Mindestlohn
Um 3,4% auf 12,82 € steigt der Mindestlohn ab Januar 2025 (die Teuerungsrate lag im Jahr 2024 bei 2,2%). Nach den Kriterien der EU müsste er bei mindestens 60% des Medianlohnes Deutschlands liegen oder aber bei 50% des nationalen Durchschnittslohns, das wären 14,12 € (1)
Rund 8 Millionen Beschäftigte bekommen aber aus vielen Ausnahmegründen nicht mal diesen Mindestlohnsatz. Gewerkschaften wie z.B. verdi fordern dagegen einen Mindestlohn von wenigstens 15 €.
Minijob – Einkünfte der Minijobber
Alle folgenden Zahlen beziehen sich auf den Zeitraum bis 30.9.2024. Von den knapp 6,9 Millionen (im Jahr 2023 waren es 6.671.832) bei der Minijobzentrale angemeldete Minijobs gab es 6,7 Mio. im gewerblichen Bereich (eine Zunahme gegenüber dem Vergleichszeitraum 2023 um + 0,3%) und rund 247.000 im Bereich Privathaushalte (eine Abnahme gegenüber dem Vergleichszeitraum 2023 um – 4,2%). Mehr zur Struktur der Minijobber siehe den Beitrag "Arbeitslosigkeit: Bilanz 2024"
44,3% der Minijobber haben im Bereich der Privathaushalte monatliche Einkünfte bis zu 150 €, im gewerblichen Bereich 58,3% zwischen 400 und 520 € verdient. (2)
Armut in Deutschland
Die Armutsgefährdungsquote lag 2023 nach Berechnungen des Statistischen Bundesamtes bei den über 65-jährigen Männern bei 15,9% und bei Frauen in der gleichen Altersgruppe bei 20,8%. Um eine gesetzliche Rente oberhalb der Armutsgrenze von 1378 € zu erzielen, müsste aktuell der Stundenlohn einer vollzeitbeschäftigen Person über 45 Jahre hinweg bei 19,36 € liegen, so eine Antwort des BMAS auf eine Anfrage des BSW.
Die Armutsgefährdungsquote lag 2021 bei 19,4%, Frauen 20,9%, Männer bei 17,5% (Berechnung jeweils nach EU-SILC) und sie steigt und steigt weiter an. Siehe auch Neunter Altersbericht des Familienministeriums (3)
Die offizielle Armutsquote in Deutschland hat sich 2024 nicht wesentlich verändert, sie stagniert bei knapp 17%, das sind rund 14,2 Millionen Menschen. Rund ein Viertel dieser Menschen ist erwerbstätig, ein weiteres Viertel in Rente und mehr als 20% sind Kinder, so der Paritätische. Frauen sind stärker betroffen als Männer, Alleinerziehende und Familien mit mehr als zwei Kindern gehören ebenso dazu. Näheres im Paritätischen Armutsbericht. (4)
Altersarmut ist kein Zukunftsgespenst, sondern auch 2024 Realität. Gegenüber 2023 ist die Zahl der armutsgefährdeten RentnerInnen um 300.000 auf 19,6% im Jahr 2024 gestiegen – auch zum Teil eine Folge zu geringer Löhne und Gehälter im vorhergehenden Berufsleben.
„Um rund 40% ist die Zahl der GrundsicherungsempfängerInnen seit 2015 gestiegen, aktuell sind es rund 469.000. Das entspricht einer Grundsicherungsquote von 2,9 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahr hat es damit einen Anstieg um 0,1 Prozent gegeben.“ Quelle: DRV online, Abruf 16.12.24). Dabei ist die Dunkelziffer derjenigen, die diese Mindestleistung nicht beantragen, groß, das DIW hatte bereits 2019 ermittelt, dass bis zu 60% aus die ihnen zustehenden Leistungen nicht beantragen.
Rund 16,4 Millionen Menschen im regulären Rentenalter bezogen Ende 2023 in Deutschland eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, ca. 13% arbeiten aktuell mindestens in den ersten sechs Monaten nach dem erstmaligen Rentenbeginn weiter.“ (5)
Die 2021 eingeführte Grundrente verringert Armut im Alter nicht. Der 2023 durchschnittlich ausgezahlte Monatsbetrag lag bei 86 €. Dieser Zuschlag ist viel zu gering, außerdem sind die Voraussetzungen, überhaupt einen Antrag stellen zu können, viel zu hoch angesetzt – eine durchaus machbare Lösung wäre die Einführung einer Mindestrente, wie es sie z.B. in Österreich gibt. Mehr Infos dazu: DIW, Bilanz der Grundrente. (6)
In der Schweiz hat im gleichen Jahr 2024 eine Mehrheit für eine 13.te Rentenzahlung im Jahr gestimmt, außerdem gegen eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 66 Jahre.
