Am Freitag (26.2.) begann in Berlin die zweite Sammelphase des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co. enteignen!“. Der Auftakt erfolgte am Kottbusser Tor in Kreuzberg mit einer Kundgebung unter Corona-Bedingungen. „Es ist mehr als anderthalb Jahre her, seit wir unsere Unterschriften nach dem Ende der ersten Stufe abgegeben hatten“, erinnert Rouzbeh Taheri von der Initiative bei einer vorher durchgeführten Pressekonferenz an den zähen Prozess bis zum Beginn der zweiten Stufe des Volksbegehrens. Denn Innensenator Andreas Geisel (SPD) prüfte und prüfte und prüfte - Monat für Monat -, ob der Volksentscheid zur Enteignung der großen Immobilienkonzerne zugelassen werden kann. Jetzt müssen innerhalb von vier Monaten 175.000 gültige Unterschriften gesammelt werden, damit am 26. September parallel zur Bundestags- und Abgeordnetenhauswahl des Volksentscheid stattfinden kann. Dann geht es darum, ob Immobilienkonzerne mit Beständen über 3.000 Wohneinheiten in Berlin vergesellschaftet und in Gemeingut überführt werden. Ausgenommen von dem durch den Senat zu erarbeitenden Sozialisierungsgesetz wären „Unternehmen in öffentlichem Eigentum, kommunale Wohnungsbaugesellschaften in privater Rechtsform und Bestände in kollektivem Besitz der Mieter*innenschaft“. In Berlin sind inzwischen rund 20 Prozent der 1,7 Millionen Mietwohnungen von börsennotierten und finanzmarktorientierten Unternehmen zusammengekauft worden. Von der Enteignung betroffen wären ungefähr 250.000 Wohnungen großer Konzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia oder Akelius. Geht es nach den Verfechter*innen des Volksentscheids, dann sollen diese Wohnungen gemeinwirtschaftlich und nicht profitorientiert durch eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) verwaltet werden, und zwar unter mehrheitlicher, demokratischer Beteiligung von Belegschaft, Mieter*innen und Stadtgesellschaft. In der Satzung der AöR soll ein Verbot der Reprivatisierung verankert werden. Es soll eine Entschädigung deutlich unter Verkehrswert an die betroffenen Wohnungsunternehmen fließen. „Dem Berliner Haushalt werden keine relevanten Kosten entstehen. Alle Kosten der Vergesellschaftung werden von der AöR getragen in Form von Krediten oder Schuldverschreibungen und werden 40 bis 45 Jahre lang zurückgezahlt“, erklärt Taheri zur Frage der Entschädigungszahlungen. Den Entschädigungen würden ja mit den Wohnungen auch Werte gegenüberstehen, bei denen mit den Mieten auch Einnahmen zurückfließen. „Wir können uns streiten, wie viel unter Marktwert die Entschädigung ausfallen wird, aber 36 Milliarden Euro sind eine dreiste Lüge“, weist Taheri die Propaganda der CDU gegen die Enteignungskampagne zurück. Da derzeit rund 33 Cent von jedem Euro Mieteinnahmen der Konzerne an die Aktionäre flössen, gebe es neben der Rückzahlung der Kredite sogar Spielraum für Mietsenkungen.
Das Volksbegehren ist ein Akt der Notwehr. Dass Bürgerinnen und Bürger die Enteignung von Deutsche Wohnen & Co fordern, das ist etwas, was wir unterstützen und was auch mit dem Grundgesetz – um das hier in aller Deutlichkeit noch einmal zu betonen – vereinbar ist. Gesine Lötzsch, MdB, DIE LINKE
DIE LINKE steht fest zum Volksbegehren: „Wir meinen es ernst mit der Vergesellschaftung. Und wir wollen, dass die Berlinerinnen und Berliner die Gelegenheit bekommen, darüber abzustimmen“, erklärt die Berliner Landesvorsitzende Katina Schubert. Auch die Grünen „unterstützen die Ziele des Volksbegehrens“, bekräftigt deren Landesvorsitzender Werner Graf.
