Seit einigen Jahren hat der US-Wirtschaftskrieg gegen China, in dessen Zentrum die Halbleiter stehen, Fahrt aufgenommen. Alle Zeichen deuten darauf hin, dass die USA spätestens nach den US-Präsidentschaftswahlen – egal, wer gewinnt –nochmals „eine Schippe drauflegen“. Zeit also für eine Zwischenbilanz.
Vor knapp fünf Jahren begann der damalige US-Präsident Donald Trump den Wirtschaftskrieg gegen China. Damals konzentrierten die USA ihren Hauptangriff im Wirtschaftskrieg zunächst auf den in der Kommunikationstechnik weltweit führenden chinesischen Konzern Huawei. Mit weitem Abstand vor Nokia und Ericsson, den verbliebenen europäischen Anbietern von Kommunikationstechnologie, dominiert der chinesische Konzern den Weltmarkt und ist technologisch führend z.B. bei 5G- und 6G-Mobilfunksystemen. Die Trump-Regierung entschied, dass US-Halbleiterkonzerne wie Qualcomm ab sofort ihre Mobilfunk-Chips nicht mehr an Huawei liefern durften. Auch das Smartphone-Betriebssystem Android von Google war für Huawei künftig tabu. Alle Produkte des chinesischen Konzerns - von Tablets und Smartphones bis zu Mobilfunk-Basisstationen - wurden vom US-Markt und von den Märkten besonders williger US-Verbündeter ausgesperrt.[1]
Bis heute muss eine imaginierte Bedrohung für die nationale Sicherheit der USA und ihrer westlichen Verbündeten als Begründung für den damals begonnenen Chipkrieg herhalten. Niemals wurden irgendwelche Beweise für Spionage oder auch nur für die technischen Möglichkeiten von Spionage durch den chinesischen Staat vorgelegt. Auch intensive Überprüfungen durch den britischen Geheimdienst und durch das BSI, das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, konnten in der Huawei-Hardware und Software keine Hintertüren für die KPC identifizieren. Aber längst sind auch andere chinesische Produkte im Fokus der nur in der Einbildung des Westens existierenden, aber von der politischen Propaganda fabrizierten und von den westlichen Leitmedien kräftig verstärkten Bedrohungsszenarien. Dazu gehören Hafenkräne, Gepäckscanner für Flughäfen und jetzt auch Elektroautos. Mit den chinesischen Hafenkränen hat sich inzwischen sogar der US-Kongress befasst. Weil die Digitalisierung der realen Welt und des Produktkosmos rasant voranschreitet und weil sehr viele unserer Alltagsprodukte aus China kommen, wird sich die politisch fabrizierte Anti-China-Hysterie auf weitere Produkte ausdehnen.
Warum Chiptechnologien?
Natürlich ist die nationale Sicherheit der USA nicht direkt von China bedroht. Im Kern geht es um die wirtschaftliche, politische und militärische Vormachtstellung der USA. Die Absicherung der weiteren US-Vormachtstellung entscheidet sich vor allem bei den Zukunftstechnologien. Hier wiederum spielen die Halbleiter eine entscheidende Rolle mit Auswirkungen auf alle Wirtschaftszweige. Die nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst für die Bedürfnisse der US-Militärs entwickelten Halbleiter sind heute als Winzig-Computer und Steuereinheiten in nahezu allen industriellen Produkten zu finden. Die Chiptechnologie ist eine Basistechnologie der kapitalistischen Industriegesellschaften geworden. Gleichzeitig ist die Chiptechnologie aber äußerst kapitalintensiv. Nur wenige große Volkswirtschaften sind in der Lage, die nötigen Investitionen dafür zu tätigen. Aber bis vor wenigen Jahren konnte jede/r die Produkte dieser Spitzentechnologie in der globalisierten Weltwirtschaft unter US-Dominanz käuflich erwerben.[2] Das ist jetzt in Zeiten der geopolitischen Konfrontation vorbei.
