Letztes TV-Duell: Trump und Mr. No-Trump

Das letzte Duell zwischen Präsident Trump und dem früheren Vizepräsidenten Biden sah, entgegen dem vorgefassten Urteil vieler liberalen Medien, einen klaren Sieger: Donald Trump. Es gelang ihm mehr, Joe Biden als verantwortlichen Teil des „Versagerteams Obama-Biden“ in die Defensive zu drängen, als dass Biden den Präsidenten wegen seiner aktuellen Politik hätte wirksam entlarven können. Beispiel: Rassismus. Biden klagt an: „Fakt ist, dass es systemischen Rassismus in den USA gibt.“ Trump streitet das nicht ab, bekräftigt es sogar, um eben deshalb Biden anzugreifen. Warum hätten sie denn nichts dagegen getan, Obama und er, hätten acht Jahre Zeit gehabt, und den Rassismus sogar verschärft. Biden habe die Schwarzen „super predators“ genannt, Superraubtiere. Trump: „Ich bin wegen dir angetreten, Joe. Wegen dir und Barack Obama. Wenn ihr einen guten Job gemacht hättet, wäre ich nicht angetreten“. Um dann einen echten „Trump“ folgen zu lassen: Seit Abraham Lincoln habe niemand so viel für die Schwarzen in den USA getan wie er.

In allen entscheidenden Fragen geht Trump erfolgreich in die Offensive. „Würdest Du die Ölindustrie dichtmachen?“, fragt er den Herausforderer. Biden: „Ich will einen Übergang von der Ölindustrie, ja. Die Ölindustrie verschmutzt erheblich. Es muss einen Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien geben.“ Darauf triumphiert Trump: „Was er sagt, ist, dass er die Öl-Industrie zerschlagen wird. Werdet Ihr Euch daran erinnern, Texas, Pennsylvania, Oklahoma, Ohio?“ Alles battleground states, wo der Wahlausgang ungewiss ist.

Selbst bei dem Thema der Coronakrise gelingt es Trump, die rhetorische Oberhand zu behalten. Mit seiner Gesundung sei bewiesen, dass das Virus zu besiegen sei. Seine Politik sei es, alles für die Gesundheit zu tun, ohne Land und Gesellschaft dichtzumachen. Bidens Politik hingegen führe ins ökonomische Desaster, in die permanente Krise. Am selben Tag hatte das Weiße Haus eine Presseerklärung herausgegeben mit dem Titel: „Trumps größte Errungenschaften sind die, die er nicht ausgeführt hat.“ Das Stillhalten, das Nichtstun, das zu Hundertausenden Toten führte, feiert Trump als den größten Erfolg, weil die Ökonomie angeblich weiter fortschreiten konnte. „Wir können uns nicht im Keller einschließen, wie Joe es getan hat.“

Wieso eigentlich der Kandidat Biden – seit Jahrzehnten reaktionär und ungeschickt?

Trump profilierte sich erneut als Gegner staatlicher Gesundheitsvorsoge – er will Obamacare zerschlagen, womit 20 Millionen US-Bürger ohne Krankenversicherung wären -, er zeigte sich als unerbittlicher Feind von Migranten aus Lateinamerika, er verbarg aber unglaubwürdig, wenn auch geschickt seine zynische Verachtung der Schwarzen – „ich bin der am wenigsten rassistische Mensch hier im Raum“ – während er seine Parteinahme für die Interessen der Reichen und der Konzerne umstandslos, sozusagen genüsslich bekräftigte. Dass Trump mit seiner reaktionären Show so gut davonkam, ist auch dem Umstand geschuldet, dass ihm mit Biden ein so jämmerlicher Widerpart gegenüberstand. Es gehört zu den historischen Schandtaten der demokratischen Parteiführung, diesen Mann gegen kluge und mitreißende Sozialdemokraten wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren als Präsidentschaftskandidat durchzudrücken. Biden gehört zum rechten Flügel seiner Partei, „seit 40 Jahren versucht er, Sozialversicherung, Medicaid und Medicare zu beschneiden“ (Jacobin). Er versuchte, im Zusammenspiel mit Republikanern Gesetze durchzudrücken, die die Regierung verpflichten sollten, stets einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen und im Zweifel die Sozialausgaben zu kürzen. In der TV-Debatte strengt er sich an, von dieser reaktionären Haltung abzurücken. Jeder Staat habe Schwierigkeiten, seine Polizisten, Feuerwehrleute, Lehrer zu bezahlen, sagt er da. Die Verfassung erlaube der Regierung, ein Defizit zuzulassen, um die nötigen Ausgaben zu finanzieren. Diese Absage an die Austeritätspolitik ist eine prinzipielle Wende in der Haltung der Demokratischen Partei. Auch die Einlassung Bidens, die elf Millionen Immigranten, die jetzt ohne Papiere in den USA leben, müssten eingebürgert werden, ist wohl auf den gewachsenen Einfluss der Linken in der Partei zurückzuführen. Würde Biden die Wahl gewinnen, stünde diese Linke sicher vor der Aufgabe, den neuen Präsidenten auf seine Wahlaussagen zu vereidigen.

