Eine Qualifizierungsoffensive ist gefordert

Die Klagen der Unternehmen über Fachkräftemangel sind häufig zu hören. Die Antwort könnte eine Qualifizierungsoffensive sein. Mit der Nationalen Weiterbildungsstrategie (NWS) wollen Bundesregierung, Länder, Bundesagentur für Arbeit, Unternehmen und Gewerkschaften gegensteuern. Die vor zwei Jahren gestartete Initiative ist aber aus Sicht des Deutschen Gewerkschaftsbundes  (DGB) „noch nicht vollendet“. „In vielen Betrieben wird weder der konkrete Qualifizierungsbedarf ausreichend ermittelt, noch gibt es eine systematische Personalplanung“, kritisiert IG Metall Vorstand Hans-Jürgen Urban.  Die Gründe für Weiterbildung können unterschiedlich sein. So kann das Unternehmen eine neue Maschine anschaffen, da die Bedienung der Software besondere Kenntnisse erfordert, und es werden Schulungsmaßnahmen erforderlich. Oder es werden Qualitätszirkel in der Produktionsabteilung eingeführt. Diese sollen nicht nur vertiefte Kenntnisse der Produkte vermitteln, sondern die Teammitglieder sollen auch Ideen zur Verbesserung der Arbeitsabläufe entwickeln.

Weiterbildung ist hierzulande „sehr fragmentiert“ und läuft Gefahr, nicht konsequent umgesetzt zu werden, kritisierte jüngst die OECD. Bislang gilt in der Weiterbildung viel zu oft: „Wer hat, dem wird gegeben“: Wer schon gut qualifiziert ist, hat besseren Zugang zu Weiterbildung. Wer es aufgrund geringer Qualifikation dringend bräuchte, für den ist es ungleich schwieriger, kritisiert die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack.

Berufliche Weiterbildung bedeutet mehr als „online learning“

Seit Beginn der Covid-19-Pandemie wird die Qualifizierung betrieblich immer mehr über Online-Lösungen angegangen. Die Belegschaften, gerade jene Teile im Homeoffice, werden aufgefordert, über E-Learning-Programme das Lernen selbständig zu betreiben. Die Folgen sind meist kurze Lerneinheiten, für die keine zusätzliche Zeit eingeplant wird. Dieser Trend ist jedoch seit Jahren spürbar, wie eine Untersuchung deutlich macht.  Bereits vor der Pandemie hat die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung den „Trendbericht: Betriebliche Weiterbildung“ vorgelegt, in dem die Praxis der Qualifizierung in den Betrieben genauer unter die Lupe genommen wird. Der Soziologe Winfried Heidemann, Autor des Berichts, spricht von einer Tendenz „zur selbständigen Nutzung von Online-Angeboten unter weitgehendem Verzicht auf eigenes professionelles Weiterbildungspersonal“. Er kritisiert, dass es bei den Inhalten der digitalen Weiterbildung meist nur um die schnelle Lösung aktueller Probleme im betrieblichen Alltag gehe. Das reiche aber angesichts sich ständig verändernder Arbeitsanforderungen nicht aus. Digitale Technologien verstehen, neue Software in Betrieben anwenden oder moderne Methoden in der Projektarbeit lernen – die Anforderungen sind unterschiedlich. Das Lernen ist durch die erste Berufsbildung in der Regel nicht abgeschlossen. Aus Unternehmenssicht wird das Fachwissen immer mehr zu einem Produktivfaktor. Die Erwartungen von Kunden werden größer, Konkurrenten können Produkte verbessern. Unternehmen benötigen deshalb die regelmäßige Weiterentwicklung ihrer Kundenangebote, um am Markt bestehen zu können. Dies kann nur mit qualifiziertem Personal gelingen. Es sei aber nicht damit getan, Weiterbildungsangebote auf einer schicken Plattform zusammenzuführen. Ein „erster und guter Schritt“ wäre es, die Wege zur beruflichen Weiterbildung über Beratung und Qualifizierungsangeboten „transparenter zu gestalten“, so  DGB-Vorsitzende Elke Hannack. Auch benötigen die Beschäftigten Zeit zum Lernen: „Weiterbildung führt allzu oft gleichzeitig zu Arbeitsverdichtung der Beschäftigten. Deshalb muss bei der Fortsetzung der Nationalen Weiterbildungsstrategie auch ein Modell für eine staatliche Förderung für eine Weiterbildungsteilzeit entwickelt, erprobt und umgesetzt werden“, fordert Hannack.

Recht auf Bildung gesetzlich verankern

Der Gesetzgeber ist bei den Namen für rechtliche Regelungen kreativ. In der jetzigen Amtsperiode entstanden das „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ und das „Qualifizierungschancengesetz“:  Mit dem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ sollen die Qualifizierungsmöglichkeiten verbessert werden. Die bisherigen Zuschüsse der Bundesagentur für Arbeit zu Lehrgangskosten steigen um zehn Prozentpunkte, unabhängig von der Betriebsgröße, wenn mindestens jeder fünfte Arbeitnehmer eines Betriebes Weiterbildung beansprucht. Als besondere Errungenschaft der großen Koalition sieht Bundesarbeitsminister Hubertus Heil das „Qualifizierungschancengesetz“: „Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer von heute auch die Arbeit von morgen machen können“, betonte der Minister die Bedeutung des Gesetzes. Mit der Neuregelung wolle er beginnen, die „Arbeitslosenversicherung in Deutschland endlich zu einer Arbeitsversicherung weiterzuentwickeln, um Arbeitslosigkeit zu verhindern“, so der Minister. Die gravierende Neuerung: Während bislang vor allem Arbeitsuchende für neue Tätigkeiten „umgeschult“ werden, sollen Qualifizierungen gefördert werden, die Arbeitsplätze sichern. Konstrukteure können sich im Umgang mit 3D-Druckern qualifizieren lassen, Dachdecker den Umgang mit Drohnen bei der Reparatur lernen. Auch müssen sich Techniker genauso wie Ingenieure in der Automobilindustrie weiterbilden, die bisher sehr stark am Verbrennungsmotor gearbeitet haben, verdeutlichte der Minister. Ein großes Manko wird aber beim Blick auf die Website des Arbeitsministeriums deutlich: „Die Leistungen zur Förderung der beruflichen Weiterbildung sind grundsätzlich Ermessensleistungen. Einen Rechtsanspruch darauf gibt es daher nicht.“ Forderungen nach einem bundesweiten Weiterbildungsgesetz werden von der Bundesregierung  ignoriert. Sie bleibt ihrer Strategie treu – bei den Ende Juni in Kraft getretenen Neuerungen zum Betriebsverfassungsgesetz findet sich kein Recht auf Bildung. Vielmehr kann der Betriebsrat mit dem Unternehmen über die Ermittlung des Berufsbildungsbedarfs streiten, ohne ein Arbeitsgericht abschließend entscheiden zu lassen. Zusätzliche Schulungen erhalten Arbeiter dadurch keine.