Folgende Bilanz könnte am Ende des Jahres 2024 gezogen werden:
Die extreme Rechte ist zu einem entscheidenden Faktor der deutschen, europäischen und weltweiten Politik geworden. Ihre Themen bestimmen die politische Agenda, ihre Parteien gewinnen Wahlen und die westliche Führungsmacht wird erneut von einem antidemokratischen Putschisten geführt. Im Frühjahr sind die Parteien der äußersten Rechten mit deutlichen Gewinnen die Sieger der Europawahlen. Die AfD hat in Deutschland bei den parallel stattfindenden Kommunalwahlen mehrere Bürgermeister- und Landratsposten errungen und ist in zahlreichen Kommunen zur stärksten politischen Kraft geworden. Bei den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist die AfD jeweils stärkste Partei geworden, Regierungsbildungen gegen sie sind mehr als kompliziert und konservative Minderheitsregierung unter Duldung der extremen Rechten noch nicht vom Tisch. In den USA schließlich, hat Donald Trump zum zweiten Mal die Präsidentschaft erlangt.

Dieses Horrorszenario entspringt wahlweise einer pessimistischen Überschätzung der Möglichkeiten der extremen Rechten oder ist realistische Projektion einer Entwicklung, die sich heute und vor unseren Augen abspielt. Wer die Debatten in Deutschland und Europa im Herbst und Winter 2023/24 verfolgt, sieht eine auf Angst und Verunsicherung basierende Politik einer taumelnden Regierung, die, genauso wie die konservative Opposition, die AfD einzuhegen versucht, indem sie ihr zentrales Thema der Migration ins Zentrum der innenpolitischen Auseinandersetzung stellt. Erneut macht das politische Establishment damit deutlich, dass es die Dimension und die Gründe des Aufstiegs der AfD in Deutschland und einer extremen Rechten weltweit nicht erkannt hat, bzw. nicht bereit ist, sie zur Kenntnis zu nehmen.

Flucht, Asyl, Zuwanderung, „großer Austausch“, „Great Reset“, „Klima-„ und „Coronadiktatur“ – all diese Themen und Schlagworte der AfD sind Ausdruck einer tieferliegenden Dimension der Krise westlich-kapitalistischer liberaler Demokratien. Massive Verunsicherung, Kontrollverlust, Demokratieentleerung sind abstraktere Umschreibungen, die sich in den oben genannten Themen ausdrücken und Begleiterscheinung einer Entwicklung des westlichen Kapitalismus sind, die sich seit den 1980er Jahren beobachten lässt und die in den späten 1990er Jahren volle Fahrt aufnahm. Mit dem Ende des „goldenen Zeitalters“ (Hobsbawm) trat der Nachkriegskapitalismus in eine neoliberale Phase ein, die durch den Zusammenbruch des Realsozialismus noch einmal beschleunigt wurde. Der Klassenkompromiss nach dem zweiten Weltkrieg wurde von oben aufgekündigt, was zu einer Entwicklung führte, die zusammen mit der Globalisierung und des Einreißens aller Schranken für das Kapital eine Dynamik in Gang setzte, unter der ein großer Teil der nach dem Weltkrieg erkämpften Einhegungen und sozialen Sicherungssysteme des westlichen Kapitalismus geschliffen wurden. Diese Form der „Entsicherung“ (Heitmeyer) westlicher Gesellschaften hatte vielfältige gesellschaftspolitische Folgen, zu denen auch der Aufstieg von Parteien einer modernisierten extremen Rechten gehörte.

Seit Mitte der 1980er Jahre lässt sich der Aufstieg eines neuen Typs der extremen Rechten beobachten, der sich vom traditionellen Neofaschismus mehr und mehr unterschied, ohne jedoch die gemeinsamen Wurzeln im Autoritarismus und völkischem Nationalismus zu kappen.

Mit dem Aufstieg des Front National unter Jean Marie Le Pen und dem Siegeszug der FPÖ unter Jörg Haider nahm eine Entwicklung ihren Ausgang, die sich aktuell in der Regierungsübernahme der aus dem Neofaschismus stammenden Fratelli d’Italia, der Regierungsbeteiligung bzw. Tolerierung durch Parteien der extremen Rechten in Schweden und Finnland, dem Wahlsieg von Gert Wilders in den Niederlanden, sowie der langjährigen Regierung von Parteien dieses Typs in Ungarn und Polen zeigt.

Die extreme Rechte steht vor den Toren der politischen Macht und häufig gelingt es nur noch im Zusammenwirken aller anderen Parteien, sie von dieser Macht fernzuhalten. Haben wir es mit einer neuen Form des Faschismus zu tun oder überdeckt diese Begrifflichkeit gerade die Spezifik der aktuellen Entwicklung? Wie lassen sich die Parteien dieser Rechten begrifflich fassen und was sind die Gründe für ihren Aufstieg? In welchem Verhältnis steht der rechte Aufstieg zum Kapitalismus und zu den Teilen der herrschenden Klasse, die aus marxistischer Sicht als hegemonial betrachtet werden? Auf welcher Klassenbasis baut die radikale Rechte auf, welche inhaltlichen Angebote macht sie und welche Anforderungen ergeben sich daraus für eine antagonistische Linke? Diese Fragen stehen im Zentrum der folgenden Ausführungen, können jedoch nur vorläufig und in Teilen skizzenhaft beantwortet werden.

Rechtspopulismus? Faschismus? Modernisierte Rechte?

