Einige Aspekte des Corona-Krisenmanagements in China und Deutschland

Am 3. April zeigte die Tagesschau den obersten deutschen Corona-Krisenmanager beim Schaulaufen im Auslieferungslager eines Herstellers von Schutzmasken. Originalton des Gesundheitsministers: „Wir stehen am Anfang der Epidemie. Und wir stehen am Anfang der Maskenbeschaffung“. Holla! Das kann doch nicht wahr sein! Seit einem Vierteljahr weiß Spahn, dass eine Epidemie in China ausgebrochen ist, die das Zeug zur Pandemie hat und erst jetzt beginnt er mit der staatlichen Maskenbeschaffung.

Am 31. Dezember 2019 meldete China an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und an ihre Mitgliedsstaaten – auch an Deutschland und die USA – Fälle von schweren Pneumonien, deren Erreger noch nicht identifiziert sei. Wenige Tage später war der Erreger als ein neues Corona-Virus entziffert und erhielt die Bezeichnung Covid-19. Auch diese Entdeckung wurde sofort an die WHO weitergeleitet. Der Virologe Gerd Sutter, Lehrstuhlinhaber des Instituts für Infektionsmedizin an der LMU: „Wir hatten das Glück, dass wir von den Kollegen aus China schon sehr früh die Genomsequenz des neuen Coronavirus bekommen haben. Mehr als diesen Datensatz brauchen wir nicht, um am Rechner die spezifische Geninformation aus Sars-CoV-2 so zu redesignen, dass sie an das Impfvirus angepasst ist und verlässlich für das Ziel-Antigen codiert.

Auch über die Ausbreitungsgeschwindigkeit und damit die Infektionsintensität des neuen Virus musste der Gesundheitsminister informiert sein. Doch Spahn juckte das alles nicht. Er glaubte offenbar, dass das Virus einen Bogen um Europa und Deutschland mache. Zudem redete er die Gefahr, die von dem neuen Erreger ausging, klein. Ende Januar, als in China die Fallzahlen geradezu explodierten – am 26. Januar registrierte man bereits 2744 infizierte Personen und 80 Tote, verkündete der Gesundheitsminister der staunenden Öffentlichkeit, das Corona-Virus sei nicht gefährlicher als das Grippe-Virus, der Verlauf bei einer Infektion sei milder. Am 26. Februar – Aschermittwoch, also nach Karneval – stellte der Ungesundheitsminister dann fest: „Die Epidemie ist ausgebrochen“!

Auch die chinesischen Behörden hatten anfangs offenbar geschludert, die Situation falsch eingeschätzt und sogar vertuscht und dadurch wertvolle Zeit verloren. Sie zahlten einen hohen Preis dafür. Zugutehalten muss man ihnen, dass es sich um ein bis dahin unbekanntes Virus handelte, das zudem weitgehend die gleichen Symptome aufwies, wie das Grippe-Virus. Jedes Virus habe seinen eigenen Stil, sagt der renommierte Virologe und Mit-Entdecker des Sars-Virus Christian Drosten. Den des Covid-19-Erregers hätten er und viele andere Wissenschaftler anfangs falsch eingeschätzt. „Mein Denkmuster war ganz klar: Sars“.

Als der chinesischen Regierung der Ernst der Lage klar wurde, reagierte sie schnell und konsequent. Tedros Adhanom Ghebreyesus kommentierte bereits Ende Januar die von China ergriffenen Schutzmaßnahmen mit den Worten „mehr kann man nicht fordern“. Und einige Tage später: „Das Land hat Großartiges geleistet“. Er bedankte sich bei den Menschen in Wuhan für ihren solidarischen Geist. Was sie täten schütze nicht nur ihren Staat, sondern auch die anderen Orte in der Welt.

Der renommierte Physiker Yaneer Bar-Yam vom Neu-England Institut für komplexe Systeme: „Die chinesische Regierung hat es geschafft, die Krankheit binnen eines Monats unter Kontrolle zu bringen. Das ist ein dramatischer Erfolg. Allerdings hat das Land zunächst die Schwere der Krankheit nicht erkannt und Nachrichten unterdrückt“.

