Die Bayerische Staatsregierung schließt mit den Fahrzeugherstellern Audi, BMW und MAN, den Unternehmen der Zulieferindustrie, den Arbeitnehmervertretern aus den beteiligten Firmen, der IG Metall Bayern und dem Verband der Bayerischen Metall- und Elektroindustrie einen Pakt zur zukünftigen Ausrichtung der Fahrzeugproduktion am Standort Bayern.

Von der Erkenntnis und den Versäumnissen in der Vergangenheit geleitet sehen sich die Unterzeichner zum Handeln gezwungen: durch den globalen Wettbewerb auf dem Fahrzeugsektor gerade und auch im Hinblick auf die Klimaziele und dem daraus resultierenden Druck zur Umstellung auf Elektromobilität, dem Dieselgate und der sich zuspitzenden ökologischen Krise sollen neue Fahrzeugkonzepte und Antriebe gefördert werden.

Der Dokumentation des Pakts ist zudem zu entnehmen, dass das automatisierte, autonome und vernetzte Fahren den Handlungsdruck erhöhen, weil sich große Umbrüche auf etablierte Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten in der Fahrzeug- und Zulieferindustrie ergäben.

Was der Pakt will

So formuliert der Pakt wie folgt sein Ziel: „Bayern soll auch in Zukunft Premiumstandort für die Technologie- und Innovationsführer des Fahrzeugbaus sein mit international wettbewerbsfähigen Herstellern und Zulieferern. Bei der Weiterentwicklung der Antriebsformen ist uns ein technologieneutraler Ansatz wichtig. Wir brauchen alternative Antriebstechnologien wie den Elektromotor in Zukunft genauso wie moderne emissions- und verbrauchsarme Verbrennungsmotoren, zugehörige Energiespeicher und innovative erneuerbare Kraftstoffe….“ Der Fokus soll dabei auf Mobilitätskonzepte für ökologische Nachhaltigkeit gerichtet werden, um Emissionen weiter zu senken, aber auch die Infrastrukturbelastung und die Verkehrsstaus in den bayerischen Städten zu reduzieren. Die bayerischen Fahrzeughersteller wollen bis 2020 ihren Weltmarktanteil weiter ausbauen und die bayerischen Standorte stärken.

Mit ca. 215.000 direkt im Fahrzeugbau Beschäftigten und weiteren ca. 200.000 indirekt für die Straßenfahrzeugindustrie tätigen Beschäftigten erwirtschafteten Fahrzeughersteller und Zulieferbetriebe in Bayern etwa ein Drittel des Jahresumsatzes in 2017.

Bayern wolle auch künftig Top-Standort für den Fahrzeugbau bleiben und die Fahrzeug- und die Zulieferindustrie den Beschäftigten hoch qualifizierte und sichere Arbeitsplätze bieten.

Was der Pakt aber nicht will

Bayern soll zu einem Vorreiter in Umwelt- und Klimaschutz sowie Luftreinhaltung werden, allerdings nur mit einem „wirtschaftlich vertretbarem Aufwand wie etwa durch umsetzbare Lösungen für geeignete Diesel-Pkw.“ Aber: ein Fahrverbot zur kurzfristigen Luftverbesserung und Schadstoffreduzierung wird klar verneint; auch weitergehende Regulierungen wie z.B. eine Quotenvorgabe für Elektrofahrzeuge werden expressis verbis abgelehnt.  Die formulierte Absichtserklärung der Paktteilnehmer, man wolle dafür sorgen, “dass die Rahmenbedingungen für Klimaschutz, Luftreinhaltung und Energiewende wirtschaftliche Geschäftsmodelle bei gleichzeitiger sozialer Verträglichkeit erlauben“ ist in diesem Kontext als derbes, komisch-bayerisches Lustspiel zu bezeichnen, eine Farce.

So gesehen trägt der geschlossene Pakt mehr die Wesenszüge einer symbolischen Willensbekundung der CSU-dominierten bayerischen Staatregierung: den Unternehmen den uneingeschränkten politischen Beistand bei der Abwehr von sozial-ökologischen Forderungen einer nachhaltigen Industriepolitik und einer umfassenden Debatte über einer ökologisch verträgliche Verkehrswende zu signalisieren.

