Zufall oder Absicht. Das Karlsruher Kassationsurteil in Sachen Berliner Mietendeckel kam punktgenau einen Tag vor der virtuellen Hauptversammlung des größten deutschen Wohnungskonzerns Vonovia SE und löste dort Jubel aus. Vorstandsboss Rolf Buch bot sich so die Möglichkeit, generös und medienwirksam auf die durch den einjährigen Mietendeckel entgangenen Mieteinnahmen zu verzichten.
Einige „kritische Aktionäre“ kritisierten in Gegenanträgen, dass man angesichts der angespannten Mietsituation doch nicht mehr als ein Drittel der Mieteinnahmen als Dividende ausschütten könne. Doch, kann man, vor allem wenn man sich die größten und bestimmenden Shareholder bei Vonovia vor Augen hält: BlackRock (3% der Anteile), Goldman Sachs, USA (4%), US-Vermögensverwalter Fidelity (3,3%), UBS (Bank-) Group Schweiz (3,2%), APG Pensionsinvestgesellschaft NL (3,0%), Norges Bank (Central Bank, die den staatlichen Vermögensfonds verwaltet: 6,3%. Rest ist Streubesitz. Bei hohem Anteil an Streubesitz reichen Großaktionären wenige Prozente, um die Unternehmenspolitik zu bestimmen. Vonovia hat am 21.04. diesen Jahres eine neue Aktionärsstruktur bekanntgegeben, wonach sich der Einfluss der realtiv größten Shareholder nochmals verstärkt: BlackRock 6,2%, UBS 5,4%, JP Morgan 3,1%, APG 3,0%, Norges 6,3%. Also allesamt Gesellschaften, deren Geschäftssinn es ist, die verwalteten Milliarden- und Billionen-Vermögen zu mehren. Nur 8,2 Prozent der Aktien sind in Deutschland deponiert. Die entgangenen Mieteinnahmen belaufen sich nach Vonovia-Angaben auf 10 Millionen Euro: Peanuts im Vergleich zur ausgeschütteten Jahresdividende von fast einer Milliarde Euro: 950 Millionen Euro; 8 Prozent mehr als im Vorjahr. Und dem Gewinn (Periodenergebnis) nach Steuern von 3.340 Millionen Euro – Vorjahr: 1.294 Millionen Euro. Der Verzicht sei „im Sinne unserer Aktionäre“, so Rolf Buch. Er hat mehr den Charakter einer billigen Imagepflege und einer Beruhigungs-Pille für die Mieter, um so ungestört die expansiven Geschäfte von Vonovia weiter betreiben zu können. Buch: „Wir alle brauchen gesellschaftliche Akzeptanz für unser Geschäftsmodell“.
Nicht so spendabel zeigte sich der zweitgrößte deutsche Wohnkonzern Deutsche Wohnen SE, er will die entgangenen Mieteinnahmen, im Schnitt 430 Euro je betroffenen Mieter, nachfordern. Nicht mit Brachialgewalt, wie versichert wurde. Beide Immobilienkonzerne sind inzwischen im Dax gelistet und gehören so zu den 30 wertvollsten Konzernen in Deutschland. Doch so deutsch ist auch die Deutsche Wohnen nicht. Mit Ausnahme der Mieter, die aber ihren Mietzins indirekt an internationale Vermögenskonzerne und Kapital-Fonds entrichten müssen. Denn das Sagen haben bei der Deutsche Wohnen der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock: 11,48%, die Massachusetts Financial Services (Vermögensverwalter): 9,94% und die State Street Corp., USA (Vermögensverwalter): 3,1% - die US-Vermögensverwalter zusammen also 24,52%. Dazu kommt wieder der norwegische Staatsfonds Norges Bank: 6,93%. Mieter sind so gesehen Melkkühe, die Vermögende in aller Welt noch reicher machen. Die Rückforderung durch die Deutsche Wohnen hängt auch damit zusammen, dass bei ihr die Mietausfälle in Berlin höher waren. Von den gesamten 155.000 Wohnungen des Konzerns liegen drei Viertel ca. 116.000 in Berlin. Vonovia besitzt insgesamt 416.000 Wohnungen, davon 355.000 in Deutschland und „nur“ 42.000 in Berlin. Aber trotz des größeren Mietausfalls hat auch die Deutsche Wohnen keine Probleme eine höhere Dividende an die Aktionäre zu bezahlen. Diese steigt um 14,4% auf 1,03 Euro pro Aktie und auf eine Gesamtausschüttung von 360 Millionen Euro. Der Gewinn nach Steuern wird mit 1,54 Milliarden Euro ausgewiesen: 3,5% weniger als im Vorjahr. Für die Dividendensumme der beiden Immobilienkonzerne in Höhe von 1310 Millionen (950 + 360 Millionen) könnte man knapp 9.000 Wohnungen (á 70 qm) bauen.