WHO: „China hat der Welt Zeit verschafft“

Im Februar schickte die WHO ein 25-köpfiges internationales Expertenteam für neun Tage (16.-24.Februar) nach China. Ihm gehörten Wissenschaftler aus acht Ländern an: Deutschland, Japan, Nigeria, Russland, Singapur, USA und China; es stand unter der Leitung des Kanadiers und Epidemologen Bruce Aylward von der WHO. Die Virusausbreitung hatte während der Anwesenheit des Teams in China ihren Höhepunkt erreicht. Auf einer Pressekonferenz am 24. Februar legte die WHO-Mission ihren Bericht vor: Report of the WHO-China Joint Mission on Coronavirus Disease 2019 (Covid-19). Die zentrale Einschätzung des Inspektorenteams bezüglich der chinesischen Maßnahmen:

Angesichts eines bisher unbekannten Virus hat China die vielleicht ehrgeizigsten, agilsten und aggressivsten Bemühungen zur Eindämmung der Krankheit in der Menschheitsgeschichte unternommen (…) Die bemerkenswerte Geschwindigkeit, mit der chinesische Wissenschaftler und Experten des öffentlichen Gesundheitswesens das verursachende Virus isolierten, Diagnosewerkzeuge einführten und wichtige Übertragungsparameter wie Verbreitungsweg und Inkubationszeit bestimmten, lieferte die entscheidende Beweisgrundlage für die Strategie Chinas und gewann unschätzbare Zeit für die Reaktion.

Bemerkenswert ist auch folgender Passus:

Die außergewöhnliche Abdeckung und Einhaltung der Eindämmungsmaßnahmen durch China war nur möglich, weil sich das chinesische Volk angesichts dieser gemeinsamen Bedrohung zu kollektiven Maßnahmen verpflichtet hat. Auf kommunaler Ebene spiegelt sich dies in der bemerkenswerten Solidarität der Provinzen und Städte zur Unterstützung der am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen und Gemeinschaften wider. Trotz der anhaltenden Ausbrüche in ihren eigenen Gebieten haben die Gouverneure und Bürgermeister weiterhin Tausende von Mitarbeitern des Gesundheitswesens und Tonnen lebenswichtiger PSA-Lieferungen (Persönliche Schutzausrüstung) in die Provinz Hubei und die Stadt Wuhan geschickt… Das chinesische Volk hat die starken Eindämmungsmaßnahmen akzeptiert und sich darangehalten – sei es die Aussetzung von öffentlichen Versammlungen, die einmonatigen „Bleib zu Hause“-Ratschläge oder Reiseverbote“. (…) Darüber hinaus hat die in China erreichte Reduzierung der Covid-19-Infektionsrate auch eine bedeutende Rolle zum Schutz der Weltgemeinschaft und bei der Schaffung einer stärkeren ersten Verteidigungslinie gespielt. Die Eindämmung dieses Ausbruchs hat China und seine Bevölkerung jedoch sowohl in menschlicher als auch in materieller Hinsicht große Kosten und Opfer gekostet.

Die Experten stellen fest, dass die Welt dringend Chinas Erfahrungen bei der Reaktion auf Covid-19 brauche, sie sind jedoch skeptisch im Hinblick auf die Umsetzung:

Ein Großteil der Weltgemeinschaft ist gedanklich und materiell jedoch nicht bereit, die Maßnahmen umzusetzen, die zur Eindämmung von Covid-19 in China eingesetzt wurden. Dies sind die einzigen Maßnahmen, die derzeit nachweislich die Übertragungsketten beim Menschen unterbrechen oder minimieren. Grundlegend für diese Maßnahmen sind eine äußerst proaktive Überwachung zur sofortigen Erkennung von Fällen, eine sehr schnelle Diagnose und sofortige Isolierung der Fälle, eine strenge Verfolgung und Quarantäne enger Kontakte sowie ein außergewöhnlich hoher Grad an Verständnis und Akzeptanz dieser Maßnahmen in der Bevölkerung. Die Erreichung der hohen Qualität der Umsetzung, die für den Erfolg dieser Maßnahmen erforderlich ist, erfordert eine ungewöhnliche und beispiellose Geschwindigkeit der Entscheidungsfindung durch die oberste Führung, operative Gründlichkeit der öffentlichen Gesundheitssysteme und das Engagement der Gesellschaft.

Bei der abschließenden Pressekonferenz sagte Bruce Aylward: „Den Menschen in Wuhan möchte ich sagen, dass die Welt in ihrer Schuld steht. Wenn diese Epidemie zu Ende ist, werden wir hoffentlich die Chance haben, den Menschen in Wuhan für die Rolle zu danken, die sie gespielt haben“. Und: „Wegen dieses aggressiven Vorgehens Haben Hunderttausende Menschen in China Covid-19 nicht bekommen“.

