Im letzten Jahr hat sich erneut gezeigt: Arbeit macht auch in der modernen Arbeitswelt krank. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, wie Beschäftigte unter Druck gesetzt werden. Jeder fünfte Arbeitnehmer war mindestens einmal aufgrund von mentalen Problemen krankgeschrieben, meldet der AXA Mental Health Report 2024 (1). Bei vielen Arbeitsstellen ist die psychische Belastbarkeit des Arbeitenden nachhaltig gefährdet. „Führung geht nicht per Excel-Tabelle“, schreibt der Psychologe Rolf Schmiel in seinem neuen Buch „Toxic Jobs“ (2). Er kritisiert, dass Zahlen von vielen Managern als einziges Steuerungsinstrument genutzt werden. Motivation, die Suche nach Verbesserungspotential der Beschäftigten – all das hält er für sinnvollere Instrumente.

Die Realität sieht anders aus: Bedeutete Controlling in der Vergangenheit, die Gewinnerwartung zu ermitteln und Kostenrechnung zu betreiben, soll heute jeder Arbeitsablauf mit aktuellen Zahlen verfolgt werden. Das ist Ziel der „digitalen Transformation“, von der Unternehmen zunehmend sprechen. Neue Software verspricht immer mehr Möglichkeiten, wie das Beispiel „Microsoft“ zeigt: „Microsoft Fabric verfolgt einen integrierten Ansatz, der Datenintegration, Datenmanagement und Business Intelligence nahtlos miteinander verbindet. Während Power BI bisher überwiegend für die Datenvisualisierung und -analyse verwendet wurde, erweitert Fabric diese Funktionalitäten zu einer umfassenderen Datenplattform. Power BI ermöglicht zwar bereits Datenintegration und Datenmodellierung, aber Fabric hebt das Ganze auf ein völlig neues Niveau.“ (3) Die Dokumentation und Verwaltung von Beschäftigtendaten mit Hilfe moderner Technik ist von besonderer Bedeutung – denn sie liefern Vorgesetzen Daten zur Kontrolle. In „Echtzeit“, wie es heute heißt, indem sofort nach einzelnen Arbeitsschritten etwa das Arbeitstempo überwacht wird. 

Dabei ist diese prozessorientierte Steuerung nicht so einfach umzusetzen, wie ein Bericht des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) zeigt. Geschildert wird die Situation in einer Werkshalle der Firma Bosch in Bühl. Es wird alle paar Sekunden ein neuer elektrischer Motor für die Sitzverstellung in Autos produziert – und zwar auf einer rund 50 Meter langen Fertigungsstraße, die seit vielen Jahren genutzt wird. „Um die Performance der Linie durch Daten- und KI-gestützte Analysen zu verbessern, müssen wir zunächst Daten sammeln und korrelieren, was mit den alten Maschinen nicht so einfach möglich ist. Zugleich wäre es aber nicht wirtschaftlich gewesen, sie technisch aufzurüsten“, erläutert Dr. Stefan Groh, Data Scientist bei Bosch (4). „Also haben wir nach einer intelligenten Lösung gesucht, wie wir die Daten kostengünstig sammeln, aufbereiten und weiterverwenden können“. Statt die ganze Maschine zu vernetzen, wurden die Werkstückträger aufgerüstet, auf denen der Motor durch die Fertigungslinie fährt. Diese Träger sind mit RFID-Chips ausgestattet, durch die sich der Weg durch die Linie nachvollziehen lässt. RFID bedeutet „Radio Frequency Identification“. Auf einem kleinen RFID-Chip können die unterschiedlichsten Informationen gespeichert und durch Funkwellen gesendet werden. Durch dieses Senden werden einzelne Arbeitsschritte nachvollziehbar, was den „gläsernen Arbeiter“ ermöglicht. Sobald sich andeutet, dass etwas nicht nach Plan läuft, bewertet eine KI-Software die Auswirkung und schickt eine Meldung auf die Handys von Produktionsplaner und Facharbeiter. Diese Meldungen können dann auch in der Freizeit bei Beschäftigten ankommen, so dass die Arbeit immer mehr in die Freizeit eindringt.