Unter den Bedingungen der sich verschärfenden globalen Automobil-Konkurrenz sehen sich auch die bayerischen Fahrzeughersteller zur Wahrung ihrer Wachstumsziele gezwungen, gerade für den Teil der heimischen Produktion und Entwicklung für standortbezogene Maßnahmen zur Absicherung des internationalen Geschäfts zu sorgen. Der geschlossene Pakt scheint zu beabsichtigen, im Zuge der generellen Fortschritte wissenschaftlich-technischer Erkenntnis den Unternehmen den Rücken frei zu halten in ihrem Bemühen, ihr Produktionsprogramm um den Elektroantrieb zu erweitern auch an den heimischen Standorten. Notwendige und sozial-ökologisch relevante Regularien wie etwa der Einsatz von erneuerbaren Energien, klare Forderungen für eine vertretbare Reichweite oder der flächendeckende Aufbau einer Ladeinfrastruktur sollten doch Gegenstand von Abstimmungen zwischen Staatsregierung, Unternehmen und den Arbeitnehmervertretern sein.

Die Pakt-Aussagen bleiben unkonkret. Es heißt dazu, dass hinsichtlich neuer Antriebe die bayerische Fahrzeugindustrie zusagt, die Marktreife, Wirtschaftlichkeit und Reichweitenausdehnung auch an den bayerischen Standorten voranzutreiben, soweit die dort produzierten Fahrzeugtypen geeignet sind. Und wenn nicht? Dann ist wohl davon auszugehen, dass die Hersteller ihre dieselmotorisierten Fahrzeuge im gleichen Umfang so weiter produzieren wie bisher, der CSU geführte Freistaat die drohenden Fahrverbote weiterhin abwehrt und mit Zusagen von Fördermitteln für die Fahrzeugindustrie die Thematik aussitzt. So wird in einem Nebensatz auch die Förderung des Wasserstoffantriebs, ein lange Zeit geheimes Entwicklungsprogramm von Audi ins Spiel gebracht. Der aktuelle Wissensstand der Technischen Universität München zu Wasserstoffantrieb zeigt aber, dass dieser alternative Antrieb ein vielfaches an CO2 verursacht. Es klingt wie Hohn, wenn der Pakt die Verantwortung für Klimaziele und saubere Luft für die Menschen als eines seiner Ziele ausgibt.

Die allseits bekannte Vertrauenskrise der Autokonzerne, die durch bewusste Fehlinformation über den tatsächlichen Verbrauch und die verschwiegenen Emissionen, die im Straßenverkehr in Wirklichkeit viel höher ausfallen als angegeben, ist auch durch die Pakt-Dokumentation nicht erledigt.

Die Mitarbeiterorientierung des Pakts erzeugt Handlungsbedarf

Von großer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Aussagen des Pakts zur Einbeziehung der Gewerkschaften als „Sozialpartner“, um „..den Strukturwandel in der Automobil- und Zuliefererindustrie mitarbeiterorientiert zu gestalten.“

Derzeit sind in Bayern schätzungsweise mehr als 400.000 Arbeitsplätze vom Straßenfahrzeugbau abhängig. Ein erheblicher Teil davon hängt an der Wertschöpfungskette des Verbrennungsmotors. Durch die Digitalisierung und den technologischen Wandel bei den Antrieben wird es zu einem Strukturwandel in der Fahrzeugbranche kommen. Bayern wir im Pakt-Schulterschluss „diesen Wandel proaktiv mitgestalten, damit bei veränderten Rahmenbedingungen Unternehmen wettbewerbsfähig sowie Arbeitsplätze erhalten bleiben und niemand bei diesem Wandel verliert.“ Den Beschäftigten, die im Zuge der weiteren Automatisierung und Digitalisierung zum Potential der endenden Verwertbarkeit zählen und somit ihre Weiterbeschäftigung gefährdet ist, sollen „maßgeschneiderte betriebliche Weiterbildungsangebote“ angeboten werden. An dieser Stelle fehlt im Pakt-Dokument – ironisch angemerkt- nur der Zusatz „im Rahmen der vertretbaren Wirtschaftlichkeit der betroffenen Unternehmen“.