Der deutsche Virologe Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie, bei der Berliner Charité konstatiert: China habe der Welt „sicher mehrere Wochen Zeit verschafft, und zwar durch einen heroischen epidemologischen Akt“.

Der Bericht der Joint Mission gibt 22 Empfehlungen zur Kontrolle von Covid-19 für betroffene und nicht betroffene Länder.

Die chinesische Strategie griff. Ihre Kernelemente:

  • testen, testen, testen,
  • Nachverfolgung der Ansteckungsketten,
  • konsequente und umfassende Quarantäne – einschließlich der Betriebe, denen Ende Januar der shut-down verordnet wurde,
  • vorübergehende Kappung von Reisen und der personellen Kontakte zum Ausland,
  • Verbesserung der medizinischen Versorgung durch Erhöhung der Krankenhauskapazitäten, Intensivbetten, Beatmungsgeräte. Die Produktion wurde durch staatliche Anordnung binnen kürzester Zeit hochgefahren. In Wuhan wurden 17 Notkrankenhäuser eingerichtet; zwei davon binnen zwei Wochen komplett neu gebaut. In kürzester Zeit hat die chinesische Regierung 40.000 Ärzte und anderes medizinisches Personal nach Wuhan geschickt, um die Epidemie in Griff zu bekommen,
  • ausreichend Schutzkleidung und Atemschutzmasken primär für das klinische und medizinische Personal. Hochwertige FFP2-Masken für das medizinische Personal. Das Tragen, von zumindest einfachen Schutzmasken, muss man den Chinesen nicht erst vorschreiben,
  • und last but not least: Umschulung von medizinischem Personal auf Intensivmedizin.

Auch andere südostasiatische Länder wie Südkorea, Japan, Vietnam, aber auch die kapitalistisch geprägte chinesische Provinz Taiwan, haben die Erfahrungen der Sars-Pandemie 2002/03 nicht vergessen und sofort entsprechende Vorkehrungen und Maßnahmen getroffen, als die Corona-Epidemie in China ihren Anfang nahm.

Die Fallzahlen in Südostasien sind signifikant niedriger als in Westeuropa oder den USA. In China hatte die Pandemie Ende Februar mit ca. 80.000 Infizierten, davon 90% in der Provinz Hubei (dort vor allem in Wuhan) den Höhepunkt erreicht. Seitdem verläuft die Kurve in etwa waagrecht. Aktuell infiziert waren am 10. April (Karfreitag) nur noch 1.800 Personen.

Staatsautorität statt autoritärer Staat

Im Westen wird oft darüber gerätselt, mit welcher Akzeptanz und Disziplin Chinesen staatliche Anordnungen befolgen, wie es auch im Bericht der WHO-Joint Mission hervorgehoben wird. Das wohl gängigste Erklärungsmuster benennt dafür die Furcht vor der autoritären Gewalt des Staates und das Fehlen demokratischer Rechte westlichen Zuschnitts. Der Einzelne habe keine individuellen Freiheitsrechte gegenüber dem übermächtigen Staat, müsse gehorchen und sich anpassen.

Meines Erachtens ist das zu gegriffen. Eine Erklärung könnte doch auch sein, dass die Chinesen in der VR China ihrem Staat ein größeres Grundvertrauen entgegenbringen. Ein Vertrauen, das aus der jahrzehntelangen aktiven Sozialpolitik der chinesischen Regierung resultiert. Es war der Staat, der zusammen mit der KP seit 1978 mit der Reform- und Öffnungspolitik einen ununterbrochenen und beispiellosen Aufstieg des Landes organisiert hat. Diese Politik hat zu einer kontinuierlichen Verbesserung des Lebensstandards geführt, durch die Schaffung von jährlich 15 – 18 Millionen Arbeitsplätzen Massenarbeitslosigkeit vermieden, hat 800 Millionen Chinesen aus der Armut befreit, hat die Urbanisierung hunderter Millionen Dorfbewohner ermöglicht. Und sie hat globale Krisen, wie die Finanzkrise gemeistert und die ökologische und Klimaproblematik in Angriff genommen.

Dadurch hat der Staat bei seinen Bürgern an Autorität gewonnen, werden seine Anordnungen akzeptiert, auch in Bezug auf das Krisenmanagement. Der chinesische Staat genießt ein hohes Grundvertrauen, kann aber auch umgekehrt auf die Disziplin der Bevölkerung vertrauen.

