Es geht ein Aufschrei durch die Reihen der verschiedenen Arbeitgeberorganisationen: Das geplante Lieferkettengesetz von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) wird als nicht durchführbar bezeichnet. Die weltweit handelnden deutschen Konzerne sollen auf die Einhaltung der Menschenrechte in allen Ländern verpflichtet werden.

Der Fokus wird nicht allein auf die Herstellung von Waren in eigenen Unternehmen und eigene Lieferwege gelegt, sondern die Verantwortung soll ebenfalls auf die durch Subunternehmen und weiterer Fremdunternehmen durchgeführte Produktion, Lieferwege und Lagerung übernommen werden.

Laut der UN-Handelskonferenz arbeiten global mehr als 450 Millionen Menschen in Lieferketten und 80% des weltweiten Handels erfolgt durch globale Produktionsnetzwerke (UNCTAD 2019). Seit 2016 gibt es in der BRD den „Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP)“, der als Erwartungshaltung die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht an Unternehmen formuliert.

Die Forderung nach einem Lieferkettengesetz gibt es seit einigen Jahren. Die Große Koalition hat als Ziel in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben, bis Juli 2020 die Ergebnisse eines durchzuführenden Monitorings vorzustellen.

Auch der zunehmende Druck durch die Veröffentlichung bekannter Fälle wie einstürzende Fabriken, Kinderarbeit und Verletzung internationaler Arbeitsrechtsstandards führte zur Positionierung beider Minister für eine gesetzliche Regelung in der Wertschöpfungskette. Danach sollen Unternehmen ihre Aktivitäten und Geschäftsbeziehungen daraufhin überprüfen, ob sie sich nachteilig auf international anerkannte Menschenrechte auswirken. Als Risikofelder werden beispielsweise Zwangs- und Kinderarbeit, Diskriminierung, Verstöße gegen die Vereinigungsfreiheit, den Arbeitsschutz oder Landrechte und die Schädigung der Gesundheit und der Umwelt definiert.

Vor der Erarbeitung eines Entwurfs gab es eine Umfrage bei deutschen Unternehmen, wie sie es mit der Eigenverpflichtung halten. Es antworteten in der zweiten Befragung und nach Fristverlängerung nur 455 von 2250 (erste Runde 450 von 3200) angeschriebenen Unternehmen. Damit allein stellen sie schon ihrem Klientel “der deutschen Wirtschaft” ein geistiges Armutszeugnis durch Desinteresse aus. Allerdings ebenfalls mit dem Ergebnis, dass nur 22% der Teilnehmenden für die menschen- und arbeitsrechtliche Situation Verantwortung übernehmen.

Die spärlichen Rückläufe von der Mehrheit deutscher Unternehmensführungen auf die Anfrage der Bundesminister zeigt das Verständnis für globale Verantwortung.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) sieht es “unmöglich die lückenlose Überwachung eines Lieferkettengesetzes zu garantieren”, der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) allgemein “nicht machbar“. BDI – Hauptgeschäftsführer Joachim Lang sagte: “Die globalen Lieferketten von Industrieunternehmen sind sehr komplex.” Und begründet die Einschätzung der Nichtbarmachbarkeit mit dem Hinweis auf die Automobilindustrie, die “abertausende Zulieferer” habe, die nicht zu überprüfen sind.

Neu sind die Argumente nicht. Zudem gibt es Versuche die bisherige Freiwilligkeit der Verantwortung für die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern als Dauerlösung durchzusetzen.

Ich weiß, dass deutsche Unternehmen zur Überwachung von Lieferketten in der Lage sind.”
Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales

Bundesarbeitsminister Heil hat jedoch erkannt: “Ich weiß, dass deutsche Unternehmen zur Überwachung von Lieferketten in der Lage sind. Man muss sich nur anschauen, dass wir dies in Bereichen wie bei den Normen der Produktsicherheit bereits lückenlos haben.”

Dennoch knickt er bereits jetzt unter dem Widerstand des Kapitals gegen eine gesetzliche Grundlage ein und gesteht ihnen zu: “Wir werden von Unternehmen nichts verlangen, was unmöglich ist.” Und die Minister Heil und Müller lassen diesem Versprechen Taten in Umformulierungen folgen.

Nachdem Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer sich nach der Veröffentlichung der Eckpunkte im Dezember 2019 als Unternehmer “ja schon mit beiden Beinen im Gefängnis” wähnte, wenn er “die Einhaltung der Menschenrechte bis ins letzte Glied seiner Lieferkette gewährleisten und dafür haften solle“, wurde dieser Punkt nun von Heil & Co. verändert.

Laut dem Handelsblatt heißt es jetzt:

Haften soll ein Unternehmer nur im Falle einer Beeinträchtigung, ‘die bei Erfüllung der Sorgfaltspflicht vorhersehbar und vermeidbar war’. Kam es entlang der Lieferketten zu einer Verletzung der Menschenrechte, obwohl der Unternehmer im Rahmen der tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten alles Angemessene getan hat, haftet er dagegen nicht. Treten Unternehmen einem staatlich anerkannten Branchen- oder Schutzstandard bei und implementieren diesen, können sie nur bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit belangt werden.

