Im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht Oxfam den Bericht „Public Good Or Private Wealth“. Die enormen Vermögenszuwächse in den Händen weniger Superreiche und Unternehmen und die weltweit zu beobachtende Unterfinanzierung von Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherung ist das Thema des diesjährigen Berichts. Die seit 5 Jahren jährlich geleisteten Berechnungen von Oxfam zu globaler Vermögensungleichheit stützen sich auf Angaben der Schweizer Großbank Credit Suisse zum Vermögen der Weltbevölkerung und auf Recherchen des Magazins Forbes zum Vermögen der Superreichen. Nach neuesten Erhebungen besaßen vor zwei Jahren 49 Menschen ebenso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Für das Jahr 2017 ergibt sich die bereinigte Summe von 44 Superreichen. Der Trend einer zunehmenden Konzentration von Vermögen hat sich damit eher verschärft. Im vergangenen Jahr verfügten 26 Personen über ebenso viel Vermögen wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung – das sind 3,8 Milliarden Menschen. In den zehn Jahren seit der Finanzkrise hat sich die Zahl der Milliardär*innen weltweit nahezu verdoppelt. So ist ihr Vermögen gemäss der zahlenbelegten Aussagen im vergangenen Jahr um rund 900 Milliarden US-Dollar gewachsen.
Die Oxfam-Studie verweist redlicherweise auch auf die Leistungen bei der Reduzierung der Armut infolge von staatlichen Programmen und Maßnahmen wie beispielsweise in Afrika und Asien. Allerdings habe sich das Tempo, in dem extreme Armut abnimmt, seit 2013 halbiert. Immer weniger Menschen können sich aus extremer Armut befreien. In Teilen Afrikas steigt die extreme Armut sogar wieder an. Das Vermögen der ärmeren Hälfte der Welt-bevölkerung sank gleichzeitig um 11 Prozent, oder 500 Millionen US-Dollar. Zur Erläuterung der weltweiten Situation von Armut, worunter insbesondere Frauen und Mädchen aufgrund ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft leiden, sowie die krasse Benachteiligung von Frauen und Kindern im Hinblick auf eine bezahlbare Gesundheitsversorgung und dem Zugang zu Bildungseinrichtungen sind mannigfaltige internationale Studien einbezogen. Das Vermögen der Milliardäre und Milliardärinnen ist im vergangenen Jahr um 12 Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum ist das Vermögen der ärmeren Hälfte der Weltbevölkerung um 11 Prozent gesunken. Regierungen weltweit haben Konzerne und Vermögende mit dicken Steuergeschenken beglückt. In reichen Ländern sind beispielsweise zwischen 1970 und 2013 die Spitzensteuersätze auf Einkommen von durchschnittlich 62 auf 38 Prozent gefallen. In einigen Ländern, darunter Großbritannien und Brasilien, haben die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung einen höheren Anteil ihres Einkommens für Steuern zu entrichten als die reichsten zehn Prozent.
Situation in Deutschland
Ergänzend zu den Ausführungen zur weltweiten Entwicklung zwischen Arm und Reich gibt Oxfam für Deutschland die entsprechenden Zahlen wie folgt an: Die deutschen Milliardär*innen konnten ihr Vermögen im vergangenen Jahr um 20 Prozent steigern. Das reichste Prozent der Deutschen verfügt über ebenso viel Vermögen wie die 87 Prozent der ärmeren deutschen Bevölkerung. Im europäischen und internationalen Vergleich zählt Deutschland zu den Industrienationen mit der größten Vermögensungleichheit. 2017 waren 15,8 Prozent der Bevölkerung von Einkommensarmut betroffen – ein Negativrekord – und jedes fünfte Kind galt als arm.
Steuergerechtigkeit macht vor den Reichen und Unternehmen halt
In einer Vielzahl von Staaten ist es reichen Interessengruppen und großen Konzernen gelungen, ihren Steuerbeitrag zu drücken. In Industrieländern wurden die Spitzensteuersätze für Einkommens-, Unternehmens- und Erbschaftssteuern in den vergangenen Jahrzehnten massiv gesenkt. Die tatsächlich gezahlten Steuersätze sind zudem für all jene deutlich niedriger, die ihren Reichtum in Steueroasen verschieben. Dort liegen geschätzte 7,6 Billionen US Dollar Privatvermögen – demzufolge werden Staaten und deren Bürger*innen weltweit ca. 200 Milliarden US Dollar Steuereinnahmen pro Jahr vorenthalten. Die Spitzensteuersätze für die wohlhabendsten Menschen und Konzerne sind auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Durch Steuervermeidung in beispiellosem Umfang drücken Superreiche und Konzerne ihren gesellschaftlichen Beitrag sogar noch weiter. Am Beispiel der Steuergesetzgebung zeigt sich, dass die bestehenden politischen Machtverhältnisse die Regeln für eine gerechte Besteuerung für eine verhältnismäßig kleine Zahl von Reichen und Konzernen zurechtbiegen und auch dadurch ihren Reichtum mehren. In diesem Zusammenhang verweist Oxfam auch auf den vielerorts etablierten „schlanken Staat“, der sich vor allem in den reduzierten Ausgaben für soziale Leistungen niederschlägt. Die marode soziale Infrastruktur und der Mangel an Fachpersonal im Gesundheits- und Bildungsbereich sind eine mindestens ebenso große Bürde für zukünftige Generationen wie die Staatsschulden.
