1992 hielt die UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio fest, dass die Menschheit von einer zunehmenden Zerstörung des gewohnten Klimas bedroht ist. Fast ein Vierteljahrhundert verging, bis man in Paris 2015 die Verpflichtung feierte, ein Erwärmungs-Limit von 1,5 °C anzustreben, höchstens aber 2 °C zuzulassen.

In Deutschland dauerte es dann noch ein ganzes Jahr bis Ende 2016, um einen “Klimaschutzplan 2050” aufzustellen; ein Werk, das man zehn Jahre früher genauso schon hätte verfassen können – und müssen. 2017 geschah erst mal gar nichts Weiteres, es waren Wahlen, da gab es weder Kraft noch Zeit noch Motivation für Klimaschutz. 2018 traf man den Koalitionsbeschluss, bis Ende 2019 aus dem Klimaschutzplan ein Klimaschutzgesetz zu machen. Vier Jahre nach Paris! 27 Jahre nach der Erkenntnis, man müsse schnell handeln!

2019 sieht einen Aufschwung der Klimaschutzbewegung, vor allem die Fridays for Future. Sie fordern bis 2019 die Einführung einer Steuer auf alle Treibhausgasemissionen (THG; das aus der Verbrennung fossiler Energieträger resultierende Kohlendioxid CO₂ hat 88 % Anteil an den deutschen THG-Emissionen) mit dem Ziel einer Dekarbonisierung bis 2035 (Nettonull-Emission, d.h. Emissionen nicht höher als die natürliche Absorption). Diese Steuer auf THG-Emissionen, konzentriert auf eine CO₂-Steuer, beherrscht mittlerweile die klimapolitische Diskussion in diesem Land.

Dieser Forderung schloss sich die Bundesumweltministerin Svenja Schulze an und gab beim DIW (Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung), beim IMK (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung) und beim FÖS (Forum Ökologisch-soziale Marktwirtschaft) Gutachten in Auftrag über die Ausgestaltung einer solchen CO₂-Abgabe, ein “wichtiger Baustein” der Klimapolitik, wie sie sagt. Die CO₂-Pläne der Bundesumweltministerin erstrecken sich allerdings nur auf eine Summe von etwa 330 Mio. Tonnen CO₂, das ist nur gut ein Drittel der deutschen THG-Mengen von 907 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalenten 2017.

Warum nur so wenig? Zur Beantwortung muss man einen kurzen Blick auf die EU-Klimapolitik werfen.

Das System der EU-Klimapolitik

Die EU-Klimapolitik ist strikt zweigeteilt: Sie arbeitet nach zwei völlig unterschiedlichen Prinzipien, die jeweils für genau einen Teilbereich der THG-Emissionen gelten. Der eine Bereich betrifft die Groß- und Größtverbraucher von fossiler Energie (und insofern Emittenten von CO₂) und umfasst die Energiewirtschaft (v.a. Strom) und die Großindustrie in energieintensiven Branchen (v.a. Stahl, NE-Metalle, Chemie, Papier), seit einigen Jahren auch die EU-Binnen-Luftfahrt. Für die Klimapolitik gegenüber diesen Emittenten existieren keine nationalen Grenzen, sondern es gibt nur Regelungen für die EU-Länder gemeinsam. Es handelt sich um EU-weit etwa 11.000 Verbrauchsstellen. Für diese Emittenten gilt das ETS = Emission Trading System. Sie müssen sich bei einer staatlichen Stelle (EU-weite Auktion) ausreichend viele Berechtigungsscheine = Zertifikate für ihre CO₂-Emissionen besorgen. Der dahinter liegende Gedanke ist, dass der Staat (die EU) die Gesamtmenge der Emissionen kontrolliert und Zug um Zug entsprechend der klimapolitischen Ziele verringert und es einem marktwirtschaftlichen Suchprozess bei den Unternehmen überlässt, wo sich die günstigsten CO₂-Vermeidungsmöglichkeiten finden. Hat ein Betrieb zu wenige bzw. zu viele Zertifikate (etwa wegen Konjunkturflaute, technischer Neuerungen etc.), dann kann er die fehlenden bzw. überschüssigen Zertifikate auf einem Sekundärmarkt nachkaufen bzw. verkaufen.

Das ETS wurde 2005 eingeführt. Eine ausführliche Darstellung des ETS, die Funktionsweise, das Versagen aufgrund der ausufernden Überschüsse, die mühsamen Reformversuche dieses Systems, findet sich in “Das Emissionshandelssystem der EU“.

