Die Ergebnisse der Entgelt-Verhandlungen in der Chemie- und Metall-Industrie fallen enttäuschend aus. Dementsprechend kommt viel Beifall von der falschen Seite für die „verantwortungsvolle Tarif-Politik“. „So funktioniert Sozialpartnerschaft“, lobte die wirtschaftsnahe FAZ den Tarif-Abschluss in der Chemie-Industrie. Und die „Rheinische Post“ stimmte ein. Eine „verantwortungsvolle Tarif-Politik in der Krise“ attestierte das Blatt der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Die „moderate Lohn-Erhöhung lässt den Chemie-Betrieben Luft zum Atmen“, konstatierte das Blatt. Dabei haben die meisten Unternehmen der Branche die Lungen voll: Der Bayer-Konzern etwa gab im November für das 3. Quartal 2022 eine Umsatz-Steigerung von 15,3 Prozent gegenüber dem Vorjahres-Wert bekannt. Konkret erbrachte die „verantwortungsvolle Tarif-Politik“ in der Krise“ einen Tarif-Vertrag mit einer 20-monatigen Laufzeit, der ab Januar 2023 ein Entgelt-Zuwachs von 3,25 Prozent vorsieht und ab Januar 2024 einen weiteren Aufschlag von 3,25 Prozent. Zudem erhalten die Beschäftigten – ebenfalls in zwei Tranchen – eine Einmal-Zahlung von insgesamt 3.000 Euro. Auf diesen – von Steuern und Abgaben befreiten – Beitrag hatten sich Bundesregierung, Arbeitgeber und „Deutscher Gewerkschaftsbund“ Mitte September in einer konzertierten Aktion verständigt. Und bereits seit dem Frühjahr steht ein Paket, das eine Erhöhung der Nachtarbeitszuschläge von 15 auf 20 Prozent des Stundenlohns, einige Maßnahmen zur Förderung der Auszubildenden und eine Flexibilisierung der Altersfreizeiten umfasst. Insgesamt 6,5 Prozent mehr und dazu noch 3.000 Euro „Inflationsausgleichsprämie“ – das hört sich zunächst einmal nicht schlecht an, aber bei näherer Betrachtung fällt die Bilanz nüchterner aus. So fließt etwa von der Pauschale kein Geld in Renten- und Krankenkassen-Kasse. Zudem geht das Geld nicht in die Lohnsumme ein, die die Basis für die kommenden Tarif-Verhandlungen bildet, was etwaige Entgelt-Anstiege dann entsprechend kleiner ausfallen lässt. Das muss auch die FAZ einräumen, die Zeitung erweist sich jedoch als findig bei der Suche nach angeblich guten Gründen dafür. „Die sogenannte tabellen-wirksame Tarif-Erhöhung bleibt mit 6,5 Prozent zwar ein sichtbares Stück hinter der aktuellen Teuerung zurück. Das hilft aber den Betrieben bei der Standort- und Arbeitsplatz-Sicherung.“ Dieses Hinterherhinken war ganz unverhohlen auch Sinn und Zweck der konzertierten 3.000-Euro-Aktion. Mit ihr wollten Bund und „Sozialpartner“ nämlich das Gespenst der Lohn/Preis-Spirale verjagen, das in Inflationszeiten stets umhergeistert. Nicht nur deshalb jedoch kommt der Tabellen-Lohn nicht recht vom Fleck. Für zusätzliche Bremseffekte sorgt die lange Laufzeit des Vertrages. Damit nicht genug, räumt er Bayer & Co. zusätzlich noch die Möglichkeit ein, die Anhebungen bei etwaigen ökonomischen Problemen per Betriebsvereinbarungen um bis zu drei Monate zu verschieben, und diese wirtschaftlichen Schwierigkeiten fangen für die Firmen schon da an, wo die Umsatz-Rendite unter 3,1 Prozent fällt. Nicht ganz ohne ist auch das Übereinkommen über die Altersfreizeiten-Flexiblilisierung. Mit ihm weicht nämlich ein tarifvertraglich abgesicherter Anspruch einer individuellen Abmachung zwischen Unternehmen und Beschäftigtem, wie die Zeitschrift SoZ kritisierte. Trotz alledem bewertete der stellvertretende Vorsitzende der IG BCE, Ralf Sikorski, den Abschluss positiv. „Die Menschen profitieren vom attraktiven ,Brutto-für-Netto‘-Angebot der Bundesregierung genauso wie von der höchsten Tariferhöhung in der Chemie seit mehr als 30 Jahren“, preist er das Resultat der um eine Politikpartnerschaft erweiterten Sozialpartnerschaft. BASF-Personalchef Hans Oberschulte, der für den Bundesarbeitgeberverband Chemie die Verhandlungen leitete, sprach derweil von einem „ausgewogenen Abschluss, der Firmen Planungssicherheit gibt“. BAVC-Präsident Kai Beckmann zeigte sich ebenfalls zufrieden. „Mit diesem Ergebnis halten wir die Balance zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und den Interessen unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“, bekundete er. Die Verhandlungen in der Metall- und Elektroindustrie erbrachten etwas mehr. Eine Tarif-Erhöhung von 8,5 Prozent – zahlbar in zwei Tranchen von 5,2 Prozent ab 2023 und 3,3 Prozent ab 2024 – bei einer Laufzeit von 24 Monaten plus 3.000 Euro Inflationsausgleichsprämie kam heraus. Der FAZ war das schon zu viel. „Ein Tarif-Abschluss auf Kredit“ lautete ihr Kommentar. Als „mindestens mutig“ bezeichnete die Zeitung die Einigung, obwohl Mercedes Benz im 3. Quartal des Jahres einen operativen Gewinn von 5,2 Milliarden Euro einfuhr und VW einen von 4,3 Milliarden Euro. Die Rheinische Post zeigte sich hingegen zufriedener: „Die IG Metall hat Wort gehalten und die Preis-Lohn-Spirale nicht angeheizt“. Sie freute sich über nun schon zwei „verantwortungsvolle Abschlüsse in der Doppelkrise“. Aber eine Sorge blieb: „Man kann nur hoffen, dass Verdi sich in künftigen Runden ähnlich verhält.“ Zum Glück sieht das erst einmal nicht so aus. Irene Golz, Verdi-Verhandlungsführerin in den Gesprächen mit den baden-württembergischen Uni-Kliniken, lehnt die 3.000-Euro-Prämien als Ersatz für lineare Entgelt-Steigerung ab. „Das ist sehr unglücklich, weil die Arbeitgeber sehenden Auges die Reallöhne kaputtmachen“, erklärte sie der „jungen Welt“ gegenüber: „Für uns macht das nur als zusätzliche Entlastung Sinn.“ Und in die Tarif-Auseinandersetzungen mit der Deutschen Post startete die Gewerkschaft mit einer Forderung von 15 Prozent mehr Lohn. „Unsere Mitglieder erwarten den Inflationsausgleich und darüber hinaus eine Beteiligung am Unternehmenserfolg“, so Verhandlungsführerin Andrea Kocsis.