Antwort auf Michael Wendls Beitrag „Inflation oder Deflation?“.

Michael Wendl hat seine Kritik an der Darstellung der Schuldenkrise und Inflationsgefahr über den geldtheoretischen Grundgedanken entwickelt, dass ein über Staatsanleihen getriebener wirtschaftlicher Aufschwung schon per definitionem zu keiner Inflation führen kann. Denn Staatsanleihen würden stets einer „endogenen“ Geldschöpfung entspringen. Zunächst würden Staatsanleihen an festgelegte Großbanken, die sogenannten Bieter, vergeben; auch die anderen Nachfrager nach Geld, also die Unternehmen und die privaten Haushalte, kommen über diesen Weg an das benötigte Geld heran. Da die Geschäftsbanken Kredite nur ausgeben würden, wo Geld zur Erhöhung der privaten oder öffentlichen Nachfrage gebraucht wird und damit zur Erhöhung des Produktionspotentials führen würde, würde eine Erhöhung der Geldmenge stets nur im Gleichschritt mit der Erhöhung von Gütern und Diensten stattfinden. Ergo: Eine Inflation kann es also nach dieser Lesart nicht geben.

Die Beweisführung weist einige Schwächen auf, die im Folgenden untersucht werden sollen:

1. Wir haben bereits eine beträchtliche Inflation. Und zwar bei den Vermögenswerten.

Zwar ist die allgemeine Inflation von Gütern und Diensten im Korridor von 1 bis 2 Prozent (und tiefer) verlaufen, doch sind die Preise der Vermögensgüter beträchtlich gestiegen. Im letzten Jahrzehnt brachte es die Gesamtwirtschaft auf ein Wachstum nahe bei Null – langfristige Stagnation – doch schafften die Vermögenswerte ein Vielfaches davon. Sowohl der Aktien- wie der Immobilienindex sind in derselben Zeit um 100 Prozent in die Höhe gegangen.

Dass die Inflation bei den Gütern und Diensten nicht gleichermaßen stattfand, hat überhaupt nichts mit der endogenen Geldschöpfung durch die Banken zu tun, sondern alles mit der niederdrückenden Überproduktionskrise. So schütten die börsennotierten Unternehmen in Deutschland im laufenden Krisenjahr 44 Milliarden Euro an Dividenden an ihre Aktionäre aus. Seit 2015 bringt die EZB jeden Monat Staatspapiere für 60 Milliarden Euro auf den Markt. Bald wird sich diese Summe vervielfachen und so wird auch der Strom von „Staatsknete“ direkt in die Dividendensäckel der Aktionäre und die Kassen der Immobilienspekulanten noch breiter fließen. Die Unternehmen sind Netto-Sparer, sie brauchen keine Kredite und Zuschüsse, ihnen fehlt etwas anderes: sie brauchen eine sinnvollere Technologie für sinnvollere Produkte und sie brauchen die kaufkräftige Nachfrage der Konsumenten.

2. Bei den Rettungspaketen handelt es sich in vielen Fällen gar nicht um Kredite und Geldschöpfung, sondern zu einem großen Teil um „indirekte monetäre Transfers“

Peter Bofinger, lange Jahre der „Wirtschaftsweise“ der Bundesregierung aus der Gewerkschaftsecke, kritisiert, dass sich die geplanten Hilfen zu sehr auf Liquidität, also Kredite fokussieren und damit die Verschuldung erhöhen. Bofinger schlägt eine rückwirkende Senkung der Einkommen- und Körperschaftsteuer für 2019 um 20 Prozent vor, nur für Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit und Gewerbebetrieben. So eine platte Steuerhilfe nur für Unternehmen vermeidet das jüngste Rettungspaket. Stattdessen verfügt es vor allem eine Senkung der Umsatz/(Mehrwert-)steuern.

