Es hätte ganz dem dynamischen Eigenbild des Verkehrsministers Andreas Scheuer entsprochen, wenn er nach dem einberufenen Diesel-Herbstgipfel 2018 in Eintracht mit den Repräsentanten der deutschen Automobilkonzerne ein Ergebnis als durchsetzungsstarker und einigender Verkehrsminister hätte präsentieren können. Für den gewünschten Erfolg seiner verkehrspolitischen Ausrichtung, ganz nach den Vorstellungen der Auto-Konzerne, inszenierte er im Vorfeld sogar einen „wohltemperierten Wutanfall“ anlässlich seines Auftritts beim Verband der Automobilindustrie VDA. Die Autohersteller hätten „verdammt was zu tun, um Vertrauen und Image zurückzugewinnen.“.

Beim darauffolgenden Herbst Diesel-Gipfel bezog sich die zentrale Frage auf die Kostenübernahme bei der geforderten Nachrüstung für 9 Millionen Dieselfahrzeuge der Schadensklassen EU4 und EU5 durch die Auto-Konzerne. Eine umfängliche Zusage wäre einem Bekenntnis zum Betrug der Autohersteller an den Dieselkäufern gleichgekommen. Daraus wurde nichts. Den Pressemitteilungen war zu entnehmen, die deutschen Autohersteller hätten sich nach stundenlangen Verhandlungen mit der Bundesregierung auf ein Maßnahmenpaket geeinigt. Die Autobauer gäben ihren monatelangen Widerstand auf und wollten sich an den Kosten für eine Nachrüstung beteiligen. Volkswagen und Daimler würden für die Nachrüstung alter Dieselmotoren eine Beteiligung von 3000 Euro in Aussicht stellen – allerdings nur, wenn die anderen Autobauer, vor allem BMW, auch zur Kasse gebeten würden. BMW hatte sich von Anfang bis zuletzt hartnäckig geweigert, für die Umbauten der Motoren bei Diesel-Pkw der Euro-Klasse 5 bezahlen zu müssen. Im Pressetext wird angemerkt, dass die Kostenübernahme für Nachrüstungen nur dort erfolgen soll, wo Fahrverbote drohen oder schon beschlossen sind. Schwierig wird es demnach also für Dieselfahrer, die aus anderen Gegenden kommend in die sogenannten Intensivstädte einfahren wollen. Die Hardware-Lösung müsse jedoch vom Kraftfahrt-Bundesamt zertifiziert sein und die Besitzer zur Einfahrt in die mit Fahrverboten belegten Städte berechtigen.

Das Ergebnis des Diesel-Herbstgipfels ist ein unausgegorener Kompromiss, der auf breite Kritik stößt. Politiker und Verbände bezeichneten die Ergebnisse des Gipfels in Berlin als “Trickserei”, “unzureichend” und “nicht vermittelbar”. Vor allem stößt der verkündete Zeitplan der Maßnahmen auf Widerstand. Andere Hersteller außer Daimler, BMW und VW sind offenbar seitens der Bundesregierung niemals ernsthaft zur Übernahme der Kosten ihrer manipulierten Diesel-Fahrzeuge aufgefordert worden.

Fiktive Werbung für den Umtausch

Eine fiktiv-zynische Herbstgipfel-Werbekampagne der deutschen Automobilkonzerne mit ausdrücklicher Zustimmung von Andreas Scheuer könnte als Antwort auf den drohenden Entzug einer Einfahrerlaubnis in Städte bzw. der Verlust der Fahrzeugzulassung für Dieselfahrzeuge EU4 und EU5 in etwa so lauten: „Liebe betrogene Diesel-Fahrer, zieht mit Eurem Stinker-Diesel aufs Land, dann haltet Ihr die städtische Luft sauber. Ihr zeigt Eure Verbundenheit mit unseren Marken und unseren Aktionären. Ohnehin ist die Luft auf dem Lande besser und ein Fahrverbot ist dort auch nicht so schnell zu erwarten.“

Aber, es kam anders: das Kraftfahrzeug Bundesamt KBA, eine dem Verkehrsminister unterstellte Behörde, zuständig für die Genehmigung aller Fahrzeug-Typenzulassungen mit Vorgaben für erlaubte Abgasemissionen, sprang den Automobil-Konzernen zur Seite und startete eine echte Werbekampagne. Unverhohlen forderte das KBA in personifizierten Anschreiben zum Umtausch von Dieselfahrzeugen deutscher Hersteller auf. Ein direkter Verweis auf die in Aussicht gestellten Umtauschprämien war ebenso darin enthalten.