Berliner Gewerkschaften unterstützen Volksbegehren zur Enteignung
Die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ wird inzwischen auch von Berliner Gewerkschaften unterstützt. Neben GEW und ver.di ist jetzt auch die Berliner IG Metall dabei. Die Forderung „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ deckt sich auch mit dem Satzungsauftrag (§2) der IG Metall, marktbeherrschende Unternehmen in Gemeineigentum zu überführen, erklärt deren Zweite Bevollmächtigte, Regina Katerndahl, und ruft die IG-Metaller*innen auf, sich aktiv an der Unterschriftensammlung zu beteiligen. „Viele Normalverdiener, Familien, Studierende und Rentner können sich Berlins steigende Mieten nicht mehr leisten und leben in ständiger Angst vor der nächsten Mieterhöhung, während Immobilienunternehmen riesige Gewinne machen. Deshalb unterstützt die IG Metall Berlin die Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ und fordert alle Berlinerinnen und Berliner dazu auf, sich an der zweiten Stufe des Volksbegehrens zu beteiligen“, erklärte die IG Metall.
Sozialismus nach Berliner Art!?
Für die CDU ist der Schulterschluss der Gewerkschaften mit der Initiative und die Unterstützung durch Linkspartei und Grüne ein „Tabubruch“. „Der Kuschelkurs von Senat und Koalition mit Enteignungsaktivisten ist unerträglich“, erregt sich der wohnungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christian Gräff. Statt endlich die Weichen für mehr Neubau zu stellen, betrieben SPD, Linke und Grüne in der Mietenpolitik „ernsthaft die Idee eines Sozialismus nach Berliner Art“.
Wohnungsflop der Bundesregierung
Die zweite Phase der Enteignungskampagne startete nur wenige Tage nach dem „Wohngipfel“ der Bundesregierung. Vor knapp zweieinhalb Jahren hatte der für den Wohnungsbau verantwortliche Bundesinnenminister Horst Seehofer eine „Wohnraumoffensive“ gestartet: Bis zur Bundestagswahl im Herbst 2021 sollten 1,5 Millionen neue Wohnungen entstehen. Es werden aber wohl nur 880.000 Wohnungen werden. Seehofer lässt sich davon nicht beirren. Er zählt einfach die genehmigten, aber noch nicht gebauten 600.000 bis 700.000 Wohnungen dazu. Seehofer hat aber nicht nur das Ziel der versprochenen 1,5 Millionen neuer Wohnen verfehlt, unterm Strich gibt auch weniger Sozialwohnungen. Zwar wurden im Jahr 2019 bundesweit mehr als 25.000 Sozialwohnungen gebaut. Doch gleichzeitig sind knapp 65.000 Wohnungen aus der Sozialbindung gefallen. “Am Ende dieser Wahlperiode wird es 160. 000 Sozialwohnungen weniger geben als zu Beginn, und nicht einmal jede zehnte neu gebaute Wohnung ist eine Sozialwohnung“, hielt die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Gesine Lötzsch, dem Bauminister vor. Lötzsch weiter: „Jeder siebte Haushalt muss schon mehr als 40 Prozent des Einkommens für Wohnen ausgeben. Die Miete frisst den Lohn auf. Seit der Finanzkrise sind die Mieten explodiert. Nicht nur in Berlin haben sich die Angebotsmieten verdoppelt: In München betrug der Anstieg 60 Prozent, in Nürnberg, Hannover oder Stuttgart jeweils 50 Prozent. In sieben großen Städten haben sich die Bodenpreise seit der Finanzkrise vervierfacht. In München zum Beispiel macht der Bodenpreis bis zu 80 Prozent der Neubaukosten aus.“ „Die Bilanz der Regierung ist niederschmetternd: explodierende Mieten, schwindende Sozialwohnungen, kaum bezahlbares Eigentum für Familien in Ballungsräumen, dazu mehr Leerstand und verödende Ortskerne“, sagt die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt.
