Die Bundesregierung will bis Ende November eine Strategie zu „Künstlicher Intelligenz (KI)“ veröffentlichen. Die Bundesrepublik soll zum „weltweit führenden Standort für KI“ werden. „Wir wollen dafür Sorge tragen, dass die Erwerbstätigen bei der Entwicklung von KI-Anwendungen in den Mittelpunkt gestellt werden“, verspricht die Bundesregierung.
Die Telekom-Tochter Detecon und die Henley Business School haben „50 Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Industrien und Branchen in verschiedenen Ländern“ zu ihren Zukunftserwartungen befragt, berichtet Christian Illek, Personalvorstand der Deutschen Telekom. Die Befragten seien sich „einig: KI und Mensch-Maschine-Interaktion sind im Jahr 2028 aus Beruf und Leben nicht mehr wegzudenken“, meldet die Telekom. „Die Optimisten glauben an eine bessere, sichere Zukunft, die Raum für mehr Kreativität gibt“.
„Viele neue und innovative HR Tech Firmen“ arbeiten daran, Personalabteilungen „datengestützte und vor allem vorurteilsfreie Auswahlprozesse“ bei der Personalsuche bieten zu können, meldet das Beratungsunternehmen Online-Recruiting.net. Dabei sind auch Algorithmen bedeutsam. Algorithmen sind mathematische Gleichungen und damit die Basis für Softwareprogramme, sie übersetzen kausale Annahmen in Rechenprogramme. Wenn beispielsweise aus einer Datenmenge bestimmte Daten gefunden werden sollen, kann nach Begriffen gesucht werden.
Durch die neue Technik „könnte Geschlechtergleichheit am Arbeitsplatz in den Industriestaaten bereits im Jahr 2040 erreicht werden, also 25 Jahre schneller als bei der jetzigen Entwicklung”, behauptet Sandra Babylon von der Unternehmensberatung Accenture. Denn Frauen werden eher „nach Leistung befördert, Männer nach Potenzial“, ergänzt Alexandra Borchardt von der Süddeutschen Zeitung. Das Versprechen: Algorithmen bieten Frauen die Möglichkeit, aus alten Mustern auszubrechen: „Frauen werden nach gegenwärtiger Leistung befördert, Männer nach Potenzial“. Die Chancen für Frauen steigen jedoch, denn „Algorithmen können dabei helfen, ein einigermaßen objektives Bild zu zeichnen“.
Allerdings verdeutlicht das Portal „Online-Recruiting.net“, wie hier falsche Hoffnungen geweckt werden. Ein Algorithmus „kann genauso falsche Entscheidungen treffen wie ein Recruiter“. Denn „Algorithmen sind nur so gut wie die Menschen, die sie programmiert haben. Und künstliche Intelligenz mit lernfähigen Algorithmen hängt maßgeblich von den Daten ab, die ihnen Menschen zum Lernen geben“. Ein Extrembeispiel verdeutlicht, welche Folgen das blinde Vertrauen in die Technik hat. Ein Forscher des M.I.T. (Massachusetts Institute of Technology) deckte auf, dass Gesichtserkennungssoftware von IBM oder Microsoft besser in der Lage ist, das Geschlecht einer Person zu benennen, wenn das analysierte Gesicht eines weißen Mannes zu sehen war. Dagegen waren die Zuordnungen von dunkelhäutigen Frauen fehlerhaft.
„Das scheint vor allem daran zu liegen, dass der lernfähige Algorithmus mit mehrheitlich weißen Männer Bildern trainiert wurde als mit dunkelhäutigen Männern und Frauen“, meldet Online-Recruiting.net.
„Führung mittels Künstlicher Intelligenz“, beschreibt die Zeitschrift „Cio“ einen weiteren Trend. Welche Konsequenzen Algorithmen haben können, zeigt das Vorgehen bei Xerox Services bei der Personalsuche in den USA: Ein Auswahlkriterium für die positive Bewertung der Bewerber war, Kandidaten zu finden, die möglichst lange im Unternehmen bleiben. Die Folge: „Potenzielle Mitarbeiter aus Außenbezirken wurden seltener eingestellt – unabhängig von ihrer Qualifikation“. Das System habe lange Anfahrtswege zur Arbeit als häufigen Kündigungsgrund ermittelt. Da bei diesen Beispielen „gerade arme Menschen oft außerhalb der Stadt leben“, werden diese Bewerber vom Algorithmus diskriminiert, meldet Cio.
