Die Patentrechte für die Dauer der Pandemie auszusetzen, um allen Menschen möglichst bald Zugang zu Corona-Impfstoffen zu verschaffen, darüber verhandelten vergangene Woche die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf. Doch wie beim Abschluss von Lieferverträgen mit Pharmaunternehmen, die Impfstoffe herstellen, können sich Indien, Südafrika und fast hundert anderen Nationen, also der großen Mehrheit der WTO-Länder, mit der geforderten vorübergehenden Aussetzung von Patenten und geistigem Eigentum nicht gegen die größten multinationalen Pharmakonzerne durchsetzen.

Ein Großteil der Bevölkerungen ärmerer Länder muss voraussichtlich bis 2023 auf ein Impfangebot warten. Die reichen Länder, in denen nur 16 Prozent der Weltbevölkerung leben, haben sich 70 Prozent der verfügbaren Impfstoffmengen mit Exklusivverträgen gesichert. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden drei Viertel aller Impfungen in nur zehn Ländern verabreicht. Der Vorsitzende der Afrikanischen Union, Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa, hat auf die „schmerzhafte Ironie“ hingewiesen, dass Afrika trotz der auf dem Kontinent durchgeführten klinischen Studien jetzt um Zugang zum Impfstoff kämpfen muss.

Der Mangel an Impfstoffen ist so groß, dass dringend mehr Impfstoffkandidaten, Technologietransfer, erhöhte Produktion, niedrigere Preise, Finanzierungsmöglichkeiten und in vielen Fällen auch Spenden von reichen Ländern an arme Länder benötigt werden. Erschwingliche Impfstoffe für alle Länder, insbesondere für die ärmsten, sind ein unverzichtbarer Schritt.

Doch ausgerechnet die Regierungen der USA und der EU-Staaten, die sich gerne auf die universellen Menschenrechte berufen, sorgen dafür, dass die Impfung vier Fünftel der Menschheit gar nicht erreicht. Die internationalen Gespräche zur Aussetzung des Patentschutzes auf Impfstoffe und Medikamente gegen Covid-19 stecken fest. Ein Sprecher der Welthandelsorganisation sagte in Genf, arme und reiche Länder hätten ihre unterschiedlichen Positionen in dem zuständigen Ausschuss der Organisation noch einmal dargelegt und sich auf weitere Gespräche Mitte April geeinigt.

Patente für Profite

Die weltweiten Standards zum Schutz von geistigem Eigentum, das sogenannte TRIPS-Abkommen, haben die Mitgliedsstaaten der Welthandelsorganisation WTO in den 1990er-Jahren beschlossen, auch auf Druck großer Pharmakonzerne. Die Entwickler von Medikamenten oder Impfstoffen genießen seitdem umfassende Rechte. Ihre Patente sind für bis zu 20 Jahre geschützt. In diesem Zeitraum dürfen nur sie die Mittel herstellen oder produzieren lassen. In der Corona-Pandemie kostet das viele Menschenleben. Viele internationale Organisationen, darunter die UN-Menschenrechtskommission, die UNESCO und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), fordern einen offenen Zugang zu Daten und Informationen. Die Mehrheit der Mitgliedsländer der WTO fordern eine zeitweilige Aussetzung der Patentrechte, damit mehr und billiger Impfstoff produziert werden kann. Unterstützung erhalten sie weltweit von mehreren Hundert Nichtregierungsorganisationen. Doch die Pharmaunternehmen wollen ihre Patente nicht freigeben, und haben dabei die Unterstützung ihrer Regierungen.

Position zum Verzicht auf Monopole für COVID-19-Impfstoffe nach Ländern

Quelle: msf.org

Europäische Union blockiert

Auf EU-Ebene obliegt die Position, die bei der WTO zu vertreten ist, dem Europäische Rat [Anm.: Gremium der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union], der dann die EU-Kommission damit beauftragt. Die Europäische Union wird in der WTO nur von einer Person vertreten, hat aber ein Paket von 26 Stimmen, im Gegensatz zum Internationalen Währungsfonds, wo die Stimmen nach dem Budget gewichtet werden. Die Europäische Union hat also ein enormes und entscheidendes Gewicht in der Frage der zeitweiligen Freigabe der Patente. Aber sie stemmt sich mit den Regierung anderer westlicher Industriestaaten gegen den Vorschlag Indiens und Südafrikas den Patentschutz auf Vakzine, Medizin, Diagnostika und Technologien gegen Covid-19 vorübergehend aufzuheben. „Die EU“, so sagte die Sprecherin der Kommission für Handel, Miriam García Ferrer, im Anschluss an das Treffen der WTO, „glaubt, dass das Problem des Zugangs zu Impfstoffen nicht durch die Aussetzung von Patenten gelöst wird. Die Probleme hängen damit zusammen, dass die Produktionskapazitäten nicht ausreichen, um die erforderlichen Mengen zu produzieren.“

Produktionskapazitäten wären vorhanden

Doch genau um diese Ausweitung der Produktionskapazitäten geht es bei der Aussetzung der Patentrechte. Laut der neuen Generaldirektorin der Welthandelsorganisation, Ngozi Okonjo-Iweala, würde es nur sechs bis sieben Monate dauern, ältere Fabriken so umzubauen und zu modernisieren, dass die Produktion der neuen Impfstoffe möglich wäre.

