Die soziale Entwicklung in der Russischen Föderation ist trotz deutlicher Fortschritte gegenüber den 90-er Jahren durch Probleme gekennzeichnet, die ungeachtet der beträchtlichen Anstrengungen zur Verbesserung der sozialen Lage breiter Bevölkerungsschichten die weitere Modernisierung des Landes behindern. Hier sei auf folgende Hauptfelder verwiesen:

Armut und ungleiche Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum

Die Schere zwischen Arm und Reich ist in Russland in den letzten Jahren weiter auseinander gegangen. Nach Angaben des Global Wealth Report 2019 der Schweizer Bank Credit Suisse besaßen 10 Prozent der reichsten Russen ca. 83 Prozent aller Vermögenswerte. Die Anzahl der russischen (Dollar-) Milliardäre ist 2019 auf 110 gestiegen. Dagegen lebten 2020 nach offiziellen Angaben 18,8 Millionen Bürger (12,6 Prozent der Bevölkerung) in Armut (d. h. das monatliche Einkommen lag unterhalb des für 2020 festgelegten Existenzminimums von 12.130 Rubel). Besonders von Armut betroffen sind vor allem Familien mit Kindern. Die Tabelle verdeutlicht den langen Weg von einer „Armut der Massen“ hin zu einer Armut, von der in Russland immer noch massenhaft Menschen betroffen sind.

Jahr Anzahl der von Armut betroffenen Bürger der RF in Millionen Armutsquote: Anteil der von Armut Betroffenen an der Gesamtbevölkerung in Prozent
2000 42,3 29
2005 25,4 (17,4)*
2012 15,4 10,7
2015 19,5 13,3
2018 18,4 12,6
2020     18,8** 12,9