Der Aufstieg einer modernisierten extremen Rechten seit Ende der 1990er Jahre und vor allem ihr durchschlagender Erfolg seit Mitte der 2010er Jahre haben die Frage, mit was für einer Art von Rechten wir es hier zu tun haben, dringlicher gemacht (vgl. Wiegel 2018). Trotz aller Veränderungen und Ausdifferenzierungen dieser Rechten hat sich der Begriff des Rechtspopulismus als Sammelbezeichnung bis heute gehalten, hilft jedoch nicht bzw. nur bedingt bei der inhaltlichen Bestimmung dieser Rechten. Parteien, die einer neofaschistischen Tradition entstammen, wie der Rassemblement National (RN, früher Front National), die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) oder die Schwedendemokraten, werden ebenso unter diesen Begriff gefasst wie solche, die aus bürgerlich-liberalen Parteien hervorgegangen sind, wie die Dänische Volkspartei (DF). Neugründungen ganz unterschiedlichen Typs, wie die niederländische Partei für die Freiheit (PVV), die AfD, die Lega (Nord) und die britische UKIP wurden und werden so bezeichnet, genauso wie radikalisierte konservative Parteien bzw. Bewegungen wie die Schweizerische Volkspartei (SVP), die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Fidesz in Ungarn oder die US-Republikaner unter Donald Trump.

Die Kritik an der inhaltlichen Leere und Beliebigkeit des (Rechts-)Populismusbegriffs hat mit der inflationären Nutzung des Begriffs zugenommen. Zurecht wird moniert, dass mit dieser Bezeichnung wenig bis nichts über die politischen Inhalte der jeweiligen Parteien und Bewegungen ausgesagt wird.

Populismus beinhaltet den Bezug auf die Masse der Bevölkerung. Ihre Wünsche, Sehnsüchte, Bedürfnisse sollen zum Ausdruck gebracht werden. Populistische Argumentationen basieren auf einem Freund-Feind-Schema, das eine klare Einteilung in Gut und Böse auch bei verschiedenen komplexen politischen Sachverhalten erlaubt. Weiter kennzeichnet den Populismus eine Gegenüberstellung von oben und unten, von «wir hier unten», die Beherrschten, und «die da oben», die Herrschenden. Dies erlaubt den Anhängern die Selbsteinschätzung als ausschließliches Objekt von Politik. Die populistische Partei oder Bewegung wird somit zur Interessenvertretung der «kleinen Leute» gegen «die da oben». Eine spezifische Mischung aus personalisierten und kollektivistischen Argumentationen ist ein weiteres Kennzeichen des Populismus. Charismatische Persönlichkeiten und kollektive Identitäten (Nation, Volk, «Rasse») ergänzen sich hier. Schließlich greift populistische Agitation Ängste und irrationale Vorstellungen auf und ist selbst weitgehend anti-intellektualistisch.

Für die modernisierte extreme Rechte sind diese Stilelemente politischer Agitation vielfältig nutzbar. Das Freund-Feind-Schema und die Gegenüberstellung von «wir» und «die da» lässt sich für ganz unterschiedliche Argumentationen nutzen. Im traditionellen Rechtsradikalismus findet der Ein- und Ausschluss von Bevölkerungsgruppen entlang völkisch-rassistischer Kriterien statt. Die homogene rassistisch definierte Nation wird von den nicht Dazugehörigen, den Ausländern, den Fremden und Anderen unterschieden. Die modernisierte Rechte hat den traditionellen Rassismus durch ethnopluralistische Vorstellungen ersetzt, die von einer Unvereinbarkeit von Kulturen, die sie als statisch begreifen, ausgehen.

Diese völkische Argumentation kann durch eine stärker den neoliberalen Leistungsgedanken betonende Argumentation ergänzt werden: Hier sind es dann vor allem die «Schmarotzer», «Leistungsunwilligen» und Außenseiter der Gesellschaft, die als nicht dazugehörig identifiziert werden. Beide Argumentationen finden sich in unterschiedlicher Ausformung bei allen Parteien der extremen Rechten.

Der Begriff des Rechtspopulismus beschreibt Stil und Art des politischen Auftretens einer Partei oder Bewegung, sagt aber nur wenig über seine Inhalte. Er ist auch deshalb beliebt, weil mit ihm ganz unterschiedliche Ausrichtungen dieses Typs unter einem Begriff gefasst werden können. Nur ein Teil der so bezeichneten Parteien ist eindeutig der extremen Rechten zuzurechnen. Der aufgrund seiner Nähe zum Extremismuskonzept (vgl. Feldmann 2023) problematische Begriff des Rechtsextremismus – hier abgewandelt in extreme Rechte – ist Basisbezeichnung für einen Teil dieser Parteien, wobei die Grenzen zwischen einem radikalen Konservatismus und der extremen Rechten fließend sind.

Ein völkisch-ethnisch begründeter Nationalismus, Autoritarismus, Anti-Pluralismus bzw. Demokratiefeindlichkeit sind Kennzeichen der extremen Rechten. In ihrer traditionellen Variante orientiert sie sich stark am historischen Vorbild des Faschismus. In einer modernisierten Variante ersetzt sie den biologistischen Rassismus durch eine kulturalistische Variante (nicht das Blut, sondern die Kulturen sind prinzipiell unvereinbar) und distanziert sich verbal mehr oder weniger deutlich vom Antisemitismus.