Dieses Vertrauen lässt sich sogar quantifizieren: Jährlich wird von der US-amerikanischen Kommunikationsagentur Edelmann das globale „Trust Barometer“ aufgestellt und ausgewiesen, zuletzt im Januar 2020. Dabei steht China bei dem Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung (Trust in Government) einsam an der Spitze aller Länder. 90% der Chinesen haben Vertrauen in ihre Regierung, ein Plus von 4% gegenüber dem Vorjahr. Deutschland fällt mit einem Vertrauen von 45% – also weniger als die Hälfte – bereits unter die Kategorie „distrust“, noch schlechter die USA mit 39%.

USA und Westeuropa, die globalen Epizentren der Pandemie

Osamah Hamouda, Abteilungsleiter Epidemiologie am Robert-Koch-Institut, hatte schon bei der Veröffentlichung des Berichts der WHO-Joint Mission zu bedenken gegeben: In Deutschland werde es „nicht annähernd möglich sein, Maßnahmen wie in China durchzuführen“. Und: „Wenn die ganze Welt wie China wäre, dann bin ich mir sicher, dass wir die Epidemie eindämmen können“.

So aber dürften Westeuropa und die USA ihre Seuchen-Kulminationspunkte erst noch vor sich haben. Der Anstieg ist beängstigend. Am 24. Februar, als die WHO-Mission ihre Pressekonferenz abhielt, waren in Deutschland 16 Infizierte gemeldet, in Italien immerhin schon 229 und in den USA erst 53, und das bei sicherlich hohen Dunkelziffern.

Jetzt am 10. April (Karfreitag) sind es in Deutschland 118.000, in Italien 144.000 und in den USA bereits 466.000 (alle Zahlen nach John-Hopkins Universität). Noch düsterer wird das Bild, wenn man die Zahlen in Relation zur jeweiligen Landesbevölkerung setzt. Pro 100.000 Einwohner hat Deutschland gegenüber China die 23-fache Zahl an Infizierten, Italien 39 mal so viel und die USA 24 mal so viel. Tote: China 3.340, Deutschland 2.607, Italien 18.279, USA 16.686. Zieht man von der Gesamtzahl der Infizierten die Genesenen ab, erhält man die Zahl der aktuell Infizierten: USA 423.000, Deutschland 63.000, Italien 96.000 – China 1.800!

Präsident Trump schwadronierte noch am 26. Februar: „Wenn man 15 Fälle hat – 15 Fälle und in wenigen Tagen sind wir runter auf etwa Null. Wir leisten ziemlich gute Arbeit“. Und: „Es ist eine Grippe, wie eine Grippe“. Einen Monat später dann die totale Bankrotterklärung: „Wenn es gelinge, die Todeszahl durch Eindämmungsmaßnahmen auf 100.000 zu begrenzen, dann haben wir alle zusammen einen guten Job gemacht“.

Am Palmsonntag den 05. April 2020, schwörte Trump sein Land auf „katastrophale Zeiten“ ein. Im Central-Park werden wie im Krieg aus Zelten Not-Lazarette errichtet. Mit Piratenakten und Preisüberbietungen rafft die Supermacht weltweit Mundschutzmasken, Schutzkleidung und Beatmungsgeräte zusammen. Und während die größte Wirtschaftsmacht der Erde auf dem Weltmarkt Masken klaut, beliefert das größte Entwicklungsland, China – pro Kopf-Produktion an 78. Stelle, hinter der Dominikanischen Republik – die Welt mit Schutzausrüstung, teilweise solidarisch gespendet, wie z.B. an Serbien, Iran, Italien, Spanien oder den deutschen Corona-Hotspot, den Landkreis Heinsberg. Dessen Landrat klopfte direkt beim chinesischen Präsidenten Xi wegen Schutzausrüstung an.

In Westeuropa unterscheidet sich die Situation nur graduell von den USA. Auch Deutschland nutzte das „geschenkte“ Vierteljahr nicht, um Vorsorge zu treffen. Es fehlt auch hierzulande an allem. An Laborkapazitäten für flächendeckende Tests, an Intensivbetten vor allem mit Beatmungsgeräten, an Schutzkleidung. Und – man sollte es nicht für möglich halten, an Massen- und Billigprodukten, wie Atemschutzmasken. Bei Schutzmasken ist nicht einmal die ausreichende Versorgung der Beschäftigten im Gesundheitswesen mit den wirksameren FFP-2-Masken sichergestellt. So kann über eine Maskenpflicht der Bevölkerung wie in China, Taiwan oder Japan nicht einmal nachgedacht werden. „Erst wenn die Versorgung von allen Krankenhäusern, Zahnärzten, Physiotherapeuten, Pflegediensten und Rehakliniken mit Mundschutz sichergestellt sei, reden wir über weitere Maßnahmen“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion Karin Maag Anfang April und leistete damit einen Offenbarungseid für ihre Regierung.

