In den frühen Morgenstunden des Sonntags verkündeten die Spitzenpolitiker von SPD, Grünen und FDP nach wochenlangem Ringen, dass es ein weiteres Entlastungspaket geben werde, das die hohen Preissteigerungen für Bürger*innen und Unternehmen abfedern soll. Mit insgesamt 65 Milliarden Euro soll das Paket größer sein als die beiden vorangegangenen zusammen. Davon sollen diesmal auch Rentner*innen, Studierende und Auszubildende, die beim letzten Mal "vergessenen" wurden, etwas bekommen. Rentner*innen erhalten zum 1. Dezember eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro, Studierende und Auszubildende bekommen dann einmalig 200 Euro. Dass damit die teilweise im Vergleich zum vergangenen Jahr bereits verzehnfachten Energiekosten nicht annähernd bezahlt werden können, dürfte aber auch der Koalition bewusst sein. Wie die Studierenden das Geld erhalten ist noch nicht klar, denn für sie muss erst ein Zahlungsweg zusammen mit den Ländern noch gefunden werden. Der Kreis der Wohngeldberechtigten werde von bisher 700.000 auf zwei Millionen Bürger*innen erweitert, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Von September bis Dezember 2022 ist geplant, einmalig einen weiteren Heizkostenzuschuss an die Bezieher des Wohngeldes zu zahlen - 415 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt, 540 Euro für zwei Personen; für jede weitere Person kommen 100 Euro hinzu. Erst Anfang 2023 werden dagegen Kindergeld – plus 18 Euro für das erste und zweite Kind - und Kinderzuschlag - für Alleinerziehende 250 Euro monatlich - erhöht, das Bürgergeld in Höhe von 500 Euro eingeführt und das Wohngeld so reformiert, dass mehr Menschen Anspruch darauf haben und steigende Heizkosten dauerhaft abgefedert werden. Diese Wartezeit könnte für viele Menschen sehr lang sein. Geringverdiener müssen künftig erst ab einem Einkommen von 2.000 Euro volle Sozialbeiträge zahlen. Dazu wird die Midijob-Grenze, die im Oktober von 1.300 auf 1.600 Euro steigt, ab Januar 2023 auf 2.000 Euro angehoben. Noch länger dauern könnte es bei den Entlastungen von steigenden Energiepreisen. Ein verbilligter Grundbedarf an Wärme soll erst mal durch eine Expertenkommission diskutiert werden.

Beim Strom soll das über eine Strompreisbremse gehen: Privathaushalte und kleine und mittelständische Unternehmen sollen für ihren Basisverbrauch an Strom einen vergünstigten Preis zahlen. Doch das soll erst kommen, wenn ein Teil der Gewinne der Stromkonzerne durch die sogenannte "Erlösobergrenze" abgeschöpft wird. Energieintensive Unternehmen werden mit 1,7 Milliarden Euro entlastet. Zudem soll es weitere Bürgschaften und KfW-Hilfen geben und Erleichterungen beim Insolvenzrecht geschaffen werden. Der Mittelstand kritisiert allerdings, dass es keine kurzfristigen Nothilfen für existenzbedrohte Betriebe gebe. Nicht durchgesetzt haben sich SPD und Grüne mit ihrer Idee, eine Übergewinnsteuer einzuführen. Die Koalitionspartner versprechen, sich zunächst auf europäischer Ebene für eine solche Steuer einzusetzen. Sollte das nicht möglich sein, werde man das alleine auf nationaler Ebene "zügig umsetzen", sagte Scholz. Geplant ist jedenfalls eine Abschöpfung von Gewinnen bei Energiefirmen. Für einen Nachfolger für das 9-Euro-Ticket stellt der Bund 1,5 Milliarden Euro im Jahr bereit. Allerdings hat die Bundesregierung die Rechnung ohne die Länder gemacht, die sich mit einem mindestens ebenso hohen Betrag beteiligen müssten. "Wenn der Bund das haben will, muss der Bund das finanzieren", sagte ein Sprecher des bayerischen Verkehrsministeriums am Montag. Die Verkehrsverbünde begrüßten die Pläne der Bundesregierung, forderten aber zusätzliche Finanzmittel. Damit das Ticket funktioniert, müssten die Verkehrsverbünde ihr Fahrplanangebot aufrechterhalten und idealerweise ausbauen können. Wegen steigender Energie-, Material- und Personalkosten sei der Schienenpersonennahverkehr aber bereits unterfinanziert. Für die Finanzierung des Entlastungspaketes strebt Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) die Quadratur des Kreises an. Das Paket solle ohne zusätzliche Neuverschuldung finanziert werden. Der Bundeshaushalt 2023 werde die Regeln der Schuldenbremse respektieren, so Lindner.

