Das von Japan über China bis nach Neuseeland reichende neuartige Freihandelslabkommen RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership) repräsentiert die Wirtschaftskraft von fast 26 Billionen Dollar. Das entspricht 28 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung. Jeder dritte Erdenbürger lebt in einem der 15 eingebunden Länder, die sich über politisch-ideologische Unterschiede hinweg als alternativ zu bezeichnendem Freihandelslabkommen zusammengeschlossen haben. Das Handelsvolumen der wirtschaftlich kooperierenden 15 Länder beläuft sich auf rund 12,4 Billionen Dollar und stellt nach Jeffrey Wilson, Direktor des USAsia Centres, Australien „das wichtigste Handelsabkommen seit der Gründung der Welthandelsorganisation WTO 1994“ dar. Mit der regionalen, umfassenden Wirtschaftspartnerschaft RCEP wird eine multilaterale Vereinbarung der bereits durch bilaterale Handelsabkommen verbundenen zehn Staaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) mit fünf weiteren Ländern der Region (Japan, Neuseeland, Australien, Südkorea, China) etabliert. Einer Wachstumsprognose der Beratungsfirma Boston Consulting Group BCG zufolge ist für die Handelsbeziehungen zwischen Südostasien und China von einem Zuwachs von mehr als 40 Milliarden Dollar innerhalb der nächsten drei Jahre auszugehen. Eine wichtige Erkenntnis dabei ist, dass die Vereinigten Staaten ihre bisher hegemoniale Führungsrolle im Prozess der Globalisierung spätestens nach der jüngsten spürbaren Krisensituation in den kapitalistischen Ländern an Nationen innerhalb der asiatisch-pazifischen Region verlieren. Abzuwarten bleibt, wie sich eine neue Biden-Regierung als me too - global player mit Zugeständnissen an die Weltgemeinschaft arrangieren wird. Die Integration Chinas in das RCEP und die Abwesenheit der Vereinigten Staaten deutet darauf hin, dass die asiatisch-pazifische Region mit eigener dynamischer Kraft voranschreitet. Das neue Freihandelsabkommen RCEP verschiebt allem Anschein nach den Schwerpunkt der Weltwirtschaft weiter nach Osten – Leadership may be shifting East.

Was macht das RCEP anders?

Der größte Gewinn für die Mitglieder des RCEP ist die Senkung der Zölle auf Produkte, die innerhalb des Handelsblocks bezogen werden. Das Abkommen enthält Regelwerke für zwanzig Bereiche, Ursprungsländer werden klar definiert, was den Warenfluss unter den beteiligten Ländern vereinfacht. Damit wird ein Anreiz für die RCEP-Mitglieder geschaffen, innerhalb des definierten Wirtschaftsraumes Waren freier zu beschaffen und generell freien Handel zu betreiben. Das RCEP ist ein erstes multilaterales Abkommen, ohne dass die weiterhin bestehenden bi-lateralen Handelsabkommen aufgegeben werden. So unterhält beispielsweise Australien mit jedem anderen Land im RCEP ein bilaterales Abkommen. Die Länder behalten die bilateralen Abkommen bei, die im Kern die Handelsbeziehungen zwischen den Ländern detaillierter regeln, respektieren aber die neuen einheitlichen Beschaffungsregeln im Rahmen des RCEP. Dem RCEP gehören auch sieben CPTPP-Mitglieder an. Nach dem wohl letztmaligen Wahlsieg von Donald Trump in der US-Präsidentschaftswahl 2016 wurde bekannt, dass die USA den Plan einer Transpazifischen Partnerschaft TPP , nach 7 Jahren Entwicklungszeit, einstellen. Die verbliebenen elf TPP-Mitglieder unterzeichneten in 2018 ein modifiziertes Abkommen, ohne die USA, als CPTPP (Comprehensive and Progressive Agreement for Trans-Pacific Partnership), dem Motto folgend „Who needs America?“. Unter dem herkömmlichen hegemonialen Führungsanspruch der USA sollte das vorgesehene trans-pazifische Partnerschaftsabkommen TPP Rahmenvorgaben für die weitgehend uneingeschränkte Privatisierung , Regeln für Unternehmen und Arbeitsbedingungen, zu Umwelt und geistigem Eigentum festlegen. Die Umsetzung der vorauszusehenden Trumpschen „America first“ - Doktrin als ein Akt der Anti-Globalisierung war mit ausschlaggebend für das Scheitern von TPP. Es bedeutete vor allem eine Abkehr von Multilateralismus zugunsten einer protektionistischen und nationalistischen Wirtschaftspolitik.

