Welche Strategie verfolgt man gegenüber einem Land, mit dem sich höchst lukrative Geschäfte machen lassen, dessen Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell aber immer mehr zur systemischen Herausforderung werden? Diese Frage treibt gegenwärtig die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft im Falle Chinas um. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) hat im Januar 2019 ein Grundsatzpapier zu dieser Thematik veröffentlicht: „Partner und systemischer Wettbewerber – Wie gehen wir mit Chinas staatlich gelenkter Volkswirtschaft um?“
Zwei Monate davor stellte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) seinen „Aktionsplan „China 2019“ vor, mit dem Titel: „Chinas neue Rolle in der Welt – die Chancen nutzen“. Beide knüpfen an dem rasanten Aufstieg der chinesischen Volkswirtschaft, an der heutigen Stellung des Landes als zweitgrößte Volkswirtschaft (nach nominalen Dollars), und Chinas gegenwärtigem Sprung zur Technologiemacht an.
Der BDI stellt dabei die „Herausforderung Systemwettbewerb“ vorne an. Gleich an erster Stelle schreibt er: „Zwischen unserem Modell einer liberalen, offenen und sozialen Marktwirtschaft und Chinas staatlich geprägter Wirtschaft entsteht ein Systemwettbewerb. Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in Deutschland und Europa brauchen eine breite öffentliche Diskussion und Orientierung zu dieser Herausforderung“. Der DIHK hebt mehr auf die Chancen weiterer Wirtschaftsbeziehungen ab.“
Beide Verbände betonen die Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft im Allgemeinen und für die deutsche Wirtschaft im Besonderen: Wachstumstreiber, größte Außenhandelsmacht, Eingliederung in die globalen Wertschöpfungsketten – größter Handelspartner Deutschlands und attraktiver Investitionsstandort. 5200 deutsche Unternehmen sind mit über einer Million Beschäftigten in der Volksrepublik aktiv. So abgeriegelt, wie häufig geklagt, scheint der Zugang für Investitionen ins „Reich der Mitte“ nicht zu sein. Der Bestand deutscher Direktinvestitionen in China summierte sich 2016 auf 76 Milliarden Euro – 6,8% der gesamten deutschen Auslandsinvestitionen. Den Bestand chinesischer Investitionen in Deutschland schätzt der BDI auf 13 Milliarden Euro bis Ende 2017. Verhältnis 6 zu 1.
Konvergenz findet nicht statt
Streit gibt es zwischen den Verbänden in der Frage, wie man es damit halten soll, dass sich die chinesische Volkswirtschaft nicht weiter zu einer neoliberalen Marktwirtschaft westlichen Musters transformiert, sondern dass die Volksrepublik ihre eigene Wirtschaftsordnung etabliert. In dem BDI-Grundsatzpapier heißt es: „Lange sah es so aus, als würde sich China durch die Integration in die Weltwirtschaft bei der Ausgestaltung seines Wirtschaftssystems allmählich auf die liberalen, offenen Marktwirtschaften westlichen Musters zubewegen. Diese Konvergenzthese ist nicht mehr haltbar (!). China entwickelt sich strukturell kaum mehr in Richtung Marktwirtschaft und Liberalismus, sondern ist im Begriff, sein eigenes politisches und gesellschaftliches Modell zu verwirklichen. Gleichzeitig prägt China als aufstrebende Wirtschaftsmacht andere Märkte und auch die internationale Wirtschaftsordnung. Das chinesische Modell einer Wirtschaft mit stark lenkendem staatlichen Einfluss tritt damit in einen systemischen Wettbewerb zu liberalen Marktwirtschaften“ (S 2).
Das gleiche Klagelied hatte Bundespräsident Walter Steinmeier bei seinem Besuch in China im Dezember 2018 angestimmt: Deutschland habe lange Zeit erwartet, dass China mit der Politik der Öffnung dem Westen immer ähnlicher werde: „Diese Erwartungen haben sich nicht erfüllt“ (zit. nach SZ, 8.12.18)
Der BDI verweist auch auf den globalen Aspekt des Systemkampfes: Der Wettbewerb zwischen Chinas Wirtschaftsmodell und liberalen Marktwirtschaften wird den „weiteren Fortgang der Globalisierung maßgeblich prägen. Offen ist, ob daraus ein Mit-, Neben- oder Gegeneinander der unterschiedlichen Systeme wird. Unter Xi Jinping betreibt China eine selbstbewusstere und aktivere Außen- und Außenwirtschaftspolitik. Das chinesische Modell wird nun als alternatives Modell für Entwicklungsländer beworben“ (S. 5).