Dieser einmalige Vorgang wirkt wie eine behördliche Hilfestellung, den Automobilkonzernen die zu verantwortenden Nachrüstungskosten zu ersparen und stattdessen mit einer Lockprämie die Dieselfahrer zu einem Neukauf zu animieren. Das Verkehrsministerium verteidigte die personifizierten KBA-Briefe als “reines Informationsschreiben.” Bei der beworbenen Tauschaktion ist noch nicht einmal sichergestellt, dass ein(e) Kaufinteressent(in) bei einem solchen prämienbegünstigten Kauf tatsächlich ein Dieselfahrzeug mit der Schadstoffklasse Euro 6 d temp (neuester Abgasstandard des europäischen Schadstoffgrenzwertes NOx) erhält. Die Läger der Autokonzerne in den Vertriebsgesellschaften sind voll mit Fahrzeugen geringerer Schadstoff-Einstufung.

Die Automobilkonzerne erklären, das Tauschgeschäft sei einer Nachrüstung vorzuziehen, weil Entwicklung und Genehmigung der Hardware-Nachrüstungen zu lange dauern würden. „Serienreife Nachrüstsysteme wären selbst bei einem beschleunigten Zulassungsverfahren frühestens Ende 2021 verfügbar“, so die Aussage des BMW-Entwicklungsvorstands Klaus Fröhlich nach dem Treffen in Berlin. Reflexartig wiederholte Verkehrsminister Andreas Scheuer mit nahezu identischer Wortwahl diese Position. Erfahrene Zulieferer für Abgasreinigungs-Systeme verweisen demgegenüber auf die jetzige Machbarkeit einer Nachrüstung. So signalisieren etwa SCR Technology und Oberland Mangold ihre Lieferfähigkeit im Frühjahr nächsten Jahres, nach erfolgter Prüfung der eingereichten Unterlagen und nach erteilter Zulassung durch das KBA. Alles sei davon abhängig, wie schnell das Bundesverkehrsministerium die angekündigten Richtlinien und technischen Vorgaben erlasse.

Die Luft für Andreas Scheuer wird nicht besser, aber dünner

Für den Verkehrsminister wird die Luft in der Dieselpolitik angesichts der immer neueren Fahrverbote und seiner nachlässigen Haltung gegenüber den Automobilkonzernen zur vollständigen Übernahme der Nachrüstkosten dünner. Laut Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Uni Duisburg entsteht mit dem jetzt erzielten Kompromiss “noch weniger als ein Flickenteppich”. VW und Daimler machten rund 30 Prozent der Dieselfahrzeuge in Deutschland aus, der Rest bliebe unberücksichtigt. Nach Meinung von weiteren Verkehrsexperten und Umweltinstitutionen seien viele weitere Fahrverbote in Städten mit dreckiger Luft programmiert.

Den Verlautbarungen von Andreas Scheuer ist zu entnehmen, dass ihm als Verkehrsminister eher daran gelegen sei, mit wohlwollender Unterstützung der fälschlicherweise als „Klimakanzlerin“ bezeichnete Angela Merkel , die Abgasgrenzwerte für Fahrverbote aufzuweichen. Die gesetzlich vorgesehen Bußgelder in Höhe von 5.000 Euro pro Fahrzeug wären ein gegebenes Druckmittel wegen illegaler Abschalteinrichtung gegen die Automobilkonzerne vorzugehen. Aber Strafen für den Abgasbetrug verhängte das Verkehrsministerium bislang nicht.

Das existierende Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) enthält ein abgestuftes Eingriffsinstrumentarium für das KBA, um dem Vertrieb gefährlicher Produkte vom Fahrzeugteil bis hin zum schweren Lkw zu begegnen. Am wahrscheinlichsten ist die Einleitung von Rückrufaktionen oder öffentlichen Warnungen. Aber auch die Sicherstellung und Vernichtung von gefährlichen Produkten ist möglich.