KI-Verordnung ohne Beschäftigtendatenschutz

Im letzten Jahr wurde eine europaweite Regelung zum KI-Einsatz verabschiedet. Die EU-KI-Verordnung gilt für alle Unternehmen mit Sitz in der EU – und zwar nach dem Marktortprinzip gemäß Art. 2 EU KI-VO auch unabhängig vom Standort des Betreibers, solange der Einsatz des KI-Systems für Nutzer in der EU erfolgt. Sie gilt sowohl für Entwickler oder Anbieter von KI-Systemen als auch für deren Anwender im Betrieb und hat deshalb auch für Arbeitsplätze eine große Bedeutung. Mit der Verordnung werden KI-Systeme in unterschiedliche Risikogruppen unterteilt. Zu Hochrisiko-KI-Systemen gehören Recruiting-Programme, die Bewerbungen sichten, Bewerber bewerten oder Aufgaben automatisiert zuweisen. Selbst diese Hochrisiko-KI-Systeme sind aber nicht verboten, sie sollen Anbieter zur Transparenz zwingen, indem eine sogenannte Konformitätserklärung abzugeben ist – sie sollen so zusichern, dass sie sich an die geltenden EU-Vorgaben halten.

Die Mängel der Neuregelung sind offensichtlich: Sie umfasst keinen Schutz der Belegschaften vor Überwachung. Ein spezifisches Beschäftigtendatenschutzgesetz, wie es die Gewerkschaften seit Langem fordern, fehlt also weiterhin.

An oberster Stelle steht bei vielen Technik-Projekten die Begrenzung sogenannter nicht-wertschöpfender Tätigkeiten. Dazu zählen im Industriebereich das Holen von Werkzeugen, Reparaturarbeiten oder die Nachbearbeitung. Auch Abstimmungen zwischen Schichten oder Arbeitsgruppen können dazu gehören. Übersehen wird bei dieser Suche nach „Luft in den Prozessen“ bewusst: Diese Arbeiten dienen den Beschäftigten nicht nur dazu, auch eine kleine Verschnaufpause zu haben, sie sind vielmehr in der Regel Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Erledigung der Arbeit. Auch die Auswertung der einzelnen Arbeitsschritte und somit die Kontrolle der Arbeitenden zählen zu den Möglichkeiten der neuen Technik. Voraussetzung ist oft eine Datenbank, in der Informationen aus unterschiedlichen Quellen in einem einheitlichen Format zusammengefasst werden. Die Folge ist steigender Leistungsdruck in den Betrieben.

Proteste gegen Leistungsdruck bei Amazon

Dagegen regt sich Widerstand. Die Gewerkschaft ver.di hat Beschäftigte von Amazon am „Black Friday“ im Dezember 2024 die zum Streik aufgerufen. In Bad Hersfeld fand eine zentrale Protestaktion statt, zu der 1.200 Streikende aus der ganzen Republik anreisten. Die Arbeiter fordern nicht nur eine Bezahlung nach Tarif. Vielmehr soll der Tarifvertrag für gute und gesunde Arbeit im Einzelhandel durchgesetzt werden. „Die Beschäftigten berichten uns von einem enormen Leistungsdruck, von einer erschöpfenden Arbeitsverdichtung und von einer Überwachung am Arbeitsplatz, die ein Klima der Angst erzeugt“, erklärt ver.di-Bundesvorstand Silke Zimmer (5).

------------------

Nachweise:

(1) www.axa.de/presse/mediathek/studien-und-forschung/mental-health-report-2024

(2) Rolf Schmiel, Toxic Jobs, https://www.zsverlag.de/book/toxic-jobs-e-book-9783965844827

(3) www.haufe.de/controlling/controllerpraxis/microsoft-fabric-veraendert-rolle-des-power-bi-entwicklers_112_639058.html

(4) www.iao.fraunhofer.de/de/forschung/beitrag_01-die-frau-fuers-digitale.html

(5) www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++9452b59c-ad91-11ef-be85-2b47d3ea26bf