Die globale Klimabewegung hat schon seit Jahren die weltweite Klima-Ungerechtigkeit thematisiert. Damit ist die Tatsache gemeint, dass die Haupt-Leidtragenden des anthropogenen Klimawandels viele Länder des globalen Südens sind, die selbst kaum zum Problem des Klimawandels beigetragen haben.
Andererseits sind besonders die industrialisierten Länder des globalen Nordens mit ihren viel zu hohen CO2-Emissionen meistens wesentlich weniger von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen.
Bisher wurde der Gedankengang einer globalen Klimagerechtigkeit zwar häufig formuliert, jedoch oft nur in Sonntagsreden. Es wurde fast nie eine praktikable Methode angegeben, wie eine relevante und konkrete Kompensation nach dem Prinzip einer globalen Klimagerechtigkeit aussehen könnte. So lange es jedoch nur bei einer allgemeinen Forderung bleibt, ist dies folgenlos. Deshalb sollte die Forderung nach Anerkennung und Bezahlung konkret bezifferbarer und transparent nachvollziehbarer Klimaschulden als Ausgleich zwischen dem globalen Norden und Süden eine Antwort der weltweiten Klimabewegung sein, die ethisch geboten ist.
Hier wird nun – auf der Grundlage der CO2-Emissions-Daten bis zum Jahr 2014 und der Bevölkerungsdaten der UN (United Nations, Department of Economic and Social Affairs, Population Division 2013) aus dem Jahr 2010 – eine konkrete Berechnung aktueller Klimaschulden der größten Klimaschuldner-Länder vorgestellt.
Die einfache und transparente Berechnungsmethode wurde bereits im transform! Journal Nr. 07/2010 präsentiert. Sie geht auf einen globalen CO2-Budgetansatz zurück, den das klimawissenschaftliche Beratungsgremium der Bundesregierung Deutschland im Jahr 2009 publiziert hat. Die ganze Betrachtung konzentriert sich der Einfachheit halber zunächst auf die dominierenden CO2-Emissionen. Für die anderen Treibhausgase kann ein entsprechender Ansatz etabliert werden.
Wie aus dem nachfolgenden Diagramm ersichtlich ist, ergeben sich für die angegebenen Länder bereits heute erstaunlich hohe jährliche Klimaschulden, obwohl für die Budgetbetrachtung keineswegs die historischen CO2-Emissionen seit der Industrialisierung Berücksichtigung finden, sondern nur die CO2-Emissionen seit 1990! Die Begründung für diese Vorgehensweise lautet: Erst ab 1990 – mit dem ersten IPCC-Bericht – ist die Tatsache des anthropogenen Klimawandels wissenschaftlich belegt und global publiziert. Außerdem wurde für 1 t CO2-Emission lediglich ein Wert von 40$ angesetzt. Die Tatsache, dass sich jährliche Klimaschulden in dieser Höhe ergeben, unterstreicht die Dringlichkeit dieser Betrachtung. Sie würde auch die Aufklärung zum Thema Klimagerechtigkeit versachlichen und erhärten. (Die kumulierten Klimaschulden bis 2013 sind noch gar nicht berücksichtigt).
Hier sind nur die top twelve Klima-Schuldner-Länder aufgeführt. Es gibt jedoch weitere 20 kleinere Länder (vor allem OECD), die ebenfalls schon Klimaschulden haben. In der Summe wäre damit jährlich ein UN-Klimafonds i. H. von ca. 570 Mrd $ finanzierbar. Damit könnten relevante Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel in Ländern des globalen Südens gefördert werden. Strenge Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten sollten von Anfang an im Konzept vorgesehen sein.
China und Indien haben andererseits noch keine Klimaschulden, da nach dem Gerechtigkeitsprinzip deren hohe Bevölkerungszahl zu hohen CO2-Guthaben führt. Allerdings ist bei China durchaus schon eine Erschöpfung der Klimaguthaben in den nächsten 10 Jahren zu erwarten, wenn die CO2-Emissionen auf dem heutigen hohen Level bleiben.
Dass die Anerkennung und Bezahlung konkreter Klimaschulden bei den global herrschenden kapitalistischen Machtverhältnissen derzeit wohl politisch unmöglich und utopisch erscheint, darf eine progressive und internationalistische Klimabewegung nicht dazu verleiten, auf eine derartige für sich selbst sprechende Forderung zu verzichten. Gleichzeitig darf diese Forderung jedoch auch nicht im Gegensatz zu vielen richtigen und wichtigen Forderungen der Klimabewegung gesehen werden (z. B. die Forderung nach radikalen Dekarbonisierungsplänen, nach einem weitgehenden Umbau des Energie- und Transportsystems, nach einem radikalen Umbau der industrialisierten Landwirtschaft hin zu agrarökologischen Prinzipien und die Forderungen nach einem Stop der desaströsen Urwaldrodungen hin zu Wiederaufforstungen im großen Stil).
Die globale Klimabewegung sollte diese Methode der Budgetbetrachtung der gerade noch mit dem 2°C-Ziel zu vereinbarenden Treibhausgasemissionen und die daraus transparent und einfach berechenbaren Klimaschulden wesentlich stärker weltweit propagieren (siehe dazu auch: "Der Klimagipfel in Lima erreichte nur einen schwachen Minimalkompromiss", "Klima-Sondergipfel in der UNO, New York und weltweit größte Mobilisierungswelle gegen den Klimawandel" und "'Durchbruch für den Klimaschutz' beim G7-Gipfel in Elmau kaum mehr als Schall und Rauch"). Ziel muss es sein, zusammen z. B. mit der G77-Gruppe den Druck vor allem auf die Industrieländer so stark zu erhöhen, dass auf Basis dieser Tatsachen trotz aller vorhersehbarer Widerstände angemessene Ausgleichszahlungen in der hier genannten Größenordnung von Ländern mit Klimaschulden an Länder des globalen Südens durchgesetzt werden.
Dieser Artikel erschien zuerst bei transform-network.net.