Im Übrigen lautet das propagandistische Konzept der Kandidatur Bidens: Hier präsentieren wir Mr. Nicht-Trump. Ob das No-Trump-Kalkül der Demokraten aufgeht, hängt vor allem von der wirtschaftlichen Lage und deren Einschätzung durch die Wählerschaft ab – it´s the economy, stupid, die Wirtschaft entscheidet, Dummkopf, wie Bill Clinton zu sagen pflegte. Die objektive Lage ist so, dass die Arbeitslosigkeit sich im Coronajahr 2020 auf 7,5% mehr als verdoppelt hat; dass 41% der US-Bürger zu Niedrig-Einkommen- Familien zählen; dass die Mittelklasse, die 1970 noch 62% des Volkseinkommens erhielt, 2018 nur noch auf 43% kam und heute schlechter dran ist als vor vier Jahren (PEW Research Center); dass das Gefälle zwischen Oben, Mitte und Unten immer größer wird, und dass „Oben“ (Jahreseinkommen des Haushalts 207.000 $) heute 48% des Volkseinkommens einstreicht.

Die Faktoren für Trump

Die Lage ist also für Mitte und Unten eher schlecht und sie hat sich in den vier Jahren der Präsidentschaft Trump weiter verschlechtert. Spiegelt sich das im Bewusstsein der WählerInnen wider? Gallup hat die Frage gestellt: Geht es Ihnen besser als vor vier Jahren? 55% der Befragten antworteten im September 2020 mit Ja. Bei Obama waren es im November 2012 nur 45 %. Reagan kam 1984 auf 44%. Trump hat also trotz des dramatischen Coronaeinbruchs eine historisch einmalig positive Sonderstellung. Nach der alten Clinton-Formel müsste Trump der Favorit in der diesjährigen Wahl sein.

Es gibt weitere Momente, die für Trump sprechen. Es war stets ein Fehler der liberalen Wahlforschung und -publizistik, die Wahl Trumps 2016 für einen Betriebsunfall der US-Demokratie zu halten. Ganz im Gegenteil: Trump hat die radikale Rechte der USA nicht produziert, er ist vielmehr als Präsident das Ergebnis der Polarisierung der US-Gesellschaft. Ezra Klein hat diese Entwicklung in „Der tiefe Graben“ beschrieben, dessen englischer Titel lautet „Why We’re Polarized“. In der US-Gesellschaft haben sich zwei Formationen gebildet, zwei Pole, die sich mittlerweile in den beiden Parteien konzentrieren und feindlich gegenüberstehen. 

Die Reichen werden schnell noch reicher – die Mittelschicht zerbröselt – die Unterschicht erbarmungslos auf den Boden gedrückt

Die sozialpsychologischen und soziologischen Thesen über die Befindlichkeiten der beiden Pole entsprechen den ökonomischen Analysen, die die Zerrissenheit der US-Gesellschaft in verschiedene Klassenformationen zeigt. Das obere Einkommenssegment der US-Bevölkerung brachte es im Jahr 2000 auf ein Durchschnittseinkommen von 192.000 $; 2018 waren es dann 207.000 $, 15.000 $ mehr. Die mittleren Einkommen kamen im Schnitt 2000 auf 82.000$, 2018 waren es 86.000$, also 4000$ mehr. Die untere Gruppe erhielt im Jahr 2000 im Durchschnitt 28.000 $, 18 Jahre später dieselbe Summe. Das heißt, dass die Reichen sehr schnell noch reicher werden, dass die mittleren Schichten in einem bescheidenen Maß am Einkommenszuwachs teilhaben, dass die Unterschichten am unteren Rand blockiert werden. Zwölf Millionen sind ohne Arbeit, acht Millionen leben unterhalb der offiziellen Armutsgrenze.

Die Massenbasis für Trump liefern nicht die Einkommensmillionäre – die hat er großteils sicher – die vielen Dutzende nötigen Wählermillionen liefern die Abgehängten und jene Teile der Mittelschichtler, die hochbegründete Angst haben vor dem sozialen Abstieg. Die kann Trump mit seiner Propaganda von law and order, mit seinem Hass auf Ausländer und alles Fremde, seinem Loblied auf das „great america“ erreichen und zu sich herüberziehen.

