US-Präsident Biden hat seinen Plan für den Umbau der US-Gesellschaft vorgestellt: 2,3 Billionen Dollar für die Modernisierung der maroden Infrastruktur und die Schaffung von rund zwanzig Millionen neuen hochmodernen Arbeitsplätzen in einer neu geformten Wirtschaft; investiert über acht Jahre, finanziert vor allem durch Erhöhung der Steuern für Unternehmungen und Jahreseinkommen höher als 400.000 Dollar. Biden will damit, wie er bei der Präsentation des Plans in Pittsburgh, einer Hochburg der alten Industrien, sagte, „die widerstandsfähigste, innovative Wirtschaft der Welt“ schaffen. Es sei „eine einmal-in-einer Generation Investition in Amerika“.

Erste Kommentare unter anderen der New York Times erinnern an historische Vorgänger wie Franklin Delano Roosevelts New Deal vor 90 Jahren und Lyndon Johnsons Great Society aus den 1960er Jahren. Der Führer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, kündigt umgehend den entschlossenen Widerstand seiner Fraktion an. Der Plan würde die Staatsschulden in unverantwortbare Höhe treiben.

Alexandria Ocasio-Cortez, Abgeordnete aus New York und eine Sprecherin des linken Flügels der Demokraten, kritisiert den Plan als zu dürftig. Im Wahlkampf hatte Biden einen Investitionsplan von 3 Billionen über vier Jahre versprochen. Auf das Jahr umgerechnet werden statt 750 Milliarden nur 287,5 Milliarden Dollar aus dem Programm in den Umbau der Gesellschaft investiert. Dennoch hat der Plan eine gewaltige Dimension, die natürlich die Projekte der Trump-Regierung weit in den Schatten stellt und auch jene von Barack Obama übertrifft, der mit einem vergleichbaren Anspruch antrat.

  • Der „American Jobs Plan“ soll 20.000 Meilen Straßennetz modernisieren, von Autobahnen bis zu Überland- und Hauptstraßen. 10.000 Brücken sollen repariert werden, einschließlich der zehn größten und ökonomisch wichtigsten Brücken des Landes. Das Schienennetz und die Fahrzeuge und Stationen der Eisenbahn werden ebenso erneuert oder modernisiert wie die Luftfahrt und die Schifffahrt. Im Vordergrund der Erneuerung steht die Klimafreundlichkeit der Maßnahmen und die Schaffung neuer, moderner Arbeitsplätze. Das Wassersystem soll landesweit erneuert, die überall anzutreffenden Bleibestände entfernt. Mehr als zehn Millionen Wohnungen und mehr als 400.000 Schulen und Kitas erhalten heute ihr Wasser aus bleiernen Leitungen, auch die Leitungen für Trinkwasser.
  • Im Land sollen 500.000 Elektro-Ladestationen errichtet werden, damit die USA „beim Bau und beim Export von sauberen Elektroautos in der Welt führen“. Damit alle amerikanischen Familien sich saubere Fahrzeuge leisten können, sagte Biden, werden Rabatte und Steueranreize für den Kauf der sauberen Fahrzeuge gewährt. Der enorme Fuhrpark der Bundesregierung wird auf Elektro-Fahrzeuge umgestellt, die in den USA hergestellt werden müssen.
  • Alle Investitionen des Plans haben an Firmen zu gehen, die ihren Sitz in den USA haben. Die Güter, die für den Neubau verwendet werden, sollen von Gemeinden bezogen werden, die in der Vergangenheit bei der Vergabe öffentlicher Aufträge übergangen wurden: Schwarze, Latinos, andere ethnische Minderheiten, kleine Unternehmen, Handwerker.
  • 35 Millionen Menschen des ländlichen Amerikas haben keinen Zugang zum Internet. „Wo doch das frühe Internet in Amerika erfunden wurde“, klagte der US-Präsident. Für die ganzen USA soll Zugang zu Hochgeschwindigkeits-Internet geschaffen werden. Die Preise für Internetdienste sollen gesenkt werden, sodass jedermann sie sich leisten kann. O-Ton Biden: „Americans pay too much for Internet service“, Amerikaner zahlen zu viel für die Internetdienste.
  • Das amerikanische Pflegesystem liegt darnieder. Das „Jobs Plan“ soll ein besseres Haus- oder Gemeinde-basiertes Pflegeprogramm schaffen mit besseren Löhnen für die Pflegekräfte und mehr Mittel für die Einrichtungen.
  • Der „American Jobs Plan“ sieht eine sprunghafte Erhöhung der Mittel für Forschung und Entwicklung (F&E) vor. Heute geben die USA nur 0,7 % ihres BIP für F&E aus und liegen damit in der Nationenrangliste weit hinten. Der Plan nennt keine Zahl, aber das Ziel: die weltweite Nr. 1 in allen modernen Technologien zu sein: Batterietechnologie, Biotechnologie, Computerchips, saubere Energie, und alles muss gesehen werden unter dem Gesichtspunkt des „Wettbewerbs mit China“.

