Wie fast alle „Qualitätsmedien“ meldet die Süddeutsche Zeitung zur Eröffnung des 20. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas zum einen: „Xi Jinping droht Taiwan und den USA“, zum andern: „Chinas Wirtschaft gerät in Not“. Als drittes wird vor allem hervorgehoben, dass Xi sich zum dritten Mal wählen lassen wolle, „ein Bruch mit den Lehren aus dem Leid, dass die Ein-Mann-Herrschaft von Mao Zedong über das Land gebracht hatte“.

Zur ersten Behauptung, China habe den USA und Taiwan gedroht: Taiwan war der Zufluchtsort der Kuomintang unter Tschiang Kai-shek, die zuvor von Offizieren aus Nazi-Deutschland beraten worden war und später von den USA massiv unterstützt wurde, aber dennoch 1949 von der Volksarmee mit den Kommunisten unter Mao Zedong besiegt wurde. Tschiang floh mit den Seinen auf die chinesische Insel Taipeh, wo er unter dem Schutz der USA eine straffe Rechtsdiktatur errichtete. Er starb 1975 und ganz langsam entwickelten sich die formaldemokratischen Institutionen des kapitalistischen Systems. Die Volksrepublik China, aus einem äußerst blutigen Revolutionskrieg hervorgegangen, hat die „Republik China“ (Formosa=Taiwan) nie anerkannt und stets als Teil Chinas betrachtet, der noch zu befreien ist. Die Volksrepublik besteht auf die Ein-China-Politik, wer mit ihr diplomatische Beziehungen unterhalten will, darf dies nicht mit Taiwan tun. Weder Deutschland noch die USA noch die große Mehrheit der Staatenwelt erkennen Taiwan offiziell an. Das Grundprinzip – Ein-China – hat Xi Jinping zur Eröffnung des Parteitages bekräftigt und hinzugefügt, dass die jetzige Führung niemals versprechen werde, „auf Anwendung von Gewalt zu verzichten“. Eine Gewalt also, die China auf seinem eigenen Staatsgebiet beansprucht, die sie aber noch nie gegenüber Taiwan angewendet hat.

Gewalt begegnet der Volksrepublik China allenthalben. Die USA haben noch vor dem Parteitag der KPCh am 12. Oktober 2022 ihre neue „National Security Strategy“ veröffentlicht. Darin wird verkündet, die Biden-Regierung wolle dieses Jahrzehnt nutzen, „um unsere geopolitischen Konkurrenten auszumanövrieren“. Angesichts der Pandemie und der globalen wirtschaftlichen Unsicherheit „ist keine Nation in einer besseren Lage, mit Stärke und Zielbewusstsein zu führen als die USA“. Und nun die tatsächliche Drohung an alle: „In der ganzen Welt haben die Nationen wieder gesehen, warum es niemals eine gute Wette ist, gegen die USA zu wetten“.

Die Gegner, Biden nennt als ersten China, als zweiten Russland, würden „fälschlicherweise glauben, Demokratie sei schwächer als Autokratie“. „Aber ich bin zuversichtlicher denn je, dass die USA alles haben, was sie brauchen, um den Wettbewerb um das 21. Jahrhundert zu gewinnen“. Als Partner bei diesem Siegeszug nennt der US-Präsident die „zentralen Allianzen in Europa und im Indo-Pazifik“: Nato, AUKUS (Australien, UK, USA), die EU, den Indo-Pacific Quad, das Indo-Pacific Economic Framework und die Americas Partnership for Economic Prosperity (von den USA konzipiertes Freihandelsorgan für Lateinamerika). Die USA haben also einen Allianzen-Reigen rund um den Globus gesponnen, der seinen „autokratischen Gegnern“ die Luft abschneiden soll – China soll „ausgestochen“ (out competing) werden, Russland soll „unter Zwang gestellt“ werden (constraining). Die „Sicherheitsstrategie der USA ist eine einzige Kampfansage an die Welt, „deren Bedürfnis nach amerikanischer Führung größer ist denn je“.

Die Gefahr für den Weltfrieden geht in erster Linie vom westlichen Imperialismus und deren sich auserwählt wähnenden Führungsmacht USA aus, und die Gegner China und Russland tun gut daran, sich zu wappnen.

Russland hat mit seinem Angriff auf die Ukraine den absolut falschen Weg gewählt. Es kann nicht um die Wiederherstellung irgendwelcher imperialen Größe gehen, sondern um die Mobilisierung aller zivilen Komponenten, um gegen den Sturmlauf des US-Imperialismus zu bestehen. Dass die Ukraine nicht zur Speerspitze der Nato werden darf, ist ein legitimes und nötiges Ziel. Für jeden Sozialisten verbietet sich indes der Einsatz militärischer Vernichtungsmittel. Der chinesische Weg, die eigenen wirtschaftlichen Fähigkeiten optimal zu nutzen und mit Bildung und Ausbau der Neuen Seidenstraße – an der über hundert Nationen in verschiedenen Formen beteiligt sind – ein Gegengewicht gegen die aggressiven West-Allianzen zu schaffen, ist der rationale und humane Abwehrzug.