Für den Faschismus in seiner historischen Ausprägung kommt die unbedingte und unbegrenzte Gewaltanwendung hinzu, die sich gegen innere und äußere Feinde richtet. Aktuell plädieren einige Beobachter für eine Neufassung des Faschismusbegriffs, mit der die Rolle der Gewalt als Kriterium relativiert werden soll (Franke 2023). Ideologisch gibt es ohne jeden Zweifel deutliche Verbindungen zum historischen Faschismus. Nimmt man diesen jedoch nicht nur als ideologisches Phänomen, sondern bezieht seine politische Praxis ein, dann werden deutliche Unterschiede zur Gegenwart deutlich. Die ungeheure Gewaltentfaltung, die den Faschismus schon in seiner Bewegungsphase und dann noch einmal potenziert in der Regimephase kennzeichnet, lässt sich bei der heutigen Ausformung dieser Rechten so nicht beobachten, wenngleich die Gewaltaffinität bzw. die Verbindung zum Rechtsterrorismus bei einzelnen Parteien deutlich zu erkennen sind. Natürlich kann auch der Faschismus sein Gesicht wandeln und in veränderter Form auftreten. Dennoch ist fraglich, ob ein zentrales Kriterium wie das Gewaltpotenzial einfach aus der Begriffsbestimmung entfernt werden kann.

Mit Blick auf die AfD ist eindeutig von einer Partei der extremen Rechten zu sprechen, die in Teilen auch deutliche Züge eines (Neo-)Faschismus aufweist. Damit hat sich die Partei von einer rechtskonservativen und nationalistischen zu einer völkisch-demokratiefeindlichen Partei entwickelt.

Gründe für den Aufstieg der Rechten

Der Aufstieg der hier behandelten modernisierten Form der extremen Rechten hat nicht erst Mitte der 2010er Jahre begonnen, als mit Brexit und Trump-Wahl das Phänomen (erneut) internationale Beachtung fand. Der Ausgangspunkt dieser Entwicklung findet sich bereits in den frühen 1990er Jahren und hängt mit der neoliberalen Veränderung des westlichen Kapitalismus zusammen, die in den späten 1970er Jahren ihren Ausgang nahm (Thatcher und Reagan), sich vollumfänglich aber erst in der zweiten Hälfte der 1990er und dann in den frühen 2000er Jahren durchsetzte.

Bereits 2001 schrieb Wilhelm Heitmeyer in einem Band mit dem Titel „Schattenseiten der Globalisierung“ über die autoritären Gefährdungen, die ein neoliberal entsicherter Kapitalismus mit sich bringe: „Die zu verfolgende These geht davon aus, daß sich ein autoritärer Kapitalismus herausbildet, der vielfältige Kontrollverluste erzeugt, die auch zu Demokratieentleerungen beitragen, so daß neue autoritäre Versuchungen durch staatliche Kontroll- und Repressionspolitik wie auch rabiater Rechtspopulismus befördert werden. (Heitmeyer 2001, S. 500)

Bis heute wird von Seite der politisch Verantwortlichen der Zusammenhang von ökonomisch induzierter Entsicherung der Gesellschaft und Aufstieg einer autoritären Rechten weitgehend ignoriert bzw. in Kauf genommen. Stattdessen wird verbal der Zusammenhalt einer Gesellschaft beschworen, deren Zerfall über Jahrzehnte politisch befördert wurde.

Mit dem Abbau sozialer Sicherungssystem, der verstärkten Privatisierung der Gesundheits- und Altersvorsorge und der Forcierung von Marktmechanismen in den westlich-kapitalistischen Ländern verbindet sich ein massiver Konkurrenzdruck um die verknappten Ressourcen. Die von der extremen Rechten betriebene Ethnisierung gesellschaftlicher Beziehungen, mit denen der oben-unten-Gegensatz in einen innen-außen-Gegensatz verwandelt wird, traf in einer solchen Konstellation auf große Nachfrage vor allem bei denen, die die neue Konkurrenzsituation zu fürchten hatten und haben. Drei Entwicklungen kamen hinzu, die für den Aufstieg der Rechten von hoher Bedeutung waren.

  1. Als Formen «roher Bürgerlichkeit» bezeichnet Wilhelm Heitmeyer (Heitmeyer 2002–2011) die mit dem Aufstieg und der Durchsetzung neoliberaler Wertemuster verbundenen Einstellungs- und Verhaltensweisen, die er über zehn Jahre unter dem Stichwort «gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit» untersucht hat. Ethnozentrismus, Rassismus und zahlreiche weitere Formen der Abwertung sozial schwacher Gruppen werden von ihm als Ausdruck der Verinnerlichung neoliberaler Leistungsanforderungen bewertet, die von den Trägern dieser Ideologie gegen all jene in Stellung gebracht werden, die diesen Anforderungen (vermeintlich) nicht gerecht werden. Die Amalgamierung von Neoliberalismus und Sozialdarwinismus ermöglichte es zahlreichen Parteien der modernisierten extremen Rechten, neoliberale Elemente in ihre Programmatik aufzunehmen (was ab Beginn der 2000er Jahre geschah) (Schui 1997). Die Vorwürfe gegen Asylbewerber, Geflüchtete und zahlreiche andere Gruppen sind nicht allein rassistisch motiviert. Vorgehalten wird ihnen, «leistungslos» Einkommen und staatliche Unterstützung zu beziehen, während sich die den neoliberalen Leistungsanforderungen unterwerfenden «Normalbürger» um ihren gerechten Anteil am gesellschaftlichen Reichtum betrogen fühlen. Die Bücher von Thilo Sarrazin sind Ausdruck dieses «Rassismus der Leistungsträger» und der «normal arbeitenden Bevölkerung», die vor allem den Mittelklassen entstammen und bis heute einen wichtigen Bezugspunkt der modernisierten radikalen Rechten bilden.
  2. Der Schwenk der europäischen Sozialdemokratie hin zu Grundsätzen neoliberaler Wirtschafts- und Sozialpolitik ab den späten 1990er Jahren hat es der modernisierten Rechten erlaubt, Teile der klassischen Wählerklientel sozialdemokratischer und auch kommunistischer Parteien für sich zu gewinnen. Der mit dem Schröder-Blair-Papier 1999 beschrittene «Dritte Weg» bedeutete eine Abkehr der Sozialdemokratie von der klassischen Aufgabe, einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit durch eine gewisse Umverteilung von oben nach unten herzustellen. Damit konnten sich Teile der Rechten zu Anwälten der «kleinen Leute» aufschwingen und Schutz vor den Zumutungen des globalen Kapitalismus – basierend auf nationaler und völkischer Zugehörigkeit – versprechen, was sich vor allem an die «Verlierer» des neoliberalen Kapitalismus und die Abstiegsgefährdeten richtet.
  3. Die vom kulturellen Aufbruch 1968 ausgehende und sich mit den massiven Schüben des globalen Kapitalismus seit 1990 verbindende kulturelle Modernisierung westlicher Gesellschaften (Fraeser 2017) hat in Teilen der Bevölkerung zu großen Verunsicherungen geführt. Der Wandel familiärer Rollenmuster, die Hinterfragung geschlechtlicher Normierungen, Erfolge des Feminismus und anderer Bewegungen für die Rechte von sexuellen Minderheiten sind Ausdruck kultureller Veränderungen, die von vielen Anhängerinnen und Anhängern der Rechten als Überforderung und Bedrohung erfahren werden. Dass Teile der Rechten vorgeben, diese Begleiterscheinungen der Modernisierung rückgängig machen zu können, und auf den weit verbreiteten Wunsch eingehen, an Traditionen und Gewohntem festzuhalten, macht des Weiteren einen Teil ihrer Anziehungskraft aus.