Das andere System, oft Nicht-ETS-System genannt, betrifft alle restlichen Emittenten in der EU: die Hunderte Millionen Haushalte, Verkehrsteilnehmer, Handwerker, freie Berufe, Kleinindustrielle, nicht energieintensive Industrien (Maschinenbau, Pharma usw.), Landwirte (in deren Bereich auch Methan und Lachgas emittiert wird). Aufsummiert steuern diese Emittenten rund die Hälfte der EU-weiten Gesamtemissionen bei, also etwa ebenso viel wie die 11.000 ETS-Emittenten. Für sie gibt es keine EU-weite gemeinsame Politik, sondern lediglich ein EU-weites Reduzierungsziel: minus 10 % bis 2020, minus 30 % bis 2030, jeweils gegenüber dem Stand 2005. Dieses Ziel wurde für die 28 Länder nach der jeweiligen Bereitschaft für Klimaschutz und nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufgespalten. Für Deutschland lauten die Ziele minus 14 % bzw. minus 38 %.

Nun ist festzustellen, dass Deutschland auf dem besten Weg ist, alle klimapolitischen Ziele weit zu verfehlen. Nur in den 1990er Jahren, in den Jahren der weitgehenden Deindustrialisierung der Ex-DDR, wurde nennenswert CO₂ reduziert. Von 2005 an bis 2017 betrug die Emissionsreduzierung in Deutschland insgesamt nur 9 % (in 12 Jahren!), davon in den Nicht-ETS-Sektoren sogar nur 3 % (Anlage zum Entwurf des Klimaschutzgesetzes). Das ist uneinholbar weit weg vom Ziel minus 14 % bis 2020 und eigentlich noch aussichtsloser von der großsprecherischen Zusage bis 2030.

Das CO₂-Steuer-Konzept des Umweltministeriums

Bei den in Auftrag gegebenen Gutachten geht es nur um den Nicht-ETS-Teil, und dort um den Wärme- und Verkehrssektor in Privathaushalten, Handel, Handwerks- und Kleingewerbebetrieben, ohne Industrie, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft. Die drei Gutachten bekamen dieselben Annahmen zur Voraussetzung, und sie kamen zu ähnlichen Ergebnissen.

2020 soll die CO₂-Steuer starten mit 35 Euro pro Tonne CO₂. Dieser Betrag bedeutet – incl. MWSt – ein Plus von 10 Cent pro Liter Benzin (+ 6,6 %), 11 Cent pro Liter Diesel (+ 8,7 %) bzw. Heizöl (+ 16,7 %) und 9 Cent pro m³ Erdgas (+ 15,2 %). Von Jahr zu Jahr soll die Abgabe um etwa 15 Euro steigen, so dass sie bis 2030 etwa 180 Euro pro Tonne CO₂ erreicht. Der Preisaufschlag ist dann also etwa fünfmal so hoch wie 2020.

Bewirkte CO₂-Vermeidung: Der durch eine CO₂-Abgabe gestiegene Preis für Energie (und für energieintensive Güter) wird verbrauchssenkend wirken. Etwa durch Konsumeinschränkung (Pullover tragen statt voll heizen; weniger weit in Urlaub fliegen) oder durch den Ersatz der Energieträger durch andere, weniger CO₂-intensive Güter (Solarheizung einbauen; Wärmedämmung vornehmen; Zug statt Auto nehmen). Die Nachfrage nach Energieträger wird allerdings durch tausend Faktoren jenseits der Preise zusätzlich beeinflusst: von reinen Vorlieben über das (Nicht-)Wissen um die Alternativen bis zur Finanzierungsknappheit bei verbrauchssenkenden Investitionen. Den Einfluss der Variable Preis heraus zu filtern und qualitativ zu bestimmen, ist eine statistisch-rechentechnisch schwierige Aufgabe. Allerdings eine höchst wichtige für die Beantwortung der Frage, wie sinnvoll eine CO₂-Bepreisung sein könnte, wie weit man damit in Richtung Klimaschutz fortschreiten könnte.

