Das Journalistenteam Dagmar Hühne und Holger Balodis beschäftigt sich schon seit vielen Jahren mit der Talfahrt der Renten in Deutschland. Seine Bücher „Die Vorsorgelüge – wie Politik und private Rentenversicherungen uns in die Altersarmut treiben“ (Berlin, 2012), „Garantiert beschissen – der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen“ (Frankfurt 2015) und „Die große Rentenlüge – warum eine gute und bezahlbare Alterssicherung für alle möglich ist“ (Frankfurt 2017) sind wichtigste Arbeiten für alle, die sich sorgenvoll mit der aktuellen Rentenpolitik beschäftigen. In den Büchern wird detailliert nachgewiesen, dass die Rentenreformen die Interessen der privaten Wirtschaft und der Versicherungskonzerne bedienten und Teil einer gigantischen Umverteilungspolitik zugunsten der Reichen und zum Schaden der Armen sind. Während diese Bücher die Absichten der großen Wirtschaftsverbände und der Politik in deren Interesse enthüllen, hat das neueste Buch einen anderen Charakter.

Es heißt: „Rente rauf! – So kann es klappen“. Es ist eine politische Programmschrift und richtet sich an die, die das Rentendesaster und die wachsende Altersarmut nicht hinnehmen wollen. Die Autoren sind der festen Ansicht, dass das, was über Jahrzehnte von der Politik angerichtet wurde, auch wieder korrigiert werden kann, wenn die betroffene Mehrheit ihre Stimme erhebt und mit klarer Zielsetzung sich für eine neuerliche Reform einsetzt. Konsequent stehen deswegen im Mittelpunkt der jüngsten Veröffentlichung Vorschläge für eine grundlegende Rentenreform.

Zu Beginn des Buches wird überzeugend dargestellt, wie das an sich stabile deutsche Rentensystem in verschiedenen Schritten systematisch abgebaut wurde. Balodis/Hühne weisen nach, dass die Renten seit Anfang der 90er Jahre im Umfang von 30 bis 40 Prozent gekürzt wurden. Vor allem die Reformen von 2002 bis 2005 lösten das alte Ziel einer den Lebensstandard im Alter sichernden Rente auf. Die gesetzliche Rente könne das nicht mehr leisten, wurde behauptet, und deswegen müsste ergänzende private Zusatzversorgung gefordert und gefördert werden. An Stelle der Versicherung aus einer Hand trat nun ein dreigliedriges System aus gesetzlicher Rente, privater Riesterrente und hauptsächlich auch privater Betriebsrente. Damit werden jetzt für die angeblich gleiche Leistung die Arbeitnehmer erheblich zusätzlich belastet, während die Arbeitgeber durch niedrige Sätze zur gesetzlichen Rentenversicherung in Milliardenhöhe entlastet werden. Balodis /Hühne zeigen, dass das Drei-Säulen-Modell krachend gescheitert ist. Vor allem die ArbeitnehmerInnen der unteren Einkommensschichten können sich keine Zusatzversicherungen leisten und werden vom Abbau der gesetzlichen Rente schwer getroffen. Altersarmut habe sich deshalb schon weit ausgebreitet und werde erheblich zunehmen. Die Autoren schätzen, dass 2040 nahezu die Hälfte aller RentenbezieherInnen Renten unterhalb und an der Grenze zur Grundsicherung erhalten werden. Dieser gesellschaftliche Skandal sei wirklich Anlass, die Rente auf eine neue Grundlage zu stellen.

Auch ein Blick auf unsere unmittelbaren Nachbarn mache deutlich, wie weit die deutschen Renten gesunken seien. Es ist sehr interessant, sich die Zahlen von Balodis/Hühne aus Österreich, der Schweiz, aus Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Dänemark anzuschauen. Alle haben erheblich höhere Renten und sozialere Rentensysteme. Der Kapitalismus dort halte das aus und es bedürfe deshalb auch bei uns keines Systembruchs, um das Rentendesaster zu korrigieren.

Im weiteren zeigen die Autoren, wie die Unzufriedenheit in unserem Land über die Rentensituation wächst und berichten von der Haltung der Gewerkschaften, der großen Sozialverbände und sozialer Initiativen, die sich intensiv mit der Rentenprogrammatik befassen.

Als Ziel einer Rentenreform nennen sie die Erhöhung der Renten um mindestens 30 Prozent. Um das zu erreichen, schlagen sie ein 8-Punkte-Programm zur Reform der Rente vor. Diese sind:

  1. Den Beitragssatz anheben
  2. Erwerbstätigenversicherung einführen
  3. Den Bundesanteil erhöhen
  4. Politisch verordnete Einnahmeverluste beenden
  5. Erwerbstätigenpotenzial besser ausschöpfen
  6. Riester-Rente abschaffen
  7. Beitragsbemessungsgrenze aufheben
  8. Mindestrente einführen

Das Programm ist gut durchdacht und logisch aufgebaut. Es greift die meisten Gedanken und Forderungen auf, die in den sozialen Initiativen formuliert werden und verknüpft sie. Insofern könnten Buch und Programm zu einer Richtschnur gemeinsamen Handelns werden. Auch über die Finanzierung der Rentenreform stellen Balodis/Hühne klare Überlegungen an. Die großen Zahlen werden entmystifiziert und es wird sichtbar, dass eine wirkliche Änderung in der Rentenpolitik möglich wäre.

In einem abschließenden Glossar unter dem Titel „Rente kompakt“ erklären Balodis/Hühne wichtige Begriffe der Rentenpolitik und beleuchten Themen wie Demografie und Altersarmut. Dieser Abschnitt ist für alle, die sich in die Rentendebatte einlesen wollen, sehr aufklärend und nützlich.

Zu Ende des Buches kommen noch die Gewerkschaften, die Sozialverbände und soziale Initiativen mit eigenen Statements zu Wort. Das Buch ist in gut verständlicher Sprache sehr flüssig geschrieben. Dabei ist nahezu jeder Satz wissenschaftlich belegt. Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis gibt davon Zeugnis.

Damit erfüllt das Buch sehr wichtige Funktionen. Es gibt eine klare Einführung in die Geschichte der Rentenpolitik und beschreibt die wichtigsten ideologischen Auseinandersetzungen. Es nimmt klar Partei für die große Zahl der Erwerbstätigen, die die Verlierer der neoliberalen Rentenpolitik sind und vermittelt ihnen die Hoffnung, dass die ihnen zugeordnete Altersarmut kein Natur-Schicksal sein muss, sondern von Menschen auch geändert werden könnte. Zuletzt ist das Buch auch für alle Aktivisten der Rentenpolitik wichtig, weil es eine tiefgehende Debatte über Ziele und Wege möglich macht.

Fazit: Für jeden, der sich für die Rentenfrage interessiert und an der Änderung der Situation mitwirken will, ist das Buch sowohl als Einstieg wie als Handlungsorientierung von großem Wert. Es ist erschienen bei dvs in Frankfurt, 2020. Es umfasst knapp 200 Seiten und kostet 18 Euro. Holger Balodis und Dagmar Hühne sind zu erreichen über www.vorsorgeluege.de.