Eine Welt der multilateralen Handelsabkommen

Das RCEP ist ein Weckruf an uns, dass die Freihandelsidee lebt und neue Chancen entstehen“ kommentiert Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln das neu entstandene Freihandelsabkommen (IW). Erstmals verbünden sich westliche Alliierte wie Japan und Südkorea mit China. Für Unternehmen sind nach Einschätzung des Handelsblatts die neuen Ursprungsregeln (Rules of Origin) mit die wichtigste Erleichterung: Exporteuren reicht künftig ein einziges Herkunftszertifikat, um mit allen RCEP-Mitgliedern handeln zu können. Multinational agierende Unternehmen können damit ihre regionalen Wertschöpfungs- und Lieferketten im RCEP-Raum deutlich einfacher managen als bisher. Das bedeutet zum Beispiel, dass ein Auto japanischer Bauart, das Teile aus Südkorea bezieht und in China zusammengebaut wird, in Australien verkauft werden kann, ohne dass Zölle aufgrund von Inhalten aus Drittländern erhoben werden. In diesen Fällen behalten die Länder mit weiter entwickelten bilateralen Abkommen im Allgemeinen die tieferen Handelsbeziehungen, respektieren aber die neuen einheitlichen Beschaffungsregeln im Rahmen des RCEP. Hierzu führt Prof. Markus Taube, Institut für Ostasien-Studien, Universität Duisburg-Essen an: „Für die Wertschöpfungsketten wird der nationale Begriff zunehmend hinfällig, weil Produkte in wachsendem Maße Wertschöpfungsanteile aus verschiedenen Ländern enthalten.“ Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang der Aspekt der sich ergebenden geopolitischen Dynamik: Durch die Einbeziehung wirtschaftsmächtiger (China und Japan) und sich entwickelnder Volkswirtschaften ist zu erwarten, dass die Produktionen über die Länder verteilt einen Schub erhalten. Prof. Markus Taube führt dazu an, dass RCEP die Länder in der Asien-Pazifik- Region stärker miteinander verbinden wird, deren Wertschöpfungsketten vernetzen und somit die Transaktionskosten senken werde. Dies führe in der Folge dazu, dass die Region in Summe wettbewerbsfähiger und wohlhabender werde. Die unterschiedlichen Produktspektren, unterschiedliche Spezialisierungs- und Kompetenzmuster der im besagten Wirtschaftsraum agierenden Unternehmen würden aufgrund des verbesserten wirtschaftlichen Umfeldes von RCEP, trotz des zunehmenden Konkurrenzdrucks gegenüber Produkten aus der Region, auch für deutsche Unternehmen wirtschaftlich relevante Aktionsfelder eröffnen. Je mehr die internationale Arbeitsteilung und Lieferketten miteinander verflochten sind, desto mehr kann sich jeder auf das konzentrieren, was er am besten kann. Die Spezialisierung kann nachteilig zum Verlust der Breite und zu Abhängigkeit in einzelnen Produktbereichen führen. Demgegenüber kann eine bewußt herbeigeführte stärkere Integration in den Welthandel zu Spezialisierungsvorteilen führen und die Abhängigkeiten von der Zulieferung in anderen Bereichen kompensieren. So könnte Multilateralismus funktionieren, ein konstituierendes Merkmal einer funktionierenden Weltwirtschaft mit gegenseitiger Wertschätzung. China nimmt allein aufgrund der relativen Größe seiner Volkswirtschaft in der Region eine Führungsrolle ein. Über die zahlreichen historisch gewachsenen Liefernetze ist China mit der Region Asien-Pazifik, trotz politisch-ideologischer Gegensätze, verflochten. Die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft zur zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt ist auch auf den Import von Vorprodukten aus genau dieser Region zurückzuführen. Inzwischen investieren chinesische Unternehmen selbst in diesen Ländern, wodurch sich die bestehenden Strukturen weiter stabilisieren werden. Ebd.

Schlichtungsverfahren und Streitbeilegung

Für das Funktionieren des multilateralen Freihandelsabkommens haben sich die beteiligten Länder für die Fälle von Unstimmigkeiten und Beilegung von Streitigkeiten auf ein mehrstufiges Schlichtungsverfahren verständigt. Im Gegensatz zu einem Schiedsverfahren, das in aller Regel feststellt, welche der Parteien Recht hat, sieht das Schlichtungsverfahren des RCEP die Umsetzung einer gemeinsamen Lösung des bestehenden Konflikts vor. Auch die Streitbeilegung des RCEP hebt die bestehenden, oftmals präziser vorgegebenen bilateralen Vereinbarungen der Länder keineswegs auf. Eine übergeordnete Aufsicht soll die Beilegung von Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung und Anwendung des RCEP, (Kapitel 19) lösungsorientiert und mediativ begleiten. Eine solche Situation wäre beispielsweise dann gegeben, wenn „eine Vertragspartei der Auffassung ist, dass eine Maßnahme einer anderen Vertragspartei nicht mit den Verpflichtungen aus diesem Abkommen in Einklang steht oder eine Vertragspartei auf andere Weise ihren Verpflichtungen aus diesem Abkommen nicht nachgekommen ist“. Frühzeitig soll dadurch auf sich ausbildende Abhängigkeiten in strategisch wichtigen und sensiblen Bereichen hingewiesen werden, um entsprechende Gegenmaßnahmen (z.B. eine Diversifizierung von Lieferbeziehungen) anzustoßen.

