Die Süddeutsche Zeitung bringt am Tag nach dem G7-Gipfel auf der ersten Seite ein großes Bild von Merkel in scheinbar intensiver Diskussion mit Obama vor der pittoresken Alpenkulisse in Elmau und dazu den Aufmacher „Abschied von Kohle, Öl und Gas. Der G7-Gipfel kündigt eine neue Ära an: Um die Erderwärmung zu stoppen, versprechen die Staaten für die nächsten Jahrzehnte einen Radikalumbau der Energiegewinnung.“ Die SZ schrieb: „Sicher vieles bleibt unverbindlich, aber, dass die großen 7 überhaupt ernsthaft über eine kollektive Energiewende diskutiert haben, ist ein Erfolg der deutschen Präsidentschaft….“ An anderer Stelle heißt es, Merkel habe sich zum Thema Klimaschutz zurückgemeldet und Obama brauche vorzeigbare Erfolge für sein politisches Ende und Präsident Hollande weiß, ohne verbindliche Ziele wäre sein Gipfel in Paris schon jetzt zum Scheitern verurteilt. Es sei ein Durchbruch erzielt worden, indem die G7-Länder das 2°C-Ziel bestätigt hätten. Dabei ist dieses im Laufe der letzten 20 Jahre schon x-mal bekräftigt worden…., leider immer ohne reale Maßnahmen und Fortschritte…
Die G7-Staaten wollen laut SZ das Zeitalter der fossilen Energie beenden, es wird von der „Dekarbonisierung der Weltwirtschaft im Laufe dieses Jahrhunderts“ gesprochen. Eine Dekarbonisierung, d.h. ein radikaler Abschied von Kohle, Öl und Gas, wäre in der Tat genau das Richtige für den Klimaschutz, es fehlen jedoch ambitionierte konkrete Schritte und überhaupt ist das, wie viele wissen, keine Aufgabe, die bis zum Ende des Jahrhunderts warten kann. Denn die Treibhausgas-Emissionen erreichen weiter ungebrochen einen Höchststand nach dem anderen und das alles trotz inzwischen schon seit 1990 bekannten Tatsachen, die sich mit jedem Jahr wissenschaftlich immer mehr erhärten und durch nach und nach zunehmende Klimakatastrophen „veranschaulicht“ werden…
In Wirklichkeit betreiben die G7-Staaten nach wie vor sowohl national wie international eine Verweigerungs- und Verzögerungs¬haltung, was eine konsequente und notwendige Klimaschutzpolitik betrifft – hier seien nur einige wenige Beispiele der traurigen Bilanz genannt: USA und Kanada fördern das besonders umwelt- und klimaschädliche Fracking und die Teersandölgewinnung, und die Exploration neuer Ölquellen überall auf der Erde und nun sogar in der Arktis wird massiv gefördert, Deutschland als angebliches Klimaschutzmusterland ist konsequent dabei, die einmal positive Energiewende abzuwürgen und verzeichnet seit Jahren wieder Rekorde in der besonders schlimmen Braunkohle-Verstromung und damit auch bei seinen CO2-Emissionen. In Japan sind die CO2-Emissionen seit 1990 kontinuierlich angestiegen. Lediglich in Frankreich, Italien und England ist neben Deutschland eine gewisse Verringerung der CO2-Emissionen seit 1990 zu verzeichnen. Insgesamt aber haben die G7-Länder in 2013 sogar mehr CO2 ausgestoßen als im Jahr 1990.
Aber noch viel verheerender und dramatischer für die G7-Staaten wird die Betrachtung der Realität der globalen Klimapolitik, wenn man einen kaum bezweifelbaren globalen (Klima-) Gerechtigkeitsansatz als Maßstab zugrunde legt: Danach haben die Industriestaaten und von ihnen vor allem die G7-Staaten schon weit über das ihnen jeweils nach ihrer Bevölkerung zustehende Maß an CO2-Emissionen hinaus gewirtschaftet und zwar auf Kosten der übrigen Länder auf der Erde. Dies gilt selbst schon dann, wenn die CO2-Emissionen nur ab 1990 – nicht ab Beginn der Industrialisierung – angerechnet werden.
Diese sehr ungemütliche Tatsache des „über die Verhältnisse Lebens“ wurde auf dem G7-Gipfel mit keinem Wort erwähnt, deshalb ist er auch für die kommenden Verhandlungen in Paris und danach ein wirklich schlechtes Signal für die Schwellen- und Entwicklungsländer…. Sie können in keiner Weise auf diese „Wertegemeinschaft“ und deren Gerechtigkeitsempfinden hoffen, selbst bei einem objektiv so unbestreitbaren Phänomen wie dem anthropogenen Klimawandel, bei dem das Bild sicher angebracht ist, dass wir alle auf dieser Erde eigentlich „in einem Boot sitzen“ und achtsam und solidarisch miteinander umgehen sollten.