Die Umsatzsteuer wird befristet vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 gesenkt – der reguläre Steuersatz sinkt von 19 auf 16, der reduzierte von 7 auf 5%. Es handelt sich also um keine Kredite, sondern um Steuernachlässe, vergleichbar direkten monetären Transfers. Damit wird der Verschuldungsgrad des Staates nicht erhöht, aber sein finanzieller Spielraum eingeschränkt, da die Kredite getilgt werden müssen. Der Satz der protestierenden Jugend „Ihr verscherbelt unsere Zukunft“ kommt hier genauso zur Geltung wie bei der Erhöhung des Schuldenstandes. Das Aparte der Regelung offenbart sich darin, dass die Unternehmer bestimmen, wer in den Genuss der Steuersenkung kommt, deren Volumen die Bundesregierung mit rund 20 Milliarden Euro angibt (pro Prozentpunkt Steuer entgehen dem Staat rund 10 Milliarden Euro). Von vielen Handelsunternehmen ist zu hören, dass sie die Steuersenkung nicht weitergeben wollen. Dann fließen die 20 Milliarden an den Verbrauchern vorbei direkt in die Kassen der Unternehmen. Angesichts des durch Corona blockierten Konsums ist davon auszugehen, dass die Konsumenten das Festhalten an den bisherigen Preisen tolerieren. Zumal die Regelung ja bis zum 31.12.2020 befristet ist, den Unternehmen dann erneut Steuer- und damit Preisänderungen aufgenötigt werden. Das ifo-Institut erwartet, dass die Senkung der Mehrwertsteuer der Wirtschaft einen Schub von 0,2 Prozentpunkten gibt. Den Steuerausfällen von 20 Milliarden Euro steht eine Zunahme der Wirtschaftsleistung von 6,5 Milliarden Euro gegenüber.

Das Missverhältnis von zugeschossener Geldmenge (gesunkene Steuer) und zusätzlichem Produkt ist erheblich – die klassische Inflationsursache.

Im „beispiellosen und umfassenden Konjunkturpaket von rund 130 Milliarden Euro“ (so das Bundesfinanzministerium) sind eine Fülle von Maßnahmen vorgesehen, die sich wie Helikoptergeld für ausgewählte Gruppen auswirken; so der Kinderbonus von 300 Euro je Kind, die weitreichende Erhöhung des Entlastungsbeitrags in der Einkommensteuer oder der Zuschuss für die betrieblichen Fixkosten für von Corona besonders betroffene Betriebe. Hier ist noch nicht die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen zu bewerten – manche sind dringend nötig und bleiben noch weit hinter der erforderlichen Qualität zurück – sondern es geht um die Frage der Inflation und der Belastung zukünftiger Generationen. Insgesamt wird der „Rettungsplan“ mit seinen 130 Milliarden Euro, von denen 88 Milliarden 2020 wirksam werden, die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um rund 30 Milliarden Euro oder um 0,9% des Bruttoinlandsprodukts steigern. Die Unternehmen werden dabei um 64 Milliarden Euro entlastet, die Verbraucher um 9,9 Milliarden. Die Neuverschuldung des Bundes im Gesamtjahr kommt auf den Rekord von 175,8 Milliarden Euro. Für das Rettungspaket greift der Tilgungsplan ab 2023, ab dann sind 20 Jahre lang zu gleichen Teilen Tilgungszahlungen zu leisten.

Das Fazit lautet: enorme Erhöhung der Geldausgaben; erster Nutznießer sind die Unternehmen; der Ausbau an Gütern und Diensten ist relativ bescheiden, die Inflationsgefahr damit hoch; die Zukunft wird erheblich mitbelastet. Dennoch braucht es zur Eindämmung der tiefsten Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg natürlich enorme staatliche Anschübe für Investitionen und Konsum.

Unsere Kritik richtet sich gegen die Art der Finanzierung.