Den Erfolg dieser Strategie konnte man an Abstimmungen in der UN über den Ukrainekrieg Russlands sehen. Während die „Qualitätsmedien“ wie das Fernsehen der „Welt“ nur die „Parias der Weltgemeinschaft“ an der Seite Russlands sahen, weigerten sich in Wahrheit die Vertreter der Mehrheit der Menschheit, Russland zu verurteilen. 35 Nationen enthielten sich der Stimme, darunter China und Indien, Pakistan, Südafrika, Kongo, Senegal. 13 Länder nahmen an der Abstimmung nicht teil, darunter Äthiopien, Guinea und Venezuela. Alle diese Länder mögen zwar der Aggression Russlands kritisch gegenüberstehen, gleichwohl wollen sie sich nicht vor den Propaganda-Karren der USA und seiner Alliierten spannen lassen. Insofern ist Russland keineswegs „isoliert“, aber auch seine Partner sind offenkundig nicht einverstanden mit seinem Vorgehen.

Dies gilt ausdrücklich für China, dessen friedliches Vorrücken in der Weltordnung durch den russischen Überfall behindert, aber nicht gestoppt wird. Im Gegensatz zu seinen Berufskollegen hat der stramm antikommunistische Gabor Steingart, früher Spiegel und Handelsblatt, in seinem „Pioneer Briefing“ folgende Erkenntnis kundgetan: „Die Aufholjagd gegenüber den USA, die man als globale Führungsmacht ablösen möchte, kommt langsamer voran als geplant. Aber sie kommt voran.“ Dann zählt er auf: In der Kaufkraft hat China die USA schon 2017 überholt. Heute liegen die Chinesen rund 5 Billionen (5000 Milliarden) Dollar vorne. In der Kaufkraftparität pro Einwohner hat China seit 2012 um 73% zugelegt, die USA um 34%. China hat längst die Transformation zu einem modernen Industriestaat geschafft. Auf die Landwirtschaft entfallen 7,3% der Wertschöpfung, auf die Industrie 39,4% und auf die Dienstleistung 53,3%. In vielen High Tech-Bereichen liegt China in der Welt vor den USA an der Spitze, so bei KI, Robotik, Internet der Dinge, Solaranlagen, Drohnen, Big Data, Nanotechnologie, 5G, Blockchain. Während der gesamte Westen von Inflation durchgeschüttelt wird (USA und Deutschland bei rund 10%), liegt die Teuerungsrate in China bei 2,8%. Die West-Medien überbieten sich in düsteren Schilderungen über Chinas Städte im Lockdown, doch für China meldet das Johns-Hopkins-Institut 15.505 Todesfälle mit Covid, für die USA rund 1,06 Millionen Corona-Tote. Die Lebenserwartung in den USA ist in den USA 2021 um 0,9 Jahre gegenüber dem Vorjahr gesunken, in China ist sie um 2,8 Jahre auf 78,2 Jahre gestiegen. China hält ausländische Währungsreserven in Höhe von 3,3 Billionen Dollar, die USA und Deutschland nicht einmal ein Zehntel davon.

Xis Fazit auf dem Parteitag: China wird „die Schlacht um die internationale Technologieführerschaft“ gewinnen. Es ist zu bezweifeln, dass die Sanktionen der USA – die versuchte Zerstörung von Huawei im 5G-Konflikt, das Verbot der Lieferung entwickelter Halbleiter nach China – dies verhindern können. Die Tonart des Vorsitzenden Xi ist eine andere, selbstbewusstere als die seiner Vorgänger. Ob das ein „strategischer Fehler“ ist, wie Steingart meint, der den „Tarnkappen-Kommunismus“ der früheren Tage empfiehlt, ist ebenfalls zu bezweifeln. Zwar ist verständlich, dass ein publizistischer Vorreiter des deutschen Kapitals wie Steingart lieber einen demütigen, unterwürfigen chinesischen Führer sähe als einen, „der sich leidenschaftlich und glaubhaft zum Marxismus bekennt“.

Doch der neue Ton widerspiegelt die Änderung im internationalen Machtgefüge. Es entwickelt sich global eine starke antiimperialistische Front, in der China zwangsläufig eine herausragende Rolle zukommt, die die KPCh betont friedlich und multilateral-demokratisch annimmt. Und wenn deutsche Journalisten roten Mao-Terror an die Wand malen, wenn Xi sich zu einer dritten fünfjährigen Amtszeit wählen lässt, so ist das bloß lächerlich bei Leuten, die eine sechzehnjährige Kanzlerschaft Merkels mit großem Wohlwollen kommentiert haben.