Embargo: staatliches Verbot, mit einem bestimmten Staat bzw. mit dessen Unternehmen Handels- und andere Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten. Wer andere Länder überfällt und Angriffskriege durchführt, der muss bestraft werden, ganz klar. Allerdings natürlich nur dann, wenn er Russe ist. Am besten, man schneidet Putin von seinen Geldquellen ab, also von den Einnahmen aus den Verkäufen von Kohle, Öl, Gas, Uran. Dann muss er mit dem Krieg bestimmt schnell aufhören, er hat ja kein Geld mehr. Russische Kohle wurde also seitens der EU ab sofort nicht mehr gekauft, bei russischem Öl dauert es noch einige Monate bis zum endgültigen Boykott, vielleicht bis zum Jahresende, und bei Erdgas ist man noch schwer am Suchen, wie man sich aus der Russengas-Abhängigkeit lösen kann. Im Folgenden einige Argumente, warum ein solches Embargo seitens der EU nicht nur nicht wirksam ist, sondern sogar noch zusätzliche Zerstörung und Risiken schafft. Ich gehe hier nicht darauf ein, wer eigentlich tatsächlich in Russland bestraft wird, wenn „Russland“ bestraft wird: Putin? Die Oligarchen = Großkapitalisten? Der Durchschnittsbürger? Die Armen? Und um Missverständnissen vorzubeugen: Der russische Angriffskrieg ist durch nichts zu rechtfertigen.
1. Das Embargo bewirkt eine Energiepreis-Explosion
Zur Auffrischung des kleinen Einmaleins der Marktwirtschaft: Boykott bedeutet, ein Teil des Angebots einer Ware wird vom Markt ausgeschlossen, es kommt also zu einem Marktungleichgewicht, zu einer Übernachfrage, gemessen am Angebot. Das ist bei industriell gefertigten Waren (Plastiktüten, Brezen, Kühlschränke, Zement) kein Problem, da sich in der Regel schnell neue Anbieter finden, die das Ungleichgewicht ausgleichen. Anders verhält es sich bei Rohstoffen: Wenn von einem Rohstoff nicht ganz leicht und nicht ganz beliebig mehr produziert werden kann, dann mündet das in Preissteigerungen. Der Ölpreis wird, anders als der Preis für Brezen und für Zement, in erster Linie auf Zukunftsmärkten gebildet (per Futures und Optionen), und zwar von Finanzspekulanten, lange bevor das Rohöl in der Raffinerie landet zur Verarbeitung. Wenn in 6 oder 12 Monaten absehbar und boykottbedingt zu wenig Angebot da ist, dann steigt der heute (!) gehandelte Ölpreis für zukünftige Lieferung (= Future). Wenn der 6-Monats-Future viel höher ist als der Ölpreis für den aktuellen Tag, dann steigt auch dieser entsprechend, weil man ansonsten heute billig Öl kaufen und in 6 Monaten teuer verkaufen könnte (die Finanzagenten, nicht die konkreten Verarbeiter, veranstalten diese Geschäfte, und zwar auf dem Papier, währenddessen das Öl im Tanker auf dem Ozean schwimmt oder sogar noch gar nicht gefördert wurde. Das bedeutet aber, dass die Spekulation auf Ereignisse in der Zukunft zur Preissteigerung heute schon führt, auch wenn heute noch genügend Mengen da sind und die Knappheit spekulativ erst am Horizont sich abzeichnet. Das ist im Übrigen auch der Grund für die heute schon rapiden Getreidepreissteigerungen bei heute noch normalen Marktmengen, aber wahrscheinlichen Engpässen in der Zukunft [1]). Und wenn der Ölpreis steigt, dann steigt auch der Gaspreis, und auch der Kohlepreis, und auch der Uranpreis … Der Grund: Die Energieträger können einander häufig ersetzen, sie sind substituierbar. Insbesondere Strom, aber auch Fernwärme, Industriewärme usw. kann aus jedem Energieträger hergestellt werden.