3. Das Gros der Hilfen: wachsende Schulden, zurückbleibende Stärkung der Produktion von Gütern und Diensten, es fehlt die „Sozialisierung der Investition“ (Keynes)

Das dritte Kapitel des Rettungspakets trägt die Überschrift „In die Modernisierung des Landes investieren“. Hier wird das meiste Geld eingesetzt. „50 Milliarden Euro sollen dafür sorgen, dass die Modernisierung des Landes aktiv vorangetrieben wird.“ Hier muss sich zeigen, ob die von Michael Wendl und anderen behauptete Übereinstimmung von zusätzlicher Geldmenge und zusätzlichem Ausstoß an den richtigen Gütern und Diensten zutreffend ist. Die zusätzlichen Geld-Milliarden per Kredit sind sicher. Sicher ist auch die weitere Verschuldung des Staates. Sie beträgt derzeit 1,9 Billionen, also 1.900 Milliarden Euro. Nach fünf Jahren des Rückgangs der Staatsschulden sind sie in den ersten Monaten 2020 um über 150 Milliarden gestiegen, insgesamt erreichen sie 2020 ein Minus von 175,8 Milliarden (1, 2). Die jährlichen Zinszahlungen im Bundeshaushalt werden wieder – so viel zum Thema Zukunft – weit über die derzeitigen 20 Milliarden Euro steigen. Die Zinsen und Tilgungen sind für mehrere Jahrzehnte festgelegt. Das alles ist sicher. Und sicher ist auch, dass die aufgenommenen Kredite größer sind als die in den nächsten Jahren erreichbaren Wirtschaftszuwächse.

Die angeblich logische Äquivalenz von Geldmenge und Output
an Gütern und Diensten ist nicht gegeben.

Noch viel weniger wird tatsächlich die „Modernisierung“ der Wirtschaft erreicht. Um eine nachhaltige Mobilität zu fördern, zielt die Bundesregierung nach eigenem Bekunden darauf, „den Strukturwandel der Automobilindustrie zu begleiten und dazu beizutragen, dass zukunftsfähige Wertschöpfungsketten aufgebaut werden“. Um dies zu erreichen, lobt die Regierung eine „Innovationsprämie“ für den Kauf von E-Fahrzeugen bis zu 40.000 Euro aus, das CO2-Gebäudesanierungsprogramm wird auf 2,5 Milliarden Euro aufgestockt, die Digitalisierung wird mit verschiedenen Milliarden-Programmen gefördert. So vernünftig und notwendig manche dieser Vorhaben auch sind – steuerliche Vorteile für Luxusautos gehören mit Sicherheit nicht dazu – nie ist die Rede davon, dass die Unternehmen nicht mehr länger reine Profitmaschinen sein dürfen, wenn die Ergebnisse den nötigen gesellschaftlichen Nutzen bringen sollen. Dies wird schlagartig klar, wenn von einem „Zukunftsprogramm Krankenhäuser“ die Rede ist. Wenn die Milliarden dort in die bestehenden Strukturen fließen, kann man sicher sein, dass wieder der private Profit dem öffentlichem Gesundheitsbedürfnis vorgeht. Es kommt nämlich nicht nur darauf an, dass die richtigen Geschäftsfelder mit Geld bedient werden, sondern dass der Mitteleinsatz sich auch nach den tatsächlichen gesellschaftlichen Bedürfnissen richtet, wobei im Falle von Umwelt und Gesundheit die richtigen auch die überlebenswichtigen Bedürfnisse sind. Die Mittel sind gewaltig – zu den deutschen Rettungsprogrammen kommen unter anderen noch das 500-Milliarden-Programm der Eurozone und das 60-Milliarden-pro-Monat-Programm der EZB hinzu, das weiterläuft.