Die neuen Techniken und die zukünftigen Produktionsabläufe im Fahrzeugsektor haben nach den Aussagen der Arbeitsmarktforschung Folgen für die Arbeitsplätze, mit und ohne Weiterbildung. Verschiedene Arbeitsmarktstudien weisen darauf hin, dass bis 2030 allein in Bayern rund 25.000 Stellen wegfallen könnten.

Im staatstragenden Paktdokument heißt es dazu: „Die Digitalisierung schafft vollkommen neue Möglichkeiten, Arbeits- und Produktionsprozesse zu steuern sowie orts- und zeitunabhängiges Arbeiten zu ermöglichen. Diese Chancen wollen wir gemeinsam zum Vorteil von Unternehmen, Beschäftigten und Umwelt nutzen. Die Politik wird diese Chancen im Zusammenwirken mit den Tarifpartnern durch einen zukunftsfesten arbeitsrechtlichen Rahmen flankieren.“

Die Arbeitnehmervertreter und die Gewerkschaften sehen hier Handlungsbedarf. Die IG Metall des Bezirks Bayern, Mitunterzeichner des Paktdokuments führt in einer im Anschluß veröffentlichten Resolution der Automobilkonferenz der IG Metall Bayern hierzu aus, dass der durch die ökologische Krise hervorgerufene Zwang zu emissionsarmen bzw. neutralen Antriebssystemen (Elektrifizierung) und des internationalen Wettbewerbs einen tiefgreifenden technologischen Umbruch einleitet.
Die Bewältigung dieses Transformationsprozesses entscheide nicht nur über die Zukunft des Industriestandortes Bayerns und Deutschlands, sondern über die Zukunft der Industriearbeit überhaupt.

Aus der gleichzeitig fortschreitenden Vernetzung von Fertigungsgeräten und -maschinen sowie logistischen Systemen (Digitalisierung) ergebe sich ein zusätzliches technologisches Potenzial an Substituierbarkeit (Ersetzbarkeit) menschlicher Arbeit in der Automobilindustrie. Insbesondere Helfer- und Fachkraftberufe seien davon betroffen. Somit bliebe es die gewerkschaftliche Handlungsoption, die betriebspolitischen Instrumente zur Sicherung der Arbeitsplätze einzusetzen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Nachdem auch Politik und Unternehmen ein Interesse an einer sozialverträglichen und beschäftigungsorientierten Gestaltung der industriellen Umbruchsituation hätten, verfolge die IG Metall deshalb das Ziel einer gleichberechtigten Beteiligung von Gewerkschaft/Betriebsräten, Unternehmensleitungen/Arbeitgeberverband und Politik, in der Prozesse und Verfahren der Beteiligung, der Information und der gemeinsamen Handlungsschritte zu vereinbaren seien.

Was von einem Pakt zu erwarten wäre: Eine Gesamtstrategie Mobilität, Klimakrise, nachhaltiger Industriepolitik und Arbeitsplätze

Es bleibt kritisch anzumerken, dass trotz der begrüßenswerten Stellungnahme der IG Metall und der Forderungen wie

  • Technologiefolgeabschätzung über die voraussichtlichen Beschäftigungswirkungen,
  • Offensive der Qualifikationsanpassung,
  • Erhalt der Wertschöpfungsketten,
  • Investitionsförderung kleiner und mittlerer Betriebe im Zuliefersektor oder auch

der Förderung der Speichertechnologie, der Tarifbindung und Mitbestimmung, ein gesamtgesellschaftlich notwendiger Ansatz fehlt:
die Entwicklung bzw. die Initiierung einer breit angelegten Debatte über eine Gesamtstrategie zum Thema Mobilität, Klimakrise, nachhaltiger Industriepolitik und Arbeitsplätze. Es wäre dringend geboten, wenn sich die Gewerkschaften ihrer weitaus größeren Einflussmöglichkeiten bewußt würden, über das traditionelle Eintreten für Lohnforderungen und Arbeitsplatzsicherheit hinaus nachhaltige und verantwortungsvolle Wege zu initiieren und eine stärkere Gesamtverantwortung für die gesellschaftliche Zukunft zu übernehmen.