In der Debatte über die Gründe ihres Aufstiegs wird immer wieder die Frage gestellt, inwieweit die sozialen Verwerfungen des neoliberalen Kapitalismus für den Erfolg von rechten Bewegungen und Parteien mit verantwortlich sind. Alle bekannten Studien und Daten hierzu kommen zu dem Schluss, dass es keine monokausale Erklärung gibt. Der Erfolg der modernisierten extremen Rechten beruht gerade auf der Heterogenität ihrer Wählermilieus und der Heterogenität und teilweisen Gegensätzlichkeit ihrer politischen Botschaften. Neoliberale Programmatik lässt sich mit völkischem Antikapitalismus aber nur dann verbinden, wenn sie inhaltlich und formal von etwas anderem zusammengehalten wird. Als Klammer erweisen sich gegenwärtig ein gegen die Eliten gerichteter Populismus sowie ein antimuslimischer Rassismus.

Bezogen auf die AfD lässt sich seit 2016 eine deutliche Verschiebung der Wählerschaft hin zu «Arbeitern» und «Arbeitslosen» ausmachen (Wiegel 2017, Hövermann 2023). Das hat zu der berechtigten Frage geführt, welche Verantwortung die politische Linke für den Aufstieg der Rechten hat und ob eine stärkere Ausrichtung an klassenpolitischen Fragen den Zustrom zur AfD stoppen könnte. Die fortschreitende Auflösung tradierter Klassenmilieus (Stichwort: Individualisierung) stellt die Linke bei der Formulierung klassenpolitischer Politikangebote jedoch vor erhebliche Herausforderungen. Zudem schrumpft die klassische Arbeiterklasse (im Sinne der Industriearbeiterschaft) weiter. Dennis Eversberg (Eversberg 2017) beziffert den Arbeiteranteil der AfD-Wähler bei der Bundestagswahl 2017 auf etwa 14 Prozent, den der Arbeitslosen auf nur 3 Prozent. Angestellte und Rentner machten demgegenüber 36 bzw. 30 Prozent aus. D.h., ein Anteil von bis zu 40 Prozent unter Arbeiter wie bei der AfD 2023 in Hessen, muss in absoluten Zahlen nicht die größte Wählergruppe der Partei sein. Auch scheinen sich viele AfD-Anhänger nicht vor allem als ökonomische Verlierer zu sehen, sondern es ist die Sorge vor einem möglichen zukünftigen sozialen Abstieg, verbunden mit der Bedrohung kultureller Sicherheiten, die Wählerinnen und Wähler zur AfD treibt. Dennoch spielt für den Teil der AfD-Wählerinnen und -Wähler, der von der politischen Linken potenziell zu erreichen ist, die soziale Frage in einem umfassenden Sinne eine entscheidende Rolle. Formen des Konkurrenzrassismus finden hier verstärkt Anklang.

Schließlich gilt die kritische Haltung gegenüber den mit der kapitalistischen Globalisierung einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen als zentrales Erfolgsmerkmal der Rechten. In einer Studie zur Bundestagswahl 2017 hat die Bertelsmann-Stiftung einen Unterschied zwischen den Wählerinnen und Wählern der AfD und denen anderer Parteien festgestellt (Vehrkamp/Wegschaider 2017). Dieser Konflikt wird pejorativ als Gegensatz zwischen «Modernisierungsbefürwortern» und «Modernisierungsskeptikern» und als neue gesellschaftspolitische Spaltungslinie beschrieben (ebd.: 29 ff.). Hinter dieser Begrifflichkeit verschwindet die Tatsache, dass die Kosten der kapitalistischen Modernisierung vor allem von den Unter- und Mittelklassen zu tragen sind, weshalb sich hier der größte Teil des Unmuts gegen diese Entwicklung findet. Was als Modernisierung im Rahmen der neoliberal geprägten kapitalistischen Globalisierung ausgegeben wird, erscheint für größere Teile der Bevölkerung als Prekarisierung ihrer Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Diese fundamentalen Verunsicherungen, die die Arbeitswelt, aber auch die Familien- und Geschlechterverhältnisse betreffen, die Form von äußeren Bedrohungen annehmen (etwa durch Terrorismus und Kriege) und sich in intransparenten Verhältnissen äußern (Undurchschaubarkeit politischer Entscheidungsmacht und Verantwortung), führen zu unterschiedlichen passiven und aktiven Protestformen, die zum Teil anschlussfähig für autoritäre, auf Abschließung und Ausschluss zielende Bewegungen sind (Candeias 2018). Die extreme Rechte profitiert inzwischen stark von dieser Entwicklung.