2. Das Embargo bewirkt NICHT das Kriegsende - aus zwei Gründen.
Erstens: Russland verkauft ja weiterhin Öl und Gas, wenn auch weniger als früher. Es beteiligen sich nicht 100 % aller Verbraucher am Boykott, und manche Länder (ärmere als Deutschland) leiden am Preisanstieg sehr viel stärker als wir hier und sind – womöglich – Russland dankbar, dass es Energie zwar zu viel höheren Preisen als früher verkauft, aber eben doch mit einem Rabattabschlag auf den Weltmarktpreis. Die Russland boykottierenden EU-Länder schnappen den Drittländern deren Öl- und Gaslieferanten weg (Habeck in Katar), so dass diese Drittländer sich naheliegenderweise auch an Russland wenden. Tatsächlich scheint es so zu sein, dass die Russen mit einer geringeren Exportmenge genauso viel oder sogar mehr erlösen als in früheren Jahren. Das Ziel, den Geldhahn zuzudrehen, wird klar verfehlt. Natürlich verdienen die Russen nicht so üppig an den Preissteigerungen wie etwa die Saudis: Der saudische Mörder-Kronprinz wird virtuell wohl die gesamte EU-Führung umarmen ob der riesigen Extraprofite, die durch die EU-Embargo-Politik in seine Schatzkammern strömen. Weil die Russen immer noch gut am Ölverkauf verdienen können, legten die westlichen Strategen, Biden voran, auf der G7-Konferenz mit der famosen Idee nach, Russland einen Preisdeckel (Höchstpreis) für den Ölexport aufzuzwingen. Da bleibt zu fragen: Warum so zaghaft? Warum nicht gleich einen Höchstpreis von Null für russische Exporte? Zweitens: Die Russen brauchen keine Waffen vom Weltmarkt. Sie produzieren sie selber. Also sogar wenn sie keine Energieträger mehr verkaufen und keine Dollars mehr einnehmen würden, können sie genauso viele Waffen produzieren wie mit hohen Exporterlösen. Außerdem zahlen sie ihre Soldaten bekanntlich nicht mit Dollar, sondern mit eigenem Geld. Fazit: Der Boykottgedanke als Mittel, die Russen zum baldigen Kriegsende zu zwingen, ist also eine Farce, ein Schwindel. Jeder einzelne Berater jedes Präsidenten der G7-Länder weiß das mit Sicherheit. Es ist sonnenklar, dass es so kommen musste. Aber warum dann so ein Manöver? Da kann nun ich nur spekulieren. Spielen Konkurrenzmotive innerhalb der G7 die zentrale Rolle? Die USA brauchen, anders als die EU, keine Ölimporte; umgekehrt exportieren sie Energieträger, gehören also zu den Gewinnern. Wollen sie mit dem Embargo die EU-Länder klein halten, quasi einen Kollateralnutzen einfahren? Es gäbe jedenfalls, meines Erachtens, sehr viel schärfere Maßnahmen, um der russischen Wirtschaft nachhaltig zu schaden, sie zu ruinieren, wie Baerbock fordert. (Was offensichtlich das wirkliche Kriegsziel ist, und nicht ein möglichst baldiges Kriegsende.) Das wäre insbesondere der Rückzug der westlichen Konzerne aus dem russischen Markt: keine Produktion mehr in Russland, kein Export mehr dorthin. Das dürfte die industrieschwache russische Wirtschaft stark treffen – und sie auf Dauer als Juniorpartner und Rohstofflieferant an China binden. Auch wäre es ein Eigentor der westlichen Politik.