Speziell die neuesten Logik-Chips mit ultrafeinen Leiterbahnen mit einer Breite von 5 oder sogar nur 2nm sind sehr gefragt für Anwendungen der Künstlichen Intelligenz und für die vielen tausend Server, die in den Serverfarmen und Cloud-Rechenzentren auf der ganzen Welt ihre Dienste tun. Es geht um Rechenoperationen, die mit den neuesten Generationen von Chips schnell durchgeführt werden, während Rechner mit älteren Chips dafür Wochen oder Monate brauchten. Natürlich können die neuesten Logik-Chips auch für militärische Projekte und Operationen eingesetzt werden ebenso wie für medizinische Projekte oder für die Entwicklung neuer Wirkstoffe in der Pharmaindustrie. Zur Erläuterung: Logik-Chips rechnen, Memory-Chips speichern Daten. Außerdem gibt es eine Vielzahl Chips für spezielle Anwendungen wie Sensoren, analoge Halbleiter etc.
Pateiübergreifende Allianz im US-Chipkrieg gegen China
Anders, als zunächst vermutet, kassierte US-Präsident Biden nicht die von der vorherigen Trump-Administration verhängten Zölle gegen China. Biden verschärfte sogar den Chipkrieg. Denn die Biden-Administration generalisierte und systematisierte die zunächst nur auf den Huawei-Konzern fokussierten Sanktionen. Heute dürfen schnelle Chips mit Leiterbahnen von unter 12 nm ohne ausdrückliche Erlaubnis der US-Behörden überhaupt nicht mehr nach China geliefert werden. Gleiches gilt für die EUV-Belichtungsmaschinen, die für einen einzigen Chip Milliarden Transistoren auf die Wafer aufbringen, und für die Software zur Entwicklung und Produktion von Halbleitern mit ultrafeinen Leiterbahnen. Drei US-Hersteller, darunter eine Siemens-Tochter, dominieren den Markt für den Chipdesign.
Nach den erratischen US-Alleingängen unter Trump setzte die Biden-Administration im Chipkrieg zudem auf die Einbeziehung der US-Partner. Denn die Chipindustrie - oder besser: der Prozess vom Design eines Chips über die eigentliche Fertigung und das Testen und die Verpackung - ist hoch globalisiert: Die Chipentwicklung ist vor allem in den USA und in Taiwan und Südkorea konzentriert, die Fertigung von Halbleitern dagegen in Ostasien und zunehmend in China. Europa hat eine starke Position in der Entwicklung und Fertigung von Halbleitern für die Automobilindustrie, bei Sensoren und bei Leistungshalbleitern, die für die Energiewende unerlässlich sind. Aus Europa kommen zudem wichtige Materialien für die Chipfertigung und die modernsten und teuersten Maschinen für den komplexen Prozess der Chipfertigung.[3]
Mit massivem Druck hat die Biden-Administration die US-Verbündeten in Ostasien und Europa inzwischen dazu gebracht, China nicht mehr mit High End-Chips und mit den dafür benötigten Fertigungsanlagen zu beliefern. Weil diese Ausdehnung der US-Sanktionen absehbar war, orderten chinesische Kunden aus der Chipindustrie beim niederländischen Maschinenbauer ASML 2023 so viele Anlagen, dass der halbe Jahresumsatz auf China entfiel. Jetzt versuchen die USA nach Medienberichten, ihre Verbündeten dazu zu bringen, auch keine Ingenieure und Techniker für die Wartung der älteren Anlagen mehr nach China zu schicken.[4]
Die Wirkung der Sanktionen: China holt auf!
