Eine der wichtigsten Fragen bei der Energiewende ist der Zugang zu Ressourcen.
Vor diesem Hintergrund hat die Europäische Union ein Abkommen mit der Regierung Ruandas unterzeichnet, das darauf abzielt, "nachhaltige und widerstandsfähige" Wertschöpfungsketten für wichtige Rohstoffe zu fördern.
"Im Rahmen von Global Gateway, dem europäischen Investitionsprogramm für die Welt investieren die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten als 'Team Europa' mehr als 900 Mio. EUR in Ruanda. …. Investitionen in Bereichen wie Gesundheit, kritische Rohstoffe, Agrar- und Lebensmittelindustrie, Klimaresilienz und Bildung", heißt es in einer Erklärung der EU.
Was so neutral klingt, verschleiert, dass es im Kern um kritische Mineralien geht.
So heißt es denn auch in einer Presseerklärung der EU-Kommission:
"Das Land spielt eine maßgebliche Rolle bei der weltweiten Tantalgewinnung. aber auch für den Abbau von Zinn, Wolfram, Gold und Niob und hat Potenzial für weitere Rohstoffe wie Lithium und Seltene Erden. Darüber hinaus kann Ruanda aufgrund seines günstigem Investitionsklimas und der Achtung der Rechtsstaatlichkeit zu einem Drehkreuz für die Wertschöpfung im Mineralsektor werden. Es gibt bereits eine Goldraffinerie und in Kürze wird auch eine Tantalraffinerie den Betrieb aufnehmen. Ruanda verfügt zudem über Afrikas einzige in Betrieb befindliche Zinnschmelzanlage.
Für die EU wird diese Partnerschaft dazu beitragen, eine nachhaltige Versorgung mit Rohstoffen, insbesondere kritischen Rohstoffen, als wesentliche Voraussetzung für die Verwirklichung der Ziele in den Bereichen grüne und saubere Energie sicherzustellen." [1]
Aus Sicht der Demokratischen Republik Kongo, die Ruanda beschuldigt, ihre Ressourcen zu stehlen und den Krieg in der Region Kivu anzuheizen, ist das Abkommen schlichtweg "unanständig".
Das Memorandum sieht eine enge Zusammenarbeit zwischen der EU und Ruanda in fünf Bereichen vor: Integration der Wertschöpfungsketten für kritische Mineralien, Zusammenarbeit bei der nachhaltigen und verantwortungsvollen Produktion dieser Rohstoffe, Forschung und Innovation im Bergbausektor, Stärkung der Kapazitäten lokaler Akteure zur Einhaltung von Vorschriften und Mobilisierung von Finanzmitteln für all dies. Innerhalb von sechs Monaten wird ein gemeinsamer Fahrplan zur Umsetzung dieser Partnerschaft entwickelt, der sich in die Global-Gateway-Strategie, die europäische Antwort auf Chinas neue Seidenstraße, einfügen wird.
Die Europäische Union hat ähnliche Abkommen mit anderen wichtigen mineralienproduzierenden afrikanischen Ländern geschlossen: Auf dem Global Gateway Forum im Oktober wurden ähnliche Abkommen mit Sambia und der Demokratischen Republik Kongo (DRK) und davor mit Namibia unterzeichnet.
Doch gerade die Demokratische Republik Kongo kann den neuen EU-Ruanda-Pakt nicht verdauen: Die kongolesische Regierung hat Ruanda stets beschuldigt, die Rebellen der M23-Gruppe zu unterstützen, zu finanzieren, zu bewaffnen und auszubilden. Diese operieren im Osten des Landes in einem der blutigsten, gewalttätigsten, komplexesten und scheinbar unlösbaren Konflikte der Welt. Im November 2021 übernahm die M23 die Kontrolle über weite Teile der Provinz Nord-Kivu im Osten der Demokratischen Republik Kongo an der Grenze zu Ruanda. Dabei verübte sie schwere Menschenrechtsverletzungen und zwang mehr als 800.000 Menschen zur Flucht. UN-Berichte kommen zu dem Ergebnis, dass ruandische Streitkräfte sogar direkt und mit hochentwickelten Waffen in die Kämpfe verwickelt sind.