Die Institute schätzen und berechnen die bis 2030 erreichbare Verminderung der jährlichen CO₂-Emissionen auf etwa 50 Mio. Tonnen (IMK) bzw. auf etwa 20 bis 75 Mio. Tonnen (FÖS). Das DIW rechnet nur bis zum Jahr 2023 und kommt auf eine Reduzierung um 10 bis 34 Mio. Tonnen. Die Institute kommen also zu durchaus vergleichbaren Ergebnissen. Gemessen an der Ausgangsemission in 2017 in Höhe von rund 330 Mio. Tonnen, die von der Steuer verringert werden soll, erhalten wir bis 2030 eine Reduzierung um rund 15 % (bzw. um 6 % bis 22 %).

Man darf sich nichts vormachen: Dieses Ergebnis ist sehr, sehr weit entfernt vom Weg zur notwendigen Dekarbonisierung (d.h. annähernde Nullemission), die je nach Ambition (1,5°-Ziel, 2°-Ziel) um 2035 bis allerspätestens 2050 (laut Entwurf des Klimaschutzgesetzes) erreicht sein muss. Das Ergebnis bleibt sogar weit zurück hinter den genannten EU-Verpflichtungen für den hier relevanten Nicht-ETS-Sektor. Nicht nur, dass noch der Rückstand zum Ziel 2020 gutzumachen ist, auch die EU-Verpflichtung für das Jahrzehnt 2020 bis 2030 erfordert eine Reduzierung um 28 %, bezogen auf den Stand 2020.

Im Vorspann und im Fazit merken die drei Studien durchaus an, dass eine CO₂-Bepreisung allein noch nicht ausreichend ist. Sie diskutieren diesen Aspekt aber leider nicht weiter. Diese Anmerkung muss man als wichtigen Wink verstehen, kräftig über die CO₂-Steuer hinaus nachzudenken.

Hinzu kommt: Die Institute gehen von einem sinkenden Strompreis aus, so die Vorgabe des Auftraggebers (um bis zu 6 Cent pro kWh). Das Ziel ist hier ein weitgehender Abbau der Stromsteuer und der EEG-Umlage, um das Umschwenken auf ein E-Auto (gegen einen Verbrenner) oder auf eine elektrische Wärmepumpe (gegen eine normale Heizung) zu fördern. Der damit verbundene Strommehrverbrauch wird den Ausstieg aus dem Erdgasstrom und vermutlich auch noch aus dem Kohlestrom verzögern. Das heißt, es entstehen zusätzliche CO₂-Emissionen in der Stromwirtschaft (ETS-Teil, hier nicht erfasst) in Höhe von bis zu 10 Mio. Tonnen. Das reduziert noch die Erfolge durch die CO₂-Steuer.

Soziale Ausgestaltung: Sie ist ein viel diskutierter, aber ein eigentlich sehr einfacher Punkt. Wie alle Statistiken zeigen, sind reiche Haushalte für sehr viel mehr Emissionen verantwortlich als arme. So kommt das einkommensreichste Fünftel der Bevölkerung auf fast viermal so viele Emissionen beim direkten Energieverbrauch (Heizung, Strom, Kraftstoffe etc.) als das ärmste Fünftel; bei den indirekten Emissionen, die in der Produktion von anderen Waren und Dienstleistungen stecken, auf mehr als das Fünffache (andere Quellen berichten von einer etwas geringeren Ungleichheit). Weil die reichste Gruppe aber ein mehr als sechsmal so hohes Einkommen hat wie die ärmste Gruppe, ist die Kostenbelastung durch eine CO₂-Abgabe, ausgedrückt in Prozent des verfügbaren Einkommens, bei der ärmsten Gruppe deutlich höher als bei der reichsten.

Der Grundgedanke der sozialen Ausgestaltung ist die (weitgehende) Rückgabe der eingesammelten CO₂-Steuern an die Bevölkerung. Der einfachste und pauschalste Vorschlag, den die drei Institute (und nicht nur diese) anführen, ist die Auszahlung eines gleichen Betrages an jeden Bürger. Für den Anfang wird ein Betrag in der Größenordnung von 100 Euro genannt. Weil die Reichsten allein für Wohnen, Strom und Verkehr ein Mehrfaches an CO₂-Steuern zahlen müssten als die ärmsten, führt eine gleichmäßige Rückgabe dazu, dass der arme Haushalt im Schnitt mehr erhält als er zahlt, und der reiche Haushalt umgekehrt. Der Preisanreiz zur Emissionsverminderung wird dabei durch die Rückgabe nicht ausgehebelt. Innerhalb der Gruppen haben die Einzelnen ein sehr heterogenes Verbrauchsmuster, so dass bei den Armen einige wenige doch drauf zahlen und bei den Reichen einige Klimabewusste per Saldo etwas raus kriegen.

