Die amerikanischen atomic scientists haben vor kurzem ihre „Weltuntergangsuhr“, die nach dem Jüngsten Tag benannte doomsday clock, auf hundert Sekunden vor Mitternacht vorgestellt: der menschengemachte Weltuntergang rückt in greifbare Nähe.  Die Gründung der Gruppe geht zurück auf den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Seither versucht sie die Gefahren abzuschätzen, die der Menschheit durch selbst gemachte Gefahren drohen. Dies sind in jüngster Zeit (immer noch): Atomwaffen, aber auch: Gas-Emissionen, Cyber-Angriffe, der Missbrauch genetischen Materials und künstliche Intelligenz.  Das Zusammenwirken dieser einzelnen Faktoren ist nicht nur nicht auszuschließen: Es potenziert die Risiken, verkürzt Entscheidungsspielräume und Vorwarnzeiten, ja, es entzieht Entscheidungen über die Existenz der Menschheit zunehmend menschlicher Verantwortung. Wo es sie noch gibt, scheinen sich Entscheider nicht bewusst zu sein, wie und wie schnell Automatismen in Gang gesetzt, aus ihrer Entscheidungskompetenz herausgerissen und nicht mehr rückholbar werden.

Es scheint paradox: Je größer und unmittelbarer die Gefahren der Selbstvernichtung der Menschheit werden, desto unbesorgter geht diese mit den Gefahren um. Insbesondere die Friedensfrage scheint kein Thema mehr zu sein, weder in unseren Medien, noch in unseren Parteien. Es ist, als ob die Perspektiven, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges öffneten, in Rüstungskontroll- und sogar Abrüstungsverträgen niederschlugen wie eine Droge auf unsere Gesellschaften wirkten. Vor diesem Hintergrund geht schier geräuschlos eine Hochrüstung vor sich, die ungeahnte Dimensionen annimmt. Die NATO hat sich nach Osten erweitert, die Zahl ihrer Mitgliedstaaten hat sich sein Ende des Kalten Krieges fast verdoppelt, die Neumitglieder waren fast alle zuvor Mitglieder der Warschauer Vertragsorganisation, heißt: Nachbarn Russlands. Die so erweiterte NATO besteht auf ihrer Politik der „glaubhaften Abschreckung“, beharrt auf der Doktrin der „glaubhaften Abschreckung“ – und Tendenzen in der Partei „die LINKE“ erwägen, die Friedensfrage, bisher ein Alleinstellungsmerkmal dieser Partei, um den Preis einer möglichen Regierungsbeteiligung hintanzustellen.

Der alte und schon immer falsche Spruch „Si vis pacem para bellum“ (wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor) scheint sich wie eine Selbstverständlichkeit in die Köpfe unserer Entscheidungsträger eingefressen zu haben. Die Einsicht in West und Ost, die das Ende der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts prägte, dass nicht gegenseitige Bedrohung und Steigerung des Bedrohungspotenzials sondern nur die gegenseitige Sicherheit, basierend auf Abrüstung, Transparenz und (Schaffung von) Vertrauen die Menschheit vor der drohenden Selbstvernichtung retten könnte, scheint dahingeschmolzen wie Schnee an der Sonne und potenziert durch den Wandel unseres Klimas, durch technologische Entwicklungen wie Digitalisierung und die Abgabe menschlicher Entscheidungen an eine nicht mehr kontrollierbare künstliche Intelligenz.

Angesichts dieser Entwicklungen scheint es, als ob die Friedensbewegung langsam wieder zu Kräften käme. Eine umfassende Analyse dieser Zusammenhänge und der daraus resultierenden Gefahren hat jüngst eine Arbeitsgruppe des Gesprächskreises „Frieden und Sicherheitspolitik“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung geliefert und diese zugleich als Petition ins Netz gestellt.

Dieser Weckruf hofft dazu beizutragen, dass diese Menschheitsfrage ebenso wie die anderen oben genannten endlich wieder thematisiert werden. Sie liegen weit jenseits parteitaktischer Überlegungen. Der Souverän, also die Bürgerinnen und Bürger, sind gefordert, sich um ihrer Existenz Willen das Gehör der Entscheider zu verschaffen.