlaufs meist noch größer als derjenige chinesischer Unternehmen. In Lateinamerika zum Beispiel hält China einen Anteil von 11,3 Prozent am gesamten Bestand ausländischer Investitionen. [7]
„Keine Überraschung“
Mit Blick auf den rasant steigenden Anteil Chinas am Außenhandel des Globalen Südens bei gleichzeitig stagnierendem deutschen und erheblich zurückgehendem EU-Anteil konstatiert das IW:
„Vor diesem Hintergrund sollte Deutschland nicht überrascht sein, dass sein geopolitisches Gewicht im Globalen Süden abnimmt.“[8] „Sichtbar“ werde dies etwa „in der ... Rhetorik des brasilianischen Staatspräsidenten Lula, der beim Ukraine-Krieg und im Nahostkonflikt eine dem Westen konträre Haltung einnimmt“, schreibt das IW weiter; dabei sei „klar“, dass dies nicht zuletzt „der wirtschaftlichen Bedeutung Chinas und Russlands für Brasilien geschuldet“ sei.
Die Entwicklung drohe sich fortzusetzen. So hätten etwa die chinesischen Exporte von Elektroautos in den Jahren 2022 und 2023 um 83 bzw. 41 Prozent zugenommen, die deutschen aber nur um 18 bzw. 39 Prozent.
Da chinesische Produzenten „bereits ein mehr als eineinhalb Mal so großes Exportvolumen“ wie deutsche Hersteller erzielten, „vergrößert sich die bestehende Lücke“ zwischen China und der Bundesrepublik. Ähnliches zeige sich etwa bei bedeutenden Chemikalien.
Damit wachse der Handelseinfluss der Volksrepublik weiter, während derjenige Deutschlands und der EU weiter schrumpfe.
Wirtschaft statt Phrasen
Als Gegenmittel empfiehlt das IW entschlossene außenwirtschaftliche Maßnahmen.
Kanzler Olaf Scholz betone zwar „den Fokus seiner Politik auf den Globalen Süden“ und proklamiere stets eine „Partnerschaft auf Augenhöhe“. Doch sei sein Erfolg allenfalls beschränkt: Wegen der „verschobenen ökonomischen Gewichte“ könnten „Länder wie Brasilien, Indien und Saudi-Arabien längst ihre eigenen Interessen verfolgen“.[9]
Um Abhilfe zu schaffen, sei „der zeitnahe Abschluss von Handelsabkommen“, so etwa mit dem Mercosur, „drängender denn je“, urteilt des IW. Auch dürfe „die wirtschaftliche Bedeutung von Entwicklungshilfe ... nicht vernachlässigt werden“.
In der Tat haben Kritiker immer wieder darauf hingewiesen, dass die Entwicklungshilfe der Bundesrepublik ganz speziell deutschen Investoren oder deutschen Exporteuren zugute kommt (german-foreign-policy.com berichtete [10]). Der damalige deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel bestätigte im März 2013, „mit jedem Euro Entwicklungszusammenarbeit“ flössen „durch Wirtschaftskontakte“ auf lange Sicht bestimmt „zwei Euro zurück zu uns“.[11]
[1], [2] Simon Gerards Iglesias: Handel mit Globalem Süden: Deutschland stagniert, China und Russland expandieren. IW-Kurzbericht Nr. 25. Köln, 03.05.2024.
[3] Chinas „Neue Seidenstraße“: Italien zieht sich zurück. wiwo.de 06.12.2023.
[4] S. dazu Keine Alternative und Vor dem Scheitern.
[5] Matt Ferchen, Cheng-Chwee Kuik: EU-ASEAN Trade, Investment, and Connectivity Cooperation. carnegieeurope.eu 04.07.2023.
[6] Karoline Eickhoff: Strategische Beziehungen mit Afrika: Konnektivität als Türöffner? megatrends-afrika.de 17.10.2023.
[7] Jörg Kronauer: „Eine Welt ohne Hegemon“. China, der Globale Süden und das Ende der westlichen Vorherrschaft. Hamburg 2024. S. 84.
[8], [9] Simon Gerards Iglesias: Handel mit Globalem Süden: Deutschland stagniert, China und Russland expandieren. IW-Kurzbericht Nr. 25. Köln, 03.05.2024.
[10] S. dazu Eigennützige Entwicklungshilfe.
[11] Niebel-Interview für „Bild/Bild online“. liberale.de 04.03.2013.