In Deutschland gibt es sechs börsennotierte private Wohnungskonzerne: Vonovia und Deutsche Wohnen im Dax, Grand City Properties, LEG Immobilien und TAG Immobilien im M-Dax und Adler Real Estate im S-Dax. Sie verfügen über einen Wohnungsbestand von zusammen über eine Million Wohneinheiten (siehe auch Fred Schmid, Größte deutsche Wohnungskonzerne in der Hand von Blackrock & Co, isw-Beiträge, 25.07.2019). Die Wohnungen dieser Konzerne sind in den Ballungszentren der großen Städte konzentriert. In Berlin verfügen z.B. Deutsche Wohnen und Vonovia zusammen über knapp zehn Prozent (158.000) aller 1,7 Millionen Mietwohnungen (1,5 Millionen fielen unter den Mietendeckel). Privatwirtschaftliche Wohnungskonzerne bauen in der Regel keine Wohnungen, sie kaufen sie auf. Am liebsten im Tausenderpack, indem sie kleine Wohnungsunternehmen übernehmen, ehemalige staatliche oder städtische Unternehmen und Werkswohnungen. Die Vorliebe von Immobilienkonzernen für Übernahmen (oder Beteiligungen) ganzer Wohnungsunternehmen hat auch einen steuerlichen Grund. Beim Erwerb eines Hauses oder einer Wohnung wird Grunderwerbsteuer fällig, je nach Bundesland zwischen 3,5 und 6,5%. Wer allerdings Immobilien nicht direkt kauft, sondern nur Anteile an einem Unternehmen, zahlt überhaupt keine Grunderwerbsteuer. Einzige Bedingung dabei ist: Der Käufer darf nicht mehr als 95% der Anteile übernehmen. Am stärksten und aggressivsten expandierte so der Vonovia-Konzern. Er wollte 2016 schon mal die gesamte DeutscheWohnen schlucken. 2013, kurz vor dem Börsengang hatte Vonovia – damals noch als Deutsche Annington – 180.000 Wohnungen im Portefeuille. Heute hat der Dax-Konzern 415.688 Wohnungen im Portfolio. - mehr als eine Verdoppelung in acht Jahren. Vonovia expandierte in den vergangenen Jahren auch im europäischen Ausland (Schweden und Österreich). Indem die Wohnungskonzerne allesamt an den Börsen notiert sind, sind sie auch dem shareholder-value-Druck ihrer Großaktionäre (s.o.) ausgesetzt und damit auch die Speerspitze bei Mieterhöhungen. Die Investoren wollen möglichst hohe Renditen und Kurssteigerungen sehen. Der Wert der Vonovia-Aktie vervierfachte sich in den sieben Jahren seit der Börseneinführung: Von 16,22 Euro 10.7.13 auf 62,22 Euro am 2.9.20.
Die etwa 1,5 Millionen Miethaushalte (mit über drei Millionen Mietern), für die der Mietendeckel ein Schutzschild war, bekamen nun von den Richterinnen und Richtern in den Roten Roben eins auf den Deckel und wurden wieder den Miethaien ausgesetzt. Sie sind dennoch nicht wehrlos. Ende Februar begann in Berlin die zweite Sammelphase des Volksbegehrens „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Innerhalb von vier Monaten müssen 175.000 gültige Unterschriften gesammelt werden. Synchron zur Bundestagswahl und Abgeordnetenhaus-Wahl am 26. September findet dann der Volksentscheid statt. Immobilienkonzerne mit Beständen von über 3000 Wohneinheiten in Berlin sollen dann vergesellschaftet und in Gemeineigentum überführt werden. Eine mietergerechte Wohnungspolitik wäre dann möglich. Aber auch der Mietendeckel könnte den Miethaien wieder draufgesetzt werden, und zwar bundesweit. Vonovia-Chef Rolf Buch hatte eine kluge Erkenntnis: „Das Urteil wird nicht die Probleme am Wohnungsmarkt in Berlin lösen. Es wäre eine Illusion zu glauben, dass die Entscheidung von der Politik und den Initiativen einfach akzeptiert und alles wieder zurückgedreht wird in die Zeit vor Einführung des Mietendeckels. Ich fürchte, das Urteil heizt den Konflikt eher noch an“. Im Bundestagswahlkampf dürfte die Entscheidung aus Karlsruhe eine wichtige Rolle spielen. „Das Thema wird eine neue Dynamik auf Bundesebene bekommen“, sagte Michael Voigtländer, Immobilienexperte beim (Arbeitsgeber)-Institut der deutschen Wirtschaft (IW) dem Handelsblatt. Die Mieterbewegung sollte die beiden Herren nicht enttäuschen.