Die Vielfachkrise der Gegenwart, die den Eindruck einer mindestens seit 2008 (Finanzmarktkrise) anhaltenden Dauerkrise macht, hat zu massiven Verunsicherungen und zum Eindruck des Kontrollverlustes geführt. „Take back control“ war der Schlachtruf der Brexiters 2016 und drückt ein zentrales Bedürfnis eines Großteils ihrer Wählerinnen und Wähler aus. Die extrem Rechte ist zentraler Profiteur dieser Vielfachkrise (Friedrich 2023), verspricht sie doch eine Abwendung von den Zumutungen eines globalen Kapitalismus und die Rückbesinnung auf den souveränen Nationalstaat.

Rechte Politikangebote / rechte Erzählungen

Die Attraktivität der extremen Rechten ergibt sich aus einer einfachen, aber kohärenten Erklärung der Krise(n) und einfachen Vorschlägen für deren Lösung. Der Rückzug auf den zumeist ethnisch definierten Nationalstaat ist für alle Akteure dieser Rechten ein zentrales Versprechen, mit dem sie ein Gegenbild zum globalisierten Kapitalismus anbieten, das an eine imaginierte „gute Vergangenheit“ anknüpft. Globalisierung steht hier für alle negativen Begleiterscheinungen des Kapitalismus und unter diesem Stichwort finden sich alle Formen von Verunsicherungen, die von der rechten immer wieder zielsicher identifiziert und adressiert werden. Von den Veränderungen in den Geschlechterbeziehungen, über den Klimawandel, bis zur wirtschaftlichen Transformation. Zentrales Element und geradezu Sinnbild der abgelehnten Globalisierung ist die internationale Migration und Fluchtbewegung, in der sich die „Entfremdung“ – alltäglich erfahrbar – scheinbar ausdrückt. Insofern sind Flucht und Migration für die extreme Rechte zwar zentraler politischer Bezugspunkt und universelle Erklärung aller gesellschaftlichen Missstände aber doch nur Erscheinung einer tieferliegenden Krise.

Der Liberalismus und die mit ihm identifizierten politischen, kulturellen und medialen Eliten sind die zentralen politischen Feindbilder, neben einer ethnisch als nicht zugehörig definierten migrantischen Bevölkerung.

Radikalisierungsgeschichte einer Partei: Die AfD

Der Aufstieg der AfD im Parteiensystem der Bundesrepublik ist beispiellos: Mit 10,3 Prozent zog sie im Herbst 2021 zum zweiten Mal nach 2017 (12,6 Prozent) in den Bundestag ein und hat es damit in kürzester Zeit geschafft, sich auf allen parlamentarischen Ebenen zu verankern. In Ostdeutschland hat sie den Status einer Volkspartei und liegt in Sachsen, Brandenburg und Thüringen Umfrage aus dem Herbst 2023 zufolge mit Zustimmungswerten von mehr als 30 Prozent gar auf Platz eins. Trotz einer stetigen „Rechtsradikalisierung“ ist es der Partei innerhalb von nur zehn Jahren gelungen, sich im politischen System der Bundesrepublik zu etablieren.

Die Finanzmarktkrise 2008/09 und dann die Euro-Frage im Zuge der Griechenland-Krise 2013 waren die unmittelbaren Auslöser für Gründung und Erfolg der AfD. Der Gründungsimpuls der Partei wurde damals von zahlreichen Beobachtern als „nationalliberal“ beschrieben. Für marktradikale Ökonomen rund um den ersten Parteivorsitzenden Bernd Lucke, war es die vermeintlich verfehlte Euro-Rettungspolitik der Regierung Merkel im Zusammenhang mit der Griechenlandkrise, die den letzten Anstoß zur Gründung der AfD gab. Mit Lucke, Joachim Starbatty oder dem früheren Präsidenten des Bundes der Industriellen (BDI) Hans-Olaf Henkel sowie den Themen Euro- und EU-Kritik wurde ein bürgerliches Publikum angesprochen, das sich – enttäuscht von FDP und Union – für eine nationalistisch grundierte Form des Marktradikalismus offen zeigte. Zwar reichte der kurze Vorlauf bis zur Bundestagwahl im Herbst 2013 nicht, um den Einzug ins Parlament zu schaffen. Mit 4,7 Prozent scheiterte die neue Partei aber nur knapp.

Von nationalliberal zu völkisch

Mit Alexander Gauland und Beatrix von Storch zählten schon früh Personen zur Führungsriege der Partei, die für eine andere Ausrichtung standen: Gauland für eine ethno-nationale Politik und von Storch für eine Kulturkampfdebatte rund um Antifeminismus, Geschlechterrollen, Demographie und „68er-Bashing“. Auch die völkische Rechte war mit Personen wie Björn Höcke und André Poggenburg von Beginn an in der Parteiführung vertreten.

