Ein Bündnis vor allem aus Konservativen, Rechten und Liberalen stimmte am Mittwoch den 06.07. im EU-Parlament für die Aufnahme von Erdgas und Atomkraft in die Klima-Taxonomie. Mit diesem Instrument sollen "die Kapitalflüsse auf nachhaltige Investitionen" umgelenkt werden.Durch die Taxonomie, einem aus der Botanik entlehnten Wort, das Klassifizierung bedeutet, solle einfach zu erkennen sein, was wirklich nachhaltig und nicht nur "Greenwashing" ist. Die selbst aufgestellten EU-Regeln dafür lauten: Nur solche Wirtschaftsaktivitäten, die einen substanziellen Beitrag zum Klimaschutz leisten und der Umwelt nicht an anderer Stelle schaden, sollen nachhaltig, also "grün", klassifiziert werden. Ursprünglich sollten so die Investitionen in Windkraft und Solaranlage befördert werden. Doch die Europäische Kommission nahm Gas und Atom auf Druck Deutschlands und Frankreichs nachträglich in ihre Taxonomie auf. Olaf Scholz und Emmanuel Macron fädelten einen Deal ein, der die Mehrheit brachte.Mindestens 353 der 705 Abgeordneten hätten gegen den Vorschlag der Kommission stimmen müssen, um das grüne Siegel für Atomkraft und Gas zu stoppen. Es stimmten 328 dagegen, 278 Abgeordnete dafür und 33 enthielten sich der Abstimmung.
Ein harter Schlag für den europäischen Green Deal
Für die Grünen ist dies das Ergebnis eines "faustischen Paktes" zwischen Frankreich und Deutschland: Deutschland, das gegen die Kernenergie ist, hat die Pariser Unterstützung für Gas gegen die Unterstützung der französischen (und osteuropäischen) Kernenergie eingetauscht. Indem sie Gas und Atomkraft in der Taxonomie als nachhaltig beibehalten haben, so die sozialdemokratische Fraktion S&D, "haben die Konservativen die Klimaziele der EU auf beschämende Weise verraten".
"Mit der heutigen Abstimmung hat das Europäische Parlament den Gas- und Atomlobbys nachgegeben, indem es den Vorschlag der Kommission unterstützt, sie als nachhaltige Energiequellen einzustufen. Ein harter Schlag für den europäischen Green Deal und für eine ehrgeizige Klimapolitik im Einklang mit dem Pariser Ziel, die globale Erwärmung auf 1,5° C zu begrenzen, was für die Bewältigung des Klimanotstands unerlässlich ist. Eine politische Entscheidung ohne jede wissenschaftliche Grundlage, wie sie die Taxonomie-Verordnung verlangt", erklärt Stefano Ciafani, nationaler Vorsitzender der italienischen Legambiente.
Die finnische Abgeordnete Silvia Modig (Linksfraktion The Left / Linksbündnis Vasemmistoliitto) brachte die Kritik auf den Punkt: "Von nun an wird die Kommission aufhören müssen, davon zu sprechen, dass die EU eine Vorreiterrolle bei den globalen Klimaschutzmaßnahmen einnimmt. Wie um alles in der Welt können wir von anderen den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen verlangen, wenn wir selbst entscheiden, dass Erdgas eine grüne Investition ist?"