Quelle | * eigene Berechnungen | ** RIA Nowosti vom 10.03.2021 nach Angaben des Arbeitsministeriums (bezogen auf 3. Quartal 2020) Dabei ist zu berücksichtigen, dass das offizielle Existenzminimum, das für 2021 mit 11.653 Rubel (ca. 132 Euro)[1] wegen der krisenbedingt gesunkenen Löhne sehr niedrig festgelegt ist, unterschiedlich für Erwerbsfähige, Kinder und Rentner berechnet wird und einen Durchschnittswert darstellt, der in den ärmsten Regionen mit ca. 9.000 Rubeln deutlich unterschritten wird, dagegen in Moskau 2021 mit deutlich höheren Preisen 18.029 Rubel (ca. 205 Euro) beträgt. Angesichts der Preissteigerungen für Lebensmittel Ende 2020 und im 1. Quartal 2021 können mit solchen Beträgen kaum Grundbedarfe befriedigt werden. Im Übrigen übersteigt die Höhe des Mindestlohns 2021 für 3,9 Mio. Niedrigverdiener mit 12.792 Rubel (ca. 145 Euro) nur wenig das offizielle Existenzminimum, was für viele Menschen die Frage aufwirft, ob es sich bei diesem niedrigen Mindestlohn überhaupt lohnt, ein offizielles Arbeitsverhältnis einzugehen. Fakt ist, dass unter diesen Bedingungen Schwarzarbeit und Schattenwirtschaft gedeihen und nur schwer zurückzudrängen sind. Ursachen für die Armut sind vor allem Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne für einen großen Anteil der Beschäftigten. Die offiziell registrierte Arbeitslosigkeit war im Juli 2020 auf 6,3 Prozent angestiegen, – ein Höchststand, der zuletzt im Jahre 2012 zu verzeichnen war. Die Zahl der Personen, die sich arbeitslos meldeten, stieg auch deshalb an, weil die Leistungen für registrierte Arbeitslose angehoben wurden. Die Gesamtzahl der lohnabhängig Beschäftigten in der Russischen Föderation soll laut offiziellen Angaben bei 54,3 Mio. Personen liegen. Nach Schätzungen der Gewerkschaften sollen Mitte 2020 sogar bis zu 8. Mio. Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen gewesen sein. Problematisch sind  zum einen die hohe Dunkelziffer der nicht registrierten Arbeitslosen und zum anderen die großen regionalen Diskrepanzen. Während in Moskau und St. Petersburg der Arbeitsmarkt relativ stabil ist, fällt die Arbeitslosigkeit in ohnehin armen Regionen hoch aus (z. B. in Nord-Ossetien, in Teilen Jakutiens). Zur Jahreswende 2020/2021 lag die Arbeitslosenquote bei 5,9 Prozent – die Anzahl der Arbeitslosen wurde offiziell mit 4,46 Mio. Menschen ausgewiesen. Während das Lohnniveau in Moskau und St. Petersburg deutlich über dem Landesdurchschnitt liegt und auch in bestimmten Branchen hohe Löhne erzielt werden, insbesondere im Bereich Energie und Rohstoffe bleibt das Lohnniveau vielerorts recht gering. So wurden in den letzten Jahren viele Bereiche aus Unternehmen ausgelagert und die ehemals Beschäftigten als Leiharbeiter oder in Subunternehmen mit niedrigeren Löhnen angestellt. Mittlerweile sind ca. 18 Mio. Beschäftigte, d. h. über 30 Prozent der lohnabhängig Beschäftigten, in solchen prekären Verhältnissen tätig, die den Unternehmen Zusatzgewinne von geschätzten 6,3 Bio. Rubel (!!! – ca. 70 Mrd. Euro) eingebracht haben sollen[2]. In den letzten Jahren hinken die Realeinkommen der wirtschaftlichen Entwicklung hinterher. Während die gesamtwirtschaftliche Produktion nur im Jahr 2015 sank, gingen diese Einkommen vier Jahre lang von 2014 bis einschließlich 2017 zurück. Erst 2018 setzte ein sehr langsamer Anstieg der Einkommen ein. 2019 waren die verfügbaren Realeinkommen noch 7,5 Prozent niedriger als 2013. Im gleichen Zeitraum ist die gesamtwirtschaftliche Produktion hingegen real um 4,7 Prozent gestiegen. Mit der Wirtschaftskrise 2020 brachen die verfügbaren Realeinkommen im 1. Halbjahr 2020 um 3,1 Prozent ein. Nur die Hilfsmaßnahmen der Regierung verhinderten einen noch größeren Rückgang der Einkommen. Schon in der ersten Phase der Covid-19-Pandemie in Russland wurden frühzeitig Maßnahmen eingeleitet, die insbesondere einen weiteren Anstieg der Armut verhindern sollen. Neben den Maßnahmen für Familien wurden z. B. Finanzhilfen für Unternehmen daran gebunden, dass sie keine Entlassungen vornehmen. Weitere Maßnahmen sind darauf gerichtet, Solo-Selbständige sowie kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Präsident Putin forderte 2019, die Armut bis 2024 zu halbieren und den Schwerpunkt in der Sozialpolitik konsequent auf die Verbesserung der Einkommen der Bevölkerung zu richten. Diese Zielstellung ist angesichts der Krisenfolgen im Jahr 2020 nunmehr auf das Jahr 2030 verschoben worden. Dann soll die Zahl der Menschen in Armut unter 10 Millionen liegen.