Gewerkschaften 2024/2025
Die Tarifbindung geht seit 2009 immer weiter zurück und liegt inzwischen bei unter 50%. 2024 wurden in vielen noch tarifgebundenen Bereichen, so z.B. im Handel, bei der Bahn, im privaten Bankenbereich, der Post, den großen Krankenkassen Tarifauseinandersetzungen geführt. (7)
Die Tarifabschlüsse brachten keine Trendwende, es gelang nicht, die Einkommenshöhen zumindest so anzupassen, dass die Inflation und Preissteigerungen für Wohnen, Energie (Verbraucherpreise) ausgeglichen werden konnten. Die Inflation trifft nicht alle gleich, sie trifft Menschen in schlechter bezahlten Jobs – mehr noch arbeitslose Menschen. Zum gleichen Ergebnis – Reallohnverluste – kommt auch WSI-Tarifarchiv in seiner Jahresbilanz. (vgl. Pressedienst vom 6.12.2024). „Die reduzierte Kaufkraft der Beschäftigten ist ein wesentlicher Grund für die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland“, sagt Thorsten Schulten, der Leiter des WSI Tarifarchivs. „Auch wenn die Einkommen der Beschäftigten in diesem Jahr wieder Boden gut gemacht haben, besteht also weiterhin erheblicher Nachholbedarf", so Schulten weiter. Selbst in vielen Abschlüssen der IG Metall bleiben diese hinter den Preissteigerungsraten zurück, vor allem dann, wenn man die steuerbefreiten Inflationsausgleichsprämien herausrechnet, die sich nicht tabellenwirksam auswirken. Der Abschluss der IGM (bei 7% lag die Entgeltforderung), gerechnet auf die langen Laufzeitmonate, bringt es auf 1,8% jährlich, lediglich beim tariflichen Zusatzgeld gab es einige Verbesserungen.
Es kann auch anders gehen, dazu ein Beispiel: In Österreich konnten die Gewerkschaften 2024 für und mit den Beschäftigten des Roten Kreuzes um 9,2% höhere Löhne aushandeln bei einer 37 Stunden Woche an fünf Tagen in der Woche. Auch in Deutschland gab es positive Ausnahmen, z.B. im Einzelhandel, dort konnten im unteren Lohnbereich schon mal zwischen 13,7 und 15,6% mehr erreicht werden, nachdem entsprechender Druck aufgebaut worden war.
Wie lange also hält das Band der Sozialpartnerschaft noch?
Zum Jahreswechsel 2024/25 laufen für rund 7,5 Millionen Beschäftige die Vergütungstarifverträge aus, unter anderem bei der Post und dem öffentlichen Dienst. Verdi hat für den öffentlichen Dienst seine Tarifforderungen beschlossen: Die Grundforderungen: Entgelterhöhung um 8%, mindestens aber 350 € bei 12 Monaten Laufzeit und mehr freie Zeit in verschiedenen Formen.
Deutschland braucht eine Wende in der Tarifpolitik, aber nicht im Sinne der Unternehmer oder auch der Bundesbank, die den mäßigen Abschluss der IGM lobten, sondern genau umgekehrt, indem Verteilungsfragen wieder offensiv angegangen werden. Diese Tarifauseinandersetzungen müssen dabei über die rein betriebliche Ebene hinausgehen, sie müssen politisch werden, damit die Zeitenwende, wie sie auch in der Nationalen Sicherheitsstrategie beschrieben wird, verhindert wird.
Aussichten 2025
Es hat sich an der Grundfrage, Kapital und Arbeit nichts geändert, es bleibt also dabei: Für fast alle Menschen hängt ihre persönliche Lebenserfolgsquote von den jeweils herrschenden Kräfteverhältnissen ab.
Die Politiken in Kapitalinteresse fordern Hochrüstung, Kriegsfähigkeit, dazu muss an anderen Stellen gespart werden – zuvorderst an den Grundleistungen zum Leben der Menschen, die schon geplante Abkehr selbst vom Bürgergeld = Hartz IV wird dabei nur der Anfang sein. Die massiven Erhöhungen des offiziellen und der versteckten Rüstungshaushalte werden zu weiteren Kürzungen vor allem in den Bereichen Soziales, Kultur, aber auch Gesundheit und Alterssicherung führen, das Argument der Schuldenbremse wird dazu auch noch zusätzlich vorgeschoben und missbraucht. Wenn alles dem sogenannten Markt überlassen wird, braucht man sich nicht darüber zu wundern, was herauskommt.