Özlem Alev Demirel (Linksfraktion The Left / DIE LINKE) erklärte: "So paradox wie das EU Parlament muss man erstmal sein: Einerseits spricht man sich für ein vollständiges Gas Embargo für russisches Gas aus und treibt so die Energiepreise nach oben. Und anderseits wird jetzt Gas- und Atomkraft als nachhaltig im Rahmen der sogenannten EU-Taxonomy eingestuft, weil man sich so einen Vorteil erhofft. Die konservativen Fraktionen, die dafür gestimmt haben, meinten, dass man so die Flüssiggas-Terminals besser fördern könnte. Ganz unabhängig davon, dass Terminals gar nicht Gegenstand der Taxonomy sind, wird hier nichts weiter als greenwashing betrieben. Sicher, wenn man aus der Kohle aussteigt wird Gas natürlich als Übergangstechnologie bedeutender. Aber das heißt doch nicht, dass es plötzlich nachhaltig ist. Wer eine nachhaltige Energiepolitik will, der muss erneuerbare Energien fördern. Auch die Atomlobby darf sich freuen. Schon jetzt planen 14 EU-Staaten neue Atomkraftwerke. Solange aber die Endlagerfrage nicht gelöst ist, bleibt diese Technologie nachhaltig umweltschädlich und mit jedem neuen Atomkraftwerk steigt das Risiko für eine Katastrophe. Übrigens: aus dem günstigen russischen Gas auszusteigen, um teureres Flüssiggas aus den USA zu bestellen oder aus dem autokratisch regierten Katar, dessen weite Transportwege das Klima weiter belasten wird, ist auch nicht logisch. Es ist und bleibt schlicht absurd, was hier auf Kosten der Umwelt und auf Kosten der Beschäftigten und ärmeren Teile der Bevölkerung durchgesetzt wird. Verstehe es Wer will. Ich habe selbstverständlich gegen dieses Greenwashing gestimmt." Auch der deutsche Grünenabgeordnete Michael Bloss (Greens/EFA) kritisierte: "Das Gütesiegel der Finanzbranche ist damit nichts mehr wert. Aber das ist nicht das Ende. Im Gegenteil. Wir ziehen vor Gericht. Österreich und Luxemburg bereiten die Klage vor, Spanien und Dänemark prüfen. Der Kampf geht weiter."
Österreich will klagen – die deutsche Regierung nicht
Politisch ist der Rechtsakt nach dem Votum des Parlaments kaum noch aufzuhalten. Im Europäischen Rat müssten sich 20 Länder, die 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, gegen den Entwurf stellen. Das ist unrealistisch. Denn Frankreich hat eine Koalition der Atomfreunde aus zehn Staaten geschmiedet, darunter Polen, Finnland und Rumänien. Im Rat wird das Vorhaben also nicht gestoppt werden können.
Damit ist das Vorhaben nur noch juristisch zu stoppen: Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kündigte am Mittwoch an, vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen. "Wer Gas und Atom nachhaltig nennt, stürzt die Finanzakteure in Orientierungslosigkeit, die zu windigen Angeboten einlädt und Klimaschutz untergräbt", so Greenpeace-Finanzexperte Mauricio Vargas. Auch Österreich kündigte schon an, rechtlich gegen die Aufnahme von Gas und Atom in die Taxonomie vorzugehen. "Wir haben uns in den letzten Wochen und Monaten bereits intensiv auf diesen Fall vorbereitet und werden unsere Klage im Rahmen der dafür vorgesehenen Frist einreichen", sagte Umweltministerin Leonore Gewessler. Die Entscheidung werde dem Green Deal und den europäischen Bemühungen für eine gute und klimafreundliche Zukunft nicht gerecht, so Gewessler. "Sie ist weder glaubwürdig, ambitioniert noch wissensbasiert, gefährdet unsere Zukunft und ist mehr als verantwortungslos." Luxemburg sagte laut Gewessler bereits zu, sich an einer Klage zu beteiligen. Anders die deutsche Regierung. Sie will nicht gegen den Beschluss der EU klagen, hat doch Bundeskanzler Scholz (SPD) das Ganze mit eingefädelt. Trotzdem bleibe man bei der Position, dass die Kernenergie nicht nachhaltig sei, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Dies habe man auch mit Nachdruck gegenüber der EU-Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten vertreten.