Man kann dieses „über die Verhältnisse Leben“ auch durch finanzielle Schulden ausdrücken, wenn man für 1 t CO2 einen Wert von 40 $ ansetzt, was wohl nicht übertrieben ist, eher untertrieben, wenn man auch künftige Schäden berücksichtigt. Bei einer solchen Betrachtung ergibt sich für die G7-Staaten eine sogenannte “Klimaschuld“ rückwirkend für die Zeit von 1990 bis 2013 von fast unglaublichen 4,5 Bill.$ und ab 2014 Klimaschulden von fast 360 Mrd.$ pro Jahr. Finanzen in dieser Größenordnung schulden die G7-Staaten also vor allem den Entwicklungsländern
Jede Finanzierung, die diese grundlegende Realität der Klimaschulden vieler Industrieländer (auch nicht G7-Länder wie z.B. Russland, Süd-Korea und Australien, dann auch Saudi Arabien) verschweigt und auf dem “Prinzip Almosen“ der reichen Länder gegründet ist, dient der weiteren Ausbeutung der Aufnahme- und Regenerationskapazität der gemeinsamen globalen Atmosphäre auf Kosten der Entwicklungs- und Schwellenländer.
Ein Finanzierungsangebot in Höhe von 10 Mrd $, das oft auch noch aus der Umwidmung von Entwicklungs-“Hilfe“-Gelder besteht, ist lächerlich und eine Beleidigung vieler Länder, die schon heute Klimaopfer sind. Die Inaussichtstellung eines grünen Klimafonds von 100 Mrd $ pro Jahr, und das auch erst ab 2020 und in einer völlig nebulösen Mischung aus staatlichen “Hilfs“-Geldern mit irgendwelchen privaten Finanzmitteln ist ebenfalls eine Beleidigung all der Länder, auf deren Kosten immer weiter CO2 zum gemeinsamen Schaden der ganzen Menschheit emittiert wird.
Die einzig angemessene Form der Reaktion der Schwellen- und Entwicklungsländer wäre die gemeinsame Forderung, als Basis aller zukünftigen Klimaverhandlungen (auch schon in Paris) das Prinzip der Klimagerechtigkeit auf der Basis eines aus der Klimawissenschaft sehr wohl bekannten globalen Gesamt-Budgets zugrunde zu legen.
Die Schwellen- und Entwicklungsländer sollten sich im Rahmen der UN darauf einigen, dass Klimaverhandlungen nur dann Sinn machen, wenn auch die Industrieländer zunächst diese Art der Betrachtung und Berechnung und am Ende ihre Klimaschulden akzeptieren. Die globale Klima- und Umweltbewegung sollte die Entwicklungs- und Schwellenländer bei diesem Kampf unterstützen und antreiben. Dieser internationale Kampf um Klimagerechtigkeit steht nicht im Widerspruch zu nationalen und regionalen Kämpfen um einen ambitionierteren Klimaschutz in Richtung Dekarbonisierung – aber nicht erst bis 2100, sondern schon viel früher. Beides muss sich ergänzen, wie dies z.B. auch Naomi Klein eindrucksvoll in ihrem neuen Buch (“Kapitalismus vs Klima“) beschreibt.
Alle weiteren Verhandlungen um die Ausgestaltung eines UN-Klimafonds (in der Größenordnung von über 500 Mrd $ pro Jahr) und z.B. um die Frage der Ermöglichung eines alternativen Entwicklungsweges der Energieversorgung und des Verkehrs, wie auch der Anpassung an den Klimawandel und eine gewisse Hilfe bei Katastrophen durch Versicherungen sind erst nach einer grundlegenden Verständigung auf den o.g. Klimagerechtigkeits-Grundsatz sinnvoll. Im jetzigen Stadium dienen solche Themen eher der Ablenkung von dem Problem der grundsätzlichen Betrachtungs- und Sichtweise oder schlimmer noch – sie sind Einfallstore für weitere kapitalistische Spekulationsfelder.
Leider muss man zusammenfassen, dass die Inszenierung der Show von Elmau im Bereich Klimaschutz der unabweisbaren Notwendigkeit eines echten globalen Klimaschutzes nicht gerecht geworden ist und dass die Selbstbeweihräucherung als Wertegemeinschaft eine schlimme Art der Lüge und der Volksverdummung ist, die leider von der westlichen Mainstream-Medienwelt mitgemacht, ja sogar befeuert wurde.