Alle diese Programme schaffen schon stofflich-quantitativ nicht das Äquivalent der eingesetzten Geldmengen. Genau beziffern wird sich das Defizit erst lassen, wenn die Kredite in den nächsten Jahren in produktive Anlagen, in Güter und Dienste umgesetzt sein sollten. Sie schaffen die Transformation aber auf keinen Fall im qualitativen Sinn. Das Rettungspaket nimmt sich alle gesellschaftlichen Bedürfnisse vor – Klima, Verkehr, Gesundheit, Bildung, Kultur – und gibt die Milliarden für deren „Modernisierung“ an die Einrichtungen, die bei fast allen für das aktuelle lebensgefährliche Fiasko gesorgt haben. Damit wäre das Desaster dann für morgen vorprogrammiert.

Das in Sonntagsreden und beim Weltwirtschaftsforum in Davos vielbeschworene Gremium der stakeholders, der Vertreter von Gemeinden, Gewerkschaften, Jugend-, Kultur- und sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft in den betroffenen Regionen der Unternehmen, die zusammen mit den shareholders, den Aktionären, das Optimum an gesellschaftlichem Nutzen für Belegschaft und Region aus dem Unternehmen hervorholen, diese neue Form der Unternehmensteuerung kommt in den Rettungspaketen mit keinem Wort vor. Solche Mitbestimmungsräte wären aber wichtiger als alle neuen Vorschriften über Verlustrückträge und Einfuhrumsatzsteuern zusammen.

In seinem Hauptwerk, der „Allgemeinen Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes“, hat Keynes drei Momente zur Überwindung des krisenproduzierenden Finanzkapitalismus herausgestellt: Von der Liquiditätspräferenz des Kapitals sei Abschied zu nehmen, nämlich dorthin zu gehen, wo es den schnellsten Profit bringt; zweitens muss die „Euthanasie des Rentiers“ vorgenommen werden, den Kapitalisten muss ihr arbeitsfreies Einkommen gestrichen werden; und drittens muss die Investition vergesellschaftet werden, die bisherige Wirtschaftsordnung mit der Maxime des privaten Höchstprofits führt zu einer völligen Fehl-allokation der Produktionsmittel. Keynes ging es damals um das Ziel der Vollbeschäftigung.

Uns muss es um den Schutz der Umwelt, um die Abwehr der Klimakatastrophe und um Gerechtigkeit bei der Herstellung und Verteilung eines sinnvollen Sozialprodukts gehen. Dazu muss die Wirtschaft aus den Händen des globalen Clans der Vermögens-optimierer genommen und in die Hände der Menschen in der Region gelegt werden. Das geht nicht durch gutes Zureden. Das bedeutet harten, zähen politischen Kampf.

4. Statt Geldschöpfung durch Staatskredite: Finanzierung der sozial-ökologischen Transformation der Wirtschaft durch Besteuerung der hohen Vermögen, ein Lastenausgleich für das 21. Jahrhundert

Auch durch Kredite per endogener Geldschöpfung finanzierte Investitionen belasten die kommenden Generationen, weil ihre in den Staatshaushalten festgelegte Tilgung den finanziellen Spielraum für künftige Zeiten verringern. Der gesamte Geldvorgang von der Geldschöpfung durch die Notenbank über die auf dem Sekundärmarkt vertriebenen Staatsanleihen bis hin zur Tilgung liegt in den Händen der Notenbank und der Geschäftsbanken. Kredite zu vermarkten ist das Geschäft der Banken, und wenn der Staat der Gläubiger ist, werden sie umso weniger auf Zinsen und Tilgung verzichten. Die Idee, dass die Notenbank auf der Seite des „Staates“ steht, ist irrig. Die Zentralbank steht vielmehr auf der Seite des Finanzsystems, dessen zentraler Teil sie ist. In den USA ist dies offenkundig, die Gesellschafter der Zentralbank Fed sind Großbanken, der Staat kommt da vor allem in dem Sinne vor, als es eine offene Tür, eine Drehtür zwischen Notenbank Fed und Finanzsystem gibt, durch die die Eliten von einem Führungsplatz bei den Großbanken zum nächsten in der Fed zum übernächsten in der Regierung und wieder zurück wandern können. Das Finanzsystem aus WallStreet und Fed ist so mächtig, dass es selbst einem Berserker wie Trump die Zähne zeigen kann, wenn der Präsident die Vorgaben des Finanzsystems missachtet. In Deutschland ist die Bundesbank zur „Objektivität“ verpflichtet, ihre geheiligte Maxime ist die „Gewährleistung der Geldwertstabilität“, die sie im Zweifel auch gegen den Staat zu verteidigen gedenkt. Zwar singt Heiner Flassbeck, Staatssekretär unter dem damaligen Finanzminister Lafontaine, bisweilen das Lied vom tapferen Finanzbeamten. Auch kommen solche bei Makroskop zu Wort, doch wäre es gefährlich naiv, von der Notenbank als Institution zu erwarten, dass ihr die Zukunft der Kinder mehr am Herzen liegt als der sichere Profit der Finanzinstitutionen, wo auch die eigene hochdotierte Zukunft der Experten liegt. Gegen die Notenbank wird die Politik keine an der Gegenwart der Massen und an der Zukunft der Kinder interessierte Finanzpolitik durchsetzen können.