Bereiche wie Wohnen, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur, Energie gehören in öffentlich verantwortete und kontrollierte Hände, es verbietet sich, sie zu privaten Gütern samt Gewinnerzielungsabsichten zu machen – ja, das Rad muss tatsächlich zurückgedreht werden, zum Beispiel in diese Richtungen:
- Höhere Tarifbindungen
- Höhere Tarifabschlüsse, die die Reallöhne tatsächlich steigern
- Ausbau der Mitbestimmung in den Betrieben
- Die Behinderung von Betriebs- und Personalräten/MAVen ist kein Antrags- sondern ein Offizialdelikt (die Staatsanwaltschaften verfolgen solche Delikte von sich aus)
- Arbeitszeitreduzierungen, Wiederaufnahme der Forderung nach Einführung der 32-Stundenwoche
- Abbau der Überstunden
- Armutsfeste Löhne und Gehälter oberhalb der bestehenden Armutsgrenzen
- Einen Mindestlohn, der zu einer armutsfesten Rente führt
- Eine Grundausbildung für alle Jugendlichen
- Ausbildungsplatzumlage für alle Betriebe ab 50 Beschäftigten
- Eine gesetzliche Rentenversicherung, in die alle einzahlen
- Rekommunalisierung der Energiewirtschaft
- Besteuerung aller Vermögensarten, Vermögenssteuer für das oberste 1%
- Steuerflucht unterbinden durch Steuerfahndung
- Aufhebung der Schuldenbremse
- Reduzierung des Rüstungshaushaltes
- Vergesellschaftung von Grund und Boden
- Enteignung großer Wohnungsbaukonzerne
Es kann und darf nicht sein, dass Menschen das Bedürfnis haben, jeweils danach zu suchen, ob es andere Menschen gibt, die man selbst wieder nach unten treten kann. Alle Menschen sind gleich. Die Begriffe Humanität, „Solidarität“, Widerstand und Gegenmacht müssen wieder zum Wortschatz und Inhalt vor allem der Gewerkschaften gehören, und ihr Wirken muss auch von ihnen organisiert werden.
So bleiben auch die „alten“ Forderungen der Arbeiterbewegung mehr als aktuell, Georg Herwegh hat sie bereits 1836 in Strophen des Bundesliedes beschrieben – daraus:
„Mann der Arbeit aufgewacht!
Und erkenne deine Macht!
Alle Räder stehen still,
wenn dein starker Arm es will.“
Abkürzungen
BA: Bundesagentur für Arbeit
BMAS: Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Destatis: Statistisches Bundesamtes
DIW: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Eurostat: Statistisches Amt der Europäischen Union
IAB: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
IFO: Ifo Institut
KV: Krankenversicherung
PV: Pflegeversicherung
RV: Rentenversicherung
SGB II: Sozialgesetzbuch II – Bürgergeld (umgangssprachlich Hartz IV)
SGB III: Sozialgesetzbuch III - Arbeitsförderung
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Quellen
(1) DGB: Mindestlohn 2025, https://www.dgb.de/service/ratgeber/mindestlohn/
(2) Minijob-Zentrale: Quartalsbericht der Minijob-Zentrale, https://www.minijob-zentrale.de/DE/service/minijob-statistik/Digitaler_Quartalsbericht_/node.html
(3) Familienministerium: Neunter Altersbericht S. 62ff, https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/service/publikationen/neunter-altersbericht-alt-werden-in-deutschland-252680
(4) Paritätischer Wohlfahrtsverband: Armut in der Inflation, https://www.der-paritaetische.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/img/Paritaetischer_Armutsbericht_2024.pdf
(5) Destatis: Zahl der Woche, 28.1.2025, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2025/PD25_05_p002.html
(6) DIW: Bilanz der Grundrente: Weniger Menschen als erwartet profitieren davon, https://www.diw.de/de/diw_01.c.889901.de/publikationen/diw_aktuell/2024_0091/bilanz_der_grundrente__weniger_menschen_als_erwartet_profitieren_davon.html
(7) WSI: Tarifrunde 2024: Aktueller Überblick, https://www.wsi.de/de/tarifrunde-2024-aktueller-ueberblick-54925.htm