Natürlich wären jenseits und zusätzlich zur Pauschallösung noch viele Verfeinerungen denkbar und machbar, also eine geringere Pauschal-Rückzahlung und dafür etwa eine Erhöhung von Wohngeld, Hartz IV, BAFöG, Pendlerpauschalen usw. Oder eine Beschleunigung der Einsparung durch Zuschüsse und Förderungen von Wärmedämmmaßnahmen, besten Haushaltsgeräten usw. Nach Vorgabe des Auftraggebers berechneten die Institute die Haushaltsbelastungen auch bei Modellen, bei denen ein Teil der Einnahmen pauschal und ein anderer Teil per Reduzierung der Strompreisaufschläge zurückgegeben wird. Immer zeigt sich, mehr oder weniger ausgeprägt, eine Tendenz zur Vergleichmäßigung der Einkommen. Schwierig sind Pendler mit Auto und weiten Wegen. Dass eine Steuer zugunsten des Klimaschutzes ohne Probleme zugunsten einer sozialen Vergleichmäßigung ausgestaltet werden kann, ist ein wichtiger Punkt.

Unzureichende Marktwirksamkeit: die Schwäche der CO₂-Bepreisung

Eine CO₂-Steuer ist – ebenso wie ein Zertifikatesystem – eine marktwirtschaftliche Maßnahme, also ein Mittel der Wirtschaftspolitik, die den marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht widerspricht. Kern der Marktwirtschaft ist, wenn sich die Preise frei bewegen und dadurch den Ausgleich von Angebot und Nachfrage bewirken können. Eine Verbrauchssteuer ist hier ein Kostenblock, der die freie Preisbewegung nicht hemmt. Nicht marktwirtschaftsfromme energiepolitische Regelungen sind etwa Wärmeschutzvorschriften, Höchstverbräuche bei Fahrzeugen, das Verbot neuer Atomkraftwerke: also Gebote und Verbote. Damit werden Marktvorgänge verboten, etwa der Verkauf eines Hauses mit unzureichender Wärmedämmung.

Der zentrale Glaubenssatz der Markttheoretiker ist, dass freie Märkte, freie Preisbewegungen die beste Wirtschaftsform bilden, um Bedürfnisse kosteneffizient (mit geringsten volkswirtschaftlichen Kosten), optimal (bestmögliche Versorgung) und stabil zu befriedigen. Die CO₂-Steuer müsste nur hoch genug ausfallen, eine Dekarbonisierung wäre dann jedenfalls effizient und optimal erreichbar.

Angesichts der offensichtlich nur sehr bescheidenen Minderungs-Wirksamkeit einer CO₂-Steuer lohnt es sich, reale Märkte und Marktbedingungen genauer anzusehen. Hierzu ist es sinnvoll, zwischen zwei unterschiedlichen Typen zu differenzieren:

  • Märkte für Zwischen-, Vorleistungs-, Investitionsgüter: Sie dienen zur Beschaffung von Waren, um schließlich ein angestrebtes Endprodukt für den Endkonsum zu fertigen. Es sind Märkte, auf denen es nur um eine rationale, rein kostenorientierte Beschaffung notwendiger Güter geht.
  • Märkte von Endverbrauchs(Konsum-)gütern, bei denen es weniger um Kostenminimierung geht, sondern in erster Linie um Bedürfnisbefriedigung (um “Freude am Fahren”).

Auf den ersteren, den rein kostenorientierten Märkten, sollte – in einfach strukturierten Fällen – ein CO₂-Preis gute Wirkung entfalten. Etwa im Bereich des Kohlestroms versus Erdgasstrom und Regenerative. Hier ist es offensichtlich, dass ein ausreichend hoher CO₂-Preis zur Schließung von Kohlekraftwerken zugunsten längerer Laufzeiten von Gaskraftwerken (es gibt erhebliche freie Kapazitäten) und längerfristig zum intensivierten Bau von Windanlagen etc. statt der Aufschließung neuer Kohlegruben führen sollte. Allerdings ist das EU-Zertifikatesystem seit 15 Jahren so miserabel und unzureichend angelegt, dass die sich ergebenden viel zu niedrigen und wirkungslosen CO₂-Preise diesen Umschwung bislang eben nicht bewerkstelligt haben. Wäre der Zertifikatepreis so hoch und hätte er eine solche Entwicklung genommen, wie vor 15 Jahren geplant, geschätzt, erhofft, dann wäre der Kohleausstieg heute sicherlich zum größten Teil längst vollzogen.