Doch hat die Politik eigene Quellen der Finanzierung. Nach Piketty macht das Privatvermögen in Deutschland das Vierfache des BIP aus[1], das sind 14 Billionen Euro. 10% der Vermögenden besitzen 7,3 Billionen Euro. Würde man diesen jährlich 10% ihres Vermögens wegsteuern, hätte der Staat jährlich 730 Milliarden Euro zur Verfügung, die er zur effektiven Modernisierung seiner Wirtschaft, seines Verkehrs, seines Gesundheitssystems, seiner Bildung usw. einsetzen könnte, ohne je von Tilgungen in seinem Gestaltungsraum eingeschränkt zu werden. Die Reichen im Lande könnten die Steuer übrigens aus ihren jährlichen Gewinnen zahlen, die weit über 10% liegen.

Einen solchen Lastenausgleich (LAG) gab es schon einmal in der deutschen Geschichte. Der LAG nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik hatte zum Ziel, Deutsche, die durch den Krieg besondere Nachteile erlitten hatten, zu entschädigen. 50% des Vermögens hatten die Vermögenden in 30 Jahresraten in den Ausgleichsfonds einzuzahlen. In Anlehnung an den ersten LAG könnte die Präambel des neuen lauten: „In Anerkennung des Anspruchs aller Deutschen auf eine Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit und des Schutzes von Klima und Umwelt bilden wir einen Umbaufonds, der sich stützt auf die Vermögen, die von den Nutznießern eines für Mensch und Natur verderblichen Systems der Ausbeutung gebildet wurden.“

5. Nach Corona: Inflation, Deflation, alles wie gehabt –
oder ein neues Wachstumsmodell Deutschland?

Der IWF sieht für die nächste Zukunft einen tiefen Absturz der Weltwirtschaft um 7,8% voraus. Insgesamt sinkt das globale BIP um 4,9%, am tiefsten stürzen die „advanced economies“, die fortgeschrittenen Länder, die 8,0% verlieren. Deutschland geht um 7,8% zurück, die Euro-Zone insgesamt um 10,2%. Auf diesen schwindenden Output, der 2020 noch 8,5 Billionen US-Dollar ausmachen wird, treffen nun Rettungspakete in Höhe von 10 Billionen US-Dollar (IWF).

Angenommen, rund die Hälfte der Ausgaben wären durch Kredite finanzierte Gelder, bleibt die Frage, wieso solch große Geldzuschüsse nicht zu einer Inflationsexplosion führen sollten.

Der erste Grund liegt darin, dass die Inflationsstatistik nicht das wahre Bild wiedergibt. Zum einen erfasst sie nicht die Entwicklung der Vermögenspreise. Auch 2020 steigen die Preise auf den Aktien- und Immobilienmärkten wieder im Stil der letzten Jahre, sie erreichen neue Höchstpreise. Die Vermögenden können zufrieden auf ihre Vermögenszuwächse blicken, während die Masse der Konsumenten sich mit erheblichen Preissteigerungen bei den Lebensmitteln herumschlagen muss.