Kein Zweifel: In Berlin und den Staatskanzleien der Länder hat man wertvolle Zeit vertrödelt und damit den Notstand herbeigeführt. Achim Theiler, Geschäftsführer des Buchloer Unternehmens Franz Mensch, das Hygienebekleidung, Mundschutz und Atemschutzmasken für Krankenhäuser und Ärzte herstellt und vertreibt, sagt: „Wir haben gemahnt und keiner hat uns gehört“. Die Behörden seien wochenlang untätig geblieben. „Das ist grob fahrlässig und verschärft die Krise unnötig“.

„Kriegsgewinnler darf es nicht geben!“

Jetzt stellt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach fest, dass bei der Versorgung mit Schutzkleidung der Staat einspringen müsse. „Das ist nichts, was der Markt auch nur im Ansatz lösen könnte“. Grotesk wird es, wenn der ehemalige ifo-Präsident Hans-Werner Sinn fordert:

Noch wichtiger ist es, direkt gegen die Seuche vorzugehen, wie China es tat. Dabei darf es an Geld nicht fehlen. Die Kapazität der Intensivstationen der Krankenhäuser muss dramatisch erweitert werden, neue Behelfskrankenhäuser müssen aus dem Boden gestampft werden, Beatmungsgeräte, Schutzanzüge und Masken müssen unter großem Einsatz sofort produziert werden.

Ein echter Sinn-Wandel? Wohl kaum. Sinn gehörte zu den Ökonomen, die sich vehement für die Privatisierung und In-Wert-Setzung des Gesundheitswesens aussprachen und die Gesundheit zur Ware machten.

Vorratshaltung von Schutzausrüstung und Geräten für die Intensivmedizin, das passt nicht zu einem auf Profit getrimmten Gesundheitssystem, das rentiert nicht bei Privatkliniken, auch nicht bei staatlichen Kliniken, die zum Kostenwettbewerb etwa mit Helios-Kliniken (dem Dax-Konzern Fresenius SE zugehörig) gezwungen, oder andernfalls auch privatisiert werden. Auch Kliniken arbeiten inzwischen nach dem Just-in-time- Prinzip wie Autofabriken. Vorratshaltung, Beatmungsgeräte und Schutzmasken, eingelagert im Keller für etwaige Katastrophenfälle sind „totes Kapital“, das sich nicht verwertet. Da riskiert man im Zweifel eher tote Menschen.

Das Bundes-Ungesundheitsministerium aber glaubt immer noch, dass es der Markt schon richten werde. Nachdem man die zentrale Beschaffung von Schutzmasken dem Bundeswehrbeschaffungsamt übergab und Pleiten erlebte, versucht man es jetzt mit marktwirtschaftlichen Stimuli. Auf der Homepage des Ministeriums wird auf eine Ausschreibung für den Erwerb von FFP2-Masken und s-Ply OP/Mundnasenschutzmasken und Schutzkittel verwiesen. Dafür gilt ein vom Ministerium festgelegter Einheitspreis. Ein Verfahren, bei dem erneut wertvolle Zeit verloren geht.

In China wurden gleich zu Beginn Betriebe und zusätzliche Kapazitäten zur Produktion von Schutzmasken, -kleidung und Beatmungsgeräten staatlich festgelegt, obwohl das Land bei der Herstellung von Masken und Beatmungsgeräten bereits führend ist. Zudem musste jedes Unternehmen für seine Beschäftigten ausreichend Schutzmasken bereitstellen, was bei vielen Betrieben zur Eigenproduktion führte.

Beispiel BYD (Build Your Dreams) in China: Der Mischkonzern mit 200.000 Beschäftigten ist eigentlich ein Batteriehersteller und Autofabrikant. Als Ende Februar die Produktion in China wieder angefahren wurde, stand BYD vor der Aufgabe zwei neue Atemschutzmasken pro Tag und Beschäftigten zu organisieren. BYD kaufte entsprechende Maschinen und fertigte selbst. Heute ist der Konzern der weltgrößte Produzent von medizinischer Schutzausrüstung. Und er beliefert die ganze Welt.

