Rede zum Jahrestag des Abwurfs der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki am 6. August 2018 in München
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, Liebe Münchnerinnen und Münchner,
Seit dem Abwurf der US-Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki – seit mehr als 70 Jahren – kämpft die Friedensbewegung in der ganzen Welt gegen das atomare Wettrüsten und für die Abschaffung aller Atomwaffen. Ich bin politisch aktiv geworden, als Ende der 1950-er Jahre die Bewegung Kampf dem Atomtod entstand. Am 12. April 1957 alarmierten 18 führende Atomwissenschaftler mit ihrem berühmten „Göttinger Manifest“ die Öffentlichkeit über die Gefahren eines Atomkrieges und warnten vor den Plänen der Adenauer-Regierung, die Bundeswehr mit Atomwaffen aufzurüsten.
Bereits 1955 hatten die USA – unter strengster Geheimhaltung – damit begonnen, atomare Kurzstrecken-Raketen in der Bundesrepublik zu stationieren. Die deutsche Öffentlichkeit erfuhr davon erst 1957, als Adenauer erklärte, diese Atomwaffen seien „nichts weiter als die Weiterentwicklung der Artillerie“. 1958 forderte die CDU-CSU Mehrheit des Bundestages die atomare Bewaffnung der Bundeswehr. Darauf hin entstand Proteststurm und die wohl breiteste Bewegung gegen die atomare Aufrüstung, die Kampagne „Kampf dem Atomtod“ und kurz danach die „Ostermärsche der Atomwaffengegner“.
1960 forderte der Führungsstab der Bundeswehr die Verfügungsgewalt über die in Deutschland stationierten Atomwaffen und 1962 eigene deutsche Atomwaffen. 1964 forderte der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General Trettner, die Realisierung von Planungen des Pentagon zur Errichtung eines Atomminengürtels entlang der innerdeutschen Grenze. Diese abenteuerlichen Pläne zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Atomwaffen konnten schließlich verhindert werden. Die Friedens- und Antikriegsbewegung hatte einen nicht unwesentlichen Anteil daran.
Übrig geblieben sind bis heute die auf dem Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt in Büchel stationierten US-Atombomben. Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, Es ist ein seit mehr als 40 Jahren andauernder Skandal: obwohl sich alle Kernwaffenmächte, die 1970 den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben, feierlich zur nuklearen Abrüstung verpflichtet haben, gibt es seit dieser Zeit keinerlei substanzielle Fortschritte in Richtung Abrüstung. Die USA und Russland verfügen – trotz einiger Reduzierungen – heute immer noch über mehr als 90% der weltweit vorhandenen rund 15 000 Nuklearwaffen.
Derzeitiges Haupthindernis für weitere Reduzierungen bei Abrüstungsverhandlungen mit Russland ist der von den USA betriebene Aufbau der in Europa stationierten Raketenabwehr. Der Zweck der Raketenabwehr ist natürlich nicht die Abwehr eines Angriffs, sondern der Versuch, das Gleichgewicht der atomaren Abschreckung außer Kraft zu setzen und einen atomaren Erstschlag der USA zu ermöglichen. Zweitens: Um einen Abrüstungsprozess zwischen allen Atomwaffenstaaten in Gang zu bringen, müssten die beiden atomaren Supermächte ihre Atomwaffen-Arsenale drastisch – z.B. auf das Niveau Chinas – reduzieren, das nur über 280, also nicht einmal 4 Prozent der Nuklearsprengköpfe der USA oder Russlands verfügt. Tatsächlich aber steht die Welt heute an der Schwelle eines neuen atomaren Wettrüstens.
Bereits unter Präsident Obama hat die US-Regierung beschlossen, ihr Atomwaffenarsenal in den kommenden 30 Jahren für 3.000 Milliarden Dollar – das sind 100 Mrd. jährlich – aufzurüsten. Und US-Präsident Trump erklärt, solange es Atomwaffen gibt, werden die USA im Rudel immer ganz oben stehen. Auch Russland und China rüsten inzwischen ihre Nuklearstreitkräfte auf, aber es ist vor allem der Anspruch der USA auf weltweite militärische Überlegenheit, der das Wettrüsten anheizt und Abrüstungsmaßnahmen verhindert. Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die atomwaffenfreien Länder haben den Aufstand gegen die Atommächte gewagt. Am 7. Juli letzten Jahres haben 122 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen einen Vertrag für das Verbot aller Atomwaffen beschlossen. Das Abkommen verbietet neben der Herstellung, dem Besitz und dem Einsatz von Atomwaffen auch die Drohung mit einem Nuklearschlag, sowie die Stationierung von Atomwaffen in anderen Staaten. Mit diesem Atomwaffenverbots-Vertrag verpflichten sich die Vertragsstaaten:
- Keine Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen.
- Unter keinen Umständen Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper zu entwickeln, zu erproben und herzustellen oder auf andere Weise zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern.
