Wiederveröffentlichung der Rezension mit freundlicher Genehmigung aus der Tageszeitung jungeWelt
Wenige Monate nach der Amtseinführung des neuen US-Präsidenten Joseph Biden legt der Wirtschaftswissenschaftler und Publizist Conrad Schuhler eine materialreiche Untersuchung des politischen Ansatzes dieser Administration vor. Der Titel: „Das neue Amerika des Joseph R. Biden“. Um einen journalistischen Schnellschuss handelt es sich dabei nicht. Die neun Kapitel stützen sich vor allem auf ökonomische und soziale Fakten, die subjektive und ideologische Seite der Verhältnisse in den USA kommt auch nicht zu kurz. Mit ihnen, das ist dem souverän geschriebenen Buch anzumerken, hat sich dessen Verfasser jahrzehntelang beschäftigt. Er hat den aktuellen Stand der Dinge bis zum Juli 2021 aufgenommen, in einem Nachwort nimmt er außerdem zu dem „schmachvollen Abzug der USA und der NATO aus Afghanistan“ im August Stellung. Dieses Debakel wirkt nach Lektüre des Buches wie eine erste Bestätigung von dessen zentralen Vorhersagen. Zusammengefasst lauten sie: Biden wird scheitern. Und zwar in erster Linie, weil er unfähig ist, die wirtschaftlichen und sozialen Widersprüche innerhalb der USA zu mildern, geschweige denn zu „lösen“. Im Gegenteil. Schuhler gehört zu den Autoren, die von einer unvereinten oder unversöhnlich zerrissenen US-Gesellschaft sprechen, in der die faschistische Gefahr latent ist. Und er führt starke Argumente für diese Sicht ins Feld. Was gemeint ist, besagen die Titel der ersten beiden Kapitel: „Wahlen 2020 – die ›zwei Amerikas‹ in Wählerstimmen“ sowie „Die ›Amerikanische Krankheit‹ – rasant wachsende soziale Ungleichheit“. Ideologisch-politische Spaltung und der Einkommens- und Vermögensabstand zwischen der das Land beherrschenden Milliardärsklasse auf der einen Seite und den Durchschnitts- und Kleinverdienern, dem riesigen Heer der Armen auf der anderen sind der Widerspruch, der die Politik Washingtons bestimmt und treibt. Er bestimmt auch Schuhlers Buch. Irgendeinen Hoffnungsschimmer für die Mehrheit der US-Bevölkerung gibt es da nicht. Allein während der Coronapandemie haben, schreibt der Autor, die 600 US-Milliardäre ihr Vermögen bis zum Januar 2021 „von knapp drei auf über vier Billionen US-Dollar gesteigert“. Die fünf reichsten wurden um 85 Prozent reicher. Die drei an der Spitze – Jeffrey Bezos, Willam Gates und Warren Buffett – dirigieren nun ein Vermögen, „das erheblich größer ist als das der gesamten unteren Hälfte der Bevölkerung.“ Für den US-Durchschnittshaushalt gilt zudem: Seine Schulden sind fast so hoch wie sein Jahreseinkommen. Schuhler hält fest, dass Bidens Rhetorik anders sei als die vieler Vorgänger – er nenne zwar die Opfer dieser Entwicklung und verspreche Taten für sie, nur vermeide er „jeden Hinweis auf die Verursacher“. Der Autor befasst sich detailliert mit Bidens Programmen – Corona, Jobs, Familienunterstützung – und befindet sie für zu leichtgewichtig. An der neoliberalen Ausrichtung der US-Bundespolitik ändern sie nichts, zumal gleich drei Abgesandte des sogenannten Vermögensverwalters Blackrock in Bidens engster Umgebung die Augen offenhalten. Schuhler zitiert den Wirtschaftshistoriker Adam Tooze, dem zufolge zum Beispiel der „American Jobs Plan“, das Kernstück der Vorhaben Bidens zum Umbau der US-Wirtschaft, „im Geiste von Black Rock“ konzipiert wurde. Das Resultat werde sein, dass der Abstand zwischen Arm und Reich größer werde. Das unterscheide Biden von Franklin Delano Roosevelt und dessen durchaus nicht antikapitalistischen Sozialprogrammen in den 1930er Jahren, auf die sich Biden beruft. Der Unterschied sei: Der neue Präsident suche Zustimmung im Kongress „bloß mit Hilfe eines auf ihn eingeschworenen Medienkorps (u. a. New York Times, Washington Post, Los Angeles Times, CNN)“, während Roosevelt „eine breite Volksströmung entfachte“, die ihn gegen alle Widerstände gestützt habe. Das versuche Biden gar nicht erst. Er müsse, meint Schuhler, statt „Middle Class Joe“ – so die von Biden gerne verwendete Eigenbezeichnung – besser „Super Rich Joe“ genannt werden. Der Linke-Vorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow, die neuerdings Biden als Vorbild anpreist, ist Schuhlers Buch auf jeden Fall zu empfehlen. Ansonsten enthält es wenig Tröstliches, und ihm ist auch zu entnehmen, warum. Innenpolitisch: Je mehr sich Armut und Hoffnungslosigkeit ausbreiteten und je häufiger „die Devise der progressiven Neoliberalen“ zu hören sei – „Respekt ja, aber keine Verbesserung eurer materiellen Lage“ –, desto mehr Menschen würden sich „hinter einer rechtsextremen, xenophoben, faschistoiden Figur wie Trump versammeln“. Außenpolitisch: Die jetzige Lage weise auf eine Kollision mit China hin, „die schnell umschlagen könnte in einen größeren Krieg.“ Auch dies, zeigt der Autor, hat mit der inneren gesellschaftlichen Verfassung der USA zu tun. Wer noch Illusionen über Biden hatte, hier kann er sie loswerden.