Demografie

Die stagnierende Bevölkerungsentwicklung (unzureichende Anzahl von Neugeburten, die die Sterbezahlen kaum ausgleicht) begrenzt das Arbeitskräftepotential und damit auch Wachstumsmöglichkeiten. Die gezielte Förderung junger Familien mit Kindern seit 2018 soll zur Anhebung der Geburtenrate von aktuell ca. 1,5 Kindern/Frau auf 1,7 im Jahre 2024 beitragen. Die bisherigen Leistungen für Familien mit Kindern – wie z. B. das 2007 eingeführte Mütterkapital, eine Einmalzahlung ab Geburt des ersten Kindes von ca. 6.000 Euro pro Kind – sollen ausgeweitet werden. Die verstärkte Konzentration des Einsatzes von Sozialtransfers für Familien mit Kindern – so konnte eine Familie pro Kind bis zur Vollendung des 8. Lebensjahres insgesamt, d. h. einschließlich Mütterkapital 2020 eine Förderung von bis zu 1,288 Mio. Rubeln (umgerechnet ca. 16.512 Euro) erhalten – stößt auf Zustimmung, aber auch auf Kritik, z. B. bei Eltern, deren Kinder früher geboren wurden und die nicht diese Hilfen in Anspruch nehmen konnten. Die Ausrichtung auf Familien mit Kindern zeigte sich auch in der Covid-19-Pandemie. So erhielten diese Familien über drei Monate (April bis einschließlich Juni 2020) für ein Kind insgesamt 15.000 Rubel (ca. 192 Euro), für ein Kind zwischen drei und 16 Jahren insgesamt 10.000 Rubel (ca. 128 Euro). Der Ausbau der KITA-Betreuung bleibt ein Schwerpunkt der Sozialpolitik. Neben den Familienleistungen der föderalen Ebene stellen auch die Regionen Vergünstigungen für Familien mit Kindern zur Verfügung. Das Niveau regionaler Leistungen hängt maßgeblich von der jeweiligen Finanzkraft ab – die Mehrzahl der Regionen ist jedoch verschuldet und von Zuschüssen aus dem föderalen Haushalt abhängig.

Gesundheitswesen

Nach 1990 sind große Teile des sowjetischen Gesundheitswesens buchstäblich zusammengebrochen – insbesondere bei der Versorgung in Kleinstädten und im ländlichen Raum. Hinzu kommen Probleme bei der Versorgung in weit entlegenen Gebieten (z. B. in Sibirien, im hohen Norden). Die Anstrengungen von Präsident und Regierung konzentrieren sich auf deutliche Verbesserungen in der Erstversorgung der Bürger, bei der Sicherung der Versorgung mit Medikamenten, auf die Prävention und Behandlung von „Volkskrankheiten“ (Herz-Kreislauf, Onkologie), den Bereich Geburtenhilfe und Pädiatrie sowie auf den Ausbau neuer Versorgungsformen (z. B. lokale Medizinische Punkte/ “Feldscher“, Telemedizin, medizinisches Flugwesen etc.). Ferner soll der latente Fachkräftemangel bei Ärzten und beim mittleren medizinischen Personal durch bessere Ausbildung und höhere Entlohnung abgebaut werden. Hauptziele der Gesundheitspolitik sind die weitere Anhebung der durchschnittlichen Lebenserwartung und des Gesundheitszustandes der Bevölkerung insgesamt. Positiv ist dafür auch der Rückgang des Alkohol- und Tabakkonsums; dagegen steht der zunehmende Drogenmissbrauch bei Jugendlichen. In den Nationalen Zielen“ ist angesichts der steigenden Lebenserwartung die Einführung eines Systems zur Pflege älterer Menschen geplant, wobei es Anzeichen dafür gibt, dass dieser Sektor für Investitionen privater Anbieter geöffnet werden soll. Russland war und ist vergleichsweise stark von der Covid-19-Pandemie betroffen, obwohl die Verantwortlichen relativ früh mit teilweise sehr drastischen Maßnahmen reagiert haben, die in Teilen der Bevölkerung auch auf Missstimmung gestoßen sind. Hotspots der Pandemie waren vor allem Moskau, St. Petersburg und das Moskauer Gebiet. Bei der immer noch relativ hohen und Anzahl der Infizierten ist zu berücksichtigen, dass Millionen von Tests realisiert wurden. Das energische Agieren der Verantwortlichen und die aufopferungsvolle Tätigkeit von Ärzten und medizinischem Personal zur Bekämpfung von Covid-19 konnten das Schlimmste verhindern. Dennoch wurden auch in Russland erneut Mängel in der gesundheitlichen Versorgung deutlich; ähnlich wie in einigen westlichen Ländern – einschließlich Deutschland – mangelte es vor Ort oft an notwendigen Schutzausrüstungen. Sanierungsbedürftige Krankenhäuser, veraltete Medizintechnik und vor allem Ärztemangel sind Schwachpunkte, die kaum von heute auf morgen heilbar sind, an denen aber im Rahmen der „Nationalen Ziele“ gearbeitet wird. Zu hoffen bleibt, dass nach Corona nicht die Kommerzialisierung weiter voranschreitet, sondern der Kurs auf eine gute gesundheitliche Daseinsvorsorge für alle Bürger an Fahrt gewinnt.

