Die EU-Führungsstaaten Deutschland und Frankreich haben einmal mehr ihren Dominanzanspruch in der Union demonstriert. In einem abgekarteten Spiel schanzten sie sich gegenseitig die beiden wichtigsten Posten in der EU-Bürokratie zu: Frankreich erhielt in der Person von Lagarde als neue EZB-Präsidentin den ökonomischen Top-Job; Deutschland soll mit der bisherigen Bundeswehr-Ministerin Ursula von der Leyen den mächtigsten politischen Posten besetzen: Präsidentin der EU-Kommission. Einmal mehr wurde bei der Besetzung der Schlüsselpositionen die undemokratische Struktur des EU-Komplexes deutlich: alle Macht geht vom europäischen Rat der Regierungs- und Staatschefs aus. Das Europa-Parlament hat ganz und gar nichts zu sagen, es kann die Kandidaten durchwinken, bestenfalls ablehnen. Macht-Nukleus ist die deutsch-französische Allianz, die restlichen 26 EU-Staaten sind wie ein Satelliten-System drum herum angeordnet.
Die Nominierung der deutschen Wehrministerin ist eine Ansage zu einem verstärkten Militarisierungskurs der EU. Denn eines hat die Ministerin, der angeblich „die Truppe ans Herz gewachsen ist“, geschafft – trotz aller Pleiten und Pannen, Fehlplanung und Missmanagement: Die Powerfrau konnte zig-Milliarden Euro mehr für Waffen und Militär locker machen. Das Rüstungsbudget stieg in ihrer bisherigen Amtszeit zwischen 2014 bis 2019 um 50 Prozent.
Mit den üppiger fließenden Geldern stiegen auch die Begehrlichkeiten des Militär-Industrie-Komplexes. Derzeit tagt ein „Untersuchungsausschuss, der sich mit der Auftragsvergabe an Externe an Externe im Verteidigungsministerium befasst“. Die Süddeutsche fragt: „Haben Generäle und hochrangige Beamte privat befreundeten Unternehmensberatern Aufträge in Millionenhöhe zugeschanzt? Der Rechnungshof hat aufgedeckt, dass zahlreiche Verträge am Vergaberecht vorbei und damit rechtswidrig geschlossen wurden. Seither sieht sich die Ministerin in regelmäßigen Abständen von Oppositionspolitikern mit Rücktrittsforderungen konfrontiert“.
Der vorgebliche Sachverstand von externen Unternehmensberatern haben es von der Leyen offensichtlich angetan: 2014 holte sie die McKinsey-Managerin Katrin Suder als Rüstungsstaatssekretärin in den Bendlerblock (ein Dienstsitz des Bundesministeriums der Verteidigung); 2018 schied diese auf eigenen Wunsch aus.
Was die Rüstung so teuer macht, zur künftigen Kostenexplosion führen wird, ist die Restrukturierung zur Territorialarmee, die von der Leyen im Auftrag von NATO und Bundesregierung vorantrieb. Genauer: Die Bundeswehr soll ihre Fähigkeit als Interventionsarmee und zu Auslandseinsätzen behalten, zugleich aber wieder in die Fläche zurückkehren mit Ausrichtung nach Osten. Mit Panzernverbänden und großkalibriger Artillerie, Panzerhaubitzen, mit Kampfflugzeugen und Großschiffen auf den Meeren. Von der Leyens Credo: „Jede Woche kommt ein neuer Panzer, jeden Monat ein neues Kampfflugzeug, jedes Jahr ein neues Kriegsschiff“.
Denn der neue alte Feind der NATO ist Russland, ist die „Bedrohung aus dem Osten“. Von der Leyen gilt innerhalb der NATO als Falkin, wurde deshalb auch schon mal als Generalsekretärin gehandelt. Sie tritt für einen harten Kurs gegenüber der russischen Regierung ein: „Aus einer ‘Position der Stärke’ heraus muss man aber auch im Gespräch mit Russland bleiben“, sagte sie einmal im ZDF-Morgenmagazin. Der NATO-Expansionskurs und roll-back-Kurs gegenüber Russland brachten ihr auch die Sympathien der Visegrad-Staaten ein, allen voran Polen und der baltischen Staaten, die auf dem EU-Gipfel vehement für von der Leyen warben. Als „gute Wahl für Litauen“ pries sie die scheidende litauische Präsidentin Grybauskaitė. Sie habe dazu beigetragen, dass dauerhaft Soldaten und Panzerverbände der NATO in Polen und den baltischen Staaten an der Grenze zu Russland stationiert wurden – wohlgemerkt, unter Verletzung der NATO-Russland-Akte. Deutschland erhielt dabei das Kommando für den Panzeraufmarsch in Litauen – deutsche Panzer stehen damit erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg wieder auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion.
Die einzigen europäischen Kompetenzen, die von der Leyen für das höchste EU-Amt mitbringt, liegen auf dem Gebiet von Militär und Rüstung. Zusammen mit Frankreich hat sie ab November 2017 PESCO (Permanent Structured Cooperation) auf den Weg gebracht. 25 EU-Staaten, darunter 21 NATO-Staaten, vereinbarten, in Rüstungsfragen stärker zu kooperieren, ihre Militäraktivitäten zu größerer Schlagkraft zu bündeln, ihre Rüstungsindustrien zu konzentrieren und gemeinsame Waffen-Forschung und -Entwicklung verstärkt voranzutreiben. Die Pesco-Teilnehmer verpflichten sich zudem, „regelmäßig den Verteidigungshaushalt real (zu) erhöhen“. „Für die Rüstungsindustrie kann die PESCO zum Konjunkturprogramm werden“, schrieb das Handelsblatt. Die designierte Kommissions-Präsidentin trat während ihrer Amtszeit als Rüstungs-Ministerin vehement für die baldige Erfüllung der NATO-2%-Klausel ein.
Zusammen mit ihrer französischen Amtskollegin Florence Parly und der spanischen Verteidigungsministerin Margarita Robles setzte von der Leyen auf der Luftfahrtmesse Le Bourget bei Paris im Juni das neue Kampfflugzeug-System „Future Combat Air System“ (FCAS) auf die Entwicklungsschiene.
Es dürfte Europas teuerstes Waffenprogramm aller Zeiten werden. Das Handelsblatt schreibt: „Bis zu 500 Milliarden Euro soll das FCAS bis Mitte des Jahrhunderts kosten, 100 Milliarden Euro der neue Panzer“. Deutschland und Frankreich haben nämlich zusätzlich auch die gemeinsame Entwicklung eines neuen Kampfpanzers „Leopard 3“ unter deutscher Federführung vereinbart. Insgesamt werden diese Großprojekte eine gewaltige Konzentration und Sogkraft in Richtung französischer und deutscher Rüstungsindustrie zur Folge haben.
Zu Ursula von der Leyens Kerngeschäft als Kommissionspräsidentin dürfte es gehören, diesen Prozess im Auftrag der Kernstaaten weiter voranzutreiben und eine potente europäische Militärmacht zu formieren: mit konsolidierten Rüstungskapazitäten und einer schlagkräftigen Europa-Armee. Der militärisch-industrielle-Komplex lässt grüßen.