Mit sehr deutlichen Worten hat der Erzbischof von Kinshasa, Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, das Abkommen der EU mit dem Nachbarland Ruanda kritisiert. Sein Heimatland Kongo werde ausgeplündert und von Krieg überzogen. Der EU warf Ambongo Doppelmoral vor.
"An der Energiewende klebt Blut"
Kardinal Fridolin Ambongo, Erzbischof von Kinshasa
"Die Europäische Union unterzeichnet ein Abkommen mit Ruanda über eine nachhaltige Zusammenarbeit beim Bergbau. Im Hinblick auf geplünderte Ressourcen in der Demokratischen Republik Kongo: Ist das nicht eine starke Unterstützung für den Aggressor? Ist das nicht eine parteiische Beurteilung zweier ähnlicher Dinge, die nach unterschiedlichen Regeln beurteilt werden?“
Mit diesen Worten wandte sich Kardinal Ambongo in seiner Sonntagspredigt vom 24. Februar in Kinshasa an die Verantwortlichen der Europäischen Union.
Kein Frieden ohne Ende des Raubbaus
"Aggressoren und multinationale Konzerne verbünden sich, um die Kontrolle über den Reichtum des Kongo zu erlangen, zum Nachteil und unter Missachtung der Würde der friedlichen kongolesischen Bürger, die nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen wurden", schloss Ambongo seine Predigt. Um Frieden für sein kriegsgebeuteltes Land zu erreichen, müsse der "schamlose Raubbau" aufhören. [2]
Abkommen ist Gipfel des Zynismus und der Doppelmoral
Während in Brüssel der ruandische Außenminister Biruta und die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, das Abkommen über ruandische Mineralien unterzeichneten, marschierten in Goma, der Hauptstadt der kongolesischen Provinz Nord-Kivu, die an der Grenze zu Ruanda liegt, kongolesischen Demonstranten, die in die Flagge ihres Landes gehüllt waren, und zertrampelten die Flaggen der USA, der EU, Frankreichs und Polens, die sie als "Komplizen Ruandas" bezeichneten.
Am Vortag hatte das französische Außenministerium an Ruanda appelliert, die Unterstützung der M23 einzustellen, und auch die Europäische Union hat Kigali wiederholt aufgefordert, alle Beziehungen zu den Rebellen abzubrechen und sich aus dem kongolesischen Gebiet zurückzuziehen.
In diesem Sinne entzieht sich das Bergbauabkommen jeglicher Logik der Kohärenz seitens der Europäischen Kommission.
"Ruanda ist heute auf Ressourcen aufgebaut, die aus der Demokratischen Republik Kongo gestohlen werden"
Felix Tshisekedi; Präsidenten der demokratischen Republik Kongo
Erschwerend kommen die Äußerungen des kongolesischen Präsidenten Felix Tshisekedi hinzu, der das Abkommen zwischen der EU und Ruanda als "unanständig" bezeichnete und schwere Anschuldigungen gegen Ruandas Nachbarn erhob: "Ruanda ist heute auf Ressourcen aufgebaut, die aus der Demokratischen Republik Kongo gestohlen werden", und die Mineralien in dem Abkommen mit Europa "sind gestohlene Produkte" aus der Demokratischen Republik Kongo.