Fast überall aber ist die Frage nach der Rentabilität einer CO₂-Reduzierung angesichts eines (ggfs. steigenden) CO₂-Preises sehr viel schwieriger zu beantworten. So stellte beispielsweise das Umweltbundesamt fest, dass “innerhalb von zehn Jahren zusätzlich (!) insgesamt 100 TWh/Jahr an Strom gegenüber dem Trend prinzipiell wirtschaftlich (!) eingespart werden könnten” (Uba 2016). 100 TWh Einsparung (ein Sechstel des bundesdeutschen Verbrauchs), die rentabel ist, aber dennoch nicht durchgeführt wird, weil simples Marktversagen dominiert. Diese Unfähigkeit der Marktwirtschaft, der Marktteilnehmer, rentable Energieeinsparmöglichkeiten zu erkennen und durchzuführen, ist ein völlig normales und weit verbreitetes Phänomen, nicht nur beim Strom, festgestellt in vielen Untersuchungen. Umgekehrt gibt es auch Berichte, nach denen viele der tatsächlich vorgenommenen umweltbezogenen Investitionen sich als wirtschaftlich nicht rentabel erwiesen.

Die Generalursache sind die Schwierigkeit und der Aufwand, entsprechende Informationen über die möglichen Einsparmaßnahmen zu erhalten. Das betrifft deren Art und Wirkung, Vorteile und Nachteile sowie die Begleitumstände, die Unsicherheit über die künftige Preisentwicklung von Brennstoffen, von Strom, der CO₂-Steuersätze, von Substitutionsgütern (Wärmedämmung, E-Autos, Solaranlagen usw.), und schließlich auch die Unsicherheit über die künftige Technikentwicklung.

Das steht gegen die Voraussetzung einer unbegrenzten, also kostenlosen, aufwandslosen und vollkommenen Informationsverfügbarkeit, die die Theorie braucht, um die Effizienz der Märkte zu beweisen. Wirkliche Märkte reagieren viel zögerlicher, abwartender als der Lehrbuch-Dogmatismus vorgibt. Wirkliche Märkte funktionieren anders, holprig und massiv defizitär statt effizient. Kein Wunder, dass der CO₂-Preishebel enorme Wirkungsdefizite aufweist im Vergleich zu den klimapolitischen Notwendigkeiten.

Beim zweiten Markttyp, den Konsumgütermärkten, geht es weniger um rationale Rentabilitätsaspekte, sondern um Bedürfnisbefriedigung, um Nutzen, um Emotionen. Hier kommt dann ein ganz anderes Kriterium zum Tragen: Mag auch ein Einkommensarmer ebenso viel “Freude am Fahren” haben wie ein Reicher, so wird er doch anders, und zwar sehr viel intensiver, auf CO₂-Steuer-bedingte Preisverschiebungen reagieren als der Reiche. Für die Kaufentscheidung und damit für die Wirksamkeit eines CO₂-Aufschlages spielt das Einkommen eines potentiellen Nachfragers eine sehr wichtige Rolle. Bei Armen, die ihr komplettes Einkommen (und oft mehr) für ihren Konsum verausgaben (müssen), stellen höhere Kosten aufgrund der CO₂-Steuer ein Problem dar: Sie müssen reagieren, irgendwo einsparen, am ehesten bei den teurer gewordenen Energien. Genau so soll die Steuer ja auch wirken. Bei den Reichen dagegen, bei denen die Sparquote 20 % oder 30 % beträgt, sind CO₂-Steueraufschläge eine unwichtige Kleinigkeit. Das heißt aber, die Reaktion der Reichen auf Preisänderungen fällt sehr viel schwächer aus als die der Armen. Allerdings gibt es konkret zur unterschiedlichen Preiselastizität von Reichen und Armen, also zu ihrer jeweils unterschiedlichen Reaktion auf Preisänderungen, sehr wenige empirische Untersuchungen.