Die Rentenrefom 2018

Der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nimmt zu. Erstens, weil nicht genug Kinder geboren werden, aber zweitens auch, weil die Lebenserwartung, wenn auch von niedrigem Niveau aus (aktuell: Frauen knapp 78 Jahre, Männer knapp 68 Jahre), steigt. Das hat eine ungünstige Relation zwischen der Anzahl von Erwerbstätigen und von Rentnern zur Folge, die schon lange durch eine Anhebung der Altersgrenzen für den Zugang zur Rente verbessert werden sollte. Präsident Putin hatte jedoch mehrfach einen solchen Schritt öffentlich ausgeschlossen, bis er dann doch 2018 einem Gesetzentwurf zur Anhebung der Altersgrenzen zustimmte und dies vor allem mit der ungünstigen demografischen Entwicklung Russlands begründete. Der Gesetzentwurf sah vor, in einem mehrjährigen Prozess die Altersgrenze für Frauen von 55 auf 60 und für Männer von 60 auf 65 Jahre schrittweise anzuheben. Zahlreiche Ausnahmen von dieser Regelung sollten vor allem Erschwernisse in körperlich und psychisch belastenden beruflichen Tätigkeiten, Regionen mit schwierigen klimatischen Verhältnissen, Geschädigte der Tschernobyl-Katastrophe, aber auch Mütter von kinderreichen Familien und viele andere berücksichtigen. Nach Kritik und Protesten billigte Präsident Putin weitere Ausnahmen und Erleichterungen zu, so dass die öffentlich geäußerte Kritik abnahm. Das Gesetz trat nach Beschluss durch beide Parlamentskammern 2019 in Kraft. Gleichzeitig versprach der Präsident deutliche Anhebungen der Rentenleistungen über die Inflationsrate hinaus. Dieses Versprechen wurde bisher auch eingehalten, zumindest für die Versicherten-Renten, die zum 1. Januar 2021 um 6,3 Prozent angehoben wurden und somit im Landesdurchschnitt auf 17.443 Rubel (ca. 198 Euro) anstieg. Wer die Zugangsvoraussetzungen für eine Versicherten-Rente nicht erfüllt, z. B. wegen fehlender Beitragsjahre, erhält eine Sozialrente, eine Art Pendant zur Grundsicherung im Alter in Deutschland. Sie wurde zum 1. April 2021 um 3,4 Prozent (.d. h. ziemlich exakt in der Höhe der Inflationsrate 2020) erhöht und liegt im Landesdurchschnitt bei 10.183 Rubel (ca. 115 Euro). Die Sozialrente wird im Regelfall um einen Sozialzuschlag aufgestockt, der erforderlich ist, um das für 2021 mit 11.653 Rubel (ca. 132 Euro) festgelegte Existenzminimum zu erreichen. Rentner ab dem 80. Lebensjahr und Schwerbehinderte erhalten einen Zuschlag zur Rente, mit dem eventuellem Pflegebedarf Rechnung getragen werden soll. Einer Initiative der Duma-Fraktion der Liberaldemokraten(LDPR) zufolge soll diese Altersgrenze auf das 75. Lebensjahr abgesenkt werden. Auf Grund regionaler Aufschläge unterscheidet sich die Höhe der real verfügbaren Renten je nach Region und kann bis zu rund 20.000 Rubel  erreichen, wie z. B. in Moskau. Ähnlich wie bei den Familien können Senioren – abhängig vom Wohnort – regionale oder lokale Vergünstigungen, einschließlich finanzielle Zuschüsse (z. B. für Wohnkosten, Nah- und Fernverkehr etc.) oder Sachleistungen, in Anspruch nehmen. Hier ist die Finanzkraft der jeweiligen Region ebenfalls ausschlaggebend für Art und Umfang der Leistung. Altersarmut wird dadurch nicht ausgeschlossen, obwohl Erträge aus Gartenbau und Landwirtschaft immer noch manches Manko kompensieren. Russland hat ebenfalls den Weg der Privatisierung der Alterssicherung eingeschlagen. Damit wird sich künftig auch in der älteren Generation die soziale Ungleichheit weiter verstärken.