Investitionen in gebührenfreie Bildungs- und Gesundheitsangebote
Um Ungleichheit zu reduzieren, so die Aussagen der Oxfam-Studie, müssten Regierungen für eine faire Besteuerung sorgen, in öffentliche soziale Dienste investieren und die Benachteiligung von Frauen beseitigen. Mit Bezug auf das IMF (International Monetary Fund) wird auf das gewaltige bestehende Potential verwiesen, dass trotz einer Steigerung der Einkommen von Reichen und Unternehmen die Gesamtwirtschaft nicht zwangsläufig Schaden nehmen muss. Es komme darauf an, dass Investitionen in gebührenfreie Bildungs- und Gesundheitsangebote als geeignete Mittel zur Beseitigung sozialer Ungleichheit eingesetzt werden. Erwiesen ist die lebensrettende Rolle öffentlicher Gesundheitsversorgung. Sie leistet 90 Prozent der Geburtshilfe, die werdenden Müttern in Entwicklungsländern das Leben rettet.
Das Herzstück einer gerechten Gesellschaft ist die Möglichkeit für jedes Kind, zu lernen und das Beste aus seinen Talenten zu machen. Kostenfreie, vom Staat angebotene Bildungseinrichtungen kommen der Allgemeinheit zugute. Es werden aber vor allem die ärmeren Schichten gefördert, deren verfügbares Einkommen Bildung schlicht und ergreifend nicht zulässt. Insofern wirkt ein kostenfreies Bildungsangebot wie ein positiver Booster auf die Einkommenssituation gerade ärmerer Familien. Entgegen anderslautenden polemischen Kritiken an der Studie, sie würde Fortschritte in der Armutsbekämpfung ignorieren, enthält diese eine ermutigende Darstellung der Entwicklung der öffentlichen Bildungsausgaben in 78 Staaten. Danach liegen in neun von zehn Ländern die öffentlichen Bildungsausgaben pro Kind zum Teil um ein Vielfaches über dem Einkommen der ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung, ein Indiz für eine wirkende Besserstellung von ärmeren Schichten durch Bildung. In zahlreichen Ländern bleiben dennoch Einkommen oder Vermögen die Voraussetzung für den Zugang zu Bildung. Schon das deutsche Bildungssystem erschwert es Kindern aus einkommensschwachen Familien, den gleichen Bildungsstand zu erreichen wie Kinder aus besserverdienenden Haushalten.
Es ist die Ungleichheit, die der wirtschaftlichen Entwicklung im globalen Maßstab schadet. Das Ausplündern von natürlichen Ressourcen gerade in Entwicklungsländern verhindert die Chancen deren Bevölkerung, sich aus dem Dilemma der Abhängigkeit und der Armut zu lösen. Eine Beteiligung an Wirtschaftswachstum und gerechte Lebensbedingungen zu schaffen bleibt den vermögenden Schichten vorbehalten. Armut und soziale Ängste sind erwiesenermaßen weder persönliche Schwächen noch dem eigenen Unvermögen geschuldet.
Um allen Mädchen und Jungen, allen Frauen und Männern die gleiche Chance auf ein gutes Leben zu ermöglichen, bedarf es nach Auffassung der Verfasser dr Studie einer größeren Gerechtigkeit bei der Verteilung von Einkommen, Vermögen, Landbesitz, Wasser und beim Zugang zu intakter Natur. Gerechte Chancen, gerechte Verfahren und gerechte Verteilung bauen aufeinander auf und bedingen sich gegenseitig. Die Chancen dafür bestehen, wenn es auf Dauer gelingt, arme und marginalisierte Teile der Bevölkerung gleichberechtigt an den Prozessen zu beteiligen, in denen über die Verteilung von Ressourcen entschieden wird.
Winnie Byanyima, Exekutive Direktorin von Oxfam International, fasst das Anliegen von Oxfam, International in einigen Sätzen zusammen:
Die tiefe und wachsende Kluft zwischen Reich und Arm ist kein Zufall. Sie ist das Ergebnis politischer Entscheidungen. […] Viele reiche Länder haben die Vermögenssteuern gesenkt oder abgeschafft, in armen Ländern werden sie kaum erhoben. […] Zugleich streichen Regierungen die Ausgaben für Bildung und Gesundheit zusammen, oder lagern diese im Kampf gegen Armut unverzichtbaren Dienste an private gewinnorientierte Anbieter aus, welche die Ärmsten nicht bezahlen können. […] Falsche Politik hat uns in diese Krise geführt, und die richtige Politik kann uns wieder hinausführen: Wenn Regierungen Vermögende und Konzerne angemessen besteuern und diese Einnahmen in Gesundheit und Bildung für alle investieren, können wir Ungleichheit überwinden.