Nur für etwa zwei Jahre dominierten die Nationalliberalen um Lucke in der AfD, dann setzte mit der Konzentration auf die Themenbereiche Flucht und Migration eine erste Rechtsradikalisierung ein. „Zuwanderungskritisch“ war die AfD von Anfang an. Während die Lucke-Leute jedoch einer funktionalen, selektiven Zuwanderung im Interesse des Kapitals positiv gegenüberstanden, wurde die von der völkischen Rechten um Höcke vertretene, ethnopluralistisch begründete Ablehnung jeglicher Zuwanderung in der Partei immer stärker. Hierzu trug die massive Migration nach Deutschland und Europa im Sommer 2015 entscheidend bei. Der nationalistische Teil des Gründungsimpulses verband sich sehr schnell mit einer rassistisch begründeten Ablehnung von angeblich „kulturfremder“ Zuwanderung – und damit faktisch jeder Form der Aufnahme von Geflüchteten.

Organisatorisch zeigte sich diese Rechtsverschiebung darin, dass Bernd Lucke 2015 als Vorsitzender abgewählt und durch Frauke Petry ersetzt wurde. Gleichzeitig gründete sich im März 2015 die innerparteiliche Strömung „Der Flügel“, in der sich die völkische Rechte organisierte. Schon damals wurde mit Hilfe dieses straff organisierten Netzwerks parteiinterner Einfluss generiert. Sowohl Petry als auch später Jörg Meuthen gründeten ihre Führung zumindest zeitweilig auf deren Wohlwollen. Damit ebneten sie den völkischen Rechten den Weg zur einflussreichsten und mächtigsten Strömung innerhalb der Partei. Abgesichert wurde diese Stellung durch die zentrale Figur der AfD in dieser Zeit: Alexander Gauland. Als Schutzpatron des „Flügels“ hielt das langjährige CDU-Mitglied zunächst von Brandenburg aus und ab 2017 dann auf Bundesebene seine schützende Hand über die völkische Rechte in den eigenen Reihen.

Die weitere Rechtsradikalisierung der AfD fand in einer Phase des weltweiten Aufschwungs autoritärer, in Teilen rassistischer und verschwörungsaffiner Bewegungen statt. Zudem wurde in Europa die Finanzkrise von einer „Flüchtlingskrise“ überdeckt, in deren Folge die von der völkischen Rechten besetzten Themen „Volk“, „Heimat“ und „Nation“ an Bedeutung gewannen.

Wahlpolitisch waren es die von der völkischen Rechten geführten Landesverbände in Sachsen, Brandenburg und Thüringen unter den Vorsitzenden Frauke Petry, Alexander Gauland und Björn Höcke, die den Durchbruch für die AfD schafften und 2014 mit Resultaten zwischen 9,7 und 12,2 Prozent die bis dahin besten Ergebnisse von Landesverbänden erzielten, die schon damals die späteren Erfolgsthemen der Partei aufgriffen: Hass und Hetze gegen Zugewanderte sowie populistisches Bashing vermeintlicher Eliten in Politik und Kultur.

Bedingungen des Aufstiegs der AfD

Der massive Zustrom von Geflüchteten nach Deutschland ab 2015 in Verbindung mit den autoritären Konkurrenzmustern der neoliberalen Entwicklung seit dem Ende der 1990er Jahre bescherte den Themen der völkischen Rechten in der AfD einen deutlichen Aufschwung. Die Umwandlung berechtigter Unzufriedenheit mit einem auf Entsolidarisierung und globale Konkurrenz setzenden Neoliberalismus in eine rassistisch begründete Ausgrenzung von Migrantinnen und Migranten und einem Ressentiment gegen vermeintliche oder reale „globale Eliten“ wurde zum Erfolgsrezept für den weiteren Aufstieg der Partei.

Eingebettet waren dieser Aufstieg und die mit ihm einhergehende Radikalisierung in den globalen Aufschwung eines rechten Autoritarismus: Brexit, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, die erste nationalistische Alleinregierung in Polen, die Entwicklung in Ungarn, aber auch in Brasilien, Indien oder Russland – die radikale Rechte in der AfD sieht sich als Teil einer weltweiten Entwicklung. Innerhalb der Partei beförderte das jene völkischen Kräfte, die auf eine maximale Rechtsradikalisierung setzten und sich selbst als die „letzte evolutionäre Chance“ Deutschlands (Höcke) vor einem Bürgerkrieg von rechts ansahen.

Dieser verklausuliert national-revolutionäre Habitus brachte den erwartbaren und dann doch fulminanten Einzug in den Bundestag 2017. Die 12,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl führten gerade nicht dazu, dass sich Partei und Fraktion mäßigten und im Parlamentarismus einrichteten. Ganz im Gegenteil sorgte die AfD dafür, dass völkische Hetze, Verschwörungsmythen und Geschichtsrevisionismus jetzt auch im Bundestag Einzug hielten. Ein militanter Antifeminismus, Klimawandelleugnung und ab 2020 die Annäherung an die unter dem Namen „Querdenken“ verstärkt in die Öffentlichkeit drängende Szene der Corona-Leugner waren Etappen im Rahmen dieser Radikalisierungsspirale.

Allerdings blieb in dieser Zeit unklar, wie die AfD ihre Positionen in reale Politik umsetzen will. Hier liegt der Kern der folgenden innerparteilichen Auseinandersetzung zwischen dem völkischen und dem rechtsbürgerlichen Lager. Letzteres scharrte sich zwischenzeitlich um den zusammen mit Gauland amtierenden Co-Vorsitzenden Meuthen.