Wohnen und Stadtentwicklung

Die Wohnsituation in den Städten ist trotz vielfältiger Bauaktivitäten noch stark von den Wohnbauten und der Wohninfrastruktur aus Sowjetzeiten, aber auch durch den Fortzug aus ländlichen Räumen in die Städte geprägt. Problematisch sind insbesondere die unzureichende Sanierung des älteren Wohnungsbestandes und der Wohninfrastruktur (Wasser/Abwasser, Energie/ Heizung, Abfallentsorgung, Anschlüsse an ÖPNV). In Moskau wurde ein heftig umstrittenes Programm zum Abriss älterer Wohnbauten aus der „Chrustschow“-Periode gestartet, das eine Umsiedlung der bisherigen Bewohner in neue moderne Wohnungen vorsieht und als Vorlage für andere Städte dienen soll. Der Großteil der Wohnungen wurde nach 1990 den Mietern zur Übernahme quasi zum Nulltarif angeboten. Neu gebaute Wohnungen werden in der Regel als Wohneigentum gehandelt. Aus der Privatisierung des Wohneigentums ergeben sich zahlreiche Probleme: Bankrott von Bauträgern, hohe Verschuldung durch Kreditaufnahme in Zeiten eines hohen Zinsniveaus zwischen 8 und 10 Prozent, teilweise schlechte Bauqualität. Vor allem für junge Familien, die eher durchschnittlich verdienen, ist es schwer, ausreichend bezahlbaren Wohnraum zu finden. Der Staat leistet Unterstützung mit dem erwähnten „Mütterkapital“, das bei der Geburt von Kindern ausgezahlt wird, sowie durch Übernahme von Teilen der Kreditschuld. Durch die Absenkung der Hypothekenzinsen und staatliche Zuschüsse für Familien verbesserten sich die Konditionen zum Erwerb von Wohneigentum. Diese Verbesserungen werden jedoch teilweise durch steigende Baupreise konterkariert. In den „Nationalen Zielen“ sind der Wohnungsneubau sowie die Verbesserung der kommunalen Infrastrukturen und des Wohnumfeldes wichtige Schwerpunkte. Danach sollen sich die Wohnbedingungen bis 2030 jährlich für „fünf Millionen Familien“ verbessern und ebenfalls jährlich 120 Millionen Quadratmeter Wohnraum gebaut werden.[1] Nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Protesten der Bevölkerung in Moskau und anderen Teilen Russlands  gegen die oft umweltschädliche Entsorgungspraxis sind die Errichtung moderner Deponien, die Einführung neuer Abfalltechnologien sowie Verbesserungen im Bereich Wasser/Abwasser vorgesehen.