"Die EU erreicht nicht nur den Gipfel des Zynismus in Bezug auf die Geostrategie, sondern zeigt einmal mehr eine Politik der Doppelmoral, die die Glaubwürdigkeit der internationalen Institutionen untergräbt", sagte der kongolesische Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege, ein Gynäkologe, der in Bukavu auf der anderen Seite des Kivu-Sees in der Nähe von Goma arbeitet. Ein Gebiet, das seit Jahrzehnten von Konflikten geprägt ist. Das Abkommen, so Mukwege, stehe "in völligem Widerspruch zum Grundsatz der Kohärenz und zu den Grundwerten der EU, insbesondere zur Förderung des Friedens und der Menschenrechte", und er forderte Europa erneut auf, "für eine größere Kohärenz zwischen der Wirtschaftspolitik und der Achtung der Menschenrechte zu sorgen und die Menschenwürde in den Mittelpunkt der wirtschaftlichen und finanziellen Belange zu stellen".
Hilfswerke fordern Sanktionen gegen Ruanda anstatt Abkommen
"Wie kann die Europäische Union ein Abkommen über die Nachhaltigkeit und Rückverfolgbarkeit strategischer Mineralien mit einem Land unterzeichnen, das diese gar nicht selbst produziert, sondern sie illegal aus einem Nachbarstaat bezieht?"
Dies fragen sich in einem gemeinsamen Statement acht Hilfswerke, darunter das Netzwerk "Rete Pace per il Congo", dem Missionare angehören, die in der Demokratischen Republik Kongo leben und arbeiten. Sie fordern die Annullierung des am 19. Februar unterzeichneten Protokollabkommen zwischen der EU und Ruanda. Das Abkommen war bereits von Kardinal Fridolin Ambongo Besungu, dem Erzbischof von Kongos Hauptstadt Kinshasa, kritisiert worden.
"Ruanda ist nur dank der Kriege im Kongo zum Exporteur dieser Mineralien geworden“
gemeinsame Erklärung von acht Hilfswerken
"Es ist bedauerlich", so führen die Hilfswerke in ihrem Statement aus, "dass die EU in diesem Sinne in ein Land investiert, das nicht über nennenswerte Mengen dieser Mineralien verfügt. Ein Land, das nur dank der Kriege, die es seit 1996 in der Demokratischen Republik Kongo immer wieder angezettelt hat, zu einem wichtigen Exporteur dieser Mineralien geworden ist, und zwar durch verdeckt agierende Bewegungen, die in den letzten Jahren den Namen M23 angenommen haben."
"Aus dem Osten des Kongo fließen mit Unterstützung korrupter Beamter auf verschiedenen Ebenen seit Jahren die wertvollen Mineralien Gold, Coltan und Seltene Erden in großen Mengen nach Ruanda und in andere östliche Nachbarländer“, so die Hilfswerke weiter. Das sei jetzt noch einfacher geworden, weil die M23-Rebellen Gebiete gleich jenseits der Grenze zu Ruanda kontrollieren.
"Der Preis dafür sind Tote, Gewalt jeglicher Art, Raub des Eigentums einer Bevölkerung, deren einziger Fehler es ist, in einem begehrten Gebiet zu leben, und mehr als eine Million Vertriebene allein im Osten, die mitten in der Regenzeit in behelfsmäßigen Hütten elendiglich überleben oder sterben“, heißt es in dem Statement der Hilfswerke weiter. Die EU solle Sanktionen gegen Ruanda verhängen, "anstatt mit ihm Abkommen über die Früchte eines stattfindenden Raubes zu schließen". [3]
Anmerkungen
[1] EU-Kommission, 19. Februar 2024, Pressemitteilung: "EU und Ruanda unterzeichnen eine Vereinbarung über Wertschöpfungsketten für nachhaltige Rohstoffe"
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_24_822
[2] Vatikan, 28.2.2024: "Kardinal Ambongo: Der Kongo wird ausgeplündert"
https://www.vaticannews.va/de/welt/news/2024-02/kardinal-ambongo-der-kongo-wird-ausgepluendert.html
[3] Rete Pace per il Congo, 7.3.2024: "Comunicato di IPC sull’accordo UE-Rwanda su minerali strategici"
https://www.paceperilcongo.it/2024/03/comunicato-a-proposito-del-protocollo-ue-rwanda-firmato-il-19-febbraio-2024/