Bevor das KBA eingreift, räumt es dem verantwortlichen Hersteller die Möglichkeit zum Handeln ein. Nur wenn er nicht durch geeignete Maßnahmen sicherstellt, dass gefährliche Produkte aus dem Markt entfernt werden, greift das KBA ein. Häufig werden Rückrufe von Herstellern freiwillig durchgeführt. Die wohlfeile Werbekampagne des KBA für die Umtauschaktion zum Vorteil der Automobilkonzerne ist nach allgemeinem Rechtsempfinden in diesem Gesetzestext noch nicht vorgesehen.

Die Zeit drängt – die Welle der Fahrverbote gewinnt an Fahrt.

Neben Frankfurt, Hamburg und Berlin hat ein Gericht auch für Köln und Bonn Dieselfahrverbote angeordnet – und von weiteren ist auszugehen. In vielen deutschen Städten werden die von der EU vorgegebenen Grenzwerte für NOx seit Jahren überschritten. Daher hatten Verwaltungsgerichte Fahrverbote angeordnet. Das Verwaltungsgericht Köln hatte Anfang November entschieden, dass die Domstadt ab April nächsten Jahres in der bestehenden Umweltzone ein Fahrverbot einführen muss. Davon betroffen sind Dieselautos mit Euro-4-Motoren. Ab September 2019 muss das Verbot auch Dieselfahrzeuge mit Euro-5-Motoren erfassen. Im benachbarten Bonn müssen dem Urteil zufolge zwei viel befahrene Straßen für ältere Dieselautos ab April 2019 gesperrt werden.
Die nächsten anstehenden Klagen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) betreffen die Städte Essen und Gelsenkirchen. “Dort unterscheidet sich die Situation nicht grundlegend von der in Köln und Bonn. Deshalb hoffen wir, dass auch dort das Urteil ähnlich ausfallen wird wie in Köln”, sagte der Anwalt der Umwelthilfe, Remo Klinger.

Mehrere Umweltverbände sowie Politiker der Linken und der Grünen hatten in den vergangenen Wochen zunehmend darauf verwiesen, dass nur durch eine rasche Nachrüstung die NOx-Grenzwerte in kurzer Zeit eingehalten und die Städte von weiteren Fahrverboten verschont werden könnten.

Ein EU Diesel-Gipfel ist in Sicht

Eine erneute Bühne für das Diesel-Duo „Andreas und die Autobauer“ gibt es schon bald beim nächsten Diesel-Gipfel auf europäischer Ebene. EU-Industriekommissarin Elzbieta Bienkowska habe ein Spitzentreffen für den 27. November in Brüssel einberufen und dazu zuständige Minister aus den Mitgliedstaaten eingeladen. Aus Sicht der Kommission seien europaweit noch nicht ausreichend Konsequenzen aus der Dieselkrise gezogen worden. Thema auf dem europäischen Gipfel solle auch sein, dass zunehmend ältere Dieselautos wegen ihrer hohen Schadstoffwerte in Westeuropa aus dem Verkehr gezogen, dann aber ohne Nachrüstung in osteuropäische EU-Staaten verkauft würden, wo sie weiter auf den Straßen unterwegs seien.

Als Ausblick ist nicht auszuschließen, dass nach einem denkbaren Wahlerfolg des CSU-Europapolitikers Weber bei den Europa-Wahlen und seiner wahrscheinlichen Kür zum Nachfolger von Juncker die Diskussion über eine Veränderung der Grenzwerte zugunsten der deutschen Schlüsselindustrie Auto eine Diesel-Diskussion der besonderen Art auslöst.

 

Quellen

  • Markus Balser, Und plötzlich poltert Scheuer gegen die Autobosse, SZ, November, 2018
  • Robert Klages,Ein Flugzeugverbot wäre uns lieber, Der Tagesspiegel, Oktober, 2018
  • Deutsche Umwelthilfe, Pressemitteilung, 12.11.2018
  • Deutsche Umwelthilfe, Pressemitteilung, 8.11.2018
  • Frank Bräutigam, Rechtsexperte, SWR, November 2018
  • Juri Sonnenholzner, SWR, November 2018
  • Bundesverwaltungsgericht, Verhältnismäßigkeit ist Pflicht, November 2018
  • https:www.neues-deutschland.de, Einigung im Diesel-Gipfel, 3.10.2018