Das Gesetz soll ohnehin nur für die knapp 7.300 deutschen Firmen mit mehr als 500 Beschäftigten greifen. Worauf es der CDU vor allen Dingen ankommt stellt deren Vorsitzende Kramp-Karrenbauer mit ihrer Aussage klar, “das Gesetz muss so gestaltet sein, dass es die Wirtschaft wettbewerbsfähig hält“.

Ähnlich sieht es Wirtschaftsminister Altmaier, der außerdem fordert, die EU-Ratspräsidentschaft zu nutzen, um in der EU ein Lieferkettengesetz umzusetzen. Ein Schachzug mit dem die Diskussion um das Gesetz hierzulande abgewürgt werden soll. Unterstützung für die deutlich abwehrenden bis hinhaltenden Aussagen von Politik und Wirtschaft kommt durch die Hofberichterstattung für das Kapital in den Medien.

Kapital will Entwurf weiter verwässern

So schreibt Manfred Schäfers über die Forderung des Entwicklungsministers Müller zum Fairen Handel in der FAZ:

Fair statt frei soll es … zugehen. Genau das fürchten die Entwicklungsländer. Sie sind nicht modern, und sie sind wenig produktiv. Sie produzieren billiger, zuweilen auch schmutziger. Das ist ihr Vorteil; es ist der einzige, den sie haben. Wenn man ihnen den nimmt, verdammt man sie zu ewiger Armut. Staatliche Hilfsgelder haben noch kein Land vom Elend befreit. Der freie Handel schon. (…) Das Lieferkettengesetz schadet – nicht zuletzt den Ärmsten in der Welt.

Zynischer geht es kaum! Da wird versucht ein Lieferkettengesetz zum Scheitern zu bringen, weil ihr eigener Schutz dann angeblich den Arbeiter*innen im Wege ist, um einen Lohn zum Leben zu bekommen.

Tatsächlich kann mit der Durchsetzung internationaler Mindeststandards und der Verantwortung der Konzerne für die Einhaltung der Menschenrechte und der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO die Profitmaximierung einen Dämpfer bekommen. Doch das Gesellschaftssystem wird dadurch (leider) nicht verändert. Dazu sind andere und weitere Kämpfe nötig. Kapital und Arbeit wird es auch mit dem Lieferkettengesetz geben. Doch die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten werden global verändert.

Dabei sieht es nach der letzten Umfrage bei den Unternehmen und den Hinweisen auf einen Gesetzentwurf ganz so aus, als werde versucht das Gesetz zum Scheitern zu bringen.

Bei der Macht der Wirtschaft auf die Politik in diesem Land, steht in Frage, ob der Arbeitsminister und der Entwicklungsminister der Bundesregierung nicht zu einem neuen und noch weiter abgeschwächten Entwurf gedrängt werden. Die zaghafte und späte Unterstützung der Kanzlerin Merkel für Heil und Müller bedeutet noch keinen Durchbruch, denn das Kanzleramt hatte noch im August 2019 versucht das Monitoring aufzuhalten.

Es liegt also auch an uns, gemeinsam mit über 40 Organisationen weiter den Kampf um das Lieferkettengesetz zu führen!

Wie bitter nötig dieses Gesetz ist zeigen die Fallbeispiele der Initiative lieferkettengesetz.de:

  • Der mangelhafte Brandschutz in einer KiK- Zulieferfabrik in Pakistan führt 2012 zum Tod von 258 Menschen.
  • Deutsche Supermärkte wie Edeka bieten palmölhaltige Produkte an. Bei der Produktion des Palmöls werden Menschenrechte verletzt und Lebensgrundlagen zerstört.
  • Menschen, die in Assam auf Teeplantagen arbeiten, leiden an Armut und Mangelernährung. Der so produzierte Tee landet auch bei deutschen Supermarktketten wie Aldi und Lidl sowie bei deutschen Teeunternehmen wie der Ostfriesischen Teegesellschaft und Teekanne.
  • TÜV Süd zertifizierte den Brumadinho-Staudamm in Brasilien als sicher. Mindestens 272 Menschen wurden beim Dammbruch unter einer schwermetallhaltigen Schlammwelle begraben, zahlreiche Gebäude mitgerissen sowie der Fluss Paraopeba und das umliegende Tal kontaminiert.
  • Auf den Kakaoplantagen in Westafrika: Schokoladenhersteller wie Ferrero, Nestlé, Mars und Mondelez, die in Deutschland eine Niederlassung haben und ihre Süßwaren verkaufen, profitieren von der Ausbeutung der Kinder.
  • BASF kauft jährlich Platin im Wert von rund 600 Millionen Euro aus der Marikana-Mine in Südafrika. BASF war der Hauptkunde der Mine, als im August 2012 34 Arbeiter*innen erschossen wurden, die für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen gestreikt hatten.

Gewerkschaften arbeiten im Bündnis mit NGO gemeinsam und formulieren aus ihrer Sicht die notwendigen Forderungen. Auf einer Internationalen Konferenz von ver.di Handel wurde am 29. und 30. Januar 2020 das “Berliner Manifest – Für menschenwürdige Arbeit und Gewerkschaftsrechte entlang der Wertschöpfungs- und Lieferketten” verabschiedet; es geht um nicht weniger als die Umsetzung dieser Forderungen!

Der Text erschien zunächst bei kommunisten.de