Hierzu wären, ohne den Anspruch auf eine vollumfängliche Auflistung zu erfüllen, Themenkomplexe wie etwa eine zukunftsgerichtete Mobilität einschließlich alternativer Mobilitätsansätze zu zählen, der Ausbau eines Nahverkehrs gerade von und zu den Wohnstandorten der in der bayerischen Wirtschaft Beschäftigten, die zeitgerechte Erreichbarkeit der Betriebsstandorte für die Beschäftigten und fast selbstredend die radikale Eindämmung der weiterhin existenten Feinstaubbelastung in den Städten.
Der Ausbau erneuerbarer Energien als ein wesentliches Element zur Reduzierung der Schadstoff-emissionen und der nachhaltigen Energieversorgung der Produktionsstandorte wäre ebenso in einer solchen ökologisch zu prägenden Gesamtstrategie einzubeziehen. Eine wirtschaftlich erfolgreiche nachhaltige Energie-und Effizienzwende ist für den Erhalt innovativer Produktionsstandorte und für eine „gute Industriepolitik“ alternativlos. Der Pakt der Fahrzeugindustrie lässt eine zukunftsgerichtete Entschlossenheit für die Gestaltung der Energiewende hingegen vermissen. Bedauerlicherweise ist demgegenüber darauf zu verweisen, dass sich in Bayern faktisch ein Energiewende-Ausstieg abzeichnet:

Im ersten Quartal von 2018 wurde im ganzen Bundesland nicht ein neues Windrad genehmigt. 2017 waren es in ganz Bayern nur sieben Neugenehmigungen. 2014 waren es noch 244. 2017 wurden 111 neue Anlagen aufgestellt. In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden nur acht neue Windräder gebaut. (Die Linke, München.)

Die Klimaziele für Deutschland, die Treibhausgasemissionen bis 2020 gegenüber 1990 um 40 Prozent zu vermindern, werden vermutlich ohne zusätzliche Maßnahmen nicht erreicht. Wer sollte hier zu einem gewichtigen Teil zu Maßnahmen verpflichtet werden, wenn nicht die Hersteller von Straßenfahrzeugen. Die verstärkte Betriebsamkeit für eine renditeträchtige Portfolio-Erweiterung um die Elektromobilität entledigt sie nicht der Diesel-Altlasten und der nach wie vor verursachten Luftverschmutzung durch den Autoverkehr. Auch hierzu wären Lösungsansätze im Rahmen der erforderlichen Gesamtstrategie zu erörtern.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, der Pakt liefert zu wenig Klarheit und zu wenig verpflichtende Vereinbarungen für eine zukunftsgerichtete Industrie- und Energiepolitik. Eine gebotene Verkehrswende findet ebenso keine Berücksichtigung. Im Kern beinhaltet der Pakt politische Zugeständnisse für eine Fortsetzung der Automobilproduktion unter den Vorzeichen des international verschärften Wettbewerbsdrucks mit all seinen unabdingbar einzuleitenden Maßnahmen. Die Aufrechterhaltung der heimischen Produktionsstandorte fordert Rahmenbedingungen, die politisch abgesichert und zugesichert werden sollen.

Zugegeben, es ist mehr eine rhetorische Anmerkung des Autors, dass sich ein dem Wachstum verpflichtetes Unternehmen, wohl nicht von einer Pakt-Zielvereinbarung davon abhalten ließe, erforderliche, Investitionen, wenn nötig, da zu tätigen, wo die höchsten Kosteneinsparungen und die größten Maximalgewinne zu erzielen sind. Das würde auch ein Markus Söder mit all seiner Inszenierungskunst nicht verhindern können.

Quellenangaben
  • Pakt zur Zukunft der Fahrzeugindustrie in Bayern, Bayerische Staatsregierung, Juni 2018
  • Technologische Transformation in der Automobilindustrie Bayern sozial und ökologisch gestalten, Resolution der Automobilkonferenz der IG Metall Bayern, Juli, 2018, Bamberg
  • Eine Branche unter Strom, Donaukurier, Juli, 2018
  • IG Metall fürchtet Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern, dpa-Newskanal, Juli, 2018
  • Ausstieg Energiewende, Bulling-Schröter, Linke-Bayern, Juni, 2018
  • Perspektiven einer nachhaltigen Industriepolitik, in Gute Arbeit, 2018
  • Ökologischer Umbau der Automobilindustrie- die neue Herausforderung, in Gute Arbeit, 2018
  • Die PSA-Führung macht bei Opel ihren Job – was ist der unsrige?