Konsultationen, Gute Dienste, Schlichtung, Mediation

Die RCEP-Vertragsparteien, also Länder, können Konsultationen oder andere alternative Formen der Streitbeilegung anstreben, bevor sie die Einrichtung eines Streitbeilegungspanels auslösen. Die Konsultationen sollen vertraulich sein und in dem Bemühen aufgenommen werden, eine "einvernehmliche Lösung durch Konsultationen" zu erreichen. Gute Dienste, Schlichtung und Mediation sind vertraulich und können jederzeit ausgelöst und jederzeit beendet werden. Sollten Konsultationen oder andere alternative Formen der Streitbeilegung scheitern oder die Parteien sich dafür entscheiden, von diesen Methoden keinen Gebrauch zu machen, können die Parteien die Einsetzung eines Streitbeilegungspanels beantragen. Panels haben die Aufgabe, eine objektive Beurteilung des Streitgegenstandes vorzunehmen, einschließlich einer objektiven Beurteilung des Sachverhalts und in welchem Masse eine Vertragsverletzung vorliegt. Ein derartiges Panel besteht aus drei Mitgliedern. Die beschwerdeführende Partei benennt ein Panelmitglied und die beklagte Partei ein weiteres. Das dritte Panelmitglied, das gleichzeitig den Vorsitz des Panels führt, wird von beiden Vertragsparteien einvernehmlich ernannt. Können sich die Parteien nicht einigen, so kann jede Streitpartei den WTO-Generaldirektor ersuchen, die Ernennung vorzunehmen. Nach Auffassung von Prof. Diane Desierto, Universität Yale, USA weisen die bürokratisch schlankeren, mehr ad hoc und weniger institutionalisierten Streitbeilegungsmechanismen  des RCEP auf ein anderes Maß an wirtschaftlicher partnerschaftlicher Zusammenarbeit und Streitbeilegung hin als die derzeit bestehenden Paradigmen bei internationalen Freihandelsabkommen. Die WTO-Vereinbarungen sahen im Rahmen der Streitbeilegungsvereinbarung ein ständiges Berufungsgremium vor, das sich in den letzten Jahren durch das Vorgehen der Vereinigten Staaten unter der Trump-Administration in seinem eigenen Zustand der Lähmung befand. Das Erstaunliche der Schlichtungsregelung des RCEP ist neben dem einvernehmlichen und weniger kontradiktorische Rahmen die Betonung der Vertraulichkeit und das Fehlen einer vollständigen Verpflichtung zur Transparenz bei den von den Parteien gewählten Streitbeilegungsmechanismen – seien es Konsultationen, gute Dienste, Schlichtung, Mediation oder die Einrichtung von Panels. Die Einflussmöglichkeiten von nichtstaatlichen, privatwirtschaftlichen und lokalen Gemeinschaften für Beiträge zu den Streitbeilegungsverfahren scheinen darüber hinaus begrenzt zu sein. Es bleibt abzuwarten, wie sich das RCEP Schlichtungsverfahren in der Praxis bewährt.

Ausblick

DIE RCEP-Länder schaffen sich ein regelbasiertes Handelsklima für einen mächtigen Wirtschaftsraum mit bemerkenswerten Einfluss auf die globalen Warenströme. Die RCEP-Mitglieder werden von niedrigeren Zöllen auf Produkte profitieren, die in der Region beschafft und gehandelt werden, wodurch die Beziehungen zwischen diesen Ländern vertieft werden. Die gesamte Region wird im Laufe der Zeit mehr Einkommen und Wohlstand erzielen. Und vor allem: „Give Peace a Chance“. Die von westlicher Seite geäußerte Kritik an dem neu geschaffenen Freihandelsabkommen, insbesondere wegen des vermissten Einflusses der USA und in gewisser Weise auch der EU, tendiert in die Richtung, keine ökonomischen sondern Gegenargumente aus dem Repertoire des geopolitischen Führungsanspruchs des Westens anzubringen. „Die kurzfristige wirtschaftliche Bedeutung des Abkommens ist begrenzt“, erklärt etwa Clemens Fuest, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo. Und nach Auffassung der US- Denkfabrik Brookings) sei zu befürchten, dass RCEP „im Erfolgsfall China einen Hebel geben könnte, seinen Einfluss in der Welt auszuweiten“. Die westlichen kapitalistischen Länder scheinen ihr hegemoniales Sendungsbewußtsein für die sogenannten "universellen" Werte Gleichheit, Freiheit und Demokratie als Mainstream-Kultur für alle Teile der Welt nicht mehr uneingeschränkt anbringen zu können.