Drittes Entlastungspaket: Der Paritätische zeigt sich enttäuscht

Während die Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, das Paket als "insgesamt beeindruckend" bezeichnete, zeigt sich der Paritätische Gesamtverband enttäuscht. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, sagte, dass die Pläne in der "Summe nicht geeignet sind, den Ärmsten im Herbst Zuversicht zu geben". Ulrich Schneider in seiner Erklärung:

Die angekündigte Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten ist absolut begrüßenswert. Hier handelt es sich um eine sozialpolitisch überfällige und wirklich wichtige Maßnahme, die allerdings erst im kommenden Jahr greifen wird. Ansonsten muss man sagen: Mit diesem Entlastungspaket werden in erster Linie Fehler und Ungerechtigkeiten aus dem letzten Paket korrigiert, aber keinerlei zusätzliche zielgerichteten Hilfen auf den Weg gebracht, die auch den Ärmsten in der Grundsicherung in diesem Herbst substantiell Unterstützung und Entlastung bringen würden. Dass Rentner*innen und Studierende jetzt auch wie alle anderen eine einmalige finanzielle Unterstützung erhalten und beim Heizkostenzuschuss im Wohngeld noch einmal nachgelegt wird, ist nur gerecht, gut und wichtig, aber ganz sicher nicht genug. Wir hätten nicht damit gerechnet und sind wirklich entsetzt, dass diese Bundesregierung in diesem Jahr überhaupt keine weiteren zielgerichteten Hilfen auch für Menschen in der Grundsicherung plant. Die angekündigte Anhebung der Grundsicherung auf knapp 500 Euro ab dem 1. Januar ist allenfalls ein schlechter Witz und wird, wenn überhaupt, gerade die Inflation ausgleichen. So kann das neue Bürgergeld ganz sicher nicht als soziale, innovative Errungenschaft verkauft werden. Der Paritätische bleibt bei seiner Forderung nach einer pauschalen Anhebung der Regelsätze um 200 Euro ab Oktober. Zusätzlich sind die Stromkosten als Bestandteil der Wohnkosten in voller tatsächlicher Höhe zu übernehmen. Alles in allem sind die vorgelegten Pläne nicht geeignet, um den Menschen in diesem Herbst wirklich Zuversicht zu geben. Ein Hauptproblem bleibt der steuerpolitische Kurs der Bundesregierung: Wer an Steuererleichterungen um jeden Preis festhält, dabei Steuererhöhungen ausschließt und die Schuldenbremse nicht verhandeln will, beraubt sich des eigenen Handlungsspielraums. Eine wuchtige Krisenbewältigung, die diese Gesellschaft zusammenhält und alle mitnimmt, braucht eine beherzte Finanz- und Steuerpolitik und klare sozialpolitische Prioritäten. Beides bleibt die Ampel bisher schuldig.

Das unternehmernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) nennt das dritte Entlastungspaket einen "65-Milliarden-Euro-Bluff". "Mindestens 25 Milliarden Euro davon beziehen sich auf Vorhaben, die auch ohne Energiepreiskrise auf der Tagesordnung gestanden hätten", heißt es von der Kölner Forschungseinrichtung. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, kritisiert, dass die Regierung "bei der wichtigsten Herausforderung, der Begrenzung von Strom- und Gaspreisen, eine Lösung schuldig" bleibe. Die geplante Strompreisbremse sei "völlig unausgegoren", werde erst in Monaten umgesetzt werden können und folge dem Prinzip Hoffnung, sagte Fratzscher. Zudem würden Besserverdienende wieder den größten Teil der Gelder erhalten. "Alleine 70 Prozent der zehn Milliarden Euro der Entlastung der kalten Progression kommen den oberen 30 Prozent zugute", so Fratzscher. Zu viele Gruppen würden erneut vergessen oder mit völlig unzureichenden Einmalzahlungen abgespeist.