3. Das Embargo bewirkt einen Schub Richtung Klimazerstörung – aus zwei Gründen.
Erstens: Das für die EU wegfallende russische Öl und Gas muss durch andere Quellen bzw. andere Energieträger ersetzt werden. Statt Erdgas wird jetzt Kohle (aus Australien!) in Kraftwerken zu Strom verbrannt, ein für das Klima erheblich schlimmerer Prozess. Statt russisches Erdgas, das relativ nahe zum Verbrauchsort gefördert wird, über Pipelines in die EU zu bringen (Nordstream 1 und 2 gehören sicherlich zu den verlustärmsten, also besten Transportmöglichkeiten), soll LNG (verflüssigtes Erdgas) aus Katar, aus den USA und anderen Überseegegenden in die EU gebracht werden: die Verdichtung, die notwendige Kühlung, der Schiffstransport – und erst recht die Frackingförderung in den USA – machen LNG-Gas zu einem ähnlich schlimmen Energieträger wie Braunkohle, was der klar klimaschädlichste Energieträger ist. Neuerdings gibt es „Re-Fracking“ in den USA: da wird das Bohrloch mit einem Höchstdruck-Booster-Schuss aufgesprengt: schnelle Steigerung der Fördermengen (und wohl auch der Schadstoffemissionen) bei geringen Kosten. Zweitens: Mehrere LNG-Anlandehäfen sollen gebaut werden, jeder sicherlich mit milliardenschwerem Subventionsbedarf. Es müssen auf die Schnelle neue Leitungen gebaut werden, weil die neuen Anlandepunkte andere sind als die bisherigen Pipelineenden (siehe Schwedt). Die Übernahme der früheren Gazprom-Anlagen in Deutschland durch vom Staat beauftragte Verwalter benötigt nach Zeitungsberichten viele Milliarden Subventionen (ungenannt blieb dabei: wofür eigentlich?). Kohlekraftwerke weiter laufen zu lassen kostet Zuschüsse für die Aufrechterhaltung der Betriebsbereitschaft. Ungeheure zusätzliche Kosten, und alles nur zur Aufrechterhaltung und sogar noch zur Verschlimmerung des alten fossilen Zustandes. Dies führt dazu, dass es erst recht an Geld fehlen wird zur Förderung von Energieeinsparung und regenerativer Energienutzung. Wir fallen also hinsichtlich der Klimaschutz-Anstrengungen noch viel weiter hinter das dringendst Notwendige zurück. Ja und außerdem und überhaupt: Wir müssen erst mal richtig aufrüsten, das ist jetzt das Wichtigste. 25 Milliarden jährlich zusätzlich, abgesehen vom 100-Milliarden-Paket, da muss halt auch mal der Klimaschutz zurückstecken. Weil Schulden wollen wir ja auch keine mehr machen.
4. Das Embargo bewirkt atomare Risiken
Von den ursprünglich etwa 25 AKWs in Westdeutschland laufen heute noch drei, die programmgemäß nach dem Ausstiegsbeschluss Ende 2022 abgeschaltet werden. In einem halben Jahr haben wir das Atomzeitalter endlich geschafft, mal abgesehen von den Millionen Jahren Aufsicht über die Endlagerung. Außer es setzt sich die Atomfan-Koalition aus AfD plus CDU/CSU plus FDP durch und die Laufzeit wird verlängert. Das ist nicht einfach, und die Atomkonzerne haben längst ihre gesamte Fahrweise und Geschäftspolitik auf das Ende am 31. 12. 