Mit diesem Modernisierungsprogramm sollen innerhalb von vier Jahren 18 Millionen gutbezahlte, dem Niveau der modernsten Technik entsprechende Jobs geschaffen werden. Wer soll das bezahlen? Biden versichert zunächst den Mitgliedern der von ihm geliebten „Mittelklasse“, der er sich selbst zurechnet, dass sie nicht betroffen werde. Erst ab 400.000 Dollar Jahreseinkommen sollen Steuererhöhungen greifen. „Ich habe nichts gegen Millionäre und Milliardäre“, so der Präsident. „Ich glaube an dem amerikanischen Kapitalismus.“

Aber es könne doch nicht so bleiben, dass Feuerwehrleute und Lehrer 22% ihres Lohnes versteuern müssten, während multinationale Konzerne ihre Gewinne so verschöben, dass sie Null Steuern zahlen. In Zukunft sollen diese gezwungen werden, eine globale Gewinnsteuer von 21% zu zahlen. Die Unternehmenssteuern in den USA selbst werden auf 28% erhöht. Die unter Obama gültige Steuer von 35% hält Biden für zu hoch. Wie die persönliche Einkommensteuer sein soll, lässt er offen. Er würde jeden Vorschlag zur Kenntnis nehmen, der nicht auf Einkommen unter 400.000 Dollar Jahreseinkommen ziele. Sein Vorschlag insgesamt sei völlig finanziert, die angekündigten Maßnahmen würden im Lauf „von fünfzehn Jahren“ die Ausgaben von 2,3 Billionen Dollar weit übertreffen.

Mehrfach nennt er den eigentlichen Widersacher, der mit seinem Plan bezwungen werden soll: die Spaltung in der eigenen Gesellschaft und damit der Gegner China. Wie das zusammenhängt? „Ihr wisst, es gibt eine Menge Autokraten in der Welt. die denken, der Grund, warum sie gewinnen würden, liegt darin, dass Demokratien keinen Konsens mehr herstellen können, was Autokratien aber könnten. Darum dreht sich der Wettbewerb zwischen Amerika und China und dem Rest der Welt. Die Basisfrage lautet: Können Demokratien noch das Nötige für ihre Völker liefern? Erhalten sie eine Mehrheit dafür?“

Deshalb präsentiert sich Biden in Pittsburgh wiederholt als „union guy“, als Gewerkschaftsmann, und deshalb will er gleichzeitig die Zustimmung der Republikaner für seinen Plan erreichen. Hier kommt der eine große Haken des als Generationen-Werk gefeierten Plans, dem noch ein zweiter Teil in ähnlichem Volumen folgen soll, zum Vorschein. Denn klar ist, dass die Republikaner dem Plan in der vorliegenden Form nicht zustimmen werden. McConnell hat das in brüsker Form schon mitgeteilt. Biden weigert sich, die Filibuster-Regel mit einem Bundesgesetz zu annullieren. Filibuster in der heutigen Form bedeutet, dass wenn eine Fraktion im Senat den Filibuster beantragt, daraufhin das anstehende Gesetz mit 40 der 100 Stimmen im Senat blockiert werden kann. Die Republikaner verfügen über 50 Sitze und Stimmen im Senat. Sie stehen geschlossen gegen den „Jobs-Plan“, es könnte eher sein, dass einige Demokraten, um ihre Wiederwahl bei den Senatswahlen 2022 fürchtend, von der Parteifahne gehen. Jedenfalls wird der Präsident enorme Zugeständnisse an die Republikaner machen müssen, um deren notwendige Zustimmung zu erringen. So wie das Spiel schon lief bei der Abstimmung über den 1,9 Billionen-Dollar-Plan zur Bekämpfung der Corona-Krise. Dort hat Biden die zentrale Forderung der Linken – die Erhöhung des Mindestlohns – fallen gelassen, weil die Republikaner darauf bestanden.

Dies könnte sich als trauriger roter Faden quer durch die Amtszeit Bidens herausstellen. Auf der einen Seite werden Pläne mit großer Propaganda vorgestellt – für die Mittelklasse, für den kleinen Mann, für die Arbeiterklasse – die auch tatsächlich soziale Leistungen für den unteren Teil der Einkommensklassen und abhängig Beschäftigten zum Inhalt haben. Und andererseits muss, um den Konsens mit den Republikanern herzustellen, dann auf die weitestgehenden Forderungen, die die Linke der Partei in die Programme drückte, verzichtet werden. Dieses Verfahren wird so lange funktionieren, wie die Linke ihre Zukunft nur innerhalb der Demokratischen Partei sieht. Dieselbe Frage stellt sich auch auf der Rechten des Parteienspektrums. Wird sich der entschlossen rechtsextreme Teil der Partei von den „Zentristen“ lösen und eine eigene rechtspopulistische Partei ansteuern? Wie es scheint, setzen Trump und seine Hinterleute eher auf die Übernahme der Republikanischen Partei. McConnell hat mit seiner Verurteilung der Haltung Trumps bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar zunächst Trump eine Absage erteilt, dann aber beim Impeachment-Verfahren mit 42 KollegInnen seiner Fraktion mit „not guilty“ (nicht schuldig) Trump einen Persilschein ausgestellt, der diesem sogar eine erneute Präsidentschaftskandidatur ermöglicht. Trump treibt die Republikaner weiter nach rechts und dies tut Biden mit der Bindung seiner Projekte an die Zustimmung der Republikaner mit der Regierungspolitik ebenfalls. Das Ziel, den Spalt zwischen Oben und Unten in der US-Gesellschaft zu verkleinern, um nicht vollends den sozialen Zusammenhalt zu verlieren, wird bei dieser politischen Systematik verfehlt.