Trotzdem werden Algorithmen bei der Personalführung immer mehr propagiert. Der Hedgefonds Bridgewater Associates plant unter dem Namen „PriOS“ ein System künstlicher Intelligenz aufzubauen, das Personalentscheidungen „gleich ganz alleine übernimmt. PriOS soll dabei von den Entscheidungsstrukturen des Gründers Ray Dalio sowie seiner Top-Manager lernen“, um Entscheidungen per Algorithmus zu erleichtern, berichtet Cio.
Die für Personalabteilungen angebotene Verwaltungs- und Auswertungssoftware Workday verspricht nicht nur die Beschäftigtendaten zu verwalten, sondern Kündigungen zu vermeiden. Workday vergleicht dabei die Daten, die im Betrieb selbst anfallen, und aktuelle Jobangebote auf Online-Plattformen, um herauszufinden, welche Fähigkeiten gerade besonders gesucht sind. Mit der Software wird hinterlegt, wie lange der Beschäftigte bereits im Unternehmen ist und wann zum letzten Mal eine Lohnerhöhung gezahlt wurde. Auch kann das Verhalten des Arbeitnehmers im alltäglichen Mail-Verkehr analysiert werden. „Unser Algorithmus analysiert Mitarbeiterdaten und erkennt Muster, aus denen er die Abwanderungswahrscheinlichkeit ableitet. Steigt die über einen gewissen Schwellenwert, schlägt er Alarm“, erläutert Christoph Kull, Manager bei Workday. „Außerdem geben Leute Interessen an, ihre Kompetenzen, welche Projekte sie im vorigen Job hatten und Informationen aus ihrem LinkedIn-Profil, wenn sie es importiert haben“. Einer der Finanziers von Workday ist Amazon-Gründer Jeff Bezos. Große Firmen wie Google, Netflix und Facebook nutzen diese Software seit Jahren. Zunehmend setzen auch bundesdeutsche Firmen auf diesen Anbieter. Selbst wenn die per Algorithmen ermittelten Annahmen nicht zutreffend sind, muss sich ein Arbeitnehmer rechtfertigen, wenn zu seinem Verhalten eine Alarm-Meldung vorliegt.
E-recruiting ist digital unterstützte Personalbeschaffung. Betriebe bieten zunehmend die Bewerbung per Online-Portal an. In das Suchprogramm können dabei Annahmen einfließen, die falsch oder diskriminierend sind. Schon heute werden Bewerbungen von Programmen vorsortiert. Die Gefahr ist groß, dass Personen, die durch dieses „Raster fallen“ gar keine Chance haben, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Etwa, da sie in einem Postleitzahlenbereich wohnen, der als problematisch hinterlegt ist.
Auch können Videointerviews genutzt werden, um per Algorithmus „anhand von Gestik, Sprache oder Mimik eines Bewerbers Aussagen zu Charakter, Persönlichkeit, Verhalten, Wechselwilligkeit sowie Leistungsvermögen“ zu machen, zeigt Online-Recruiting.net aktuelle Entwicklungen auf. „In den USA gibt es bereits Firmen, die Bewerbungsgespräche von einem programmierten Gesprächspartner führen lassen. Der Kandidat sitzt vor der Webcam, eine Software mit sogenannter Applied Predictive Technology analysiert, was er sagt. Auch Stimme und Mimik werden erfasst. Im Anschluss wird eine Empfehlung ausgeworfen, ob man den Bewerber einstellen sollte oder nicht“, berichtet die Zeitschrift „Cio“. Im Extremfall prüft keine Personalabteilung mehr das Ergebnis. Es können „sehr viele gute Kandidaten durch die Lappen gehen, weil diese nicht die „richtigen“ Keywords verwendet haben oder weil sie nicht so talentiert sind, sich in ihrem Lebenslauf gut zu präsentieren“, warnt das Portal Online-Recruiting.net.
Man könne über „die Auswirkungen von Digitalisierung und KI auf Arbeit und Leben der Menschen durchaus streiten. Ich plädiere dafür, die Veränderungen durch neue Technologien als Chance zu begreifen. Sie werden kommen. Das ist unvermeidlich“, argumentiert Personalvorstand Christian Illek mit Sachzwängen. So wollen die Unternehmen die Technik einsetzen – die Folgen für die Beschäftigten werden zunehmend deutlich.