Indien, die „Apotheke der Welt“

Wahrscheinlich ginge es sogar schneller. Denn vor allem Indien hat enorme Kapazitäten bei der Produktionsinfrastruktur, die sich schnell aktivieren ließen. Das Land ist weltweit der drittgrößte Arzneimittelhersteller nach Volumen und Nummer 14, wenn man den Wert dieser Präparate zugrunde legt. Bei der Generika-Produktion steht Indien seit Langem an der Spitze. Ob Präparate im Kampf gegen HIV/Aids, Krebs, Tuberkulose oder andere Krankheiten - die billigen Fabrikate, die oft eine Preisersparnis von 90 Prozent und mehr gegenüber dem „Original“ namhafter Hersteller bieten, sind gerade für Abermillionen Menschen im globalen Süden ein echter Hoffnungsschimmer auf eine Linderung ihrer Leiden. Die Impfstoffproduktion stellt einen wesentlichen Aspekt in diesem Gesamtgefüge der indischen Arzneimittelproduktion dar. 60 Prozent der weltweiten Impfstoffe werden in Indien produziert. Die dortige Firma Serum Institute erwarb auch bei Astrazenaca die Lizenz zur Herstellung von einer Milliarde Dosen. Aber die kosten jetzt mehr als fünf Dollar im Export, für die meisten armen Länder viel zu viel.

Das Geschäft mit Covid

Im Moment kostet in der Europäischen Union das Präparat von Pfizer 15,50 € pro Dosis, aber der Preis wird steigen, wenn es von einer Pandemie in einen endemischen Zustand übergeht, versichert das Top-Management des Pharmariesen Pfizer gegenüber Investoren. „Wenn sich die Marktverhältnisse im Laufe der Zeit normalisieren, besteht für das Unternehmen die Möglichkeit, Chancen aus einer Nachfrage- und Preisperspektive zu nutzen“, heißt es in dem Leak, das von dem The Intercept-Reporter Lee Fang veröffentlicht wurde. „Es kann sein, dass die Menschen eine dritte Dosis des Impfstoffs benötigen, um die Immunität und die Wirksamkeit gegen neu auftretende Covid-Varianten zu verstärken“, erklärten Frank D'Amelio, Finanzchef von Pfizer, und Chuck Triano, Vize-Präsident von Pfizer und verantwortlich für die Beziehungen zu Investoren, auf der Barclays Global Healthcare Conference am 10. März. Das ist das Geschäft mit Covid, das durch die Aussetzung der Patente beeinträchtigt wäre.

Ein dritter Weg

Nun spricht die neue afrikanische Präsidentin der WTO, Nogzi Okonio Iweala, von einem möglichen dritten Weg: „Erleichterung des Technologietransfers innerhalb des multilateralen Regelwerks“. Ist das eine praktikable Lösung? „Es ist machbar, aber nicht wünschenswert und nahezu unmöglich“ sagt z.B. Ugo Pagano, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität von Siena und Spezialist für Patentschutz und das TRIPS-Abkommen. Ugo Pagano: „Um dies zu erklären, müssen wir zur Grundlage des aktuellen Modells zurückgehen. Zur Zeit der Entwicklung des Polio-Impfstoffs hatten wir ein Modell offener Wissenschaft und offener Märkte: In der wissenschaftlichen Forschung gab es einen Plattform-Wettbewerb zwischen dem Impfstoff von Albert Sabin mit einem abgeschwächten Virus und dem von Jonas Salk mit abgetötetem Virus, so dass jede zertifizierte Firma Impfstoffe ohne Patente herstellen konnte. Seit 1994 sind wir mit der WTO beim TRIPS gelandet, dem Abkommen der westlichen Welt zum Schutz des geistigen Eigentums und der Patente, das zu einem System der geschlossenen Wissenschaft und der geschlossenen Märkte geführt hat, in dem das Industriegeheimnis dominiert und sogar dieselben Universitäten sich um Patente streiten. In diesem Rahmen ist ein 'Technologietransfer' nahezu unmöglich.“ Ugo Pagano weist darauf hin, dass es auch anders geht. „China hat von Anfang an auf das Patent auf Sinovac verzichtet, das in Brasilien vom Bundesstaat São Paulo im öffentlichen Gesundheitsinstitut Instituto Butantan hergestellt wird. Und Russland hat die gleiche Linie. Dies zeugt von der geopolitischen Schwäche des Westens, die noch dadurch verstärkt wird, dass die neuen RNA-Impfstoffe in wenigen, gut geschützten Fabriken produziert werden.“

Offener Brief: Gebt die Patente frei!

Über 200 Organisationen aus dem Globalen Süden fordern Angela Merkel und die EU auf, die Öffnung der Impfstoff-Patente gegen Covid-Impfstoffe nicht länger zu blockieren. In dem Brief heißt es u.a.:

Die Covid-19-Pandemie ist mehr als nur eine Gesundheitskrise; sie ist eine ökonomische Krise, eine humanitäre Krise und eine Krise der Menschenrechte, die Mitgefühl und globale Solidarität erfordert. Es muss dringend auf noch nie dagewesene Weise gehandelt werden, um die Ausbreitung global einzudämmen. Wenn wir diese Pandemie überwinden wollen, brauchen wir auf allen Kontinenten Hersteller, die sich an der Produktion von Impfstoffen beteiligen, auch in Entwicklungsländern; einfach überall, wo es möglich ist. Wir rufen Deutschland dringend dazu auf, sich dafür einzusetzen, dass die Europäische Kommission bedingungslos den Vorschlag unterstützt, zugunsten der Prävention, Behandlung und Eindämmung von Covid-19 auf bestimmte TRIPS-Verpflichtungen zu verzichten und sofort aufhört, die Annahme des Vorschlags zu behindern.