Auch hierzulande müsste man Betriebe staatlich verordnet zu partieller Konversion verpflichten, um Engpässe zu überwinden. Denn in einem funktioniert die Marktwirtschaft: Wucherpreisbildung bei Versorgungsengpässen. Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin und zugleich Chefarzt am St. Antonius-Hospital in Eschweiler schimpft über die x-fachen Preissteigerungen bei Masken – bis zu 20 Euro; vor Corona 0,50 Euro – und das bei Lieferzeiten von zwei und bis vier Wochen: „Die Preissteigerungen sind pervers, die Politik müsste die Preise kontrollieren und notfalls die Ausrüstung beschlagnahmen. Kriegsgewinnler darf es in der Corona-Krise nicht geben“.

Es gibt sie inzwischen en masse. Und der Gesundheitsminister wiegelt ab. Eine Maskenpflicht, wie etwa in Österreich beim Einkaufen, lehnt er ab. „In der jetzigen Lage sehe ich keine Notwendigkeit zu einer Verpflichtung“. Das würde ich auch sagen, wenn ich nicht genügend Masken zur Ausstattung der gesamten Bevölkerung zur Verfügung hätte. Das war am 1. April, als es in Deutschland bereits so viele Infizierte gab, wie in ganz China, mit einer 16-fach größeren Bevölkerung.

Häufig wird auch von offizieller Seite der Schutz- und Nutzwert der Mund-und-Nasen-Masken infrage gestellt, um die Nachfrage und den Unmut der Bevölkerung zu dämpfen. Sie nützen angeblich wenig und gäben insbesondere keinen Eigenschutz. Es gilt zu unterscheiden zwischen sog. OP-Masken und den hochwertigeren FFP3-Masken, die auch einen gewissem Eigenschutz bieten. Maximilian Weiß, Geschäftsführer der Palas GmbH, die Geräte zur Messung feinster Partikel herstellt und auch Masken auf die Virendurchlässigkeit misst, erklärt in einem FAZ-Interview: „Die Halbmasken (OP-Schutz) halten zwar Tröpfchen zurück und schützen damit andere. Aber inwieweit sie den Träger schützen ist ungewiß“. Zu den FFP3-Masken: Mit ihnen schützt man ebenfalls in erster Linie andere. „Man schützt sich mit ihnen auch selbst, es ist aber nicht greifbar, … auch diese Masken können nach Norm eine erlaubte Leckage von bis zu 5 Prozent haben“. Also, fünf Prozent der Viren kommen durch. Entscheidend ist aber: Wenn jeder nur eine Maske tragen würde, die andere schützt, wäre damit ein ausreichender Eigenschutz weitgehend gewährleistet.

Maskenpflicht! – „aber woher nehmen und nicht stehlen“

Bezüglich einer Maskenpflicht dürfte spätestens nach den Osterferien eine Kehrtwende des Krisenmanagements auf Bundes- und Länderebene zu erwarten sein. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder eröffnete kurz vor Ostern eine neue Runde im Überbietungs- und Profilierungswettlauf: „Natürlich wird es am Ende eine Form von Maskenverpflichtung geben“.

Der Druck der Konzernvertreter und Unternehmerverbände, bald mit einem Neustart der Wirtschaft nimmt zu und zeigt Wirkung. Zu schwerwiegend seien die ökonomischen Schäden bei einem langen shutdown der Betriebe. Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer: „Im Mai sollten wir nach und nach wieder loslegen können, wenn der Infektionsverlauf dieses wie erwartet zulässt“. Das Robert-Koch-Institut (RKI) übt sich jedenfalls schon im Schön- und Kleinreden der Fallzahlen.

Ein Hochfahren der Produktion und der Betriebe ohne zusätzlichen Schutz der Beschäftigten aber wäre unverantwortlich und käme einer fahrlässigen Körperverletzung gleich. Es wäre auch nicht vermittelbar. Conti-Chef Elmar Degenhart weist auf das Problem der fehlenden Atemmasken hin: „In den kommenden Wochen wird für den Hochlauf der Produktion entscheidend sein, ob eine schnelle und flächendeckende Versorgung mit Schutzausrüstung möglich ist“. Und Chefarzt Janssens: „Wenn wir keine Masken haben, dann können wir einpacken. Dann brauchen wir auch keine Beatmungsgeräte mehr“. Der BDI spricht sich für eine aktive Rolle des Staates bei der Maskenproduktion aus und mahnt zur Eile. Das Wirtschaftsministerium soll künftig die Herstellung koordinieren.

Man wird also auch hierzulande auf Teufel-komm-raus versuchen, Masken zu beschaffen. Der globale Masken-Verteilungskampf hat erst richtig begonnen.