2022 hin optimiert. Das Personal ist dann wegen anderer Einsätze oder Verrentung nicht mehr verfügbar, die Verträge für Stilllegung und Abriss sind längst besiegelt, die Brennstäbe sind abgebrannt. Zu den Brennstäben: sie kriegt man nicht so leicht wie den Biernachschub im Getränkeladen (wie sich das die CSU wohl vorstellt), sondern die sind speziell für die verschiedenen AKWs gefertigt (übrigens häufig mit russischem Uran). Außerdem liegen die Brennstäbe, bis sie abgebrannt sind, mehrere Jahre im Reaktor, so dass es überhaupt keinen Sinn macht, AKWs neu zu bestücken, um über den Winter 2022/2023 zu kommen. Das haben die Atomparteien mittlerweile gelernt, so dass sie jetzt fordern, die AKWs noch mindestens fünf Jahre weiterzufahren. Und auch die schon in früheren Jahren abgeschalteten AKWs wieder in Betrieb zu nehmen. Das eigentliche Problem aber ist: Ein Weiterbetrieb oder gar ein Wieder-Anfahren der schon im Rückbau befindlichen AKWs würde auf alle Fälle eine neue Runde der schon überfälligen periodischen Sicherheits-Überprüfungen erfordern, die Monate dauern. Die Atommeiler sind technisch mittlerweile marode und längst am Ende ihrer technischen Laufzeit angekommen. Mit Blick auf das Ende der AKW-Laufzeit sind die Überprüfungen und Bestimmungen zur AKW-Sicherheit gelockert worden, in der Hoffnung und Erwartung, dass es in den restlichen Jahren und Monaten schon noch gut ausgehen wird. Und mehr noch: Nach Nine-eleven, dem Terrorangriff in den USA am 11. 9. 2001, wurde zudem beschlossen, dass alle AKWs gegen einen gelenkten (und natürlich auch einen zufälligen) Flugzeugabsturz auf ein AKW gesichert werden müssen. Weil das aber irrsinnig aufwendig und daher praktisch nicht möglich ist, und weil die deutschen AKWs eh bald abgeschaltet werden, wurde dieser Beschluss verzögert und verzögert, und dann stillschweigend ausgesetzt. Bis 2022 werden ja eh alle AKWs abgeschaltet, bis dahin wird’s wohl auch ohne Absturzsicherung schon noch gut gehen.
5. Wie immer, so gäbe es auch hier eine sinnvolle Alternative zur herrschenden Politik.
Ein Embargo mag wohl die Abhängigkeit von russischen Energieträgern beenden, aber was wir wirklich dringendst benötigen, das ist das Ende der Abhängigkeit von Gas, Öl, Kohle, Uran, egal wer es fördert. Nichts weniger! Die sinnvolle Alternative liegt daher offen auf der Hand: Statt einer so dummen und schädlichen Embargoentscheidung (schädlich vor allem für Klima und Umwelt) wäre ein radikaler Beschluss zur Beschleunigung von Energieeinsparung und Nutzung regenerativer Energien viel naheliegender und hilfreicher gewesen. Das hätte zu einer forcierten Senkung des deutschen bzw. des EU-Energiebedarfs geführt, und damit zur Senkung der deutschen bzw. der EU-Energienachfrage in den Förderländern. Eine solche Nachfragereduzierung hätte die Weltmarktpreise der fossilen Energieträger gesenkt (was, übrigens auch ein Problem ist, aber ein anders geartetes). Dann hätte man sich überlegen können, welches Energieförderland die Nachfragereduzierung zu spüren bekommen soll. Dieses Vorgehen hätte dessen Einnahmen dann tatsächlich reduziert – gleichzeitig den Klimaschutz befördert und weniger Umverteilung per Inflation bewirkt. Eine naheliegende Alternative, aber warum wird sie so hartnäckig ignoriert?
[1] Die SZ berichtet am 25. 6. 2022 über die Weizenbörse in Chicago: Russische Panzer sind kaum über die Grenze gefahren, schon klingelt mitten in der Nacht das Telefon beim Börsenagenten. Die ersten Spekulanten wollen möglichst sofort, noch vor dem absehbaren Preisanstieg wegen kriegsbedingter Ernteausfälle sich Getreidemengen zur Lieferung in 6 oder 12 Monaten sichern, nicht zum eigenen Verbrauch, sondern zum profitablen Weiterverkauf vor der Lieferfälligkeit. Krisen bringen Volatilität (Unsicherheiten) auf den Markt, und Volatilität bedeutet Geschäftsgelegenheit, so das Credo des Finanzagenten.