Bildung – Schulwesen

Ähnlich wie das Gesundheitswesen blieb dieser Bereich über lange Zeit unterfinanziert. Nunmehr sind im Rahmen der „Nationalen Ziele“ deutlich höhere Investitionen vorgesehen, insbesondere eine bessere Ausstattung der Schulen, einschließlich der Digitalisierung, und eine Anhebung der Gehälter des Lehrpersonals, das trotz entsprechender Dekrete des Präsidenten im Mai 2018 in vielen Regionen nach wie vor schlecht bezahlt wird. Ein Schwerpunkt ist die verstärkte Förderung von Talenten und Hochbegabten. Laut Präsident Putin sollen alle Kinder die gleichen Bildungschancen haben. Bis 2030 soll die Russische Föderation im Bereich der Bildung zu den zehn führenden Staaten der Welt gehören.

Schlussbetrachtung

Eine zentrale Frage für die innere Stabilität der Russischen Föderation bleibt auf längere Sicht die Bekämpfung der Armut und der gewachsenen sozialen Ungleichheit. Neben der Zielstellung, die Arbeitslosigkeit abzubauen sowie die Einkommen und den sozialen Schutz der Bürger bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter zu verbessern, erlangen weitere Bereiche eine wachsende Bedeutung: Hilfen für Familien mit Kindern, bezahlbarer Wohnraum, Verbesserung des Wohnumfelds in den Kommunen, Bildungs- und Entwicklungschancen für die Jugend, Klima-, Umwelt- und Naturschutz. Um die finanziellen Grundlagen zur Lösung dringender sozialer und ökologischer Probleme zu stärken, wäre eine gerechtere Besteuerung großer Vermögen und von Spitzeneinkommen sowie wirksame Beschränkungen für den Abfluss von Kapital ins Ausland notwendig, Erste Schritte auf diesem Weg sind sichtbar, z. B. die Einführung von Steuern auf die Transfers von Gewinnen ins Ausland und auf Zinsgewinne für Bankguthaben, die über eine Mio. Rubel betragen. Sie fallen aber – gemessen an den Erfordernissen – noch zu bescheiden aus, um der in der CORONA-Krise noch gewachsenen sozialen Polarisierung erfolgreich entgegenwirken zu können. Dieser Punkt ist wichtig für kommende innenpolitische Auseinandersetzungen – z. B. mit Blick auf die im September 2021 anstehenden Duma-Wahlen. Obwohl der Höhepunkt der CORONA-Pandemie überwunden ist und es auch wirtschaftlich wieder aufwärts geht, sind breite Teile der Bevölkerung sozial und in ihrer Stimmungslage verunsichert, vor allem in den Städten, die im ersten Halbjahr 2020 von einem harten Lockdown betroffen waren. Ängste vor einer Erkrankung durch CORONA spielen dabei ebenso eine Rolle wie die vor einem sozialen Absturz und einem tiefen Fall in Armut. Vor diesem Hintergrund sind auch die Missstimmungen und das Misstrauen in staatliches Handeln zu sehen, die momentan in der russischen Gesellschaft weit verbreitet zu sein scheinen, insbesondere in Regionen, in denen sich das Gefühl ausbreitet, benachteiligt zu sein. Trotz staatlicher Hilfen befürchtet vor allem der Mittelstand noch heftige Einbußen. Es gelang zwar, einen befürchteten Zusammenbruch des Gesundheitssystems durch die CORONA-Pandemie zu verhindern. Dennoch wurden die teilweise drastischen Defizite in der gesundheitlichen Versorgung (Krankenhäuser, ambulante Versorgung) erneut deutlich sichtbar. Daher ist es nachvollziehbar, dass auch künftig in den „Nationalen Zielen“ der umfassende Ausbau des Gesundheitswesens und des Bildungsbereichs mit einer verstärkten Förderung von Kindern und Jugendlichen sowie die Ausweitung von Hilfen für selbständige städtische Mittelschichten (kleine und mittlere Unternehmer, Gewerbetreibende, freie Berufe) eine zentrale Rolle spielen werden.


[1] Der Umrechnung von Rubel in Euro bei Angaben für 2021 wurde der Kurs 1 Euro = 88 Rubel vom 18.03.2021 zugrunde gelegt. [2] Argumenty i fakty, (Europaausgabe, russ.) Nr. 34, 19.-25. August, S. 8