Mietendeckel - bundesweit: Auftakt der Kampagne „Mietenstopp! Denn dein Zuhause steht auf dem Spiel“
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Forderung nach einem bundesweiten Mietendeckel immer mehr Anhänger*innen. So fordert die neue Kampagne „Mietenstopp“ einen sofortigen bundesweiten Mietenstopp für die kommenden sechs Jahre. Die Kampagne wurde am 19. Februar anlässlich des Wohngipfels der Bundesregierung von sechs Kampagnenvertreter*innen (Deutscher Mieterbund, Deutscher Gewerkschaftsbund, Paritätischer Gesamtverband, 23 Häuser sagen NEIN (Berlin), #ausspekuliert (München) und Recht auf Stadt Köln) vorgestellt. Stefan Körzell fordert für den Deutschen Gewerkschaftsbund massive Investitionen von Bund und Ländern in den Bau bezahlbarer Mietwohnungen. „Mindestens 6 Milliarden Euro sind notwendig, um jährlich den Bau von 100.000 Sozialwohnungen zu fördern“, so Körzell. Alle Mitglieder der Kampagne sind sich einig, dass für den Bau von bezahlbaren Wohnungen eine Reform des Bodenrechts unabdingbar ist. „Bis es hier klare Erfolge gibt, brauchen wir wirksame Maßnahmen, die weitere Mieterhöhungen unterbinden. Aus diesem Grund fordern wir einen bundesweiten sechsjährigen Mietenstopp“, begründete Lukas Siebenkotten vom Deutschen Mieterbund die Forderung.
Seit einem Jahr deckelt das Bundesland Berlin die Mieten
Die einzige Landesregierung in Deutschland, die es bisher gewagt hat, einen ernsthaften Akzent gegen den Mietenwahnsinn zu setzen, ist die rot-rot-grüne Berliner Regierung mit ihrem Mietendeckel. Seit einem Jahr gilt das Berliner „Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen“ und zeigt Wirkung. Mit ihm wurden in der Hauptstadt Bestandsmieten eingefroren und Neuvertragsmieten begrenzt. Wer bisher besonders hohe Mieten zahlte, kann sich seit 23. November vergangenen Jahres sogar über Absenkungen freuen. „Die Berliner Miet- und Kaufpreise haben sich seit Inkrafttreten des Mietendeckels vor genau einem Jahr für betroffene Immobilien schwächer entwickelt als in anderen deutschen Großstädten“, bilanziert das Münchener ifo-Institut nüchtern zum Jahrestag der Einführung am 23. Februar. Und nicht nur, dass die Mieten eingefroren sind oder sogar sinken, es bleiben auch die angekündigten Nebenwirkungen aus. Es werde nicht mehr gebaut, wenn die Rendite nicht stimmt, drohte die Immobilienlobby von Verbänden, FDP und CDU. Verschwiegen wurde, dass die Wohnungskonzerne auch bisher nicht bauten - so hat die Deutsche Wohnen in den vergangenen fünf Jahren weniger als 100 Wohnungen in Berlin gebaut -, sondern ihre Gelder zum größten Teil in den An- und Verkauf existierender Wohnungen investierten. Und jetzt stellt sich heraus, dass in Berlin trotz Mietendeckel weiterhin gebaut wird. Die Genehmigungen für Neubauten sind 2020 sogar gestiegen, auch die für Mietwohnungen. Das hält Immobilienwirtschaft, CDU und FDP nicht ab, weiterhin gegen den Mietendeckel Sturm zu laufen. Mit vielerlei Tricks wird versucht, das Gesetz zu unterlaufen. Gleichzeitig sind mehrere Klagen dagegen vor dem Bundesverfassungsgericht anhängig, unter anderem ein Normenkontrollverfahren der Bundestagsfraktionen von CDU und FDP.