Der Teil der Mittelklasse hingegen, der teilhat am wirtschaftlichen Aufstieg, der auf die eigenen Fähigkeiten vertraut, der neugierig ist auf Neues, der Fremdes als Bereicherung erfährt – für den ist Trump der verachtenswerte Gottseibeiuns.

Der Abgrund, der die Formationen voneinander trennt, geht also quer durch die Mittelklasse. Der obere Teil, der gewappnet ist für den Wandel und schon ausreichende Gratifikationen für seine Beiträge erhält, wählt Biden, auch wenn ihn der alte Herr aus dem Keller nicht begeistert. Der Abscheu vor dem fetten, widerlichen, inhumanen Krawallo im Weißen Haus ist zu groß.
Für den unteren Teil, der sich auf der sozialen Rutschbahn auf der Fahrt nach unten sieht, ist der rüde, Frauen und liberale Erfolgsbürger verhöhnende Milliardär aus Manhattan ein unwiderstehlicher Kompagnon im immer härter werdenden Überlebenskampf.

Biden – unschlagbar in den Prognosen, und Bürgerkrieg am 3. November?

Biden liegt in den Prognosen mit 5 bis 10 % vor Trump. Das spricht für die Konstanz der Blöcke. Oder für die Unfähigkeit der Institute! Das Electorate, das Kollegium der Wahlmänner und -frauen, umfasst 538 Mitglieder. Ein Präsident muss 270 Stimmen erhalten, um gewählt zu sein. PEW, eins der führenden Forschungsinstitute, teilt Biden bereits 279 Stimmen zu, 163 seien sicher, 116 der Tendenz nach. Zu den tendenziellen Biden-Staaten gehören Pennsylvania, New Mexico, Colorado, Michigan und Wisconsin. Wenn einer dieser Staaten fällt, würden Bidens Chancen sinken. Als völlig umstritten gelten darüber hinaus Georgia, Florida, Texas und Arizona. Der Rat an die LeserInnen: In der Wahlnacht genau schauen, wer in Florida. Texas und Pennsylvania gewinnt, der hat die größten Chancen, ins Weiße Haus einzuziehen oder die alten Möbel drin zu lassen.

Der andere Unsicherheitsfaktor liegt darin, ob Trump eine eventuelle Niederlage hinnimmt und für einen friedlichen Übergang zu dem siegreichen Nachfolger sorgen würde. Er hat das Gegenteil angekündigt, als er die Miliz der „Proud Boys“ in der ersten TV-Debatte anfeuerte, sich für den Wahltag bereit zu halten. Selbst auf Nachfrage des Moderators beharrt er darauf, dass man mit Wahlfälschung rechnen müsse, weshalb eine scharfe Kontrolle der Wahlvorgänge nötig sei. Die liberale Publizistik ist alarmiert. Die Black-Lives-Matter-Bewegung will sich ihrerseits mit Waffen für den Wahltag vorbereiten.

Das ganze Land hat sich vorbereitet auf einen Waffengang. Es gibt 5 Millionen Mitglieder der NRA, der National Rifle Association, der bundesweiten Waffen-Organisation, die für Trump steht und gegen die Schwarzen. Jeder fünfte US-Bürger besitzt mindestens eine Waffe, insgesamt haben sie 300 Millionen Pistolen, Revolver oder alle Arten von Gewehren. Im Juni 2020 allein haben die US-Bürger 1,7 Millionen Kurzwaffen und eine knappe Million Langwaffen neu gekauft. Waffen sind da, Gelegenheit ist da, Motiv wäre der für Trump negative Wahlausgang.

Wenn es am Wahltag nicht zum Showdown kommt, dann ist es nicht das Verdienst des Präsidenten. Der befeuert die Bürgerkriegsstimmung. Am besten wäre, die Wähler entscheiden sich mit großer Mehrheit für Biden. Besser, Trump kann keinen Vorwand finden, das Ergebnis zu sabotieren. Ein knappes Ergebnis könnte ihn dazu bringen, sich noch am Wahlabend, vor dem Auszählen der Briefwählerstimmen, als Sieger auszurufen oder die Wahl als durchgängig dubios zu etikettieren, womit er die Entscheidung zum Obersten Gericht hinüberschöbe, das solide reaktionär zusammengesetzt ist. Schon im Jahr 2000 wurde auf diese Weise George W. Bush gegen Al Gore ins Amt gehoben. Ob die Biden-Seite sich diesmal auch in dieses Manöver schicken lassen würde, ist in den zerrissenen USA zwanzig Jahre später sehr unwahrscheinlich.