Die heutige Technik – seien es Smartphones oder Tablets - verändert massiv das Verhalten und die Zeitplanung der Menschen, egal ob privat oder im Arbeitsleben. Arbeit und Freizeit verschwimmen, da sind sich Forscher unterschiedlicher akademischer Einrichtungen einig: Ein Wissenschaftlerteam hat kürzlich 300 Menschen in ganz Europa befragt, um herauszufinden, wie sie digitale Geräte im täglichen Leben nutzen.
https://theconversation.com/technology-is-stealing-your-time-in-ways-you-may-not-realise-heres-what-you-can-do-about-it-216863

Die Analyse macht Veränderungen deutlich: Ob beim Warten auf den Bus oder nachts im Bett, Studien-Teilnehmer berichteten, dass sie inzwischen Zeiten mit „Leerlauf“ füllen, sei es mit dem Erstellen von Listen, die auf Social-Media-Meldungen zurückzuführen sind, sei es Gehirntrainings-Apps oder Online-Spielen. Ruhigere Momente verschwinden so und die Zeit scheint verdichtet zu werden.

Digitale Technologien beschleunigen das Lebenstempo. Bevor es E-Mails und Online-Meetings gab, musste auf Briefe gewartet werden. „Stattdessen haben wir jetzt aufeinanderfolgende Online-Meetings, bei denen manchmal nicht einmal genug Zeit bleibt, um kurz auf die Toilette zu gehen“, betont das Forscherteam.

Die Entwicklungen beeinflussen nicht nur das Privatleben, so die Wissenschaftler. Die Klagen in den Betrieben über die ständige Erreichbarkeit werden größer – durch Smartphones, Tablets oder Notebooks ist Arbeit nicht mehr zwangsläufig an feste Zeiten gebunden. Mobile Arbeit und hybride Arbeitsformen, die durch die Videokonferenztechnologie ermöglicht werden, haben die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischt.

Jetzt, wo das Büro im Gästezimmer untergebracht ist, denken die Befragten nur allzu leicht: „Ich gehe nur kurz ins Arbeitszimmer und mache das fertig, nachdem ich die Kinder ins Bett gebracht habe". Die Technik, die das Privatleben so erleichtert, indem Rund-um-die-Uhr aktuelle Nachrichten abgefragt, neue Meldungen fernab der Medienkonzerne gelesen oder Urlaubsziele per Video-Sequenz erkundet werden können, sorgt durch permanente Erreichbarkeit für Dauerstress und krankmachende Arbeitsbedingungen.

Die Untersuchungen von Vanda Černohorská (Postdoc-Forscherin, Tschechische Akademie der Wissenschaften), Ruth Ogden (Professorin für Psychologie der Zeit, Liverpool John Moores University) und Joanna Witowska (Assistenzprofessorin für Psychologie, Maria-Gzegorzewska-Universität in Warschau) bestätigen bisherige Analysen.

Ursachen und Folgen der ständigen Erreichbarkeit wurden bereits vor Jahren durch die „Initiative Gesundheit und Arbeit“ (iga) untersucht. iga ist eine gemeinsame Initiative der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung mit drei Verbänden der gesetzlichen Krankenversicherungen (Auswirkungen von ständiger Erreichbarkeit und Präventionsmöglichkeiten.

iga beschreibt bei der berufsbedingten Erreichbarkeit im Privaten folgende Gefahren für die Beschäftigten:

  • Permanenter Unruhezustand

Häufig ist mit ständiger Erreichbarkeit ein Gefühl der Unkontrollierbarkeit verbunden. Viele Betroffene haben die Erwartung, jederzeit kontaktiert zu werden. Damit geht eine hohe psychische Beanspruchung einher, Entspannung in der Freizeit wird so immer schwieriger;

  • Kontrollverlust durch fehlende Tagesstruktur

Erkenntnisse der Sozialforschung zeigen, dass es wichtig für Menschen ist, eine klare Tagesstruktur zu haben. Durch ständige Erreichbarkeit geht eine solche Struktur tendenziell verloren. Verschärft wird dieses Problem häufig durch den Umstand, dass den Beschäftigten nicht klar sei, was von ihnen im Hinblick auf Erreichbarkeit tatsächlich erwartet werde.

Auch wenn es unwahrscheinlich ist, dass das Unternehmen am Abend anruft – allein das Bewusstsein, dass es passieren könnte, versetzt den Arbeitnehmer schon in einen Unruhezustand. Viele Arbeitnehmer unterschätzen die Wirkungen. So wird im Rahmen von Mitarbeiterbefragungen durchaus angegeben, „es ist schon okay, wenn ich da erreichbar bin. Das macht mir eigentlich nichts aus. Ich komme schon zurecht“. Ob Beschäftigte dabei die mittelfristigen Gefahren für Erholung und Wohlbefinden im Blick haben, ist jedoch häufig fraglich, so iga. Ständige Erreichbarkeit widerspricht den gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten und ist trotzdem ein Problem für die Beschäftigten.

Klare gesetzliche Regelungen, ein Recht auf Nichterreichbarkeit, fordern Černohorská , Ogden und Witowska. Sie schlagen auch technische Lösungen vor, indem die Technik vorgibt, nicht arbeiten zu dürfen, wenn Zeiten überschritten sind.

Wie schwierig dieses Thema ist, erleben Gewerkschaften und Betriebsräte in den Betrieben. Denn dabei geht es hier nicht nur um einen Konflikt mit dem Unternehmen, das eine effektivere Ausbeutung mit moderner Technik durchsetzt.

Oft sehen Beschäftigte eine scheinbare Erleichterung der Arbeitssteuerung darin: Hintergrund ist die zunehmende Arbeitsbelastung im Berufsleben allgemein. Verbreitet ist auch das Checken von E-Mails durch Beschäftigte im Urlaub. Das Motiv ist subjektiv nachvollziehbar. Es wird als Entlastung gesehen, weil den Betroffenen nach dem Urlaub nicht ein E-Mail-Berg erwarte.

Betriebsräte, die gegen ständige Erreichbarkeit vorgehen möchten, müssen nicht nur dem Unternehmen, sondern auch den Beschäftigten gegenüber agieren. Die Belegschaft muss für das Thema sensibilisiert werden – und es muss verdeutlicht werden, dass es kein individuelles Problem ist, sondern durch die Unternehmenssteuerung und Personalplanung bedingt ist.

Dieser Kampf ist wichtig, denn durch permanente Ausweitung der Arbeitszeiten, laufen Bestrebungen nach Arbeitszeitverkürzung ins Leere.