Unabhängig von diesen Analyseschwierigkeiten wäre es offensichtlich wichtig, den Konsum der wohlhabenden Haushalte mindestens ebenso stark zu beeinflussen, wie es die CO₂-Abgabe bei den ärmeren Haushalten bewerkstelligt. Immerhin entfallen auf das reichste Einkommensfünftel 36 % aller Emissionen, auf das ärmste weniger als 8 %. Zugespitzt: Wenn das ärmste Fünftel im Zuge einer ordentlichen CO₂-Abgabe seine wenigen SUVs verkaufen muss, das reichste Fünftel aber, weil viel höhere finanzielle Ressourcen verfügbar sind, seine sehr viel zahlreicheren SUVs behalten kann und wird, dann wirkt die CO₂-Abgabe hier nur höchst unvollkommen im Sinne des Klimaschutzes.

Fazit: Der Preis erweist sich als ein höchst unzureichendes Lenkungsinstrument, wenn die Gesellschaft sehr ungleich ist.

Wie geht’s weiter?

Eine CO₂-Steuer wird sicherlich in der einen oder anderen Form kommen. Und es ist auch richtig, in einem Wirtschaftssystem, in dem wirtschaftliche Aktivitäten ausschließlich nur dann durchgeführt bzw. unterlassen werden, wenn sie privat nützlich oder rentabel bzw. unrentabel sind, verheerend schädliche Aktivitäten richtig teuer zu machen. Die große und wichtige Frage ist nun, was weiterhin passieren wird. Ist die CO₂-Steuer der Höhepunkt und Endpunkt der Klimapolitik – CO2-Steuer oder besser noch Emissionshandel ist das Beste oder Alleinige, was die Markttheoretiker empfehlen (siehe “Das Emissionshandelssystem der EU” – oder ist sie der Ausgangspunkt zu einem Vorgehen, das die unendliche Langsamkeit und Trägheit der bisherigen Klimapolitik hinter sich lässt.

Nach der CO₂-Steuer beschleunigt weiter Richtung Klimaschutz!

Wenn die Emissionsbesteuerung der Einstieg in eine forcierte Klimaschutzpolitik ist, dann könnte man wichtige Folgeschritte vielleicht in drei Aktionsbereiche zusammenfassen.

Der marktwirtschaftliche Preishebel darf nicht ignoriert werden. Im Gegenteil, man muss ihn nutzen und effizient einsetzen:

  • Es wäre völlig verkehrt, begleitend zur CO₂-Steuer den Strompreis zu senken durch die Reduzierung der Aufschläge, solange der Ausstieg aus dem Kohlestrom nicht vollzogen ist. Preissenkung bedeutet Mehrverbrauch, das bedeutet späterer Ausstieg, und das wiederum heißt mehr Kohlestrom. Ein E-Auto mit Kohlestrom ist klimaökologisch nicht besser als ein Diesel-Verbrenner.
  • Analog zur CO₂-Steuer müsste im ETS-System ein Mindestpreis eingeführt werden, der den Ausstieg aus der Kohle und den Aufschwung der regenerativen Stromerzeuger stark beschleunigt. Die EU verweigert sich seit Jahren dieser Forderung.
  • Im Bereich der Industrie brauchen wir andere Preisstrukturen. Statt extrem niedriger Preise (vor allem, aber nicht nur, für Strom) für industrielle Größtverbraucher brauchen wir als Anreiz zur Umstellung auf emissionsärmere Produkte und Verfahren sehr viel höhere Preise, vielleicht eine Verfünffachung. Alternativ müssen die ökologisch am wenigsten schädlichen Verfahren vorgeschrieben werden. Einer Abwanderung in ökologisch nicht strenge Länder und dem Import aus solchen Ländern (so genannte Carbon leaks) kann man mit einem Verfahren wie mit dem MWSt-Ausgleich beim Grenzübertritt begegnen.
  • Der internationale Handel muss viel stärker reglementiert werden, der bizarre Unfug von Transporten von Halbfabrikaten quer durch die Erdteile, um den Kostenvorteil eines kleinen Verarbeitungsschrittes irgendwo mitzunehmen, muss beendet werden. Der erste (aber sicher nicht ausreichende) Schritt könnte eine massive Verteuerung der Transportkosten sein. 2017 wurden 1050 Millionen Tonnen Waren über die deutschen Grenzen (rein plus raus) transportiert, 13 Tonnen pro deutschen Bürger. Ein ungeheurer Transportirrsinn. Hier geht es nicht nur um das Klima, sondern auch um andere Schadstoffemissionen, um Landschaftszerstörung, um Verkehrstote.