Dass die Preise des offiziellen Warenkorbs sich dennoch in Richtung Null bewegen, liegt daran, dass einige der großen Sektoren dieses Korbs de facto überhaupt nicht mehr ins Gewicht fallen. Der Verkehr hat amtlich ein Korbgewicht von 12,9%, Freizeit/Kultur/Unterhaltung von 11,3%, Hotels/Restaurants von 4,7%. Ein Viertel des Warenkorbs wird mit den Shutdowns quasi aus der Zählung genommen – je größer der Shutdown, umso geringer die Inflation. Die Unternehmen reagieren auf die Kaufzurückhaltung mit Kürzungen ihrer Investitionsvorhaben. Die Liquidität ist natürlich dennoch da, sie wird entweder in die Vermögensgegenstände gesteckt, oder „eingefroren“, gespart, um sich dann später in Käufen zu entladen.

Die aktuelle Preisentwicklung hängt im Wesentlichen von der Entwicklung der Löhne ab. „Die Inflationsdynamiken werden wesentlich durch die Nominallohnentwicklungen bestimmt.“ Hier ist mit einem enormen Druck gegen Erhöhungen zu rechnen. Die Arbeitslosigkeit steigt auch in Deutschland erheblich an, die Konsum- und die Investitionsneigung gehen zurück, womit die gesamtgesellschaftliche Nachfrage weiter sinkt, die wirtschaftliche Erholung kommt nur langsam zustande. Damit ist das Gespenst der Inflation verscheucht, aber der Preis ist hoch. Das gesamte Geschäftsmodell des Landes, die BRD lebte fast zur Hälfte von der Nachfrage aus dem Ausland, dieses Modell ist dabei, zur Gänze zusammenzubrechen. Der Rückgang der Auslandsnachfrage wird nicht schlagartig auf ganzer Linie erfolgen, sondern die einzelnen Länder werden sich Stück für Stück abschotten. Die Globalisierung wird zurückgewickelt, und den größten Schaden dabei trägt der bisherige Exportweltmeister. Wenn dann die eigene Nachfrage nicht gefördert, sondern sogar noch gebremst wird, kommt es in Deutschland zwar nicht zur Inflation, sondern zu einer Verlängerung, womöglich zu einer Vertiefung der Überakkumulationskrise.

Der einzige Ausweg, den Deutschland jetzt nehmen kann und nehmen muss, ist die drastische Erhöhung der eigenen Nachfrage. Es muss Schluss sein mit der „Sparpolitik“ und der rigorosen Exportfähigkeit, alle bisherigen „Sparer“, der Staat, die Unternehmen und die privaten Haushalte, müssen zu Nachfragern werden. Die privaten Haushalte werden und können das nur tun, wenn der Staat die Vorsorge für ihre sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Bedürfnisse übernimmt, und wenn die „Tarifpartner“ in kräftige Lohnerhöhungen einwilligen. Statt des „Exportmodells“ braucht Deutschland ein „Sozialmodell“ des Wachstums. Dann erlebten wir weder Inflation noch Deflation noch ständige Krise – sondern ein solides und sinnvolles Wachstum. Aber nur so lange, bis der Kapitalismus mit seinem gesetzmäßig eingebauten Krisencharakter uns die nächste Krise beschert.

Nachsatz: Gibt es gar keinen krisenfreien Kapitalismus? Warum nicht? Weil das Prinzip des Höchstprofits die Massennachfrage – die Löhne und Gehälter – stets zu minimieren sucht? Warum lösen wir diesen Kapitalismus dann nicht ab? Weil wir dort, wo es darauf ankommt, nichts zu sagen haben: beim Einsatz der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital? Na dann.


[1] Thomas Piketty (2019): Kapital und Ideologie, S. 544