Der DIHK geht pragmatischer an die neue Rolle Chinas heran. Sein Positionspapier beginnt er mit der Feststellung: „China ist der wichtigste Handelspartner für die deutsche Wirtschaft. Angesichts des gestiegenen Selbstbewusstseins China und des aktuellen Handelskonflikts zwischen China und den USA wird die deutsche Wirtschaft zunehmend in Richtung einer „Entweder USA oder China“-Entscheidung gedrängt. Der DIHK plädiert für ein nachdrückliches „Sowohl-als-auch“. Bis dato ist die deutsche Volkswirtschaft hervorragend damit gefahren, die sich bietenden Chancen auf möglichst vielen Märkten des Globus zu ergreifen“ (S. 1).
Es gelte die Möglichkeiten zu nutzen, die sich aus „Made in China 2025“, „Internet Plus“, „Healthy China 2030“ und der „Seidenstraße“ ergäben. Er verweist darauf, dass hierzulande 900.000 Arbeitsplätze vom Export nach China abhängen. Auch im Hinblick auf die Konvergenzstrategie gegenüber China, ist der DIHK anderer Ansicht. Volker Treier, Außenwirtschaftschef des DIHK sagte: „Man kann ein politisches Regime nicht ändern, indem man sich aus dessen Volkswirtschaft zurückzieht“ (zit. nach FAZ, 11.1.19). Und: „Der Grundsatz ´Wandel durch Handel` gilt weiterhin“.
Kooperation oder Konfrontation
Der BDI stellt dagegen die Risiken heraus: „Trotz einer starken Anziehungskraft des chinesischen Marktes wird es für Unternehmen jedoch immer wichtiger, mögliche Risiken eines Engagements in China im Auge zu behalten und gegebenenfalls durch eine weitere Diversifizierung von Wertschöpfungsnetzen, Produktionsstandorten und Absatzmärkten auszubalancieren“ (S. 7).
Diese Risiken ergeben sich aus der zunehmenden Konkurrenzfähigkeit der chinesischen Wirtschaft, in jüngster Zeit aber vor allem aus dem von US-Präsident Trump angezettelten Wirtschaftskrieg, verbunden mit der Gefahr, dass Wertschöpfungsketten durch Sanktionen und Anhebung der Zölle geschwächt oder gar gewaltsam unterbrochen werden, wie z.B. im Falle ZTE und Huawei. Allerdings distanziert sich der BDI von der aggressiven Konfrontationspolitik der USA: „Ein generelles „Containment“ Chinas oder „de-coupling“ (in den USA wird unter diesem Begriff die wirtschaftliche Entflechtung mit China diskutiert) ist keine Option; die deutsche Wirtschaft setzt auf Austausch und Kooperation“ (S. 2). Und an anderer Stelle: „Als dynamisch wachsender Markt bleibt China einer der wichtigsten wirtschaftlichen Partner. An einer konfliktorientierten, politischen und technologischen Einhegung Chinas oder einer Entkoppelung von China hat die deutsche Industrie kein Interesse. Systemische Differenzen und Divergenzen bedeuten nicht zwangsläufig Konflikt, sondern erfordern ein verlässliches und belastbares Schnittstellenmanagement. China ist eine Stütze der Weltwirtschaft. China, Deutschland und die EU haben ein gemeinsames Interesse an Zukunftsgestaltung“ (S. 6).
54 Forderungen an Bundesregierung und EU-Kommission
Der BDI betont zwar die Partnerschaft Deutschlands und Chinas in vielen Bereichen, konstatiert aber auch ein zunehmendes Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Ländern. Und er fordert in diesem Zusammenhang eine schärfere Gangart der Politik. Er stellt dabei nicht weniger als 54 „Forderungen an Berlin und Brüssel zur Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen“ auf. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass sich die von den Hütern des Neoliberalismus und der „freien Marktwirtschaft“ vorgestellten Forderungen weitgehend unter staatsmonopolistischen Maßnahmen (z.B. „stärkeres, aber auch selektives Zusammenspiel von militärischer und ziviler Forschung und Entwicklung könnte durch die Bildung von Synergien zusätzliches Investitionspotenzial freisetzen“; S.10), „ehrgeizige Industriepolitik“, direkte Subventionen und steuerliche Subventionierung (z.B. FuE) subsumieren lassen. Es soll also gewissermaßen der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben werden.