Nach fast fünf Jahren US-Sanktionen im Chipkrieg gegen China lässt sich feststellen: Die Sanktionen haben den Preis für China, sich mit Chips zu versorgen, hochgetrieben. Das Angebot ist verknappt, die Preise steigen. Gleichzeitig hat der US-Chipkrieg aber dazu geführt, dass sich Chinas Anstrengungen vervielfacht haben, sich mit Chips aller Kategorien selbst zu versorgen und besonders bei der Entwicklung und Produktion von Chips mit ultrafeinen Leiterbahnen aufzuholen. Hier lag China bislang weit zurück hinter Taiwan, Südkorea und den USA.
Jetzt boomen die Chipindustrie und die Zulieferindustrien in China. Absehbar ist, dass sich der Abstand im Produktions- und Entwicklungs-Know-how zwischen China und den Weltmarktführern weiter verringern wird. Als Ergebnis wird China innerhalb der nächsten 10 Jahre auch in der Halbleitertechnologie mit an der Weltspitze stehen. Der US-Autor Chris Miller rechnet für 2030 mit einem technologischen Gleichstand zwischen den USA und China.
Ein Beispiel ist Huawei. Der Konzern hat es inzwischen geschafft, auf Basis einer schon in die Jahre gekommenen Produktionstechnologie (die modernsten EUV-Maschinen mit Lasern von Trumpf und Optik von Zeiss darf der niederländische ASML-Konzern nicht nach China liefern) den neuen, selbst entwickelten Kirin 90-Mobilfunkchip in großen Stückzahlen vom Staatskonzern SMIC produzieren zu lassen. Damit kann Huawei wieder auf dem Markt für Smartphones etc. mitmischen - auch ohne in den USA designte Chips und ohne das Android-Betriebssystem. Nach den Trump-Sanktionen hatte Huawei 2020 vor einer existenziellen Krise gestanden: Das Geschäft mit Smartphones, Tablets etc, das damals die Hälfte des Weltumsatzes ausmachte, war wegen des Fehlens von Chips eingebrochen und zunächst fast auf Null gefallen.
Ultraschnelle Chips: nicht entscheidend im Chipkrieg
Außerdem mussten die Anti-China-Strategen in Washington feststellen, dass der einseitige Fokus der US-Sanktionen auf High End-Chips etwa für KI und für militärische Anwendungen kontraproduktiv ist. Denn zur Zeit und wahrscheinlich auch in Zukunft entfallen ca. 90% des gesamten Weltmarktes für Halbleiter auf Produkte mit höheren Strukturgrößen und für besondere Anwendungen im Maschinenbau oder in der Autoindustrie, in Solaranlagen etc. In diesem Bereich hat China seinen Weltmarktanteil in den letzten Jahren aber noch ausgebaut. Das bedeutet, dass die Welt aber noch abhängiger geworden ist von chinesischer Technologie.
Zudem hat sich herausgestellt, dass etwa für KI-Anwendungen oder Cloud-Computing nicht immer der ultraschnelle neueste Chip des Weltmarktführers Nvidia gebraucht wird, der unter die US-Sanktionen fällt. Viele zusammengeschaltete, langsamere Chips tun das auch, wie chinesische Experten demonstriert haben. Außerdem nutzen chinesische IT-Konzerne und Chip-Entwickler für ihre Aufgaben die weltweit verfügbare superschnelle Rechenleistung, die Cloud-Anbieter wie Amazon oder Microsoft zur Verfügung stellen.