Ein starker öffentlicher Wirtschaftssektor muss aufgebaut werden. Unser Wirtschaften muss umorientiert werden, weg vom Konkurrenzzwang und den Zwang zur privaten Profitmaximierung, hin zu einem Wirtschaften auf der Basis demokratisch und gemeinsam gefasster Beschlüsse bei vorrangiger Orientierung am Gemeinwohl, an den gemeinsamen Interessen der Gesellschaft:

  • Kern der Umgestaltung sollten die Stadtwerke als öffentliche, demokratisch kontrollierbare, am Gemeinwohl statt am Gewinnmaximum ausgerichtete Unternehmen sein; sie müssen die Kompetenzzentren werden für die Energiewende; Stadtwerke-Zusammenschlüsse übernehmen die Funktionen der Energiekonzerne (Energieimporte, große Speicher, große Kraftwerke, nationale Verteilung, Forschung).
  • Der kommunale Wohnungsbau muss massiv ausgeweitet werden: Viele und energetisch vorbildliche Wohnungen müssen gebaut werden bzw. modernisiert. Ein hoher Anteil gemeinwirtschaftlicher Wohnungen senkt das Mietpreisniveau und erlaubt eine forcierte Durchsetzung ökologisch guter Standards.
  • Die Verkehrswende in Konzernhand führt zu drei Tonnen schweren Batterieautos. Sie muss in die öffentliche Hand gelegt werden. Kommunen und ihre Verbände müssen die Dominanz in der Gestaltung des künftigen Verkehrswesens haben (ÖPNV, Carsharing usw.).
  • Die staatliche Forschungstätigkeit (Windanlagen, Speicher, Batterien, Power-to-Gas usw.) muss ausgeweitet werden, inhaltlich gelenkt nicht nach Konzernbedürfnissen, sondern nach demokratisch beschlossenen Zielen. Die Ergebnisse dürfen nicht mehr an die Konzerne verschenkt werden, wie das etwa bei Atom und Kohle jahrzehntelang der Fall war, sondern die Ergebnisse müssen in den eigenen (z.B.) Stadtwerke-Zusammenschlüssen verwertet werden, und können dann auch günstig an arme Länder weiter gegeben / verschenkt werden, damit auch dort qualifizierte Klimaschutztechnik verfügbar ist.

Luxuswirtschaft, individuell und gesellschaftlich: Die hier und weltweit ungleiche Verteilung der Lebenschancen (künftig durch den Klimawandel noch ungeheuer verschärft) und der blinde Wachstumswahn müssen abgebaut und beendet werden. Wir müssen eine Art klimavernünftigen Lebenswandel finden, ein Gutes-Leben-für-Alle.

  • Luxusproduktion, ein riesiges, ausuferndes Gebiet: Zugespitzt geht es letztlich um das Recht des Porschefahrers auf Freiheit oder des Reiselustigen auf bedingungslose Flugreisen gegen das Recht der Vielen auf eine auch künftig lebenswerte Umwelt. Atmosfair alleine ist zu wenig. Wir sollten die Firma Porsche beenden (desgleichen auch die Produktion von mehreren Tonnen schweren überdimensionierten E-Autos) und das Recht auf Flugreisen kontingentieren. Das wäre der Anfang einer Diskussion über die Notwendigkeit von Luxusprodukten in einer ökologisch immer fragiler werdenden Welt.
  • Unproduktive Wirtschaft, ein gesellschaftlicher Luxus, den wir loswerden müssen: Jenseits der individuellen Luxusfrage geht es um Wirtschaftsgruppen wie die Werbewirtschaft, die Finanzanlagenberater, den überbordenden Bereich der Wirtschaftsrechtsanwälte und Steuerberater, die Interessenvertreter und Lobbyisten, die Animateure der Wegwerfmentalität usw.: All das ist im Marxschen Sinne unproduktiv, diese Aktivitäten schaffen nicht wirklich gesellschaftlichen Reichtum, sie kümmern sich nur um die Verteilung der geschaffenen Werte bzw. des erzielten Einkommens. Aber sie emittieren, nicht zu knapp, Treibhausgase.

Quellen & Weiterführendes

Bei dem Artikel handelt es sich um eine gekürzte Wiedergabe des gleichnamigen Artikels in Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Heft 119, September 2019.