In der Frage der Kontrolle chinesischer Direktinvestitionen nach Deutschland folgt der BDI weitgehend der neuen Linie der Bundesregierung mit Regelungen zu staatlichen Direkt-Investitionsprüfungen auch bei niedrigeren Beteiligungsschwellen, warnt aber vor dem „Trend, dass Regierungen den Begriff der nationalen Sicherheit immer mehr ausweiten, um den „Zugriff“ ausländischer Investoren auf „schützenswerte“ Technologien einzuschränken“.
Im Übrigen will der BDI „die Gestaltungskraft der WTO als Grundpfeiler des regelbasierten internationalen Handels wieder stärken“ (S. 19). Hier müsse z.B. der Entwicklungsstatus von China überprüft, sprich! aberkannt – werden. Und: „Priorität muss es haben, den Wettbewerb zwischen marktwirtschaftlich und staatswirtschaftlich organisierten Mitgliedern neu auszubalancieren. Dazu zählen auch neue pluri- oder multilaterale Regeln zum Umgang mit Staatsunternehmen und gegen den erzwungenen Technologietransfer (z.B. über Joint-Venture-Anforderungen oder die mangelhafte Durchsetzung von Regeln zum Schutz geistigen Eigentums oder nicht-tarifärer Handelshemmnisse) (S. 19). Alles Forderungen, wie sie die USA in den Vordergrund stellen. Die USA aber wollen sie in einem bilateralen Handelskonflikt durchsetzen, der BDI im Rahmen von Verhandlungen zu einer Reform der WTO.
Gerade anhand des BDI-Papiers wird deutlich, wie sich die deutsche Industrie Sorgen macht, mit dem weiteren Aufstieg Chinas, zunehmend ins Hintertreffen zu geraten. Bis vor wenigen Jahren war China eine Art Eldorado für die westliche Wirtschaft und Konzerne. Es ließ sich dort billigst produzieren und mit expandierendem chinesischen Binnenmarkt auch profitträchtig verkaufen; am lukrativsten im Maschinenbau- und Automobilsektor. Doch mit der Industrialisierung des Landes wuchsen dort auch weltmarkttaugliche Firmen heran, die z.B. zur ernsthaften Konkurrenz für die deutschen Maschinenbauer wurden. Das ist auch der Grund, weshalb sich der Verband der Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) in der China-Frage hinter die schärfere Position von BDI und Bundesregierung stellt.
Zu dieser ökonomischen Konkurrenz tritt eine zweite, eine ideologisch-systemische Herausforderung, wie der BDI richtig erkannt hat. Denn der Aufstieg Chinas gelang mit einer staatlich geprägten und gelenkten Wirtschaftsordnung, was nach westlicher Lehrmeinung nicht hätte sein dürfen. Denn sowohl nach der ordo- wie der neoliberalen Wirtschaftsideologie ist die Marktwirtschaft auf der Basis privatkapitalistischen Eigentums und Privatinitiative und in Kombination mit „liberaler Demokratie“ die effizienteste und vitalste Wirtschaftsordnung. Umgekehrt führt angeblich staatliches Eigentum an Produktionsmitteln und staatliche Planung und Lenkung zu bürokratischer „Zentralverwaltungswirtschaft“, die durch das Fehlen unternehmerischer Eigeninitiative ökonomische Ineffizienz und Fehlallokationen der Ressourcen zur Folge habe.
Nun stellt sich aber in der Praxis heraus, dass die Chinesen mit ihrem Modell staatlich gelenkter Wirtschaft erfolgreich die nachholende Entwicklung und Industrialisierung gemeistert haben und zur durchaus effizienten „Fabrik der Welt“ aufgestiegen sind. Mehr noch: Sie nehmen auch die neue Stufe zu einer High-Tech-Wirtschaft erfolgreich und mit großer Dynamik in Angriff.
Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts spricht von den Herausforderungen des „dritten Systemwettbewerbs“, die weit über die Folgen von Handels- und Kapitalströmen hinausgehen: „Letztlich geht es um die Frage, ob der chinesische Staatskapitalismus mehr wirtschaftlichen Wohlstand produzieren kann, als die westlichen Marktwirtschaften“ (Clemens Fuest, Der dritte Systemwettbewerb, FAZ, 27.7.2018).