Chinas Stärken im Chipkrieg: Skalenfaktor und viele, gut ausgebildete Arbeitskräfte
China kann im Chipkrieg zudem Faktoren ausspielen, die US-Strategen wohl nicht zur Gänze in ihrem Kalkül hatten: China hat selbst Heerscharen von gut ausgebildeten Arbeitskräften, speziell in den sogenannten MINT-Fächern. Die westliche Erzählung, dass das chinesische System Innovation und Kreativität behindert und damit technologische Durchbrüche erschwert, ist schon länger fragwürdig. Zudem kann China auf Fachleute aus Taiwan, Südkorea und Japan zurückgreifen, die aktuell von den guten Gehältern in Chinas Chipbranche angelockt werden. Hinzu kommt das aktuelle Gewicht der Chipbranche in Chinas Wirtschaftspolitik, was inzwischen jeder ambitionierte Bürgermeister im Land verstanden hat. Die Wirtschaftspolitik und damit die massive Förderung konzentrieren sich mehr denn je auf die Zukunftsbranchen und die Chipindustrie. Es ist also der Skalenfaktor, der dafür sorgt, dass Chinas Gewicht in der Chipbranche weiter steigt. Für China ist das zudem eine Frage der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und der nationalen Sicherheit. Damit hätten die US-Sanktionen wohl das Gegenteil erreicht von dem, was sie eigentlich bezweckten. Zudem bereitet der riesige und immer größer werdende chinesische Markt den US-Chipkonzernen große Sorgen: Sie wollen weiter Geschäfte machen, müssen sich aber mit den Sanktionen aus Washington arrangieren, die immer massiver werden.
Taiwan als Hotspot der Chipindustrie und die Taiwan-Frage
Die Insel Taiwan, vor der Küste der chinesischen Provinz Fujian gelegen und von der Volksrepublik und ebenso von einem relevanten Teil der Bevölkerung und der Eliten Taiwans als ein Teil Chinas betrachtet, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Weltzentrum und zum technologischen Vorreiter der Chipindustrie entwickelt. Das Cluster der Chipindustrie von Chipdesign und -fertigung in Taiwan ist weltweit bislang einmalig. Der taiwanesische Konzern TSMC z.B. dominiert die hochkomplexe Fertigung von ultrafeinen Logik-Chips, noch vor Samsung und dem Intel-Konzern, der technologisch in den letzten Jahren abgehängt war. Die Kunden der taiwanesischen Chipindustrie und vor allem der Auftragsfertiger sitzen auf der ganzen Welt, vor allem aber in der Volksrepublik China, wohin zuletzt 40% der Chipexporte gingen – vor allem in Chinas boomende Elektronikindustrie.
Aufgrund dieser engen wirtschaftlichen und technologischen Verflechtungen zwischen Taiwan und dem chinesischen Festland – und natürlich auch aus vielen anderen Gründen – ist ein militärischer Schlag Chinas gegen Taiwan unwahrscheinlich. In der öffentlichen Meinung Taiwans gilt die Chipindustrie deshalb als das wichtigste Faustpfand zur Bewahrung des Status Quo.
Daran ändern die – zum Großteil steuerfinanzierten – Milliardenprojekte z.B. von TSMC für neue Fertigungen in den USA oder in Deutschland (Dresden) nichts. Es findet keine Verschiebung der Chip-Lieferketten weg von Taiwan statt. Im Gegenteil: TSMC investiert nach Berichten derzeit in Taiwan etwa das Vierfache der Investitionssumme in den USA. Auch künftig werden in Taiwan, nicht in den USA die modernsten Chipfertigungen stehen. Der TSMC-Gründer und frühere Aufsichtsratschef Morris Chang hat deshalb den Chip Act der Biden-Regierung einmal als „exercise in futility“ bezeichnet.
Quellen:
[1] Eine ausführliche Darstellung des US-Chipkriegs gegen Huawei findet sich in meiner Analyse: „Europa muss in der Chipindustrie aufholen – aber wie?“, Online-Publikation der Rosa Luxemburg Stiftung, April 2023. Abrufbar unter: https://www.rosalux.de/publikation/id/50322/europa-muss-in-der-chipindustrie-aufholen-aber-wie
[2] Der amerikanische Autor Chris Miller beschreibt in seinem lesenswerten Buch „Der Chip Krieg. Wie die USA und China um die technologische Vorherrschaft in der Welt kämpfen“ die Entwicklung der Halbleiterindustrie bis zum Konflikt USA - China
[4] Das berichtet die Financial Times, 26.4.2024