Das Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) blickt auf ein 30-jähriges Bestehen. Die isw-Redaktion spricht mit langjährigen aktiven Autor*innen, die den Werdegang des Instituts durch Analysen und Recherchen begleitet und geprägt haben, erläutern ihr persönliches Engagement für die alternative Darstellung gesellschaftspolitischer Zusammenhänge.

isw- Redaktion: "Was waren Deine persönlichen Motive, Dich frühzeitig beim isw zu engagieren?"

Conrad Schuhler: "Ich war nicht von Beginn beim isw. 1990, als der reale Sozialismus implodierte, war ich Chefredakteur der UZ und im Sekretariat des Parteivorstands der DKP. Die tapferen Genossen in München machten sich auf, ein Institut aufzubauen, das nützlich war für die Arbeiterbewegung. Ich ging wieder als Reporter in alle Welt hinein. Besuchte die Revolutionäre in Chile, die sich nach den Pinochet-Jahren wieder zurück in die Heimat trauten. War in Kuba, wo die Yankees ihren Fuß wieder ins Land schoben. In Kambodscha, wo nach den Irrsinnsjahren von Pol Pot wieder das Leben begann. In Finnland, dessen Bildungssystem so viel besser ist als das deutsche, weil es Bildung fördert unabhängig von der sozialen Herkunft. In Russland, wo der Kapitalismus zeigte, dass er die schlimmste Alternative zum Sozialismus ist. In New York, wo ich den Taxifahrerschein machte und einen Monat Taxi fuhr und am Leben blieb, was im selben Jahr 142 Kollegen nicht gelang. Als ich dann Ende der Neunziger, beim Metzger stehend, von Fred Schmid gefragt wurde, ob ich als Ökonom und Soziologe nicht mitmachen wolle bei der Entwicklung des isw, sagte ich nach kurzem Nachdenken zu. Und es ging los."

isw-Redaktion: "Als langjähriger Vorsitzender des Instituts und Leiter der Redaktion hast Du die Zielsetzung und die gesellschaftskritische Ausrichtung des isw entscheidend geprägt. Welche ökonomischen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen waren und sind aus Deiner Sicht ein Anliegen des isw und sollten weiterhin die Zielrichtung der Analysen und Berichte sein?"

Conrad Schuhler: "Ich bin ja gelernter Ökonom und Soziologe und habe meine Erfahrungen als kommunistischer Funktionär und als internationaler Reporter über den Kapitalismus gemacht. Was Fred in seinem Interview sagte, dass die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt zu rücken sei, hat sich für mich in Theorie und Praxis als richtig erwiesen. Das Zusammenkommen von konkreter Arbeit in Betrieb und Wohngebieten mit fundierter theoretischer Arbeit hat mich im isw immer begeistert. Wir waren uns einig, dass der Kapitalismus nur noch als globale Produktionsweise zu verstehen ist. Das war schon zu Marxens Zeiten so, aber die Entwicklung globaler Produktionslinien und vollkommen neuer technologischer Methoden katapultierte den Kapitalismus in eine neue Phase und die Probleme der Arbeiterklasse dementsprechend auch. Das sind heute noch Schwerpunkte unserer Arbeit. Globalisierung unter der Bedingung eines Systemwettstreits zwischen den sogenannten demokratischen Ländern gegen die sogenannten autoritären. Ganz offenbar entwickeln sich gerade in der Krise die als "autoritär" diskriminierten Systeme besser. Wenn die globale Entwicklung friedlich bleibt, werden wir einen Sieg der "Autoritären" erleben. Sie sind auch keineswegs autoritär im Unterschied zu den westlichen Demokratien. Während im westlichen Kapitalismus die Manager des Kapitals die Entscheidungen treffen, ist es in China die Kommunistische Partei, die mit 97 Millionen Mitgliedern, wovon die Hälfte einen Hochschulabschluss hat, die Partei der Träger des sozialen und wirtschaftlichen Fortschritts ist. Das ist noch lange nicht ein System der freien Entscheidung aller Bürger in ihren Betrieben und Wohnregionen, aber die demokratische Qualität ist höher, als es im Westen der Fall ist. Daneben steht die Aufgabe anzuerkennen, dass es universale Probleme gibt - Frieden, Klima, Umwelt, Pandemien, Hunger - die wir alle gemeinsam lösen müssen, über Partei- und Systemgrenzen hinweg. Das ist ein Kampf. Die Logik des kapitalistischen Systems läuft auf die Vernichtung der Lebensbedingungen der Menschen, auf die Ruinierung des Planeten hinaus - und auf den Einsatz militärischer Mittel, um seine schwindende Dominanz zu retten, also auf Krieg. Zum Kampf um die Rettung von Menschheit und Erde gehört zentral der Kampf gegen den Kapitalismus. Nur wenn wir den überwinden, haben wir eine Zukunft. Der Klassenkampf ist eine aktuelle, praktische Notwendigkeit."

isw-Redaktion: "Das Kommunikations- und Leseverhalten hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert, nicht zuletzt durch die sich mittlerweile etablierten sozialen Medien. Wie ordnest Du die Arbeit des isw in diesem Zusammenhang ein?"

Conrad Schuhler: "Wir müssen Kommunikationsformen entwickeln, die den Leser/Hörer unmittelbar visuell und/oder akustisch in den Austausch einbinden. Am besten ist es, wenn wir unsere Meinungen und Fakten persönlich vortragen können. Diese Form hat natürlich ihre engen Grenzen. Wir brauchen deshalb die online-Ansprache. Möglichst alle isw-Mitglieder sollten ihre digitalen Gesprächskreise mit unseren Inhalten versehen. Das isw muss solches Material zum Weiterverwenden gezielt ausarbeiten, und zwar so, dass es jede/r verstehen kann. Unsre gesammelte Weisheit läuft ja darauf hinaus, dass wir Erkenntnisse vermitteln, die zum Handeln anleiten. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es - das ist eine alte marxistische Weisheit. Feierlich gesagt, wer ins Rad der Geschichte eingreifen will, der muss zunächst mal am Rad dransitzen. Man muss auch die reinen Theoretiker achten, ihr Wissen wird aber erst wichtig, wenn man es in politische Aktion umsetzt. Wir müssen raus aus der Vereinzelung, die nicht nur zu Pandemiezeiten uns zu lähmen droht. Wir müssen verstärkt wieder zu sozialen Wesen werden, mit Kontakten, mit Aussprachen, mit Streit. Wichtig ist, die neuen Medien zu nutzen, um besser teilhaben zu können an der Kommunikation. Dafür muss das isw Stoff liefern, aber jede und jeder muss es dann umsetzen in seinem Kommunikationsfeld. Die NachDenkSeiten machen das richtig mit ihren Diskussionskreisen. So weit sind wir nicht, der Stoff, den wir anbieten, ist komplizierter. Wir müssen ihn sozusagen handhabbarer machen für den täglichen Gebrauch. Ganz schön viel verlangt von einer kleinen Truppe. So gehört denn auch Demut zu den Tugenden, die das isw im elektronischen Zeitalter braucht."