- Unter keinen Umständen Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen und
- Unter keinen Umständen die Stationierung von Kernwaffen auf dem eigenen Hoheitsgebiet zu gestatten.
Dieser Vertrag ist ein historischer Durchbruch und ein Erfolg der weltweiten Friedensbewegung. Der Druck auf die Atommächte – aber auch auf die Bundesregierung – mit der Abrüstung aller Atomwaffen Ernst zu machen könnte sich dadurch massiv erhöhen. Dazu müssen wir mit all unseren Kräften beitragen. Eine Schande für Deutschland ist es, dass die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen NATO-Staaten, gegen die Aufnahme der Verbots-Verhandlungen gestimmt hat - und ebenso wie Atommächte - die UN-Verhandlungen boykottiert hat. Die Heuchelei der Bundesregierung, die mit wolfeilen Lippenbekenntnissen eine Welt ohne Atomwaffen befürwortet aber gleichzeitig Verhandlungen über die Abschaffung aller Nuklearwaffen ablehnt, ist kaum noch zu überbieten.
Die Bundesregierung hält entgegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung und trotz eines parteiübergreifenden Beschlusses des Bundestages im Jahr 2010 weiterhin an der Stationierung der US- Atombomben in Deutschland fest und lässt die Bundeswehr regelmäßig den Atomwaffeneinsatz für den Ernstfall trainieren. Und, mit ihrer Zustimmung werden jetzt die in Büchel stationierten US-Atombomben „modernisiert“. Was harmlos klingt heißt konkret: Die derzeitigen B61 Bomben sollen durch eine völlig neue Version mit erweiterte Einsatz-Fähigkeiten ersetzt werden, durch zielgenaue, elektronisch gesteuerte und gelenkte Atomwaffen mit variabler Sprengkraft und vergrößerter Reichweite. Die neuen zielgenauen Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft sollen – und das ist ihr Zweck – die Hemmschwelle für einen Atomwaffeneinsatz senken und einen auf Europa begrenzten Atomkrieg ermöglichen.
Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, Damit dürfen sie nicht durchkommen. „Atomwaffen raus aus Deutschland“, das bleibt die zentrale Forderung der Friedensbewegung in der Bundesrepublik. Auch in diesem Jahr protestierten wieder hunderte Aktivisten aus der ganzen Republik mit einer 20 Wochen andauernden Präsenz, mit Kundgebungen und Blockadeaktionen gegen die auf dem Bundeswehr-Luftwaffenstützpunkt in Büchel stationierten US-Atomwaffen. Die nukleare Teilhabe Deutschlands verstößt gegen den Atomwaffensperrvertrag. In diesem Vertrag haben sich alle Nicht-Atomwaffenstaaten verpflichtet, „Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper oder die Verfügungsgewalt darüber von niemandem unmittelbar oder mittelbar anzunehmen“. Seit einigen Jahren schon erzählt uns die Bundesregierung das Märchen, dass für den Abzug der Atomwaffen die USA und NATO zuständig sind. Eine billige Ausrede ist das, mit der sich die Bundesregierung aus der eigenen Verantwortung stiehlt. Damit dürfen wir uns nicht abfinden.
Die Wahrheit ist: Ob Massenvernichtungswaffen in Deutschland stationiert werden, ob sich die Bundeswehr im Ernstfall an Atombombenangriffen beteiligt und dafür Trainingsflüge absolviert, das hat weder die US-Regierung noch die NATO zu entscheiden. Die Entscheidungsbefugnis darüber liegt ausschließlich in der Hand der Bundesregierung. Unsere Forderung heißt deshalb:
- Die Bundesregierung muss unverzüglich selbst handeln.
- Die Bundesregierung muss die „nukleare Teilhabe“ Deutschlands beenden.
Dafür braucht sie weder die Genehmigung der USA, noch die Zustimmung der anderen NATO-Verbündeten. Wir verlangen Taten, statt leerer Worte. Friedensorganisationen aus München und anderem Städten der Bundesrepublik haben die Kampagne „No-Nukes-Germany“ und eine Petition an den Bundestag und die Bundesregierung gestartet. Darin fordern wir: Die Komplizenschaft Deutschlands mit den US-Atomkriegsstrategen darf nicht länger fortgesetzt werden!
- Die Bundesregierung muss die Bereitstellung der Tornado-Flugzeuge für den Einsatz der Atomwaffen beenden.
- Sie muss die Ausbildung und die Übungsflüge der Bundeswehr für den Abwurf der Atomwaffen einstellen
- und sie muss das Stationierungsabkommen für die Lagerung der US- Atomwaffen in Deutschland aufkündigen.
Diese Petition kann online unterzeichnet werden unter: www.no-nukes-germany.de Liebe Kriegsgegnerinnen und Kriegsgegner, lasst uns gemeinsam weiterhin aktiv eintreten für die Abschaffung aller Atomwaffen, für die sofortige Beendigung der nuklearen Teilhabe Deutschlands und für die Forderung: Deutschland muss dem UN-Atomwaffen-Verbots Vertrag beitreten!