Während die völkische Rechte in der Partei, bestärkt durch die Krisen seit 2015, im Prinzip auf die Implosion der liberalen Demokratie setzt und sich auf ein solches Tag-X-Szenario vorbereitet, schwebt den Rechtsbürgerlichen eine politische Achsenverschiebung der Bundesrepublik vor – in Zusammenarbeit mit einer rechtsgewendeten Union. Spätestens mit dem Austritt Jörg Meuthens 2022 spielt die bürgerliche Rechte in der AfD nur noch eine untergeordnete Rolle. Durchgesetzt hat sich der Teil der Partei, der für eine völkisch-nationalistische Systemopposition steht. Mit Blick auf den etablierten Konservatismus geht es diesem Teil der AfD nicht um ein Bündnis mit der CDU, sondern um die möglichst weitgehende Zerschlagung des gemäßigten Konservatismus, um sich dessen Reste gefügig zu machen. Maximilian Krah, Spitzenkandidat der AfD zur Europawahl 2024, hat das in einem Interview mit dem Magazin „Panorama“ deutlich gemacht. Dass diese Zerschlagung des gemäßigten Konservatismus kein rechtes Hirngespinst ist, zeigen die Entwicklungen in Frankreich, Italien und weiteren Ländern (vgl. Biebrich 2023).

Radikalisierungsspirale

In gewisser Weise ist die AfD Opfer ihres eigenen Erfolgs, denn sie hat sich in eine Radikalisierungsspirale begeben, aus der aktuell kein Weg herauszuführen scheint. Spätestens seit dem Parteitag in Riesa 2022 und dem folgenden Abgang der Galionsfigur der bürgerlichen und marktradikalen Rechten Jörg Meuthen vom Parteivorsitz, ist die Partei voll und ganz in den Händen der völkischen Rechten um Björn Höcke. Damit setzt sie erkennbar auf eine Form der fundamentalen Systemopposition und strebt nicht weniger an als den totalen Bruch mit dem westlich-parlamentarisch-liberalen System der Bundesrepublik.

Im Rahmen der gesellschaftspolitischen Debatten zum Thema Zuwanderung und den Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sind vor allem in Ostdeutschland rechte Bürgerbewegungen entstanden, denen sich die AfD als parlamentarischer Arm und parteipolitischer Akteur anbietet. Die islamkritische und in Teilen rassistische Pegida-Bewegung (Pegida = „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“) und „Querdenken“ haben Formen des autoritären Bürgerprotestes auf die Straße gebracht, der den Keim einer rechten Massenbewegung in sich trägt. Verschwörungsmythen, der Hass auf politische und mediale Eliten, die Abwehr alles Fremden und der Wunsch nach autoritärer Führung verbinden sich mit einer politischen Ausrichtung der AfD, die diese Stimmungen nach Kräften fördert.

Die Partei weckt große Erwartungen ihrer Anhänger, denen sie suggeriert, dass man am Beginn einschneidender und grundsätzlicher politischer Veränderungen stehe. Die einzig andere Option sei der Untergang Deutschlands, des „Abendlandes“ und der weißen „Rasse“. Dass hier gezielt Erwartungen geschürt werden, die einen kompromisslosen Einsatz verlangen, wird immer wieder aus Äußerungen von AfD-Funktionären deutlich – so etwa, wenn Höcke in seiner „Geraer Rede“ vom 3. Oktober 2022 davon spricht, dass das deutsche Volk „an einer historischen Wegmarke“ stehe und sich „zwischen dem Regenbogen-Imperium, dem globalistischen Westen (…) oder dem traditionellen Osten“ entscheiden müsse. „Dieses Regenbogenimperium mit den USA als Kernland und der BRD als wichtigstem Brückenkopf in Europa ist es, das die Zerstörung der Nation durch Masseneinwanderung forciert, das Mann und Frau den Kampf angesagt hat, dem nichts mehr heilig ist: nicht der gute Geschmack, nicht der Fleiß, nicht unser grandioses historisches Erbe, ja noch nicht einmal unsere Kinder.“ (vgl. https://vvn-bda.de/hoeckes-geraer-rede/)

Die Beteiligung der ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann an den im Dezember 2022 aufgedeckten Putschplänen einer „Reichsbürger“-Gruppe – in der sich Verschwörungsanhänger versammeln, die die staatliche Legitimität der Bundesrepublik leugnen –, ist dann nur die letzte Konsequenz labiler Charaktere, die das Heft des Handelns in die eigene Hand nehmen wollen und dabei in Teilen die Realitätshaftung verlieren.

Isolation und Annäherung

Vor dem Hintergrund dieser Radikalisierung wird die Isolation der AfD durch alle anderen politischen Akteure immer wichtiger. Zwar gibt es auf Bundesebene, und zumal im Bundestag, bislang keine Anzeichen für eine Zusammenarbeit von CDU und AfD; aber die CDU versucht unter Friedrich Merz offenkundig, thematisch stärker im Gefilde der AfD zu fischen und Ausgrenzungsdebatten gegen Geflüchtete vom Zaun zu brechen. Angesichts der anhaltenden Radikalisierung der AfD, die selbst von einer Institution wie dem Verfassungsschutz inzwischen als verfassungsfeindlicher Verdachtsfall und in mehreren Bundesländern als erwiesen rechtsextreme Partei eingestuft wird, verbietet sich jede formalisierte Zusammenarbeit.

Unterhalb der Bundesebene sieht es jedoch ganz anders aus. Insbesondere in ostdeutschen Bundesländern gibt es immer wieder Annäherungen von CDU und AfD, die sich in gemeinsamen Abstimmungen, der gemeinsamen Durchsetzung parlamentarischer Ausschüsse oder in ähnlich ausgerichteten Kampagnen gegen Genderthemen, Geflüchtete u.a. zeigen. Ein Teil der bisher vor allem für den etablierten Konservatismus erreichbaren bürgerlichen Basis driftet immer stärker in das verschwörungsaffine Milieu ab, das bisher ausschließlich von der AfD bedient wird. Vermehrt versuchen aktuell auch Funktionsträger der CDU, sich diesem Milieu anzunähern: sei es durch eine politische Diktion, die bislang vor allem von der AfD genutzt wird, sei es durch Auftritte bei Protestversammlungen, die eindeutig von der radikalen Rechten dominiert werden.

