„Die Miete macht über eine Million Haushalte in Großstädten so arm, dass ihr Einkommen nach Miete unter dem Regelsatz von Hartz IV liegt“. Zu diesem Ergebnis kommt Stephan Junker von der Humboldt-Universität Berlin in einem Kurzgutachten, das er für den Sozialverband Deutschland (SoVD) erstellte. Sozialverbands-Präsident Adolf Bauer macht der Politik den Vorwurf, die Situation völlig falsch eingeschätzt zu haben, indem sie glaubte, es gäbe genügend Wohnraum. Der Wohnraummangel sei für alle Wohnraumgrößen vorhanden. Er zeige sich auch darin, dass ein Viertel der Haushalte in zu kleinen Wohnungen wohne. Wenn „diese Menschen dann gezwungen sind, sich größere Wohnungen anzumieten, dann mieten sie sich damit arm“, erklärte Bauer. Wohnen zur Miete ist in Deutschland zu einem Armutsrisiko geworden.

Insgesamt trage die Wohnungsnot zur Vertiefung der sozialen Spaltung der Gesellschaft bei, stellt der Sozialverband fest. Stephan Junker hat in seiner Kurzstudie vor allem die Mietbelastung im Verhältnis zum Einkommen untersucht. Generell gilt, dass die Mieten sowohl in West- als auch in Ostdeutschland zwischen 1993 und 2014 stärker als die Einkommen der Mehrheit der Bevölkerung gestiegen sind. Besonders die untere Hälfte der Einkommen stagnierte weitgehend, während die Mieten stark gestiegen sind. 2014 ist das letzte Jahr für das entsprechende Daten des Mikrozensus vorliegen; in den folgenden vier Jahren (2015 – 2018) dürfte sich die Situation weiter verschärft haben.

Die Hälfte der Miethaushalte in Deutschland gibt mindestens 29 Prozent ihres Nettoeinkommens für die Bruttokaltmiete aus. Geringverdiener, die weniger als 1300 Euro monatlich zur Verfügung haben, müssen 46 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen. Haushalte mit niedrigem Einkommen, müssen in den Großstädten etwa 40 Prozent für die Miete abdrücken. Wer umgekehrt monatlich mehr als 4500 Euro verdient, muss dagegen nur noch 17 Prozent davon für Wohnen ausgeben.[1]

Besonders betroffen von der hohen Mietbelastung sind Alleinerziehende, Einpersonenhaushalte, Rentner, Pflegebedürftige, Bezieher von Transferleistungen sowie Menschen mit Migrationshintergrund.

Junker stellt fest, dass es allgemein einen Mangel an Wohnraum gebe, „einen besonderen Mangel aber an bezahlbaren Wohnraum“. Den Vermietern sei es dadurch möglich, die Mieten ins Unermessliche zu treiben, mit der Folge von Wanderungsbewegungen ins Umland und Mietsteigerungen auch in Kleinstädten. In den deutschen Großstädten fehlten mindestens 1,9 Millionen bezahlbare Wohnungen für kleine und größere Haushalte.

Dem Gutachten zufolge wird sich das Problem in den nächsten Jahren noch verschärfen: Unter den Menschen, die 2030 in Rente gehen werden, sei ein hoher Anteil von Altersarmut betroffen.

Verbandspräsident Bauer fordert die Politik auf, gegenzusteuern, indem sie mehr Bauland zur Verfügung stellt, die Immobilienspekulation verhindert und mehr den Sozialen Wohnungsbau fördert. Konkret fordert er von der Bundesregierung ein umfassendes Investitionsprogramm für den öffentlichen Wohnungsbau, mit dem gezielt Wohnraum für untere und mittlere Einkommen geschaffen werden soll. Es sei „gefährlich“, den Wohnungsmarkt weiter dem „Kräftespiel der Wirtschaft“ zu überlassen. Zwei Hebel müssten betätigt werden“ „Subventionen und Marktregulierung“.


[1]    Zu ähnlichen Ergebnissen kommt der Verband der Vereine Creditreform in seinem „Schuldner Atlas Deutschland 2018“: Dort heißt es u.a.: „Die genannten Entwicklungen zeigen: Wohnen ist zumindest in deutschen Großstädten zum Armutsrisiko, in jedem Fall zum Überschuldungsrisiko geworden. Der Grund: Die Mietbelastungsquote liegt bei vielen Mietern bei über 50 Prozent, d.h. sie geben mehr als die Hälfte ihres Haushaltseinkommens für das Wohnen aus. Die Mietbelastungsquote liegt nach Meinung von Experten in jedem Fall im „kritischen Bereich“ oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens. Es bleibt dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung zur Verfügung, insbesondere bei Menschen mit kleinerem Einkommen. Bereits im Herbst letzten Jahres zeigte eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung auf, dass rund 40 Prozent der Haushalte in Deutschlands Großstädten mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben müssen, um die Bruttokaltmiete bezahlen zu können. Das entsprach rund 5,6 Millionen Haushalten, in denen etwa 8,6 Millionen Menschen leben. Für etwa 1,3 Millionen Haushalte in deutschen Großstädten liegt demnach das Resteinkommen nach Abzug der Miete sogar unterhalb der Hartz-IV-Regelsätze“ (Schuldner-Atlas 2018, S. 44f).