Die Fraktion DIE LINKE kritisiert das Paket als nicht ausreichend.

Auch die Bundestagsfraktion der Linkspartei kritisiert das Paket als nicht ausreichend. "Alle drei Entlastungspäckchen zusammen bleiben immer noch hinter den 100 Milliarden zurück, die über Nacht für Aufrüstung beschlossen werden konnten", sagt die Ko-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali. "Dass Studierende und Rentnerinnen und Rentner jetzt auch eine Einmalzahlung erhalten sollen, ist nicht mehr als die längst überfällige Korrektur der Fehler der bisherigen Entlastungspäckchen und ist in der Summe immer noch viel zu wenig. Das Gleiche gilt für die läppischen 1,5 Milliarden, die für eine Nachfolge des 9-Euro-Tickets vorgesehen sind. Was eine Übergewinnsteuer anbelangt, bleibt die Bundesregierung nebulös, ebenso in der Frage der Energieversorgung. Natürlich ist die Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes richtig, aber der nun erhöhte Regelsatz war schon vor der Preisexplosion zu wenig, um damit über die Runden zu kommen." Christian Görke, finanzpolitischer Sprecher der Fraktion, kritisiert, dass die Übergewinnsteuer für die Regierungskoalition ein Tabu bleibt. "Mit der Erlösobergrenze bleiben die bisherigen Krisengewinne am Strommarkt unangetastet, die Gewinne mit Kraftstoffen und Gas auch in Zukunft gänzlich außen vor." Außerdem fehle dem Paket "ein Gaspreisdeckel für günstigen Grundverbrauch, ein echtes Wintergeld und eine Mehrwertsteuersenkung für Grundnahrungsmittel". Angesichts dessen glaubt der Ko-Vorsitzende der Linkspartei, Martin Schirdewan, dass der von seiner Partei angekündigte "heiße Herbst gegen soziale Kälte" weiterhin ohne Abstriche nötig ist. "Nur weil jetzt ein kleiner Schritt in die richtige Richtung gegangen wird, werden wir unsere richtigen und nötigen Forderungen nicht aufgeben", sagte er am Montag.

Montagsdemo in Leipzig

In Leipzig gingen am Montagabend mehrere Tausend Menschen gegen steigende Preise in Folge des Ukraine-Krieges auf die Straße. DIE LINKE hatte zur Kundgebung aufgerufen, bei der u.a. Martin Schirdewan, Amira Mohamed Ali, Gregor Gysi und der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann, von dem die Initiative zu dieser Montagsdemonstration ausging, sprachen. Zudem sprachen Vertreter*innen von Arbeitskämpfen, von Mieter*nnen-Initiativen, außerparlamentarischen Organisationen und dem Studierendenverband SDS zu den rund 5.000 Kundgebungsteilnehmer*innen. Die 1.000 Rechten, Nazis (Freie Sachsen, AfD, Compact Jürgen Elsässer usw.), die in der Nähe demonstrierten, wurden konsequent ausgeschlossen; eine Blockade am Ring hielt die Demo der "Freie Sachsen“ auf. Gregor Gysi betonte, dass sich die Linke die Straßen und Plätze nicht von den Rechten wegnehmen lassen dürfe und die Linke wieder aktiv werden müsse. "Ich freue mich, dass meine Partei noch solche Demonstrationen organisieren kann", rief er den Demonstrierenden zu. Gysi griff die Ampel-Regierung in seiner Rede scharf an und bekräftigte die Forderungen der Linkspartei nach einem Stopp der geplanten Gasumlage, einem Gas- und Strompreisdeckel, einer Übergewinnsteuer, einem wirksamen Entlastungspaket für Menschen mit kleinem und mittlerem Einkommen und einer Aussetzung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel. Er sprach aber nicht nur über sozialpolitischen Forderungen wie Übergewinnsteuer, Gaspreisdeckel, sondern sprach auch die Sanktionen an, die ihren Zweck nicht erreichen, den Menschen aber schaden. Er machte sich für eine diplomatische Lösung des Ukraine-Krieges stark und erhielt großen Beifall, als er sagte, dass die USA andere Interessen haben, wir aber nicht ihre Vasallen seien.