Die Gefahr eines durch die AfD beförderten „radikalisierten Konservatismus“ (Strobl 2021) ist auch in der Bundesrepublik vorhanden. Die USA, Brasilien, aber auch Ungarn und Polen zeigen, wohin eine solche Entwicklung führen kann – und warum es so wichtig ist, dieser Entwicklung entschlossen entgegenzutreten.

Angstgetriebene Politik

Die Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern (14,6 %) und Hessen (18,4 %) im Herbst 2023 haben gezeigt, dass es zwar eine ostdeutsche Spezifik bei den Erfolgen dieser Partei gibt, es sich aber um kein ausschließliches Problem des Ostens handelt. Seit dem Sommer 2023 steht die AfD in bundesweiten Umfragen stabil bei Werten über 20 Prozent und hinter der CDU auf dem zweiten Platz. In den drei ostdeutschen Bundesländern, in denen im Herbst 2024 Landtagswahlen sind, steht sie im Winter 2023 in Umfragen zwischen 32 und 35 Prozent, womit sie in Brandenburg, Sachsen und Thüringen jeweils stärkste Partei wäre.

Inwieweit die vielbeschworene „Brandmauer“ gegen die AfD im Herbst 2024 hält, kann von heute aus nicht beantwortet werden. Innerhalb des Konservatismus und in Teilen der FDP gibt es die Bereitschaft, auch mit einer völkischen Rechten wie sie von Björn Höcke repräsentiert wird, in Regierungsverantwortung zu gehen. Der dramatische Ansehensverlust der Ampelkoalition trägt zur weiteren Abwendung von etablierter Politik in Teilen der Wählerschaft bei. Sieht man sich genauer an, zu welchem Zeitpunkt die AfD aktuelle Wachstumsschübe zu verzeichnen hat, dann fällt die enge Verbindung zu einschneidenden politischen Entwicklungen auf. Lag die Partei bei den Bundestagswahlen mit 10,3 Prozent gut zwei Prozent unter ihrem Ergebnis von 2017, erfolgte ein erster deutlicher Schub im Herbst 2022, als die Folgen der Politik im Zusammenhang mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine deutlich wurden. Energieknappheit, Inflation und die Auswirkungen der Sanktionspolitik für die exportorientierte deutsche Wirtschaft verdeutlichten, dass die Politik der Bundesregierung Kosten auch und vor allem im eigenen Land verursachten. Die Stellung der AfD gegen die Russlandsanktionen und ihre Inszenierung als „Friedenspartei“ trugen zum Aufschwung der Partei in dieser Zeit bei. Der zweite Schub erfolgte im Frühjahr/Sommer 2023, als – angetrieben durch die Springerpresse – die Empörung über das handwerklich schlechte „Heizungsgesetzt“ aus dem Wirtschaftsministerium, die Empörung über die Politik der Ampel einen weiteren Höhepunkt erreichte. Die von allen politischen Konkurrenten außer der Linkspartei betriebene Forcierung des Migrationsthemas spielte und spielt der AfD erneut in die Hände und führt zur gegenwärtigen Stabilisierung auf hohem Niveau.

Der gesellschaftliche Grundkonsens in Deutschland beruht in weiten Teilen auf der Identifikation mit einer erfolgreichen Industrienation. Gerade für Anhänger der AfD ist dieser Punkt von großer Bedeutung (Decker/Brähler 2020). Die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung, vor allem der Verzicht auf billige Energie und der klimabedingte Umbau der Wirtschaft, werden als direkter Angriff auf dieses Erfolgsmodell gesehen. Der AfD ist es gelungen, sich als einzig konsequenter Gegenpool zu dieser Ausrichtung aufzustellen. Linke Konzepte eines sozial-ökologischen, gemeinwohlorientierten, letztlich sozialistischen Wirtschaftsmodells finden sich kaum noch in der gesellschaftspolitischen Debatte. Insofern fehlt eine wahrnehmbare, über enge linke Zirkel hinaus ausstrahlende Alternative zum rückwärtsgewandten Versprechen der extremen Rechten.

Bietet sich in einer krisenhaften Entwicklung liberal-kapitalistischer Gesellschaften erneut die extreme Rechte als autoritärer Ausweg aus der Krise an? Der Blick auf bis heute dominierende Teile der herrschenden Klasse lassen zumindest an einer solchen gezielten Form der Krisenbewältigung zweifeln. Globale Märkte, die EU als Hebel der deutschen Exportwirtschaft und der möglichst unbegrenzte Zugang zu einem weltweiten Arbeitskräftereservoire sind zentrale Forderungen dieses Teils des herrschenden Blocks. Die AfD steht diesen Forderungen diametral entgegen. Ob sich bei einer weiter krisenhaften Entwicklung und dem Schwinden eines Grundvertrauens breitere Bevölkerungsteile in die Krisenlösungskompetenz der Politik an dieser Haltung etwas ändert oder ob sich andere Teile des herrschenden Blocks für eine autoritäre Lösungsstrategie entscheiden, bleibt eine zentrale Frage der nächsten Jahre. Und auch, ob ein mitte-unten Bündnis von rechts die Machtfrage gegen den herrschenden Block erfolgreich stellen und beantworten kann, sollte in diese Überlegungen einbezogen werden.

 

Literatur:

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Strobel, Natascha: Radikalisierter Konservatismus, Frankfurt a.M. 2021

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