Hinter dem "billigen und umweltfreundlichen Atomstrom" versteckt Frankreich die Modernisierung seiner Atomwaffen
Der französische Präsident Macron hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich als Verfechter der Atomkraft positioniert. Und so machte sich Macron auch in der Debatte um die EU-Taxonomie zum Sprecher der Atomlobby, um der Atomenergie ein "grünes Label" zu verschaffen. Es geht schließlich um Milliarden-Fördertöpfe. Welche Interessen Frankreichs aber tatsächlich hinter der Atomenergie stehen, zeigt ein Zitat aus der Rede Macrons bei seinem Besuch in der Atomschmiede Le Creusot im Jahr 2020: "Ohne zivile Atomenergie gibt es keine militärische Nutzung der Technologie – und ohne die militärische Nutzung gibt es auch keine zivile Atomenergie." Und weiter: "Die Atomenergie wird der Eckpfeiler unserer strategischen Autonomie bleiben. Es geht um alle Teile der Abschreckung, um den Antrieb unserer Atom-U-Boote, U-Boote für den Abschuss ballistischer Raketen. Und um den Antrieb unserer nuklearen Flugzeugträger.“ Im Klartext heißt das: Hinter der geplanten Modernisierung der französischen Atomkraft für angeblich billigeren Strom versteckt Frankreich die Agenda der Modernisierung seiner Nuklearwaffen. Ohne eine Atomwirtschaft auf dem neuesten technischen Stand kann Frankreich sein Nuklearwaffenarsenal nicht weiter ausbauen und modernisieren. Premierministerin Élisabeth Borne kündigte am Mittwoch den 06.07. die vollständigen Übernahme des bereits vom Staat dominierten Stromkonzerns EDF an. Das Unternehmen befindet sich aufgrund der steigenden Kosten der Kernenergie in Schwierigkeiten, da etwa die Hälfte der Reaktoren wegen Wartungsarbeiten abgeschaltet ist. Präsident Emmanuel Macron hatte bereits im März angekündigt, den Konzern wieder vollständig zu verstaatlichen. Mit diesem Schritt soll der angestrebte Ausbau der Atomkraft in Frankreich sichergestellt werden.
Rüstungsindustrie will auch "Nachhaltigkeits-Label"
Was für die Atomindustrie gilt, das soll nach dem Willen der Rüstungslobby auch für die Rüstungsindustrie gelten. Der gesetzliche Rahmen für das Thema Rüstungsfinanzierung wird nämlich vor allem in der belgischen EU-Metropole gestrickt. Dort entscheidet die EU-Kommission zusammen mit dem Rat und EU-Parlament über die sogenannten ESG-Taxonomie für die Geldhäuser. ESG steht für Enviroment (Umwelt), Social und Governance. Sie entscheiden darüber, ob eine Anlage als nachhaltig, sozial und gut organisiert und geführt gilt. Wenn nicht, dann gilt sie als schlechtes Investment – das ESG fungiert als Gütesiegel. Bisher wird in Brüssel vor allem um das E gerungen. Nach dem Beschluss des EU-Parlaments könnten die "grünen" E-Taxonomie-Regeln für den Finanzmarkt ab 2023 greifen. Beim S ist man in Brüssel noch gar nicht richtig angekommen. Die Rüstungsindustrie würde unter die Kategorie Sozial fallen. Falls Rüstungsgüter nach künftigen Kriterien der EU keine nachhaltige oder gar eine schädliche Anlage darstellen, würden die Rüstungsfirmen auch schwerer oder zu schlechteren Konditionen an Kredite kommen.
In Brüssel gab es ein erstes Aufblitzen des Themas Rüstungsfinanzierung im Kontext der ESG-Kriterien – wenige Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Demnach sollte die Rüstungsindustrie grundsätzlich als nicht nachhaltig gelten und wäre dadurch als schlechtes Investment gekennzeichnet gewesen. De Rüstungsfirmen würde schwerer oder zu schlechteren Konditionen an Kredite kommen.
Seit Russlands Überfall auf die Ukraine ist diese Debatte weitgehend beendet. Im EU-Rat, dort wo die Repräsentanten der EU-Länder sitzen, gibt es stattdessen erste Gespräche darüber, ob die europäische Rüstungsindustrie nicht doch besser als nachhaltig gekennzeichnet werden sollte. Das Hauptargument, das man dabei in der Öffentlichkeit verwenden will: Wehrhafte Demokratien bräuchten Mittel, um sich gegen Aggressoren zu verteidigen. Rheinmetall-Chef Armin Papperger, der sich vehement für eine Klassifizierung der Rüstungsbranche als sozial nachhaltig einsetzt: "Nachhaltigkeit kann und wird es immer nur dort geben, wo Sicherheit gewährleistet wird; und Sicherheit kann nur dort gewährleistet werden, wo es Wehrhaftigkeit, wo es Verteidigungsfähigkeit gibt.“ Bereits auf der Bilanzpressekonferenz im vergangenen Jahr hatte Papperger erklärt, dass Rheinmetall die nächste Generation von Panzer-Fahrzeugen u.a. mit umweltfreundlichen Antrieben ausstatten wolle. "Wir haben ein erstes elektrisches Militärfahrzeug", sagte Pappberger. "Im nächsten Jahr planen wir einen Radpanzer mit Hybridantrieb".